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Abu Alahmar – oder die nie alternde Staatskunst

Ein Beitrag von Klaus Fimmen

Es gibt Prinzipien der Staatskunst, die, wenn nicht in aller Ewigkeit so doch über Jahrtausende, nichts von ihrer Gültigkeit einbüßen, Prinzipien, die sich in allen Kulturen bewahrheitet habe. Und das betrifft gleichermaßen die Modelle, die erfolgreich waren, als auch jene, deren Mißerfolg absehbar war, die aber im Hier und Jetzt scheinbar funktionierten. Zur letzteren Kategorie zählen alle Imperien, die in sich selbst stets den Keim ihres Untergangs tragen, als auch damit verbunden alle Wirtschaftsformen, die sich als Nullsummenspiel verstehen, in denen der Gewinn des Einzelnen den Verlust des Anderen oder der ganzen Gesellschaft darstellt. Die Corona-Krise hat es ja gerade deutlich zutage treten lassen, was die alleinige Konzentration auf Profitmaximierung auf Kosten des Gemeinwohls – z.B. im Gesundheitswesen – für Folgen hat.

Nun sollte man in unserer aufgeklärten Gesellschaft meinen, es wäre ein Leichtes, aus der Geschichte zu lernen und die erfolgreichen Modelle der Vergangenheit wiederzubeleben. Das passiert aber nicht: nicht in Deutschland, nicht in Europa und auch nicht in den USA. Wenn es aber dennoch passiert, wird es entweder nicht zur Kenntnis genommen, als unfairer staatlicher Eingriff gebrandmarkt (Beispiel China)  oder gleich in das Reich der Wunder verbannt, wie das deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit.

Deshalb kam ich nicht umhin zu schmunzeln, als ich jüngst Washington Irvings1 Erzählungen von der Alhambra von 1829 las, insbesondere das vorletzte Kapitel, welches den Erbauer der Alhambra, Muhamed Abu Alahmar und seine Regierungszeit in Granada vorstellt. Gerne würde ich Ihnen dieses Kapitel vorlesen. Zu schade, daß es nicht geht. Lesen Sie nur selbst die folgenden Auszüge und vielleicht entdecken Sie den Grund meines stillen Vergnügens.

„… Die Mauren von Granada betrachteten die Alhambra als ein Wunder der Kunst und hatten eine Sage, der König, der sie gebaut, habe sich mit Zauberei abgegeben, oder sei doch ein Alchimist gewesen, wodurch er in den Stand gesetzt worden wäre, sich die unermeßlichen Summen Goldes zu verschaffen, welche bei dem Bau derselben verschwendet wurden. Eine kurze Übersicht seiner Geschichte wird das wirkliche Geheimnis seines Reichtums darlegen.“

Irving beschreibt dann, wie der 1195 in Arjona geborene Abu Alahmar 1238 zum König von Granada ausgerufen wurde und fährt fort:

„Seine Regierung machte ihn zu einem Segen seiner Untertanen. Er gab die Statthalterschaft seiner verschiedenen Städte den Männern, die sich durch Tapferkeit und Klugheit ausgezeichnet hatten und bei dem Volk am beliebtesten waren. Er setzte eine wachsame Polizei ein und erließ strenge Gesetze zur Handhabung der Gerechtigkeit. Die Armen und Unglücklichen hatten stets freien Zutritt zu ihm und er sorgte persönlich für Beistand und Abhilfe. Er errichtete Hospitäler für Blinde, Alte und Kranke und alle solche, welche nicht arbeiten konnten und besuchte sie oft – nicht an festgesetzten Tagen mit Pracht und Prunk, sodaß Zeit blieb, alles in Ordnung zu bringen und jeden Mißbrauch zu verstecken, sondern plötzlich und unerwartet; durch eigene Beobachtung und genaue Prüfung unterrichtete er sich von der Behandlung der Kranken und dem Benehmen derer, die zu ihrem Beistand angestellt waren. Er gründete Schulen und Universitäten, welche er auf die gleiche Weise besuchte und wohnte persönlich dem Unterricht der Jugend bei. Er ließ Fleischbänke und öffentliche Backöfen bauen, damit das Volk gesunde Nahrung zu billigen und regelmäßigen Preisen erhielt. Er führte reiche Wasserleitungen in die Stadt, ließ Bäder und Brunnen, Kanäle und Röhren bauen, um die Vega zu bewässern und fruchtbar zu machen. Durch diese Mittel herrschte Reichtum und Überfluß in dieser schönen Stadt; an ihren Toren drängte sich der Handelsfleiß und die Warenhäuser waren mit dem Luxus und den Gütern aller Länder und Himmelsstriche gefüllt.“

Als in den 30er Jahren des 13. Jahrhunderts sein Reich von König Ferdinand III. von Kastilien und Leon bedroht wird, unterwirft er sich diesem, behält aber unter Tributpflicht seinen Herrschaftsbereich.

„Durch Unterwerfung unter das christliche Joch hatte Muhamed den Frieden erkauft, aber er wußte, daß dieser nicht sicher und dauernd sein konnte, wo die Elemente so widerstreitend und die Beweggründe der Feindseligkeiten so tief und alt waren. Er tat daher nach dem alten Grundsatz: >>Waffne dich im Frieden und bekleide dich im Sommer<< und benützte den eintretenden Zwischenraum der Ruhe, um sein Gebiet zu befestigen, seine Zeughäuser wieder zu füllen und die nützlichen Künste zu fördern, welche einem Staat Wohlstand und wirkliche Macht geben. Er setzte für die besten Handwerker Preise aus und bewilligte ihnen Vorrechte; er verbesserte die Zucht der Pferde und anderer nützlicher Tiere; er ermunterte den Ackerbau und wußte durch seinen Schutz die natürliche Fruchtbarkeit des Bodens um das Doppelte zu erhöhen, indem er die lieblichen Täler seines Königsreichs wie einen Garten blühen machte. Er förderte auch den Bau und die Verarbeitung der Seide, bis die Weberstühle Granadas selbst die von Syrien an Feinheit und Schönheit ihrer Produktionen übertrafen. Sodann ließ er die Gold-, Silber- und andere Minen, die in den bergigen Gegenden seines Reichs gefunden wurden, fleißig bearbeiten, und war der erste König von Granada, welcher Gold- und Silbermünzen in seinem Namen schlagen ließ, wobei er Sorge trug, daß die Münzen geschickt ausgeprägt wurden.

Um diese Zeit, etwa in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts …, begann er den glänzenden Palast der Alhambra; er beaufsichtigte persönlich den Bau und mischte sich oft unter die Künstler und Werkmeister und leitete ihre Arbeiten.

Obschon so glanzreich in seinen Werken, und so groß in seinen Unternehmungen, war er von einfachen Sitten und mäßig in seinen Genüssen. Sein Kleid war nicht nur ohne Glanz, sondern so einfach, daß es ihn nicht von seinen Untertanen auszeichnete. …

Dies war der erleuchtete patriotische Fürst, der die Alhambra gründete, dessen Name noch in ihren schönsten und anmutigsten Verzierungen glänzt und dessen Andenken geeignet ist, die erhabensten Erinnerungen bei denen hervorzurufen, die diese verfallenen Szenen seines Glanzes und Ruhmes betreten. Obgleich seine Unternehmungen ausgedehnt und seine Ausgaben unermeßlich waren, war seine Schatzkammer dennoch stets gefüllt, und dieser scheinbare Widerspruch gab Veranlassung zu dem Gerüchte, er sei in den Zauberkünsten bewandert, und besitze das Geheimnis, gemeinere Metalle in Gold zu verwandeln. Wer sein häusliches Leben, wie es hier angedeutet ist, beachtet, wird die natürliche Magie und die einfache Alchemie, welche den Überfluß in seine Schatzkammer brachte, leicht einsehen.“

Knapp achthundert Jahre sind seit Abu Alahmars Regierungsantritt in Granada vergangen und fast zweihundert, seit Washington Irving sein Buch über die Alhambra schrieb. Sie sehen, die Grundlagen einer Lösung auch unserer heutigen Krise sind so leicht und naheliegend. Schwerer dagegen ist es, die Ideologien und den Aberglauben der Menschen zu überwinden, denn, um etwas frei mit Edgar Alan Poe zu sprechen, sie „leugnen eher, das was ist, und glauben dann, was nicht ist oder nicht sein kann.“   

Die damals überlegene Kultur der islamischen Renaissance legte durch die Überlieferung der großen Werke der Antike und eigener Beiträge zur Mathematik und Medizin die Grundlage, auf der Europa sich nach der großen Katstrophe des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und der Pest im ausgehenden Mittelalter beginnend mit der italienischen Renaissance im 15. Jahrhundert emporschwingen konnte. Wäre es nicht an der Zeit, eine neue „Wiedergeburt“ einzuleiten, indem wir von den großen Beiträgen der Vergangenheit lernen?

Alle Zitate nach: Washington Irving, Erzählungen von der Alhambra, Anaconda Verlag Köln, 2017

 

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  • 1. Washington Irving (1783 – 1859) war ein amerikanischer Erzähler und Diplomat
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