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Chinas Rolle in der neuen gerechten Weltwirtschaftsordnung

[i]Von Helga Zepp-LaRouche[/i]

Durch das an reiner Profitmaximierung orientierte System der Globalisierung sind so gravierende Ungerechtigkeiten und ein so ungeheures Auseinanderklaffen der Schere zwischen Reich und Arm auf der ganzen Welt entstanden, daß man sich nur wundern kann, wieso so viele Vertreter führender Institutionen glauben konnten, es könne ewig so weitergehen. Aber die Nutznießer dieser Kasinowirtschaft, die Milliardäre und Millionäre, scheinen bisher blind für das Chaos und die Zerstörung gewesen zu sein, in die ihr eigener Vorteil den größeren Teil der Menschheit gestürzt hat. Aber vielleicht ist ihre Indifferenz ja auch nur das Resultat der grenzenlosen Verrohung unserer Gesellschaft, die exemplarisch in dem sichtbar wird, was uns die Industrie der Gewaltvideospiele und des Internets als „Unterhaltung" verkaufen will.

Aber die Illusionen der virtuellen Realität des immerwährenden Profits zerschellen dieser Tage mit Getöse. Der Systemkrach des globalen Finanzsystems tritt in seine Endphase ein. Und jetzt ist es Zeit, sich daran zu erinnern, daß das chinesische Schriftzeichen für Krise gleichzeitig auch Chance bedeutet. Denn während es noch vor kurzem so schien, als seien die internationalen Finanzinstitutionen mächtiger als selbst Regierungen, wird nun deutlich, daß es nur die Alternative zwischen weltweitem Chaos und der Etablierung einer neuen Finanzarchitektur und einer neuen Weltwirtschaftsordnung gibt. Und während es in Zeiten ruhiger Entwicklungen oftmals unmöglich scheint, grundlegende Veränderungen vorzunehmen, werden große Transformationen möglich, wenn klar wird, daß es auf dem bisherigen Weg absolut nicht mehr weiter geht.

Was wir jetzt auf die Tagesordnung setzen müssen, ist eine wirkliche Vision für das 21. Jahrhundert, eine Friedensordnung, die das Überleben aller Menschen und Nationen auf diesem Planeten ermöglicht und die den unveräußerlichen Rechten dieser Menschen angemessen ist. Und wir müssen beherzt handeln, denn die ganze menschliche Zivilisation ist in Gefahr, das reiche Erbe unserer Vorfahren, aber auch das Leben und das Glück zukünftiger Generationen.

Als sich der Comecon und der Warschauer Pakt 1989-91 aufzulösen begannen, eröffnete sich schon einmal eine solche Chance, in die Geschichte einzugreifen. Lyndon LaRouche und das Schiller-Institut schlugen damals den Ausbau der Eurasischen Landbrücke vor, d.h. die Idee, die Industrie- und Bevölkerungszentren Europas mit denen Asiens durch sogenannte Infrastrukturkorridore miteinander zu verbinden. Nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs gab es keinen Grund mehr, den eurasischen Kontinent nicht infrastrukturell und wirtschaftlich zu integrieren, und durch den Bau dieser Korridore dieselben Standortbedingungen in den landeingeschlossenen Regionen Eurasiens zu schaffen, die bisher nur für Länder existierten, die an Ozeanen oder Flußsystemen gelegen waren. Lange Zeit war dieses Programm nur eine Idee, die wir auf vielen Konferenzen und Seminaren vorstellten.

Im Frühjahr 1996 war die Verfasserin eine der Rednerinnen auf einer Konferenz in Beijing zu diesem Thema, an der damals Vertreter von 34 Nationen teilnahmen. Die chinesische Regierung erklärte den Ausbau der Eurasischen Landbrücke zur strategischen Langzeitperspektive bis zum Jahr 2010, und begann damit, verschiedene Teilprojekte zu verwirklichen. Doch es gab seither viele Rückschläge, von der sogenannten Asien-Krise von 1997/98 bis zu geopolitischen Hindernissen verschiedener Art.

Es ist eine Ironie der Geschichte, daß es wahrscheinlich vor allem dem Unilateralismus der Bush-Cheney-Administration zu verdanken ist, daß viele der eurasischen Nationen schneller aneinanderrückten, als dies unter normalen Bedingungen der Fall gewesen wäre. Dies trifft z.B. auf die strategische Partnerschaft zwischen China, Rußland und Indien zu. Aber auch viele andere Projekte unseres ursprünglichen Konzepts der Eurasischen Landbrücke sind jetzt in verschiedenen Stadien der Verwirklichung.

So sei hier nur der sehr erfreuliche Prozeß der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Südkorea und Nordkorea erwähnt, an dessen Zustandekommen vor allem China und Rußland beteiligt waren; so werden dabei die beiden Haupteisenbahnlinien Koreas mit der Transsibirischen Eisenbahn und der Haupteisenbahnlinie in den Süden Chinas verbunden werden. Von strategischer Bedeutung ist auch das vor allem von Rußland forcierte Projekt, die Transsibirische Eisenbahn durch eine 6000 Kilometer lange Strecke und einen hundert Kilometer langen Tunnel unter der Beringstraße mit Alaska, Kanada und den USA zu verbinden, eine Transportlinie, die eventuell bis nach Chile führen soll. Man könnte hier noch viele weitere ambitionierte Projekte nennen, deren Verwirklichung unter normalen Bedingungen ihren Gang gehen würde.

Aber angesichts des sich jetzt rapide zuspitzenden Systemkrachs ist es nötig, die Frage der Rekonstruktion der Weltwirtschaft durch den Ausbau der Eurasischen Landbrücke als Kernstück noch bewußter und direkter auf die Tagesordnung zu setzen. Ein Weg dazu wäre, eine Sondersitzung der UN-Generalversammlung einzuberufen oder einen Gipfel auf Staatschef-Ebene abzuhalten, der sich mit dieser Frage beschäftigt.

Dabei ist es nicht nur notwendig, die schon von Herrn LaRouche angesprochene Etablierung eines Neuen Bretton Woods zu beschließen, sondern es muß auch ein wirtschaftliches Aufbauprogramm beschlossen werden, für das die neue Finanzarchitektur geschaffen wird.

Dabei gibt es durchaus historische Präzedenzfälle, die dabei zu Rate gezogen werden können. Das offensichtliche Beispiel ist die Politik des New Deal, die 1933 von Franklin D. Roosevelt in Gang gesetzt wurde, um Amerika aus der Depression herauszuführen. Auch der Marshallplan zum Wiederaufbau Deutschlands hatte im übrigen wichtige konzeptionelle Wurzeln in der Rooseveltschen Wirtschaftspolitik. Bedeutsam ist es, daß z.B. Präsident Putin anläßlich der Feierlichkeiten zum 125. Geburtstag von FDR von der Notwendigkeit eines New Deal für Rußland gesprochen hat. Ähnlich forderte Präsident Kirchner einen New Deal für Argentinien, und die gleiche Forderung tauchte bereits in mehreren anderen Ländern auf.

Was jetzt notwendig ist, ist ein New Deal für die ganze Welt. Der ungezügelte Freihandel der Globalisierung hat bis auf minimale Ausnahmen auf dem gesamten Planeten die Lebensgrundlagen für einen großen Teil der Bevölkerung verschlechtert oder sogar unmöglich gemacht. Und obwohl sich China bisher eher als Reich der Mitte denn als Weltmacht verstanden hat, ist es meines Erachtens angesichts seiner konfuzianischen Tradition doch seiner universellen Verantwortung bewußt, mitzuhelfen, die harmonische Entwicklung aller Nationen auf diesem Planten zu ermöglichen.

[i]Die Entwicklung Afrikas[/i]

Ich möchte in diesem Zusammenhang das Augenmerk auf Afrika lenken. In der kommenden existentiell notwendigen Neudefinition der Prinzipien, auf denen eine neue gerechte Weltwirtschaftsordnung aufgebaut sein muß, ist ein umfassender Entwicklungsplan, ein New Deal für Afrika, gewissermaßen der Lackmustest. Denn eine Neuordnung, die die Folgen von rund fünfhundert Jahren Kolonialismus, Sklavenhandel und Ausbeutung nicht beseitigt, könnte nicht funktionieren, weil sie das der gegenwärtigen Globalisierung innewohnende inhärente moralische Problem nicht beseitigte. Weil China bisher das einzige Land gewesen ist, das den afrikanischen Staaten im gegenseitigen Interesse ohne scheinheilige Bedingungen bei der Entwicklung von Infrastruktur und Industrie geholfen hat, könnte China bei der Einbeziehung Afrikas in einen Weltentwicklungsplan eine wichtige Rolle spielen.

Ein Blick auf die Landkarte macht deutlich, daß Afrika als Voraussetzung für wirkliche Entwicklung zunächst einmal Infrastruktur braucht, und zwar einen der Lage in Europa vergleichbaren kontinentalen Verkehrswegeplan, der ein Eisenbahnnetz von Nord nach Süd und von Ost nach West mit dem Ausbau eines Autobahn- und Straßennetzes und Wasserwegen integriert. Der Omega-Plan des senegalesischen Präsidenten Wade und der Renaissance-Plan des südafrikanischen Präsidenten Mbeki, die dann zur NEPAD (New Partnership for African Development) führten, gingen durchaus in die richtige Richtung. Aber der Mangel an adäquater Finanzierung selbst von NEPAD verdeutlicht, daß ein großzügigerer Ansatz notwendig ist.

Afrika repräsentiert mit seinen gut 700 Millionen Menschen 12% der Weltbevölkerung, hat aber nur 2% Anteil am Weltenergieverbrauch. Ein großer Teil der Bevölkerung hat weder Zugang zu sauberem Trinkwasser, noch zu Elektrizität, noch zu ausreichender medizinischer Versorgung. Wenn menschenwürdige Bedingungen in Afrika geschaffen werden sollen, muß es die ernsthafte Verpflichtung geben, die Unterentwicklung des Kontinents in einem absehbaren Zeitraum zu überwinden, d.h. es muß ein Crash-Programm zur Entwicklung von Infrastruktur, Landwirtschaft und Industrie in Angriff genommen werden. Auch da ist der bisherige Ansatz Chinas, afrikanische Studenten auszubilden, Arbeitskräfte weiterzubilden, Agrarexperten und Ingenieure zu entsenden, Schulen und Krankenhäuser zu bauen, Schulden zu erlassen, vorbildlich.

Um das Gefälle in der Entwicklung ernsthaft zu überwinden, ist es notwendig, sich von den Axiomen der Globalisierung zu verabschieden und zu der Idee von Entwicklungsdekaden, wie sie in den 50er und 60er Jahren selbstverständlich waren, zurückzukehren. Denn alle Begriffe wie „nachhaltige Entwicklung", „angepaßte Technologien", „Bevölkerungskontrolle" etc. sind letztlich nur ein Orwellscher [i]doublespeak [/i]dafür, daß die afrikanischen Nationen nie über den Status von rohstoffproduzierenden Ländern hinauskommen sollen.

Wir müssen aufhören, die afrikanischen Staaten so zu behandeln wie die jüngsten Kinder in einer kinderreichen Familie, die immer die abgelegten Kleider ihrer älteren Geschwister auftragen müssen, sondern wir müssen verstehen, daß Afrika in der kommenden internationalen Arbeitsteilung einer neuen gerechten Weltwirtschaftsordnung bei einigen Avantgarde-Technologien führend sein wird.

Die Tatsache, daß China und Südafrika heute das zukunftsweisende Modell des modularen Kugelhaufenreaktors (PBMR) entwickelt haben, ist der beste Beweis für die Richtigkeit dieser These. Wenn Südafrika seine Absicht verwirklicht, den PBMR nicht nur für den Eigenbedarf, sondern für den Export in andere, vor allem afrikanische Nationen zu bauen, wird dies einen größeren qualitativen Sprung für die Produktivität der Wirtschaft haben als selbst die Einführung der Elektrizität. Der Übergang zu einer großangelegten Wasserstoff-Ökonomie, der Produktion von synthetischem Naturgas, der Produktion von Treibstoffen aus Kohle oder Raffinerie-Abfällen, Prozeßwärme für Raffinerien oder chemische Fabriken und die Entsalzung großen Mengen Meereswasser für landwirtschaftliche Bewässerungssysteme sind nur einige der Folgetechnologien, die verdeutlichen, daß Afrika das Potential hat, in absehbarer Zeit zur internationalen Staatengemeinschaft aufzuschließen.

Lyndon LaRouche hat in seinem Buch [i]Die kommenden fünfzig Jahre [/i]vorgeschlagen, daß die Ungleichgewichte zwischen den verschiedenen Staaten durch ein multilaterales Geflecht von Abkommen ausgeglichen werden, bei denen den derzeit weniger entwickelten Staaten langfristige Kreditlinien zur Verfügung gestellt werden, die sie erst dann zurückzahlen müssen, wenn bei ihnen die Kaufkraft entstanden ist, die sie dazu in die Lage versetzt. Wenn Afrika jetzt darin unterstützt wird, seine Infrastruktur, Landwirtschaft und Industrie auf ein modernes Niveau zu bringen, kann es angesichts seines enormen Potentials als Brotkorb für die Welt insbesondere den Ländern eine langfristige Nahrungsmittelversorgung garantieren, deren landwirtschaftlich nutzbare Fläche relativ begrenzt ist, wie z.B. China.

In bestimmten Kreisen Europa und der USA herrscht eine gewisse Aufregung über die wirtschaftliche Tätigkeit Chinas in Afrika. Was aber zählt, ist die Tatsache, daß die afrikanischen Staaten froh darüber sind, für den Verkauf von Rohstoffen im Gegenzug wirkliche Unterstützung bei ihrer infrastrukturellen und wirtschaftlichen Entwicklung zu erhalten. Im übrigen steht es Europa und den USA frei, in ähnlicher Weise mit Afrika wirtschaftlich zu kooperieren.

Wenn es in der nächsten Zeit gelingt, die von Lyndon LaRouche vorgeschlagene neue Finanzarchitektur auf die Tagesordnung zu setzen, dann ist auch die Verlängerung der Eurasischen Landbrücke über Korridore, die über Ägypten und über Tunnel oder Brücken nach Afrika führen, eine absolut realistische Perspektive. Und warum soll es nicht in absehbarer Zeit möglich sein, mit dem Transrapid von Chile über die Beringstraße, über Rußland und China nach Indonesien oder über Ägypten bis zum Kap der Guten Hoffnung zu fahren?

Wenn wir uns jetzt auf die gemeinsamen Ziele der Menschheit besinnen und verstehen, daß das nationale Interesse sich sehr wohl im Einklang mit dem anderer Völker befindet, können wir nicht nur den jetzigen Sturm auf den Finanzmärkten meistern, das drohende Chaos durch eine rationale Ordnung überwinden, sondern wirklich eine neue Epoche der Menschheit einleiten.