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75 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs: Was die Welt jetzt endlich lernen muß

von Alexander Hartmann

Während diese Zeilen geschrieben werden, gedenkt die Welt des 8./9. Mai 1945 - dem Tag des Sieges über den Faschismus, mit dem vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg in Europa endete. Erst vor wenigen Tagen, am 25. April, erinnerten US-Präsident Donald Trump und der russische Präsident Wladimir Putin in einer Gemeinsamen Erklärung an das „Treffen an der Elbe“, das historische Treffen zwischen sowjetischen und amerikanischen Soldaten, die sich auf einer zerstörten Elbbrücke die Hände reichten, und sie beschworen darin zurecht den „Geist der Elbe“, der dieses Treffen prägte. In dieser Erklärung heißt es:

„Der ,Geist der Elbe’ ist beispielhaft dafür, wie Länder ihre Unstimmigkeiten beiseite legen, Vertrauen schaffen und im Streben nach einer höheren Sache zusammenarbeiten können. Während wir heutzutage zusammenarbeiten, um den wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu begegnen, würdigen wir die Tapferkeit und den Mut all derer, die gemeinsam kämpften, um den Faschismus zu besiegen. Ihre heroische Heldentat wird niemals vergessen sein.“

Leider war US-Präsident Franklin D. Roosevelt zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Er hatte seinerzeit wesentlich dazu beigetragen, das Kriegsbündnis mit Rußland zustandezubringen und gegenüber dem britischen Premierminister Winston Churchill betont, sein Kriegsziel sei es, die Welt von den „Methoden des 18. Jahrhunderts“, wie sie vom Britischen Empire praktiziert wurden, zu befreien. Roosevelts Nachfolger Harry Truman ließ sich (wie die meisten seiner Nachfolger) dazu bewegen, dem Fahrwasser des Britischen Empire wieder zu folgen.

In einem Beitrag zu einer Veranstaltung in Rußland, die dem Gedenken an das Treffen an der Elbe gewidmet war, kommentierte die Präsidentin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, diese Entwicklung:

„Die amerikanisch-russische Allianz hatte es möglich gemacht, eine faschistische Übernahme der Menschheit und deren fast garantierte Zerstörung zu verhindern. Aber die Erwartungen, einen dauerhaften Frieden und eine gemeinsame Entwicklung zu schaffen, haben sich weitgehend nicht erfüllt, und die Zivilisation hätte zu verschiedenen Zeitpunkten des ,Kalten Krieges’ tragisch enden können.

Selbst als die Sowjetunion zusammenbrach, wurde durch einflußreiche ,neokonservative’ Gruppierungen, die für eine einseitige anglo-amerikanische Weltordnung warben, eine einmalige Chance vertan. Nach drei Jahrzehnten von Regimewechselkriegen und der Politik von Sanktionen, Abkoppelung und Dämonisierung ist die Sicherheit der Menschheit fragiler denn je.

Die Herausforderungen sind vielfältig und tiefgreifend. Wir werden nicht nur bedroht durch das Fehlen einer Sicherheitsarchitektur, die das Überleben der Menschheit garantiert, sondern auch durch das rasch zerbröckelnde spekulative Finanzsystem und die Zunahme des ,Narko-Terrorismus’. Und obendrein verschlimmert eine verheerende Pandemie, die wie die Grippepandemie 1918 potentiell Massensterben verursacht, Armut, Hunger und Unterentwicklung...

Ein neuer, starker Handschlag zwischen Ost und West ist notwendig, um diese lebensbedrohliche Krise zu eliminieren und eine Lösung auf den Weg zu bringen. Das Schiller-Institut hat einen Aktionsplan vorgelegt, der auf dem Vorschlag des verstorbenen Ökonomen Lyndon LaRouche basiert und zu einem Treffen der ,Vier Mächte’ zur Reorganisation des gescheiterten Systems aufruft. Dabei handelt es sich um Rußland, die Vereinigten Staaten, China und Indien. Die Kombination dieser Nationen würde genug Stärke darstellen, um die folgende Agenda zu erreichen:

1. Schließung der Kasinowirtschaft durch die Trennung der spekulativ-finanziellen Profitmacherei von der Realwirtschaft,

2. Wiederherstellung des nationalen Kreditwesens für langfristige Kredite, die in eine massive Expansion der produktiven Unternehmen und die Schaffung von Arbeitsplätzen fließen sollen,

3. Vereinbarung eines neuen Bretton-Woods-Abkommens, um die Grundlage für eine globale Zusammenarbeit zur Bewältigung aller Aufgaben zu schaffen, die für den Wiederaufbau der physischen Weltwirtschaft erforderlich sind, einschließlich einer sofortigen Mobilisierung für ein Weltgesundheitssystem,

4. Definition bestimmter Ziele für Durchbrüche in der Grundlagentechnologie, wie z.B. Kernfusion und Weltraumkolonisierung, um das wissenschaftliche und moralische Potential der Bürger, insbesondere der Jugend, zu mobilisieren.“

Zepp-LaRouche schloß: „Liebe Freunde, die gegenwärtigen Umstände mögen nicht unbedingt günstig für einen solchen ,neuen Handschlag’ zwischen Ost und West aussehen. Da sich die Krise jedoch in unmittelbarer Zukunft vertiefen wird, werden sich Veränderungen und Chancen ergeben. Der Sieg über den Faschismus vor 75 Jahren, der mit dem Leben so vieler tapferer Menschen bezahlt wurde, kann uns inspirieren, uns dieser neuen gewaltigen Aufgabe zu stellen. Ich danke Ihnen, und Gott segne Sie.“

Aufruf der „Blockfreien“

Die dringende Notwendigkeit der Zusammenarbeit, um die aktuellen Krisen zu überwinden, stand auch im Mittelpunkt der Gespräche der Kontaktgruppe der Blockfreien-Bewegung am 4. Mai. An der Online-Konferenz, die vom derzeitigen Vorsitzenden der Blockfreien-Bewegung, dem aserbaidschanischen Präsidenten Ilham Alijew, ausgerichtet wurde, beteiligten sich unter anderem UN-Generalsekretär Antonio Gutteres, der Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, 40 Staatsoberhäupter aus Asien, Afrika, Europa und Lateinamerika, darunter die Staats- und Regierungschefs von Indien, Pakistan, Ägypten, Iran, Venezuela, Kuba und Indonesien, sowie der außenpolitische Repräsentant der Europäischen Union Josep Borrell, um über die Koordination und Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu diskutieren. Der 1961 gegründeten Blockfreien-Bewegung gehören insgesamt 120 Länder an, die meisten davon sind Entwicklungsländer.

Im Abschlußkommuniqué des Gipfeltreffens heißt es unter Punkt 11:

„Angesichts einer solchen globalen Notlage muß der Geist der Solidarität im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen, sie erfordert ein hohes Maß an ethischem und humanistischem Engagement, wo Solidarität und selbstlose Zusammenarbeit vorherrschen, um die bedürftigen Völker mit Medikamenten, medizinischer Ausrüstung und Hilfsgütern, Nahrungsmitteln, Austausch von Fachwissen und bewährten Behandlungsmethoden zu versorgen.“

Offensive der „Kriegspartei“

Gerade weil die Eskalation der Krisen den Druck auf die Regierungen erhöht, ihre konstruktive Zusammenarbeit zu verstärken, eskaliert die neokonservative und neoliberale „Kriegspartei“ in der westlichen Welt ihre Bestrebungen, ganz im Sinne der alt-imperialen Maxime „teile und herrsche“ Keile zwischen Ost und West (und zwischen Nord und Süd) zu treiben, um insbesondere US-Präsident Trump auf Konfrontationskurs gegenüber Rußland und vor allem gegenüber China zu bringen. Wie Helga Zepp-LaRouche in ihrer Eröffnungsrede bei der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 25. April zu Recht betonte, wird dabei der Tonfall zunehmend „schriller“.

So gab US-Außenminister Mike Pompeo im letzten Monat nicht weniger als 90 Presseinterviews, in denen er China immer wieder mit völlig unhaltbaren Behauptungen und Verleumdungen angriff und in einem Bruch mit der jahrzehntelangen Unterstützung der US-Regierungen für die „Ein China“-Politik forderte, Taiwan in der WHO „und anderen UN-Gremien“ einen Beobachterstatus einzuräumen, was nur als gezielte Provokation interpretiert werden kann. Und während Präsident Trump in der zitierten Gemeinsamen Erklärung mit Rußlands Präsident Putin den „Geist der Elbe“ heraufbeschwört, hören wir erneut die schrille Stimme des US-Außenministeriums, das eine Erklärung herausgegeben hat, in der Rußland und die Sowjetunion angegriffen werden, weil sie nach dem Zweiten Weltkrieg „totalitäre Regime einsetzten“ - eine Erklärung, die von den Außenministern mehrerer mittel- und osteuropäischer Staaten, die eng mit dem Britischen Empire zusammenarbeiten, mitunterzeichnet wurde.

In einer Weltlage, in der die bestehenden und eskalierenden Krisen - insbesondere die COVID-19-Pandemie und die Zusammenbruchskrise des Finanzsystems - nur durch Kooperation aller Länder überwunden werden können, werden derlei Äußerungen und Vorstöße zu einer unmittelbaren Bedrohung für die Zukunft der Menschheit. Sie sind Ausdruck des geopolitischen Denkens und eben jener „Methoden des 18. Jahrhunderts“, die Franklin Roosevelt Winston Churchill vorgehalten hatte.

In ihrem Internetforum am 4. Mai betonte Helga Zepp-LaRouche: „Man sollte sich wirklich vor Augen halten, daß die Geopolitik im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege verursacht hat. Wenn wir weiter in diese Richtung gehen, dann könnten wir jetzt einen Dritten Weltkrieg bekommen, auch mit thermonuklearen Waffen. Ich glaube nicht, daß irgendein Mensch nach einem solchen Krieg noch weiterleben will, denn viele, die studiert haben, wie ein thermonuklearer Krieg aussähe, sagen, daß die Menschen, die in den ersten Stunden sterben, noch Glück haben, verglichen mit denen, die es ein paar Wochen länger schaffen. Ich möchte die Menschen wirklich aufrütteln, damit diese Hetze gegen China aufhört! Und damit sie zur Vernunft kommen und zusammenarbeiten als einzige Option.“

Entscheidend wird sein, daß die Bürger diese Entwicklungen nicht bloß beobachten wie ein passiver Zuschauer, der abwartet, was Präsident Trump als nächstes tun wird. Betrachten Sie die Situation statt dessen mit den Augen von Franklin D. Roosevelt, der bei seiner Nominierung zum Präsidenten 1932 erklärte:

„Aus jeder Krise, jeder Drangsal, jeder Katastrophe erhebt sich die Menschheit mit einem gewissen Maß an vermehrtem Wissen, höherem Anstand und reineren Absichten. Heute durchleben wir eine Zeit des losen Denkens, des Sittenverfalls, eine Ära des Egoismus von Individuen wie von Nationen. Schuld daran sind nicht allein die Regierungen. Ebenso sehr müssen wir uns selbst die Schuld geben.“