von Christine Bierre
Buchbesprechung: Martine Orange, Ces Messieurs de Lazard, Albin Michel, April 2006, 345 S.
Am 5. Mai 2005 wurde die berühmt-berüchtigte Bankengruppe Lazard Frères (Paris, London und New York) an die Börse gebracht. Damit brach Bruce Wasserstein, der Geschäftsführer der Bankengruppe, mit einer 157jährigen Tradition äußerster Geheimniskrämerei. Die Veränderung ist auch aus einem anderen Grunde historisch, denn der im New Yorker Stadtteil Brooklyn geborene Investmentbanker Wasserstein konnte damit den Abkömmlingen der Gründer der "französischsten aller Banken" die Macht abringen.
Nachdem der letzte der Gründerdynastie, Michel David-Weill, 2002 Wassserstein zum Geschäftsführer ernannt hatte, war zwischen beiden Männern um den Börsengang ein harter Machtkampf entbrannt. Wasserstein war für den Börsengang, forderte eine "transparentere" Geschäftsführung und ein System, das den Geschäftsführenden Teilhabern (Managing Associates) saftige Aktienoptionen verschaffte, während David-Weill an der traditionellen Verschwiegenheit der Geschäfte der Bank festhalten wollte.
Schließlich stellte David-Weill Wasserstein ein Ultimatum: Entweder er brächte die Bank - was nahezu unmöglich schien - spätestens im Juni 2005 an die Börse oder er müsse die Leitung der Bank abgeben. Doch Wasserstein schaffte es, indem er durch die Ausgabe von 34,5 Millionen Aktien 950 Millionen Dollar einsammelte. Er borgte eine weitere Milliarde und kaufte auch noch die Anteile der althergebrachten französischen Partner - der David-Weills, der Meyers, der Bernheims ... Damit hat Wasserstein jetzt allein das Sagen bei Lazard.
Daß ein Amerikaner die "französische" Bank übernahm, verheißt den Amerikanern allerdings ebensowenig Gutes wie vorher den Franzosen. Die feindliche Übernahme der Firma Franco-Wyoming 1963 oder die Machenschaften Lazards bei ITT und Kommunalschulden in den 70er und 80er Jahren, bei denen ein gewisser Felix Rohatyn - einer der wichtigsten geschäftsführenden Teilhaber des New Yorker Lazard-Zweigs in der Nachkriegszeit - eine Schlüsselrolle spielte, sind aufschlußreich genug.
Martine Orange beschreibt in ihrem Buch Die feinen Herren von Lazard (Ces messieurs de Lazard) Einzelheiten der Praktiken des Hauses. Lazard zählte stets zur Gruppe der führenden Investmentbanken wie Goldman Sachs, Meryll Lynch, Morgan Stanley Dean Witter, obwohl deren Finanzkraft 15-, 20- oder 30mal so groß ist wie das der drei Lazard-Häuser zusammengenommen. Der Name Lazard ist verbunden mit den anrüchigsten Praktiken der Finanzgeschichte. Wie Orange schreibt: Die Herren von Lazard sind "die entfernten Nachkommen der Fugger und Medici und direkte Nachfahren der großen Bankhäuser des 19. Jh., die mehr mit Ideen, Informationen und Macht handeln als mit Geld". Sie sind direkte Erben der venezianischen Bankenoligarchie und deren "Philosophie".
Am besten zeigt sich die Haltung dieser Art von Investmentbankiers an der entlarvenden Reaktion Andre Meyers, der während der gesamten Nachkriegszeit bis 1979 Chef von Lazard war, als er 1940 auf der Flucht vor den Nazis in New York ankam. Franklin Roosevelt regierte, das US-Bankenwesen war streng reguliert, nach dem Spekulationswahn der 20er Jahre und Hoovers Deflationspolitik wurde das Geld gezielt in die Produktion gelenkt. Über Mayers Ankunft in New York schreibt Orange:
"Andre Meyer war enttäuscht. ,Ist das alles?' Eine schläfrige und konformistische Bank, in der man zwischen 9 und 17 Uhr den laufenden Bankgeschäften nachgeht. Schwacher Trost: Alle Konkurrenten, die Lehmans, Goldmans, Morgans, saßen im gleichen Boot. Seit der Großen Depression von 1929 liegt die Wall Street im Dornröschenschlaf. Auf den Märkten passiert nichts oder so gut wie nichts. Das wirtschaftliche Leben wird von Präsident Roosevelt und seiner Regierung gelenkt. Die neuen Bankvorschriften, das 1933 in Kraft gesetzte Glass-Steagall-Gesetz, verstärkten die Passivität." Andre Meyer war "ein Finanzier, ein Mann der Märkte, der Coups, der Banken eigentlich nicht mochte", so vergleicht Michel David-Weill ihn mit seinem Vater Pierre David-Weill, der sich eher als "traditioneller Bankier" sah.
In der Nachkriegszeit erneuerte Lazard den spekulativen Wahn der Raubritter-Kapitalisten aus dem späten 19. Jh. und der Zeit vor der Großen Depression. Andre Meyer und sein Schützling Felix Rohatyn erneuerten aber ebenso den politischen Wahnsinn der 30er Jahre: Faschistische Regimes an die Macht zu bringen, um die Interessen der Finanzoligarchie zu sichern, wie das beispielsweise beim Sturz von Allendes Regierung in Chile 1973 der Fall war.
Wie es mit Lazard weitergehen wird, ist derzeit nicht klar. Aber die "Lazard-Methode" hat inzwischen den gesamten Finanzsektor angesteckt. Und diese Praktiken müssen verboten werden, wenn die amerikanische, die französische und andere Republiken überleben sollen.
Nichts kommt dem System der alten venezianischen Oligarchie näher als die "Lazard-Methode". Andre Meyer sagte gerne: "Das Erfolgsgeheimnis des Hauses ist Geheimhaltung". Süffisant beschreibt Martine Orange das herrschende Klima in der Bank: "Ein Schreibblock, ein Bleistift, ein Telefon und sonst ... nichts. Kein Wort, kein Zeichen. Nichts. Stille. In den Korridoren mit ihren schweren Eichentüren und kupfergrünen Teppichen, die alle Schritte dämpfen, kommen und gehen lautlos Boten in schwarzen Anzügen und tragen Papiere, auf denen die Namen wichtiger Personen verzeichnet sind." Es herrscht ein Klima erbitterter Konkurrenz. Frühere Mitarbeiter berichten: "Du weißt, welche Aufgabe dir übertragen ist. Aber du ignorierst, was alle anderen tun." Zwei Mitarbeiter, die im selben Raum sitzen, entdecken nach Wochen, daß sie am gleichen Dossier arbeiten, weil der Chef des Hauses ihre Leistung vergleichen will. "Das schlimmste", erinnert sich ein früherer Mitarbeiter an seine ersten Tage bei Lazard, "ist die Gleichgültigkeit, ja Feindseligkeit der neuen Umgebung. Ich dachte, ich würde das nie aushalten."
Wie früher die venezianischen Banken oder die Fugger verlegte sich Lazard vor allem auf die "Beratung" von Regierungen und Unternehmen bei großen Finanzinvestitionen. Lazard fungierte als "Vermittler" zwischen Staat und Privatunternehmen genauso wie zwischen Europa und den Vereinigten Staaten. Man nutzte diese Position, um Handlungsspielraum und Gewinne zu maximieren. Durch ein enges Verhältnis zum Staat zieht Lazard oft Gewinne aus Staatsanleihen, gibt vor Kriegen Kredite für Rüstung und nach Kriegen Kredite für Reparationen und Wiederaufbau. Lazard zielte immer auf den Kern der Macht, unterwanderte dazu geschickt Mächtegruppen und politische Parteien von rechts bis links - und wurde so selbst mächtig.
Die Geschichte der Bank reicht in die 40er Jahre des 19. Jh. zurück, als drei Erben des Abraham Lazard, der sich nach der Auswanderung aus Böhmen in den 80er Jahren des 18. Jh. in Frauenberg in Lothringen niedergelassen hatte, nach New Orleans emigrierten. Alexander Weill schloß sich ihnen später an. In New Orleans blühte das Unternehmen schon bald durch den Handel mit Baumwolle, Tuch, Zucker, Kaffee und Getreide, doch schnell fand man ein neues Feld: das Goldfieber in Kalifornien. Als Gold-Depositenbank in San Francisco verdiente Lazard reichlich am amerikanischen Bürgerkrieg. Denn während Kalifornien Gold als gesetzliches Zahlungsmittel beibehielt, verfiel der Wert der Papierwährung im übrigen Land, und für 10 Dollar in Gold mußte man 12, 13 oder 15 in Papier zahlen. "Der Telegraph erlaubte es, noch am gleichen Tag in New York Aufträge zu erteilen und täglich mit den Kursschwankungen zu spielen."
Nach dem US-Bürgerkrieg wandelte sich Lazard in ein reines Finanzinstitut und verdiente noch mehr am deutsch-französischen Krieg von 1870. Daß sie auf französischer Seite stand, hinderte die Bank nicht am Geschäft mit der "besten Bankinvestition des 19. Jh." - dem Kredit über 5 Mrd. Goldfrancs an die französische Regierung für die Reparationen an Deutschland, den die Rothschilds und Lazard organisierten. Im katholischen Frankreich dominierten damals protestantische Bankhäuser wie Neuflize, Mallet und Vernes sowie jüdische wie die Rothschilds, Lazard, Pereire, Dreyfus und Stern. Die unangefochtene Vorrangstellung hatten die Rothschilds inne. Ebenso wie diese konzentrierte sich Lazard auf Gold, Devisen, Staatsschulden und alles, was mit dem Staat zu tun hatte, wollte aber anders als die meisten anderen keine Risiken im Industriegeschäft eingehen.
Lazard spielte im Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle bei Geschäften mit Kriegsanleihen, Rohstoffen und andern kriegswichtigen Gütern, und verdiente nach dem Krieg am Dawes-Plan von 1924, einem internationalen 800 Mio. Goldmark-Kredit zur Stützung des Systems der Kriegsreparationen in Deutschland. Im Zweiten Weltkrieg handelte Lazard erneut mit alliierten Kriegsanleihen. Nach dem Krieg wurde von Lazard der Marshallplan mitfinanziert und 1955 gemeinsam mit Warburg eine von Jean Monnet ausgehandelte Anleihe über 40 Mio. Dollar zur Gründung der Montanunion, der Urform der Europäischen Union, aufgelegt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wirkte Lazard eifrig an der Zerstörung des produktiven Kapitalismus, den Roosevelt durch den New Deal geschaffen hatte. Dadurch wurde der Aufschwung zwischen 1945 und dem Ende des alten Bretton Woods-Systems 1971 - in Frankreich spricht man von den "30 glorreichen Jahren" - abgewürgt. Lazard "stand im Mittelpunkt aller Mutationen des Kapitalismus, von Nationalisierungen bis zur Privatisierung, von der Wiederentdeckung der Übernahmen bis zur Erfindung der mergers & acquisitions [Fusionsberatung], stets am Berührungspunkt von Staat und Markt, hin und her, von einem zum anderen."
Es heißt, Lazard habe die erste feindliche Übernahme nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt organisiert. Das stimmt zwar nicht ganz, weil die Briten das noch früher taten. Aber die Beschreibung dieser frühen feindlichen Übernahme vermittelt einen guten Eindruck, welche Gangstermethoden seither im "Kapitalismus" üblich wurden. Im April 1963 entschloß sich Michel David-Weill zu einer feindlichen Übernahme des kleinen Unternehmens Franco-Wyoming, das im Ölsektor in Frankreich und den Vereinigten Staaten operierte. David-Weill zögerte eine ganze Weile: Würde die Bank damit ihren Ruf verlieren? Tatsächlich löste sie einen gewaltigen Aufruhr aus: "Ein Übernahmeangebot war ohne Zustimmung der Führung des betroffenen Unternehmens gemacht worden, ohne mit ihr auch nur zu sprechen. Gegen alle Gepflogenheiten des Marktes."
An den folgenden Zitaten sieht man das boshafte Vergnügen der Lazards an dem unmoralischen Geschäft, das so viele andere zur Nachahmung anregen sollte:
"Ich sehe uns wieder vor mir im Grand Central, an einem Frühlingsmorgen. Der Tag war wunderschön. Wir fuhren zu sechst oder zu siebt mit dem Zug nach Delaware. Dort war Franco-Wyoming registriert. Dort sollte die Generalversammlung stattfinden. Wir waren auf dem Weg, die Macht zu übernehmen. Wir waren glücklich. Es war solch eine ungewöhnliche Situation", erinnert sich der geschäftsführende Lazard-Teilhaber Jean Guyot noch 40 Jahre später euphorisch. "Wir kamen in den Raum", fügt Michel David-Weill hinzu, "wir ließen feststellen, daß wir die Mehrheit hatten. Und wir übernahmen körperlich die Kontrolle über das Unternehmen, indem wir auf das Podium stiegen. Es war ein unerwarteter Moment." Das Unternehmen wurde dann mit einem Gewinn von über 200% stückweise weiterverkauft.
Lazard wurde der Erfinder und weltweite Marktführer des Geschäfts der Fusionen und Übernahmen, nach dem Vorbild der Kartellisierung der Zwischenkriegszeit, in der die Industriekartelle der Nazizeit entstanden waren.
Die Schaffung des ITT-Konzerns ist beispielhaft. Angesichts des Monopols von AT&T über den amerikanischen Kommunikationssektor hatte ITT in diesem Bereich keine Chance. Daher tat sich ITT-Chef Harold Sydney Geneen mit Andre Meyer von Lazard New York zusammen, um in andere Bereiche zu expandieren. Zwischen 1959 und 1970 wuchs das Geschäftsvolumen von ITT von 766 Mio. $ auf 8,8 Mrd. $, davon 75 % von Firmen, die ITT mit Hilfe von Lazard übernommen hatte. Damit war ITT die neuntgrößte Unternehmensgruppe in den USA.
"Dies war der Sieg Andre Meyers", schreibt Orange, "aber auch der Felix Rohatyns." Meyer lieferte die Ideen, aber "Felix Rohatyn, sein engster Mitarbeiter, führt die Verhandlungen, entwirft die Pläne, arbeitet mit den Anwälten zusammen, überwindet Fallstricke und Schwierigkeiten ... Meyer und Rohatyn wurden ein unzertrennliches Paar. Gemeinsam dachten sie sich ihre Coups und Operationen aus." Übrigens teilten sie auch die "unbegrenzte Bewunderung für Jean Monnet und sein europäisches Ideal..."
Besonders fette Jahre erlebte Lazard während der Reagan-Ära, als Fusionen und Übernahmen zur Manie wurden. Die weltweiten Fusionsgeschäfte, die 1982 noch einen Umfang von weniger als 50 Mrd. Dollar hatten, wuchsen bis 1987 auf mehr als 300 Mrd. Dollar an. Alle Banken zogen nach, aber Lazard blieb eines der fünf führenden Unternehmen bei Fusionen. "Nie zuvor hatte die New Yorker Bank so viel Geld verdient: 70,6 Mio. $ vor Steuern 1983, 168 Mio. $ 1986 und 182 Mio. $ 1989. Sämtliche französischen Partner kamen nach New York, um die neuen Tricks zu lernen, die neuen Finanzmechanismen kennenzulernen, die neuen Instrumente zu entdecken ... Eine erste Warnung kam 1987. Am 19. Oktober brach die Wall Street ein und zog alle Börsen der Welt mit sich: minus 27 % an einem einzigen Tag. Alle dachten an 1929."
In Frankreich verdiente Lazard Millionen an der "Privatisierung". Lazards Freunde in der sozialistischen Regierung Mitterrand hatten, als sie 1981 an die Macht kamen, 35 der größten Banken verstaatlicht - ausgenommen Lazard Frères! Lazard konnte somit den Pariser Finanzmarkt 10-15 Jahre alleine beherrschen. Dann beschlossen Lazards Freunde im rechten Lager, als sie 1986-88 und 1993-95 wieder die Regierung übernahmen, die gleichen Unternehmen zu "privatisieren" - und wiederum war Lazard zur Stelle.
Ein Team um den damaligen Chef von Lazard France Bruno Roger und zwei enge Mitarbeiter von Jacques Chirac und Ex-Premier Raymond Barre, Jacques Friedman und Raymond Soubie, arbeiteten die Privatisierungspläne aus. Es war die Ära Thatcher, und "während einige hohe Beamte, die der Rechten nahestanden, unter der Führung von Charles de Croisset die britischen Privatisierungen und die Bildung von Finanzkapital studierten, bildeten sich andere politische Zirkel um verschiedene Persönlichkeiten. Bruno Roger war einer davon ... So stand Lazard im Mittelpunkt der kommenden politischen Wende, noch bevor der Regimewechsel stattgefunden hatte." Bruno Roger war in einer "vollständigen Symbiose mit der kommenden Regierung - er kannte alle Leute, auf die es ankam, und ihre politischen Pläne." Die Lazards "verstanden früher als andere, daß man an der Schnittstelle zwischen dem Staatsapparat und dem privaten Sektor das meiste Geld verdienen kann", kommentiert der frühere Rothschild-Banker Bernard Esambert.
Interessant ist, warum vor einigen Jahren Jacques Attali zum Rücktritt vom Vorsitz der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) gezwungen wurde. Attali und Mitterrand hatten die Bank nach dem Mauerfall gegründet, um sich am "Wiederaufbau" der ehemals kommunistischen Länder Osteuropas zu beteiligen. Doch die Bank beteiligte sich nie am Wiederaufbau, sondern verdiente ihr Geld ausschließlich mit der Privatisierung des öffentlichen Sektors in Osteuropa. Attali, der Lazard und insbesondere Rohatyn nahesteht, hatte einfach nur die "Lazard-Methode" angewendet.
Edouard Balladur, Premierminister von 1993-95 und führendes Mitglied von Jacques Chiracs RPR, stellte eine Liste von Unternehmen zusammen, die privatisiert werden sollten. Doch es wird weithin spekuliert, ob er es war oder Bruno Roger, der das System der sog. "harten Cluster" ersonnen hatte. Dieses System gegenseitiger Beteiligungen bei der Privatisierung diente dazu, französische Unternehmen vor ausländischen Übernahmen zu schützen. "Die erste Welle der Privatisierungen führte zur Bildung einer Geographie des hexagonalen Kapitalismus, das an französische Gärten erinnert. Alle industriellen Schwergewichte wurden um drei große Pole gesammelt, die von den drei großen Banken - BNP, Societé Générale, Paribas - und drei französischen Versicherungskonzernen - UAP, AGF und GAN - gebildet wurden. Innerhalb dieser Einflußsphären sind die Beteiligungen überkreuzt und verwickelt."
Auch wenn das nach einhelliger Auffassung die einzige Möglichkeit war, die privatisierten Unternehmen in französischem Besitz zu halten, liegt das Problem nun darin, daß diese Unternehmen nicht mehr im Sinne der französischen Nation und des Gemeinwohls agierten, sondern daß vielmehr eine geschlossene französische Oligarchie entstand, deren Interessen meistens mit denen der Nation im Widerstreit stehen.
"Wenn Lazard dieses System nicht erfunden hat, so war es jedenfalls einer der Hauptnutznießer", schreibt Orange. Die Privatisierungen brachten dem französischen Zweig von Lazard gewaltige Gewinne, die (vor Steuern) von 35,7 Mio. $ 1986 auf 68,5 Mio. $ 1987 und 108,8 Mio. $ 1998 stiegen.
Auch wenn sie sich in vielen Fragen gegenseitig bekämpfen, in einem sind sich die geschäftsführenden Lazrad-Teilhaber einig: der Gier nach Macht. "Sie haben das Gefühl, daß sie, obwohl sie nur sehr wenige sind, den Gang der Geschichte ändern können." Die Lazards zielen stets auf das Zentrum der Macht, unterwandern linke und rechte Parteien, verlangen von den Unternehmen und Banken, mit denen sie zusammenarbeiten, daß sie Lazard-Partner in ihren Aufsichtsrat aufnehmen. Durch diese Methode können sie Macht über ganze Länder oder Wirtschaftssektoren ausüben.
In Frankreich spielt Lazard stets "beide Seiten gegen die Mitte aus", schreibt Martine Orange. Auf der Rechten festigte sich Bruno Rogers Macht in der Bank gewaltig dank seiner politischen Verbindungen zu Chiracs Einflußsphäre. "Als Absolvent der gleichen Klasse wie Jacques Chirac am Institut für Politische Wissenschaften prahlte der Bankier oft mit ihrer Freundschaft. Während seiner gesamten Karriere hatte er immer das Ohr des Präsidenten... Noch heute arbeitet er mit dieser privilegierten Beziehung. Im Sommer vergißt er niemals, während des Aix-Festivals, dessen Präsident er ist, Bernadette Chirac in sein Haus in der Provence einzuladen, wo er jedes Jahr ein Festmahl für 100 bis 200 Gäste veranstaltet, das von einem berühmten Koch gestaltet wird. Seine frühere Ehefrau ist Kuratorin des Quai-Branly-Museums, das Chirac so sehr am Herzen liegt..."
Aber auch auf sozialistischer Seite reichen Lazards Beziehungen weit. Martine Orange bestätigt, was Laurent Chemineau in einem früheren Buch über die scheinbar wundersame Ausnahmestellung von Lazard Frères bei der Verstaatlichung von 1981 schrieb. Mitterrand trat mit einem sehr weitreichenden Programm der Nationalisierung an, was eine Hauptbedingung der Kommunistischen Partei Frankreichs für die Unterstützung der neuen Regierung war.
Das Kapitel trägt übrigens die Überschrift "Die göttliche Überraschung" - ein Ausdruck, den der rechtsextreme Charles Mauras prägte, als das Pétain-Regime im Zweiten Weltkrieg vor den Nazis kapitulierte. Dieser Ausdruck war ironisch gemeint, da Mauras genau wußte, daß seine synarchistischen Gesinnungsgenossen alles getan hatten, um Frankreichs Niederlage 1940 sicherzustellen, und mit den Nazis ausgehandelt hatten, daß diese sie nach der Okkupation an die Macht bringen würden. Doch Martine Orange geht nicht näher darauf ein, daß die Lazards in den 20er und 30er Jahren über die Banque Worms Teil der synarchistischen Kräfte waren, die nicht nur hinter Petain, sondern auch hinter Hitler, Mussolini und Franco standen.
Orange berichtet, daß alle Banken in den Monaten vor Mitterrands Wahlsieg äußerst nervös waren, weil sie wußten, daß die Sozialisten mit einem umfassenden Nationalisierungsprogramm antraten. Viele Unternehmen und Banken trafen sich heimlich mit führenden Sozialisten, besonders mit Jacques Attali, Mitterrands wichtigstem Berater in Wirtschaftsfragen, um zu versuchen, das sozialistische Programm zu mäßigen.
Michel David-Weill kannte Attali noch gut aus der Zeit, als der als Student der Elitehochschule ENA sein Pflichtpraktikum für das Diplom bei der BSN von Antoine Riboud - ein guter Freund David-Weills - absolvierte. Attali war auch ein Schulkamerad von Patrick Gerschell, einem Enkel Andre Meyers. David-Weill traf Attali mehrfach. Dann kam "die göttliche Überraschung": Attali wurde zusammen mit dem jungen ENA-Absolventen François Hollande - heute Parteichef der Sozialisten und Lebengefährte von Segolene Royal - beauftragt, die Verhandlungen mit der Kommunistischen Partei in dieser kniffligen Frage zu führen.
Die große Frage war, welches das Kriterium für die Verstaatlichung sein sollte: Einlagen von einer Milliarde Francs oder ein Kreditvolumen von einer Milliarde Francs. Am Abend vor der Veröffentlichung der Liste entschied man sich für das erste Kriterium. Und siehe da, Lazard hatte nur 983 Mio. Francs an Einlagen! Orange: "Jacques Attali wußte, daß es keinen Zweck hatte, für die Rothschilds zu kämpfen. Der Name hatte zuviel Symbolkraft. Politisch unhaltbar. Die KPF würde es niemals hinnehmen, sie von der Nationalisierung auszunehmen. Lazard hingegen war außerhalb der Wirtschaftswelt völlig unbekannt. Er nahm sich vor, seine Nationalisierung zu verhindern. Das war eines seiner Ziele. Er hat es erreicht", berichtet der Berater Daniel Lebegue aus dem Büro des Premierministers. "Trotz allem machte die sozialistische Regierung Lazard ein gewaltiges Geschenk. Das Haus blieb die einzige größere Privatbank in Frankreich... Sie erbten sozusagen ein Monopol über die französische Wirtschaft", sagte der Präsident der Crédit Lyonnais, Claude Pierre Brossolette.
Und heute macht die Bank schon Pläne für die kommende Präsidentschaft, so Orange. "In Frankreich bereitet sich die Bank vom Haussman-Bouvelard, getreu ihrer Strategie, auf beide Seiten gleichzeitig zu setzen, seit langem auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen vor... Die Bank hat ihre Favoriten. Sie setzt auf einen Zweikampf zwischen Sarkozy und Strauss-Kahn in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen."
Das wurde noch vor dem Aufstieg der Sozialistin Segolène Royal geschrieben, die dank der intensiven Aufmerksamkeit der anglo-amerikanischen Finanzpresse und deren Parteigängern in den französischen Medien in den Umfragen für die Präsidentschaftswahl führt. Und "göttliche Überraschung" - wer hilft Segolène Royal mit seinen nationalen und internationalen Beziehungen und ist nun einer ihrer engsten Berater? Jacques Attali! Der gleiche Attali, der in den Monaten vor Segolènes Aufstieg in Interviews erklärte, er werde gerne die "graue Eminenz" hinter mehreren Präsidentschaftsaspiranten spielen: Segolène Royal, Dominique Strauss-Kahn und Laurent Fabius auf der Linken, und Nicolas Sarkozy oder Dominique de Villepin auf der Rechten!
Die französische Wirtschaft der Nachkriegszeit war für Finanziers wie Lazard ebenso Wüste wie vorher die Vereinigten Staaten unter Franklin Roosevelt. Martine Orange schreibt:
"Die französische Wirtschaft war Anfang der 50er Jahre ein recht begrenztes Terrain. Die geschäftsführenden Teilhaber von Lazard kannten die Männer gut, die in der Nachkriegszeit das Sagen hatten - Jean Monnet, Jacques Rueff, François Bloch Lainé, Simon Nora, Antoine Pinay, Wilfried Baumgartner - , aber das war noch kein Schlüssel zum großen Geschäft. Die notwendige Modernisierung der Wirtschaft lag weitgehend in den Händen des Staates. Er ist es, der plant, befiehlt, herrscht. Ganze Zweige von Industrie und Finanzwelt wurden am Ende des Zweiten Weltkriegs verstaatlicht... Die Staatsanleihen- und Devisenmärkte - die Bereiche, in denen sich das Haus hervortut - befinden sich nach der großen Reform der Nachkriegszeit, die den Staaten und großen internationalen Institutionen eine beherrschende Rolle zuwies, noch in einer Erprobungsphase."
Bis Anfang der 70er Jahre - als George Pompidou törichterweise den Betritt der Briten zum Gemeinsamen Markt zuließ und Shultz und Nixon in Amerika das Bretton-Woods-System begruben - blieb Frankreichs Wirtschaft unter dem Einfluß de Gaulles vorbildlich reguliert. Es war die Zeit, in der drei Viertel des Geldes, das in der französischen Wirtschaft umlief, mit den großen Infrastrukturprojekten der Regierung zusammenhing, und der Staat neben anderen Projekten öffentlichen Kredit für den Aufbau einer zivilen Kernindustrie und für die Beteiligung privater Unternehmen daran zur Verfügung stellte. In dieser Zeit konnte Lazard nicht viel mehr tun, als sich auf die Zukunft vorbereiten.
Und genau das tat Michel David-Weill, der gerade aus den USA zurückgekehrt war und dort von André Meyer alle Tricks gelernt hatte. Er gründete einen Freundeskreis mit Antoine und Jean Riboud, Jacques de Fouchier (dem damaligen Präsidenten der Bank Paribas), Paul Lepercq (von Neuflize Schlumberger New York) und Jeyrome Seydoux. Lange Zeit nannte man sie die "linken Firmenbosse". Orange: "Sie waren einfach Neuerer. Aber damals erschütterten ihre Ideen die sklerotische Wirtschaftswelt so sehr, daß sie revolutionär erschienen." Diese Gruppe trug dann viel dazu bei, das Erbe der "30 glorreichen Jahre" zu ruinieren.
Aber ein anderer geschäftsführender Teilhaber aus dem inneren Kreis der Lazard-Gesellschafter leistete in dieser Hinsicht sogar noch mehr als David-Weill: Antoine Bernheim. Bernheim, der für die Mediobanca in Italien zuständig war und heute Chef des Versicherungskonzerns Assicurazione Generali ist, rekrutierte die meisten führenden Figuren des postgaullistischen Räuberkapitalismus, der die französische Wirtschaft zerstörte.
Antoine Bernheim "hat ein beachtliches Talent, Menschen zu beurteilen und Talente zu entdecken", schreibt Orange. Lange vor anderen erkannte er "diese neuen Condottieri, Männer der Macht mit eisernen Nerven", und ermunterte sie in ihrer Karriere verschiedentlich, eine ganz neue Ära einzuläuten. Zu ihnen gehörten:
Aber die Lazards bringen nicht nur ihre Leute in Machtpositionen, sie können auch ganze Sektoren von Wirtschaft und Regierung steuern, indem sie als Berater für Regierungsmitglieder, hohe Beamte und Manager dienen. Sie "flüstern den Mächtigen ins Ohr... und übernehmen für ihre Klienten alle Rollen: Finanzchef, Planer, Psychoanalytiker, Beichtvater ... Sie wissen alles über die Führungspersönichkeiten. Sie haben alle ihre Zweifel und Schwierigkeiten herausgefunden, ihre Doppelleben, die Namen ihrer Geliebten oder ihrer Enkelkinder." Einige Unternehmer sträuben sich sehr, denn "sobald sie den Fuß in der Türe haben, drängt sich die Bank überall hinein. Als Berater, als Schnittstelle zur Bankenwelt und oft sogar über das Herz des Systems, den Aufsichtsrat."
In den 80er Jahren hielt Lazard Einflußpositionen in praktisch allen französischen Großkonzernen. Mit minutiöser Sorgfalt gelang es der Bank, die Kontrolle über den Index der wichtigsten französischen Unternehmen an der Pariser Börse, den CAC-40, zu gewinnen. "Sie hatte in jedem Aufsichtsrat mindestens einen, wenn nicht zwei ihrer Gesellschafter sitzen ... In dieser Ruhmeszeit der 80er Jahre hatte Bruno Roger mehr als sieben solcher Mandate inne, u.a. bei UAP, Cap Gemini, Saint Gobain, Thomson, LVMH, ELF, Lyonnais des Eaux; Antoine Bernheim hatte fast genauso viele. Er sitzt in den Aufsichtsräten von AXA, LVMH, Eridania Behin Say, Bolloré, PPR; Jean Claude Haas bei Danone und Charguers, François de Combre bei Renault und Sanofi."
Gleichzeitig schleuste sich die Bank auch in die höchsten Regierungsebenen ein. Sie stellte Jerome Balladur ein, den Sohn des Finanzministers; Stanislas Poniatowski, den Sohn eines früheren Ministers unter Valéry Giscard d'Estaing; Fabien, den Sohn von Albin Chalandon, des damaligen Präsidenten von ELF. In ähnlicher Weise rekrutiert die Bank frühere Spitzenbeamte, vor allem des Wirtschafts- und Finanzministeriums, die hinsichtlich ihrer Kontakte wie ihrer Insiderkenntnis der Regierung ein wahrer Schatz sind. Nur ein paar Beispiele: Jean Marie Messier, früher unter Balladur; Anne Lauvergeon, frühere rechte Hand Mitterrands, leitet heute den Nuklearkonzern Areva, und Mathieu Pigasse, der 2002 in die Bank eintrat, nachdem er zuvor Kabinettsdirektor des Finanzministeriums zunächst unter Dominique Strauss-Kahn und dann unter Laurent Fabius gewesen war.
Dieses oligarchische Monster übt auf beiden Seiten des Atlantiks großen Einfluß auf die politische und wirtschaftliche Elite aus. "Keine Tür bleibt dem Namen David-Weill oder Lazard verschlossen. Von Kennedy bis Clinton, über Rockefeller, von Giscard bis Chirac, über die Agnellis und Goldsmiths, hat er Zugang zu den wichtigsten Führungsleuten. Er gehört den erlesensten und geheimsten Clubs an, wie den Trilateralen... Wie oft hat er zwischen dem alten und dem neuen Kontinent vermittelt? Wie oft hat er erklärt, was auf beiden Seiten des Atlantiks geplant wurde, und Botschaften von einer Regierung zur anderen übermittelt?"
In den USA war Felix Rohatyn, "der in der Demokratischen Partei, zu deren Finanziers er gehört, sehr engagiert ist", einer der wichtigsten Männer, der das Lazard-Virus auf das politische und wirtschaftliche Leben Amerikas übertrug. "Bruce Wasserstein, der neue Boss von Lazard, ist den Fußstapfen Felix Rohatyns gefolgt. Auch er wurde aktives Mitglied der Demokratischen Partei. Man sieht ihn regelmäßig mit seiner Frau als Teilnehmer der Galadiners zur Sammlung von Spenden für die Partei." Aber Rohatyns Aktivitäten sind nicht auf die Demokratische Partei begrenzt; er war auch zusammen mit den Republikanern George Shultz und Henry Kissinger an dem Putsch gegen den chilenischen Präsidenten Allende führend beteiligt und ist heute zusammen mit dieser Fraktion ein Vorreiter der Privatisierung des Militärs in den USA. "Die US-Botschaft in Frankreich war seine politische Weihe... Aber seine Erfolge hatte er am Schnittpunkt der Wall Street, des Capitols und des Weißen Hauses."
Am besten überblickt man das Ausmaß des Einflußbereichs von Lazard, wenn man sich einen typischen Tagesablauf von André Meyer betrachtet. Der Tag beginnt in den USA früh um 4 Uhr morgens mit einem Anruf bei Lazard Paris, um alle Geschäfte durchzusprechen. Dann folgt "ein langes Gespräch mit Enrico Cuccia, dem Boss der Mediobanca, Lazards Equivalent in Italien... Für Cuccia ist André Meyer der Verbindungsmann zur Bankenwelt, der einzige Mann, von dem er alle Ratschläge annimmt, dessen Foto er bis zum Ende seines Lebens auf dem Schreibtisch hatte. So wie André Meyer der amerikanischen Führung seine Ansichten aufzwingt, so gestaltet Cuccia sanft aber bestimmt den italienischen Kapitalismus um... Über komplexe Systeme des Wandels und der zunehmenden Beteiligung werden die Agnelli (FIAT), die Pirelli (Reifen), die Orlando (Metall), die Pesenti (Zement) allesamt der Mediobanca verpflichtet." Meyer hat seine Schützlinge in Italien, "insbesondere Gianni Agnelli... Der New Yorker Bankier entwickelte eine Leidenschaft für den FIAT-Erben, den er Cuccia vorstellte... 'André Meyer war der Hauptarchitekt von Fiat, er war der letzte Richter und hatte das letzte Wort', bestätigte der FIAT-Präsident später... Er liebte die Macht des Magnaten: Ganz alleine beherrscht er, der später den Spitznamen 'Vizekönig von Italien' hatte, mehr als ein Drittel der transalpinen Wirtschaft."
Am Nachmittag folgen Telefonate in den USA. "Er ist mit allen befreundet, den Rockefellers, den Lehmans, den Kennedys, Lyndon Johnson, Verteidigungsminister Robert McNamara, Finanzminister Henry Fowler. Er sammelt Sitze in den Aufsichtsräten der angesehensten Unternehmen: Chase Manhattan, RCA, Montedison, Fiat, Allied Chemicals. Er gehört den höchsten wirtschaftlichen und finanziellen Entscheidungsgremien der Regierungen Kennedy und Johnson an."
In Frankreich erkannte die Bank sogleich, welchen Vorteil sie aus dem französischen "Elitismus" ziehen konnte, und zog Leute von der Elitehochschule ENA, der Ecole Polytechnique und der Finanzinspektion des Finanzministeriums heran. In New York schaffte sie sich die Basis für ihren Einfluß durch Workshops für Absolventen der Standford- und der Harvard-Universität.
Dieser Artikel wäre unvollständig, wenn man nicht ein paar der Fälle behandelt, wo Lazard vor Gericht gestellt wurde und wo das Haus wegen des eigenen kriminellen Mißmanagements vor dem Untergang stand.
Einer dieser Fälle war die ITT-Affäre, die erst mit dem Tod André Meyers 1979 endete. Gegen 1969 leitete der amerikanische Justizminister Monopol-Ermittlungen gegen ITT ein, als er sah, daß ITT jede Woche ein neues Unternehmen übernahm. ITT-Chef Harold Geneen achtete jedoch kaum darauf; er war vollauf mit dem Versuch einer feindlichen Übernahme der fünftgrößten Versicherung Amerikas, Hartford, beschäftigt. Nach fünf Monaten kapitulierte Hartford. Die Finanzbehörden erklärten sich bereit, keine Steuern zu erheben, unter der Bedingung, daß ITT die 1,7 Mio. Aktien, die es bei der Übernahme gekauft hatte, wieder verkaufte.
ITT akzeptierte, obwohl der Wert der Aktien, die für 51 Dollar gekauft worden waren, inzwischen auf 40 Dollar gesunken war. Trotzdem war Mediobanca bereit, sie teuer zu kaufen. Das Justizministerium blieb mißtrauisch und blockierte das Geschäft - bis 1971 zur allgemeinen Überraschung doch noch die Genehmigung erteilt wurde. Später wurde aufgedeckt, daß ITT kurz zuvor 400 000-Dollar für den Republikanischen Konvent in San Diego (Kalifornien) gespendet hatte - der erste Schritt zu Richard Nixons zweiter Amtszeit. So wurde aus Rohatyn "Felix, der Arrangeur".
Die Börsenaufsichtsbehörde SEC leitete Ermittlungen ein, um zu prüfen, warum die Mediobanca bereit war, Aktien über dem Marktpreis zu kaufen, und diese dann sofort an Fonds in Luxemburg und in Liechtenstein weiterverkauft wurden. "Die Börsenaufsicht zögert um so mehr, ihre Beute entkommen zu lassen, als Skandale um ITT bekannt werden. Die Macht des Komglomerats hat längst die Grenzen der Finanzwelt überschritten. Es ist zu einer politischen Macht geworden. Zum eigenen Vorteil und ebenso zum Vorteil bestimmter amerikanischer Interessen. 'Ich beschuldige ITT', erklärt Chiles Präsident Salvador Allende kurz vor dem Putsch gegen seine Regierung. "Lazard, die vieles, wenn nicht alles über die Manöver der Gruppe wußte, ist bis ins Fundament erschüttert."
In einem tausendseitigen Bericht enthüllte die SEC später das wahre kriminelle Genie André Meyers. Wie viele vermutet hatten, war der Kauf der Aktien durch die Mediabanca nichts anderes als ein "Carry Trade" über verschiedene ausländische Strohfirmen. "Alle, die André Meyer nahestanden, waren daran beteiligt. Enrico Cuccia und Mediobanca, die mehr als 2 Mio. Dollar Gewinn machten, ohne auch nur einen Cent auszugeben. Giovanni Agnelli, der neben Jean Guyot als Teilhaber des Luxemburger Versicherungsfonds Fils Dreyfus auftauchte, der die Aktien der Versicherung weitervermittelte. Charles Engelhard, ein weiterer Freund André Meyers, als Präsident eines Fonds in Liechtenstein. Diese Seilschaft von Firmen, die offiziell die von ITT verkauften Hartford-Aktien übernahmen, verkauften sie über Optionen zu 80 Dollar pro Aktie, nachdem sie sie für 55 Dollar gekauft hatten. Ohne dafür zu bezahlen, erhalten die Freunde ihren Anteil. Lazard verdiente offiziell mehr als 4,1 Mio. Dollar an Kommissionen und Gewinnen."
Dann war da die Affäre um die kommunalen Anleihen. Als Felix Rohatyn 1996 erwog, Alan Greenspans Vizepräsident in der Federal Reserve zu werden, hielt ihn diese alte Geschichte schließlich davon ab, sich um den Posten zu bewerben.
"Bei Ramschanleihen und dem Zauber dieses Handels machte die Bank nicht mit, dafür aber bei Kommunalobligationen, angeblich "ein Markt für 'Familienväter', den Rohatyn wie seine Westentasche kannte", schreibt Orange. Das war in den 80er und 90er Jahren. "Innerhalb von weniger als zwei Jahren stieg Lazard am Markt der Emission von Kommunalobligationen vom 30. auf den 10. Platz auf." Aber schon bald erhoben einige Kommunen und Banken, die diese Titel gekauft hatten, Vorwürfe, und der Name Mark Feber, der diesen Markt für Lazard bearbeitete, tauchte immer öfter vor Gericht auf."
"1993 deckt eine Justizermittlung die 'komplexen' Beziehungen des Bankiers auf. Er war einer der wichtigsten Finanziers der Demokratischen Partei und ließ sich seine Empfehlungen von befreundeten Kommunen versilbern. Möglicherweise flossen bestimmte Summen in politische Gegengeschäfte." Feber wurde entlassen und wanderte wegen Betrug und Korruption ins Gefängnis.
"Es ist undenkbar, daß Michel David-Weill das Risiko nicht sah. Aber als Verantwortlicher bei Lazard New York stand Felix Rohatyn ganz vorne. Einige Jahre später, als sein Name als Vizepräsident der Federal Reserve, als die Nummer Zwei hinter Alan Greenspan ins Gespräch kam, erinnerten sich die Finanzwelt und die Gegner der Bank an die Affäre mit den Kommunalobligationen. Unter dem Lärm des Skandals mußte der Lazard-Teilhaber seine Kandidatur für den Posten, auf den er schon immer Ambitionen gehabt hatte, zurückziehen."
Martine Orange zufolge begann der Abstieg 1997, als die so auf Verschwiegenheit gestützte Bank erleben mußte, wie im Hochglanzmagazin Paris Match unter dem Titel "Die Herren der Welt" das Foto aller ihrer Teilhaber erschien. Und unmittelbar danach folgte im gleichen Magazin ein ähnliches Bild der Intimfeinde der Lazards: die Rothschilds! Orange macht für den Niedergang der Bank Michel David-Weills absolutistischen Führungsstil verantwortlich, der sich - glauben Sie's oder nicht - an Ludwig XIV. orientierte. "Macht, das ist in seinen Augen Ludwig XIV.: eine monarchische Regierung, ja sogar die eines absoluten Monarchen... 'Macht läßt sich nicht teilen. Demokratie kann es in einem Unternehmen nicht geben', sagt er oft."
Schon 1994 war die Atmosphäre unerträglich. "Die Manager spionieren sich gegenseitig aus, stehlen einander die Dossiers, verwenden viel Zeit mit Klatsch über die anderen. Sie zerfleischen sich gegenseitig." Das Klima wird zu schlecht, viele gehen - der eine zu Rothschild, andere zu Lehman Brothers, Indosuez, Goldman Sachs. Anfang 1996 schafft Rohatyn den Sprung zur Federal Reserve nicht, aber wenig später wird er amerikanischer Botschafter in Paris (1998-2001). Das New Yorker Haus läßt er im Chaos zurück. Anfang 1998 gehen die "drei Tenöre" der Abteilung Fusionen und Übernahmen in New York, die ein Drittel der Umsatzes gemacht hatten, in Konkurrenz. In den USA geht Steve Rattner mit drei Mitarbeitern und gründet Quadrangle. In Paris wechselt Pierre Tattevin zu Rothschild.
"Der Anteil von Lazard am Markt der Fusionen und Übernahmen lag in den 80er Jahren bei 70%, bis 1995 fällt er auf 40%, bis 1998 auf 25%. Rothschild und die amerikanischen Banken haben Lazards Monopol definitiv gebrochen."
David-Weill ist verzweifelt, und in dieser Situation handelt er persönlich heimlich den Einstieg von Bruce Wasserstein aus. Orange schreibt: "Bruce Wasserstein verlangte alles. Michel David-Weill gab ihm alles: den Titel des Lazard-Chefs und umfassende Vollmachten für fünf Jahre." Er verzichtete auf jegliches Vetorecht in diesem Zeitraum. Die Partner schäumen: "Das kann man nicht machen!" und "Wissen Sie nicht, wie schlecht der Ruf dieses Mannes ist?" - "Natürlich kannte er den Schwefelgeruch, der diesen Menschen umgibt", aber vielleicht war es gerade das, was David-Weill faszinierte.
Wasserstein kam mit einer kleinen Gruppe von vier Mitarbeitern, innerhalb weniger Monate wurden 40 Bankiers eingestellt. "Viele kommen von Morgan Stanley." Erstmals macht das Haus Verluste: "Minus 68 Millionen Dollar 2002, minus 153 Millionen Dollar 2003, minus 40 Millionen Dollar 2004... Dieser Verlust an Einfluß, der sich Anfang 2004 offen zeigte, existierte im Keim schon lange... Noch Mitte der 90er Jahre mit ganz oben, ließ sich Lazard von den großen Namen der Fusionen und Übernahmen überholen. Die Bank fiel auf den 8., in manchen Bereichen in den Vereinigten Staaten sogar hinter den 10. Platz zurück. Anfang 2004 wird sie von Rohatyn Associates überholt. Diese kleine Firma, die Rohatyn nach dem Ende seiner Mission als Botschafter in Frankreich gründete, arbeitete an der Bildung des ersten amerikanischen Banknetzwerks, Bank One. Lazard hatte mit dieser Operation nichts zu tun."
Lazard kann von Glück sagen, daß der Markt der Fusionen und Übernahmen in den letzten fünf Jahren wieder stark zunahm, es gelang, die Kommissionen innerhalb eines Jahres um 56% zu steigern, so daß sie auf den 8. Rang auf dem amerikanischen Markt aufstieg. In Frankreich liegt sie jedoch nur auf dem 17. Platz.
Im Jahr 2004 tobte zwischen Wasserstein und David-Weill ein erbitterter Machtkampf. Letzerem gelang es nicht, die Mehrheit der Partner auf seine Seite zu ziehen. Im Mittelpunkt steht die Frage des Börsengangs, der das Ende der traditionellen Heimlichkeit der Arbeitsweise der Bank bedeutet. Wasserstein warb bei den unzufriedenen Teilhabern um Unterstützung, versprach ihnen Wunder, Millionen in Form von Aktienoptionen - die es aber natürlich nur gibt, wenn die Bank an die Börse geht. Die Partner in New York und London stimmten dafür, und im Dezember 2004 schlossen sich auch 90% der Pariser Partner dem Votum an.
"Weil es die Mehrheit will, setzt [David-Weill] als Lazards größter Anteilhalter nicht länger sein Veto gegen die Börsennotierung Lazards. Aber er stellt eine erste Bedingung: Der Börsengang muß spätestens am 30. Juni 2005 erfolgen. Sonst muß Wasserstein gehen", berichtet Martine Orange. Und sie schließt:
"Am Haussman Boulevard hat eine neue Ära begonnen. Die alten Partner, Antoine Bernheim, Jean Guyot und Jean Claude Haas, wurden aufgefordert, ihre Büros zu räumen. François de Combret, der gegen den Börsengang stimmte, ging lieber von allein, zusammen mit Gerard Braggiotti. Der Abgang des italienischen Vorpostens führte zum Kollaps von Lazard Italien und eines Großteils der Aktivitäten der Bank in Mitteleuropa. Seine Freunde folgten wenige Wochen später. Banca Intesa beschloß, die Verbindungen und Kapitalverflechtungen mit der französischen Bank zu kappen, so daß sie auf der Halbinsel nun für sich allein stand. Der frühere Partner gründet die Bank Leonardo als Investment- und Beraterbank nach dem Vorbild der alten Lazard-Bank - diskret, verschwiegen und bereit, einen ganzen Kundenstamm in Italien, Europa, Frankreich zu übernehmen. Viele Freunde beschlossen, sie zu unterstützen - die großen italienischen Familien, der Finanzier Albert Frère, aber auch die Firma Eurazo, die mit mindestens 20% des Kapitals einsteigen will. Schon die erste Rache des Michel David-Weill? 'Ich muß mich bis Dezember 2007 an eine Klausel des Nicht-Wettbewerbs halten', sagt er. Und danach? Schweigen ..."