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Energiepreise außer Kontrolle: Schließt das TTF-Spekulationskasino!

Hinter den Preissteigerungen beim Erdgas steckt ein von der EU geschaffener Mechanismus, die „Title Transfer Facility“. Die Gaspreise auf dem Amsterdamer Energie-Markt haben am 24. August die Marke von 300 Euro pro kWh durchbrochen. Inzwischen erhalten Haushalts- und Geschäftskunden in ganz Europa bis zu zehnmal höhere Rechnungen für Strom und Gas, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Zustände völlig außer Kontrolle geraten. Aber tatsächlich hat der Wahnsinn Methode. Bisher haben nur sehr wenige den wahren Mechanismus der Energiepreisinflation in Europa angeprangert: das in der Amsterdamer Energiebörse angesiedelte Spielkasino, das sich „Title Transfer Facility“ (TTF) nennt.

Die europäischen Regierungen wahren nach Art der Mafia-Omertà Stillschweigen zu dem Thema und sprechen immer nur über sekundäre Aspekte der Energiekosten. Aber nun wird dieses Schweigen zunehmend durchbrochen, und insbesondere in Italien entwickelt sich eine öffentliche Debatte über das Thema. So hat sich beispielsweise auch der ehemalige Finanzminister Giulio Tremonti hierzu zu Wort gemeldet. Sogar einige Finanzkreise entlarven den Wahnsinn hinter der Energiepreisinflation, darunter der Autor Sergio Giraldo in einem Artikel, der am 23. August in der Tageszeitung La Verità erschien. Dort heißt es:

„Während die Energiepreise in Europa auf hyperbolischen Niveaus tanzen, ist das Schweigen der Europäischen Kommission, der obersten Behörde für Energie und Märkte, auffällig. Tatsächlich ist dieses Schweigen kein Zufall, denn ein großer Teil der Verantwortung für das Desaster, in dem wir uns befinden, ist genau dort zu suchen. Wir sprechen zum Beispiel über die Title Transfer Facility (TTF), den niederländischen Markt, auf dem physische Gasmengen gehandelt werden. Dieser kleine Markt, der 2003 geschaffen wurde, ist inzwischen zur Referenz für den gesamten europäischen Kontinent geworden. Der an der TTF ermittelte Preis ist heute die Bezugsgröße, an die alle
Großhandels- und Endkundenlieferverträge gekoppelt sind. Alle europäischen Märkte (der französische, der deutsche und der italienische) verlaufen parallel zur TTF, mit wenig Unterschieden. Selbst Verträge, die außerhalb der Niederlande zu einem festen Preis gehandelt werden, z.B. in Italien, werden auf der Grundlage der aktuellen Notierungen auf diesem Markt gepreist.“

Die nationalen Gasmärkte sind faktisch an die TTF gekoppelt. Neben dem Markt, auf dem die physischen Gaslieferungen gehandelt werden, existiert ein Finanzmarkt, der von dem großen US-Börsenbetreiber ICE organisiert wird. Dort laufen Termingeschäfte (Futures) auf der Grundlage von TTF-gehandeltem Gas, wobei die Preise ähnlich, die Mengen aber viel größer sind.

Die EU hat in ihren Quartalsberichten über die Entwicklung des Energiemarktes die Einrichtung und Entwicklung der TTF immer gelobt und ist stolz auf sie. Die EU behauptet, die traditionellen, langfristigen Gas-Importverträge, die an den Ölpreis gekoppelt waren, seien schlecht, weil sie dem „freien Wettbewerb“ widersprächen. Deshalb arbeitet sie seit Jahren darauf hin, daß diese langfristigen Verträge immer mehr durch kurzfristigen Handel an Rohstoffbörsen ersetzt werden.

Giraldo, der selbst Finanzrisikomanager ist, weist auf die Probleme der TTF hin - allem voran das geringe Handelsvolumen. Am 22. August lag der September-Future an der TTF bei 23 Mio. Kubikmetern, was im Vergleich zum Verbrauch in Europa wirklich wenig ist. Solche Mengen seien „lächerlich“, aber das bedeute, daß „die Preise auch mit kleinem Kapital verändert werden können und der Markt somit dem Handeln reiner Finanzspekulanten ausgeliefert ist“.

Zwar verpflichten zwei europäische Richtlinien die Händler, den Aufsichtsbehörden täglich Einzelheiten zu jedem Geschäft mitzuteilen, aber die Aufsichtsbehörden sehen ein weiteres Problem - nämlich, daß es anders als bei den Aktienbörsen keine Regelung gibt, im Falle zu hoher Preisausschläge den Handel auszusetzen. Giraldo betont: „Es ist ernst und absurd, daß ein Rohstoff, von dessen Preis ein großer Teil der Wirtschaft des Kontinents abhängt (Stromerzeugung, chemische und metallverarbeitende Industrie sowie Stahl, Papier, Glas und viele andere), auf diese Weise gehandelt wird - ohne Regeln, ohne Kontrolle und ohne Bremsen. Das europäische BIP und die Geldbörsen der Haushalte hängen an einem Spielzeugmarkt, einem ideologischen Konstrukt, das von der Brüsseler Oligarchie so gewollt ist.“

Zuvor hatte bereits die italienische Tageszeitung Il Fatto Quotidiano, die vielen als Hausorgan der Fünf-Sterne-Partei gilt, vor der TTF gewarnt. In einem Artikel vom 10. August schreibt der Journalist Andrea di Stefano (der sonst ein Klimaaktivist ist): „Die TTF ist eine legalisierte Spielhölle, in der eine Handvoll Akteure ... über das Schicksal von Millionen Unternehmen und Hunderten Millionen europäischer Bürger entscheiden. Alle Beobachter geben zu, daß der Amsterdamer Markt sehr volatil ist, d.h. extrem empfindlich auf Preisschwankungen reagiert und kaum liquide ist. Man bedenke nur, daß die gehandelten Termingeschäfte insgesamt einen Wert von etwa 250 Mio. MWh pro Monat haben dürfen, d.h. nur den Durchschnittswert des realen Verbrauchs in der EU, während sonst ein Termin- Hedging-System ein Mehrfaches des zugrundeliegenden Produkts (z.B. Öl) ausmacht.“

Er fährt fort: „Der erste spekulative Preissprung erfolgte nach dem Ende der Pandemie, und zwar gerade aufgrund der pessimistischen Positionen der großen Händler (vor allem Trafigura, Gunvor und Glencore): Als sich die Wirtschaftserholung abzeichnete, zogen die Preise an, so daß sie gezwungen waren, … Gasverträge zurückzukaufen. Das heizte die Nachfrage nach früheren Leerverkäufen an und trieb den Preis weiter in die Höhe. Der Vorfall sorgte für heftige Proteste verschiedener Kategorien von Betreibern, von Netzbetreibern bis hin zu einigen großen Akteuren wie Shell, ohne daß die Europäische Kommission oder andere Behörden in irgendeiner Weise intervenierten oder die Dynamik hinter der Preisverzerrung untersuchten.“

In der gegenwärtigen, von einer „Kriegswirtschaft“ geprägten Phase profitierten einige Marktteilnehmer massiv von der enormen Volatilität des TTF, neben Energiehändlern und Energiekonzernen auch Staaten wie Norwegen, das mit 25% des Marktes der größte Lieferant in Europa geworden ist, gefolgt von US-Flüssiggas und an dritter Stelle russischem Gas.

Weder Giraldo noch di Stefano gehen so weit, wirksame Lösungen vorzuschlagen, die das Problem an der Wurzel packen. Tatsächlich ist das einfachste Mittel gegen dieses Kasino die Anwendung der Grundsätze der Glass-Steagall-Bankentrennung auf die TTF und ein Verbot von Finanzderivaten auf der TTF (wie auch auf anderen Rohstoffmärkten). Dies würde die Spekulation auf steigende Preise beenden - ohne Rücksicht auf Verluste der Händler - und branchenfremden Händlern die Lizenz entziehen.

Giraldo schlägt vor, die Börse strenger zu regulieren, spekulative Aktivitäten zu untersuchen und eine Gruppe von „Marktmachern“ einzusetzen, aber er behauptet, daß das Problem im Endeffekt nur gelöst werden kann, wenn das reale Energieangebot steigt. Aber diese Schlußfolgerung ist nicht akzeptabel. Das vielzitierte Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage kann nämlich sofort wiederhergestellt werden, wenn die Händler an der TTF verpflichtet werden, Lieferverträge physisch zu erfüllen, was bedeutet, daß dort nur noch kommerzielle Gasfirmen handeln dürfen, keine Spekulanten. Jede Regierung eines EU- Mitgliedslandes kann das durchsetzen, indem sie mit einem Veto gegen den nächsten EU- Haushalt oder notfalls sogar mit dem Austritt aus der EU droht, wenn diese Maßnahme nicht umgehend eingeführt wird.

Claudio Celani

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