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Frankreich setzt weiter auf Kernkraft

Anders als in Deutschland denkt in Frankreich niemand an einen Ausstieg aus der Kernkraft, doch die Regierung tut sich schwer mit Entscheidungen für die Zukunft. Sie beschloß im Sommer, die Entwicklung eines verbesserten natriumgekühlten Brutreaktors, den Prototypen ASTRID, vorerst aufzugeben, um Geld zu sparen. Dagegen plant China, 2030 bereits 30 Brutreaktoren der vierten Generation zu betreiben, das wäre ein Fünftel der dann geplanten 150 Kernkraftwerke. Um das ASTRID-Projekt zu retten, forderte der kommunistische Abgeordnete André Chassaigne die Leitung der Nationalversammlung in einem Schreiben auf, den zuständigen Parlamentsausschuß für die Bewertung wissenschaftlich-technischer Entscheidungen (OPECST) einzuberufen.

Statt dessen hat die Regierung, wie Le Monde am 21. Oktober enthüllte, den mehrheitlich staatlichen Energieversorger EDF diskret aufgefordert, Pläne für den Bau von sechs neuen Druckwasserreaktoren (EPR) in den nächsten 15 Jahren vorzubereiten. In dem Schreiben von Umweltministerin Elisabeth Borne und Finanzminister Bruno Le Maire an den EDF-Chef wird das Unternehmen Le Monde zufolge aufgefordert, jeweils zwei EPR-Reaktoren an drei Standorten zu bauen. Der EDF-Konzern wollte sich zu dem Bericht nicht äußern, und ein Beamter des Finanzministeriums sagte, das Schreiben sei nur eine Anregung und keine Grundlage für künftige Entscheidungen. Borne ihrerseits erklärte, ebenfalls am 21. Oktober, die neuen Reaktoren seien eine optionale Idee. „Es ist nicht EDF oder ihr Chef, der über die französische Energiepolitik entscheidet“; der Bau der sechs neuen Reaktoren sei „nur eine Option unter anderen“, um CO2-freien Strom zu vertretbaren Kosten anzubieten.

Das EPR-Modell ist ein besonders sicherer 1600 Mwe-Druckwasserreaktor der sogenannten „Generation 3+“. Jeder Reaktor produziert genügend Strom für 1,5 Millionen Menschen und schaltet sich bei einem Unfall automatisch ab und kühlt ab.

Einige Experten sagen, daß die verschärften staatlichen Sicherheitsvorschriften nach Fukushima übertrieben sind und nur darauf abzielen, erneuerbare Energien wettbewerbsfähiger zu machen, indem sie die Kosten für die Kernenergie in die Höhe treiben. Jedes Sicherheitssystem wird vierfach ausgelegt - das ist etwas so, als würde man jedes Auto mit 16 Reifen ausstatten, um das Platzen eines einzelnen Reifens zu überstehen. Hinzu kommt, daß die Industrie den Bau zunehmend an billige, schlecht ausgebildete Arbeitskräfte auslagert, was mehr Fehler und Verzögerungen und damit auch höhere Kosten zur Folge hat.

Während sich die beiden ersten EPR-Reaktoren dieses Typs noch im Bau befinden - einer im finnischen Olkiluoto, der andere im französischen Flamanville -, wurden zwei weitere in Taishan zügig gebaut und bereits an das chinesische Stromnetz angeschlossen. China und Frankreich haben zudem eine wichtige Vereinbarung über den gemeinsamen Bau zweier EPRs in Hinkley Point in Großbritannien geschlossen. Diese Kooperation gilt als erster Schritt zur Vorbereitung des Baus ähnlicher Anlagen in anderen Ländern, insbesondere in Afrika.

Frankreich erzeugt mehr als 70% seines Stroms aus Kernkraft, das ist der höchste Anteil von allen Ländern der Welt, aber seine 58 Reaktoren altern und müssen alle bis 2050-55 ersetzt werden, da eine Lebensdauer von mehr als 55-60 Jahren als unsicher gilt. Doch anstatt jedes Jahr einen neuen Reaktor zu bauen, drängten die Atomaufsichtsbehörden in den letzten zehn Jahren auf mehr Sicherheitsmaßnahmen für bestehende Anlagen, und 2015 beschloß die Regierung Hollande, den Anteil der Kernenergie an der Energieversorgung des Landes bis 2025 auf 50% zu senken. Später wurde das Datum auf 2035 verschoben.

Heute will Frankreich etwa 15 alternde Reaktoren bis 2030 abschalten, wie die Kernkraftexpertin Jessica Lovering von der Carnegie Mellon Universität erklärt. Der Bau von sechs Reaktoren würde somit nur die derzeitige Produktion ersetzen. Experten zufolge entwickle die Industrie mit der Inbetriebnahme der ersten EPR-Anlagen Knowhow, Lieferketten und Konstruktionsverbesserungen, was dazu beitrage, Kosten zu senken und die Entwicklungszeit für nachfolgende Reaktoren zu verkürzen. „Anstatt mit einem neuen Entwurf ganz von vorn anzufangen, denke ich, daß sie versuchen, aus den Fehlern des ersten zu lernen und die nächste Generation zu verbessern“, schrieb Lovering in einer Twitter-Mitteilung.

Dagegen betont Bernard Bigot, der frühere Chef der französischen Atomenergiekommission und heutige Leiter des Fusionsexperiments ITER in Südfrankreich, wenn Frankreich seine Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen bewahren, die steigende Nachfrage befriedigen und den erforderlichen Strombedarf wie von der Regierung geplant zu 50% aus Kernenergie decken wolle, dann müsse es 35 neue Reaktoren bauen.

 

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