06131-237384info@bueso.de

Das alte Paradigma bricht zusammen: „Wir stehen vor bedeutenden Änderungen in der EU“

Von Alexander Hartmann und Elke Fimmen

Der G-7-Gipfel am 8. und 9. Juni in Charlevoix/Kanada zeigte die Realität: Es gibt keine „gemeinsame Front des freien Westens“ mehr.  Präsident Trump erklärte nach seiner vorzeitigen Abreise zum Treffen mit Nordkoreas Staatsführer Kim Jong Un In Singapur, er unterstütze die Abschlußerklärung der G-7 nicht. Vor dem Gipfel hatte er bereits verlangt, Rußland müsse wieder zugelassen werden, man habe sich schliesslich um die Angelegenheiten der Welt zu kümmern und dafür sei Rußland nun mal unverzichtbar.

Auch unter den übrigen sechs herrscht keineswegs Einigkeit, wie man dies in Berlin, London oder Paris vorgibt. So hat der neue italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte bereits deutlich gemacht, daß er die Rußland-Sanktionen für falsch hält und für deren Aufhebung eintritt. Auch der japanische Ministerpräsident Abe verfolgt schon lange eine Politik der intensiven wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Rußland und China, und von US-Präsident Trump ist ohnehin bekannt, daß er mit dem russischen Präsidenten Putin enger zusammenarbeiten will und nur durch die Beschlüsse des US-Kongresses daran gehindert wird.

So beschränken sich also die Überreste der „gemeinsamen Front des freien Westens“ inzwischen de facto auf Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Kanada - wirkliche Großmächte sind da schon nicht mehr dabei.

Vielleicht um die Optik zu verbessern, nahmen am G-7-Gipfel in Kanada auch EU-Präsident Tusk und Kommissionspräsident Juncker teil, als Vertreter der EU. Aber auch in der EU zeigen sich immer deutlichere Risse - und das nicht erst seit Contes Regierungsantritt. Während die EU-Führung versucht, Chinas Einfluß in Europa einzudämmen, setzen immer mehr EU-Mitgliedstaaten, vor allem in Ost-, Mittel- und Südeuropa, auf eine intensivere Zusammenarbeit mit China insbesondere im Infrastrukturbereich, in dem die EU in den letzten Jahrzehnten kaum etwas getan hat.

Auch in der Frage der Rußland-Sanktionen regt sich in den Reihen der EU-Mitgliedstaaten immer mehr Widerspruch. Schon als die britische Regierung die NATO- und EU-Mitglieder zu „Solidaritäts-Sanktionen“ gegen Rußland wegen des (angeblich von Rußland durchgeführten) Giftanschlags auf den früheren russischen Spion Skripal aufrief, verweigerte ein Drittel der EU-Mitglieder die Gefolgschaft.

Als sich dann in Italien die Bildung einer europakritischen Regierungskoalition aus Lega und Fünf-Sterne-Partei abzeichnete, setzte „Europa“ alle Hebel in Bewegung, um das Zustandekommen dieser Regierung zu verhindern - nur um zu erleben, daß diese Regierung unter Ministerpräsident Conte dann doch ihr Amt antreten konnte.

Helga Zepp-LaRouche kommentierte diese Entwicklung am 7. Juni in ihrem wöchentlichen internationalen Internetforum: „Es vollziehen sich ganz klar sehr wichtige Veränderungen. Gestern wurde die Regierung Conte vom Senat und von der Abgeordnetenkammer abgesegnet. In der ersten Rede, die Premierminister Conte hielt, kündigte er an, daß er eine Wende in der Sanktionspolitik gegenüber Rußland herbeiführen will und daß seine Regierung sich für die Bankentrennung einsetzen wird.“

Sie warnte vor der Stimmungsmache gegen die neue italienische Regierung, die auf antiitalienische Ressentiments in der Bevölkerung setzt, und betonte:

„Ich denke, die Leute sollten wirklich noch einmal darüber nachdenken: Ist es besser, etwas zu ändern, nachdem die Menschen in Italien schon unter mehreren Regierungen kein Wachstum mehr erlebt haben? Oder sollen wir uns wie Schafe verhalten, wie die Deutschen, denen es auch nicht so gut ergeht, jedenfalls einem größeren Teil der Bevölkerung? Aber sie gehen wie die Lämmer ins Schlachthaus und tun nichts, um sich einer Politik zu widersetzen, die klarerweise nicht in ihrem Interesse ist und von der Regierung Merkel kommt.

Ich würde den Menschen raten, keine Vorurteile zu haben, sondern zu sehen, wie sich diese Regierung entwickelt. Sie hat offensichtlich Probleme, die klar zu sehen sind, sie ist sehr grün. Aber ich denke, die ersten Schritte, was die Sanktionen angeht, die Bankentrennung, der andere Ansatz gegenüber Afrika - alle diese Dinge sind sehr vielversprechend.“

Putin in Wien

Am 5. Juni wurde dann der russische Präsident Wladimir Putin zum 50. Jahrestag der Kooperation zwischen den staatlichen Gaskonzernen OMV und Gazprom mit allen Ehren zu einem offiziellen Staatsbesuch in Österreich empfangen - ein hochsymbolischer Art, ist doch gerade der Energiehandel mit Rußland den westlichen Geopolitikern ein Dorn im Auge. Am Rande des Besuchs verlängerten OMV und Gazprom ihre Vereinbarungen bis zum Jahr 2040.

Bei Putins Staatsbesuch in Wien stand das Thema des Dialogs im Vordergrund. Österreichs Staatspräsident Alexander Van der Bellen betonte in seiner Begrüßungsrede: „Frieden in Europa ist nur mit Rußland möglich. Und eine Reihe regionaler und globaler Probleme läßt sich nur unter Einbeziehung Rußlands lösen.“ Und Bundeskanzler Sebastian Kurz sagte vor Journalisten: „Wir hoffen, daß es durch einen intensiveren Dialog Fortschritte in den Beziehungen zwischen der EU und Rußland geben wird.“

Präsident Putin seinerseits sprach die Frage der Sanktionen an. „Diese Sanktionen schaden allen - sowohl denen, die sie initiiert haben, als auch denen, gegen die sie gerichtet sind. Ich denke daher, daß alle ein Interesse daran haben, sie aufzuheben.“

Kurz erklärte dazu, Österreich werde sich nicht über die Sanktionen der EU hinwegsetzen, er sagte aber auch: „Österreich wird sich in der Zeit seines Ratsvorsitzes dafür einsetzen, daß sich die Beziehungen zwischen Rußland und der EU verbessern. Ich hoffe, daß wir Fortschritte im Dialog machen können, um auch die Sanktionen schrittweise abzubauen.“

Helga Zepp-LaRouche betonte, Putins Österreich-Besuch sei sehr wichtig. „Denn alle Bemühungen der neoliberalen und neokonservativen Massenmedien, Putin zu verteufeln und ein Bild zu zeichnen, daß er völlig isoliert sei, wurden vollkommen widerlegt. Er wurde in Wien exzellent aufgenommen. Kanzler Kurz sagte, er werde sich auch dafür einsetzen, daß die Sanktionen beendet werden - Österreich wird am 1. Juli den Vorsitz der EU übernehmen, Kurz wird also einige Möglichkeiten haben, Schritte einzuleiten. Und angesichts der Tatsache, daß es einen solchen Stimmungswandel gibt - die Visegrad-Länder, die ost- und zentraleuropäischen Länder, die Balkanländer, die südeuropäischen Länder und Österreich sind fast alle gegen die Sanktionen -, ist leicht zu sehen, daß es dort Raum für Veränderungen gibt… Ich denke, daß es einige bedeutende Änderungen in der EU geben wird, die vielleicht nicht so angenehm sind für diejenigen, die den Status quo erhalten wollen.“

Eurasien rückt zusammen

Ganz im Gegensatz zum Desaster des gescheiterten Gipfeltreffens der G-7 (oder G-?) dürfte dem Treffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) an diesem Wochenende eine sehr viel größere Bedeutung zukommen. Zu den Mitgliedern dieser Organisation gehören neben Rußland und China und den zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan seit 2017 auch Indien und Pakistan. Zusammen vertreten sie rund 40% der Weltbevölkerung.

Helga Zepp-LaRouche sagte dazu in ihrem Internetforum, es habe, insbesondere von Seiten der Briten, der EU und der Regierung Obama, Versuche gegeben, Indien gegen China auszuspielen und in ein Bündnis mit Australien, Japan und Neuseeland zu ziehen, was auch von geopolitischen gesinnten Kreisen in Indien unterstützt wurde.

„Aber das alles ändert sich jetzt“, fuhr sie fort. „Es gab das sehr wichtige Gipfeltreffen zwischen [dem indischen Premierminister] Modi und Xi Jinping in Wuhan, wo die beiden Führer zwei Tage lang alle möglichen bilateralen und multilateralen Fragen diskutierten. Und dann hielt Premierminister Modi eine sehr wichtige Rede beim Shangri-La-Dialog in Singapur, wo er nicht nur auf die weit mehr als 5000 Jahre alte Geschichte Indiens verwies und darauf, daß die indische Kultur zu den größten in der menschlichen Zivilisation gehöre; er verwendete auch eine ganz ähnliche Formulierung des Begriffs der ,einen Menschheit in der Zukunft’, von der Präsident Xi immer wieder spricht. Es gibt also eine klare Annäherung zwischen Indien und China. Beide haben erklärt, daß die beiden Nationen die größten Länder der Welt sind, was die Bevölkerung angeht, und daß es eine sehr, sehr große Wirkung auf die Welt hat, wenn sie zusammenarbeiten…

Es gibt eine klare Orientierung auf ein Asiatisches Jahrhundert, denn Asien ist jetzt auf einem viel besseren Kurs, sie betonen Innovationen, Wissenschaft und Technologie und den wissenschaftlichen Fortschritt als Quelle der Steigerung der Produktion. Sie machen also vieles richtig, was die Europäer falsch machen…

Deshalb liegt das Momentum jetzt in Asien, und deshalb betont das Schiller-Institut, daß die Vereinigten Staaten und die europäischen Nationen sich einfach mit den asiatischen Ländern verbünden sollten, um den Globus zu entwickeln und die Armut zu überwinden, und um eine Win-Win-Kooperation mit allen Nationen der Welt einzugehen und eine neue Gemeinschaft der gemeinsamen Zukunft der Menschheit aufzubauen. Ich denke, das ist in greifbarer Nähe. Wenn die Menschen wüßten, daß sich dieses neue Paradigma bereits sehr schnell entwickelt, dann würden sie sofort sehr, sehr optimistisch.“