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Einige Hintergründe zu Obamacare

Eigentlich sollten die Bundesbürger ja wissen, was es bedeutet, wenn etwas pompös im Gewande großer "Reformen" daherkommt: man denke nur an die Erfahrungen mit den vielen "Bildungs-"Reformen", den Hartz-IV-"Reformen" und unseren Gesundheits- "Reformen". Haben diese "Reformen" für die Betroffenen irgendwas verbessert? Oder handelte es sich nicht immer nur um clevere PR-Kampagnen, mit denen in Wirklichkeit Deregulierung, Privatisierung und vor allem Leistungskürzungen verkauft wurden?

In den USA ist das nicht anders. Der Unterschied zu Deutschland ist jedoch, daß die Bevölkerung dort dagegen rebelliert und die Rufe nach einer Amtsenthebung des Präsidentenmittlerweile immer lauter werden.

Als Präsident Obamas Gesundheitsreform (der „Affordable Care Act“, ACA, in den USA oft „Obamacare“ genannt) 2010 vom US-Kongreß beschlossen wurde, wurde in den Medien bewußt der falsche Eindruck erzeugt, es handle sich dabei um die Einführung dessen, was der in europäischen Ländern praktizierten Krankenversicherung entspricht. Dass Vertreter der Republikaner fälschlicherweise behaupteten, Präsident Obama wolle eine Art „verstaatlichte Gesundheitsfürsorge“, bei der Wohlhabende durch höhere Steuern dem Staat die Einrichtung einer Krankenversicherung für alle bezahlen, verstärkte diese Irreführung noch.

Hier einige Hintergründe dazu:

Die Vorschrift von Obamacare, daß sich jeder versichern muß, ist vor allem eine Goldgrube für die privaten Versicherungen. Die sogenannte „Gesundheitsbörse“ im Internet ist kein staatliches Programm, sondern nur ein Leitfaden zum Erwerb einer Krankenversicherung bei privaten Unternehmen. Seitdem der ACA in Kraft trat, wuchs der Aktienwert der großen Versicherer um 200-300% und der S&P-Aktienindex der Krankenversicherungen ist allein seit Jahresbeginn um 43% gestiegen. Die Versicherungsriesen haben ihren Betrieb seit 2010 ganz darauf ausgerichtet, hohe Gewinne aus Obamacare abzuschöpfen. Und das gleich doppelt: durch mehr Einnahmen aus Versicherungsprämien, die mit Steuergeldern bezuschußt werden, und durch Einsparungen, weil unter Obamacare die Erstattungen an Krankenhäuser, Ärzte usw. gekürzt werden.

Unter dem Einfluß der Versicherungslobby formulierte die Regierung die Bedingungen so, daß dabei alles andere herauskommt, aber sicher keine funktionierende Krankenversicherung für alle Amerikaner. Am 3. Oktober erschien z.B. in der New York Times eine Analyse von Datenerhebungen, wonach unter den bisher nicht Krankenversicherten zwei Drittel der einkommensschwachen Schwarzen und alleinerziehenden Mütter sowie mehr als die Hälfte der Geringverdiener keine staatlichen Zuschüsse für den Erwerb einer Krankenversicherung erhalten werden.

Dazu kommt, daß, völlig entgegen anderslautender mehrfacher Zusagen des Präsidenten, bestehende Versicherungspolicen, mit denen ihre Eigentümer bisher zufrieden waren, nicht mehr gelten und zwangsweise in teurere und keineswegs bessere umgewandelt werden müssen, die den Vorschriften von Obamacare entsprechen. Der Patient muß bei jedem Arztbesuch, Rezept oder Behandlung einen Teil der Kosten selbst tragen und die angebotenen Leistungen sind begrenzt.

Ab Anfang 2014 soll ein spezieller Beirat aus nicht gewählten Bürokraten, „Independent Payment Advisory Board“ (IPAB), Vorgaben zur „Kostenbegrenzung“ ausarbeiten, indem die Leistungen für „zu kranke“ und/oder „zu arme“ Patienten beschränkt werden.

Die Folgen der Sparpolitik waren dreieinhalb Jahre nach Einführung des ACA bereits drastisch spürbar. Angeblich „ineffektive“ Vorsorgeprogramme, z.B. für Prostatakrebs, wurden weitgehend eingestellt. Krankenhäuser müssen Strafen zahlen, wenn sie chronisch kranke Patienten innerhalb eines bestimmten Zeitraums „zu oft“ aufnehmen. (In den USA übernehmen Krankenhäuser traditionell z.T. auch Behandlungen, die in Deutschland Haus- oder Fachärzte ausführen.) Die versuchsweise Einführung von Pauschalbeträgen, also Obergrenzen, bei bestimmten Diagnosen wurde ausgeweitet. Jetzt ist bereits die reihenweise Schließung von Krankenhäusern in ländlichen Gegenden der USA wegen angeblicher "Überversorgung" im Gespräch.

[h4]Der Einfluß der privaten Versicherungen[/h4]

Am 23. Oktober trafen sich die Chefs der großen privaten amerikanischen Krankenversicherungen (u.a. Aetna, Humana, Kaiser Permanente, Wellpoint) und ihres nationalen Verbands AHIP (America’s Health Insurance Plans) mit Präsident Obama im Weißen Haus, um über ihre Erwartungen an die Gesundheitsreform zu sprechen. Obwohl die „Krankenversicherungsbörse“ der Regierung im Internet HealthCare.gov noch nicht korrekt funktioniert, wollen sie keine Verzögerungen, die ihren Profit mindern.

Die größte dieser Krankenversicherungen (HMO's) in den USA ist UnitedHealth Group mit rund 70 Mio. Versicherten. Sie wuchs zur jetzigen Größe unter der Führung von Simon Stevens auf. Stevens war unter Tony Blair (1997-2007) für die Gesundheitsreformen der britischen Regierung zuständig. Er führte dabei 1999 das berüchtigte National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) ein, das den Krankenhäusern und Ärzten im öffentlichen Gesundheitswesen (NHS = National Health Service) vorschreibt, welche Patientengruppen nach strikten "Kosten-Nutzen-Vorgaben" welche Behandlungen erhalten dürfen und welche nicht. NICE wurde das Vorbild für das Independent Payment Advisory Board (IPAB), das Obama 2010 einrichtete.

2007 kam Stevens nach Minnesota zur UnitedHealth Group USA. 2009 gab er Präsident Obamas Wahlkampfteam Ratschläge, wie man die Leistungen bei Medicare (der Versicherung für die Rentner in den USA) so kürzen kann, daß man über ein Jahrzehnt 500 Milliarden Dollar einspart. Demnächst wird Stevens nach London zurückkehren, um dort die Leitung des britischen Gesundheitssystems NHS zu übernehmen.

Im letzten Monat begann UnitedHealth Verträge mit Ärzten zu kündigen, laut einem Bericht von NJ.com betrifft es 10-15% der bisherigen Vertragsärzte. Es handelt sich dabei um Ärzte, die auch mit der privatisierten Variante von Medicare (Medicare Advantage) arbeiten. United Health geht davon aus, daß sich offenbar daran nicht genug verdienen läßt, weil die Gesundheitsreform diesen Versicherungstyp benachteiligt. In Connecticut kündigte UnitedHealth zum 1. Februar 2014 die Verträge mit 2200 Ärzten, die im Rahmen von Medicare Advantage Patienten versorgten, im Großraum New York trifft es 2100 Ärzte, im Rest des Landes ist es ähnlich. Im Bundesstaat New York sind mehr als 2,6 Mio. Senioren über Medicare versorgt, aber ein Drittel davon, 900.000, läuft über Medicare Advantage.

Nach Angaben des Ärzteverbands von New Jersey hat UnitedHealth diese Versicherten noch nicht darüber informiert, daß ihre Ärzte ab Februar 2014 nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Ärztegruppen machen nun die Öffentlichkeit darauf aufmerksam, weil ein freier Übertritt zu Medicare nur noch bis zum 7. Dezember möglich ist. UnitedHealth hat erklärt, die Versicherten würden erst dann informiert, wenn die Vertragskündigungen mit den Ärzten „abgewickelt sind“ - aber das könnte sich so lange hinziehen, bis ein Übertritt zu Medicare nicht mehr möglich ist und die Patienten dann keinen Arzt mehr finden, der sie behandelt. Inzwischen breitet sich Panik aus, besonders unter älteren Patienten. Der Präsident des Ärzteverbands des Staates New York, Sam Unterricht, fordert jetzt eine Untersuchung des Ausmaßes der Kündigungen durch den US-Kongreß.

[h4]Die Alternative[/h4]

Als die Gesundheitsreform im Kongreß verhandelt wurde, hatte eine Gruppe von Ärzten und liberalen Demokraten eine sinnvolle Alternative präsentiert, die sie „Medicare für alle“ nannten. Medicare ist die öffentliche Krankenversicherung für fast alle Rentner in den USA, und der entsprechende Gesetzentwurf sieht vor, diese auf alle anderen Amerikaner auszuweiten. Das hätte die Kosten im Gesundheitswesen massiv gesenkt, weil die Verwaltungskosten statt 30% wie bei privaten Versicherungen bei Medicare nur 3% betragen und weil die im „freien Markt“ überhöhten Preise der Pharmaunternehmen gesenkt würden. Der Abgeordnete John Conyers hat diese Gesetzesvorlage in der laufenden Legislaturperiode wieder eingebracht und inzwischen hat sie 50 Unterzeichner im Kongreß.

In Amerika kann man in der Gesundheitspolitik auf die bewährten Prinzipien der Nachkriegsjahrzehnte zurückgreifen (das sog. Hill-Burton-Gesetz), die vor allem vorschrieben, daß eine adäquate Krankenversorgung für alle gesichert sein muss, auch für Patienten, die nicht selbst zahlen können. Mit einem massiven Anstieg der Steuereinnahmen nach einer Glass-Steagall-Bankentrennung und der Schaffung Millionen produktiver Arbeitsplätze durch produktiven Nationalkredit ist genau dies möglich - statt Millionen Menschenleben einem bankrotten Finanzsystem und der Profitmaximierung gigantischer Privatinteressen zu opfern.

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