Von Alexander Hartmann
Der internationale Druck auf den UN-Sicherheitsrat und die US-Regierung, dem Blutvergießen in Gaza ein Ende zu setzen, wächst. Am 8. Dezember trat der Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung über die israelisch-palästinensische Situation zusammen. UN-Generalsekretär António Guterres forderte in einem eindringlichen Schreiben an den derzeitigen ecuadorianischen Ratspräsidenten unter Berufung auf Artikel 99 der UN-Charta die sofortige Ausrufung einer humanitären Waffenruhe im Gaza-Streifen, um eine „Katastrophe mit möglicherweise irreversiblen Folgen für die Palästinenser und für Frieden und Sicherheit in der Region“ zu verhindern.
Artikel 99 der Charta sieht vor, daß „der Generalsekretär den Sicherheitsrat mit jeder Angelegenheit befassen kann, die nach seiner Auffassung die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit bedroht“. Guterres argumentiert, daß die Fortsetzung der schrecklichen Krise in Gaza in der Tat „die bestehenden Bedrohungen für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit verschärfen“ könnte.
„Es liegt in der Verantwortung der internationalen Gemeinschaft, all ihren Einfluß geltend zu machen, um eine weitere Eskalation zu verhindern und diese Krise zu beenden“, warnt Guterres. Sein Brief war ein dramatischer Aufruf zu einem entschlossenen Eingreifen, zu dem nur der UN-Sicherheitsrat fähig ist.
Guterres verurteilte die Terrorakte der Hamas vom 7. Oktober, die brutale Ermordung von 1200 Menschen und die Entführung von 250 Geiseln, und er forderte deren bedingungslose Freilassung. Doch anschließend beschrieb er ausführlich die Zerstörung des Gazastreifens durch Israel, bei der (zu dem Zeitpunkt) 15.000 Menschen, davon 40% Kinder, getötet und 80% der 2,2 Millionen Einwohner des Gazastreifens aus ihren Häusern vertrieben wurden. „Es gibt keinen wirksamen Schutz für die Zivilbevölkerung. Das Gesundheitssystem in Gaza bricht zusammen. Krankenhäuser sind zu Schlachtfeldern geworden.“ Nur 14 von 36 Krankenhäusern seien noch funktionsfähig, und das auch nur teilweise.
Obwohl der Sicherheitsrat in seiner Resolution 2712 dazu aufgerufen habe, die humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu verstärken, sei dies unter den derzeitigen Umständen unmöglich, so der Generalsekretär weiter. Seit dem Ende der Waffenruhe sei die Versorgung mit humanitären Gütern unzureichend. „Wir sind einfach nicht in der Lage, die Bedürftigen im Gazastreifen zu erreichen. Die Kapazitäten der Vereinten Nationen und ihrer humanitären Partner sind durch Versorgungsengpässe, Treibstoffmangel, unterbrochene Kommunikationswege und wachsende Unsicherheit dezimiert worden.“
Guterres warnt, daß sich eine noch schlimmere Krise entwickeln könnte, wenn die öffentliche Ordnung im Gazastreifen vollständig zusammenbricht, mit epidemischen Krankheiten und einem noch größeren Druck zur Massenflucht in die Nachbarländer. Guterres schloß mit den Worten: „Ich wiederhole meinen Aufruf, einen humanitären Waffenstillstand auszurufen. Das ist dringend notwendig. Die Zivilbevölkerung muß vor noch größerem Schaden bewahrt werden. Ein humanitärer Waffenstillstand wird es ermöglichen, die Lebensgrundlagen wiederherzustellen und humanitäre Hilfe sicher und rechtzeitig in den gesamten Gazastreifen zu bringen.“
Eine Gruppe von 22 arabischen Staaten hat eine neuerliche Initiative für einen Waffenstillstand gestartet. Die ägyptische Nachrichtenseite Al Ahram online zitiert den Ständigen Vertreter Ägyptens bei den Vereinten Nationen, Osama Abdel-Khalek: „Die arabische Gruppe klopft erneut an die Türen des Sicherheitsrates, um eine Resolution zur sofortigen Feuereinstellung auszuarbeiten.“
Abdel-Khalek forderte den UN-Sicherheitsrat auf, seine Verantwortung wahrzunehmen. Die Resolution wurde von den Staaten der Arabischen Liga und der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) verfaßt und von den Vereinigten Arabischen Emiraten eingereicht, die derzeit nichtständiges Mitglied des Rates sind. Abdel-Khalek betonte, die Gruppe habe Gespräche mit Sicherheitsratsmitgliedern geführt und darin einen Mechanismus zur Verbesserung der humanitären Hilfe und die vollständige Öffnung der Grenzübergänge für diese Hilfe gefordert.
Der palästinensische UN-Botschafter Riyad Mansour sagte bei einer Pressekonferenz zu der Initiative, es sei wichtig, daß der Sicherheitsrat ein Ende des Konflikts fordert. Im Beisein von Vertretern der 22 arabischen Staaten sagte Mansour gegenüber Reportern, eine Ministerdelegation aus arabischen Ländern und der 57 Mitglieder zählenden OIC unter der Leitung des saudischen Außenministers treffe sich in Washington mit US-Vertretern. „Ganz oben auf der Tagesordnung steht, daß dieser Krieg beendet werden muß“, betonte Mansour. Die Nationale Sicherheitsberaterin von US-Vizepräsidentin Kamala Harris habe sich am Mittwochmorgen mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas in Verbindung gesetzt, der auf einen sofortigen Waffenstillstand und mehr humanitäre Hilfe gedrängt habe.
Nur zwei der 15 Länder im Sicherheitsrat sperren sich gegen einen Waffenstillstand zur Beendigung des Massensterbens in Gaza: Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Die USA haben gegen alle Sicherheitsratsresolutionen, die das Wort „Waffenstillstand“ enthalten, ihr Veto eingelegt, und haben dies auch am 8. Dezember erneut getan. Aber je näher der Gazastreifen der totalen Zerstörung kommt, desto mehr steigen die politischen Kosten für die Regierung Biden, sowohl international als auch innenpolitisch, wenn sie den barbarischen Krieg der Netanjahu-Regierung zur ethnischen Säuberung Palästinas weiter unterstützt.
1956 spielten die Vereinten Nationen eine wichtige Rolle bei der friedlichen Beilegung der Suez-Krise. Werden die Völker der Welt auch heute der Lage gewachsen sein? Oder werden die USA und Großbritannien mit ihrem sturen Widerstand gegen einen Waffenstillstand und gegen eine entsprechende UN-Resolution das Blutvergießen verlängern? Jede Minute Verzögerung kostet mehr Tote.
Die bisherigen Initiativen sind alle nur auf den Moment ausgerichtet. Aber um dauerhaft Frieden für alle Bewohner Südwestasiens zu schaffen, müssen wir den Blick auf die Zukunft richten. Die Gründerin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, drückte dies in ihrem wöchentlichen Internet-Dialog am 6. Dezember so aus:
„Es muß sofort etwas geschehen. Am effektivsten wäre es natürlich, wenn die Vereinigten Staaten einfach sagen würden: ,Wir stoppen alle Waffen und Gelder für Israel’, dann würde es aufhören. Aber weil das aber nicht sehr wahrscheinlich ist, versuchen wir, in dieser Situation eine Dynamik zu schaffen, die der ganzen Region Hoffnung gibt. Der ,Oasenplan' ist eine wirtschaftliche Entwicklungsperspektive, um diese ganze Region, die im wesentlichen eine riesige Wüste ist, in ein blühendes Gebiet zu verwandeln, wo mit Hilfe eines Kanalsystems vom Mittelmeer zum Roten Meer und vom Roten Meer zum Toten Meer dann in großem Maßstab Meerwasser entsalzt wird – für die Bewässerung der Landwirtschaft, für den Bau von Infrastruktur, sogar für den Bau neuer Städte und für die Industrialisierung.“ 1
Zepp-LaRouche fuhr fort:
„Das ist durchaus möglich, denn es gibt ja die Vorschläge Chinas, die Gürtel- und Straßen-Initiative auf die gesamte Region auszudehnen; es gibt den chinesischen Vorschlag, eine umfassende Friedenskonferenz für den Nahen Osten abzuhalten, auf der eine Beilegung der Krise stattfinden könnte, mit der Anerkennung einer Zwei-Staaten-Lösung.
Das ist gar nicht mehr weit weg. Gerade heute ist der russische Präsident Putin auf Staatsbesuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Und dann wird Putin nach Riad reisen, um den Premierminister von Saudi-Arabien, Kronprinz Mohammed bin Salman Al Saud, zu treffen. Anschließend trifft der iranische Präsident am 7. Dezember in Moskau mit Putin zusammen. Alle diese drei Länder werden am 1. Januar – also in nur drei Wochen – Vollmitglieder der BRICS-Plus-Gruppe sein. Und wenn man bedenkt, wie wichtig diese Länder für den Ölpreis und die täglich geförderte Ölmenge sind, gibt es meiner Meinung nach viele Faktoren, die dafür sprechen, daß ein solcher Vorschlag umgesetzt werden könnte.
Aber vor allem braucht man eine Perspektive, in der alle Menschen – so schrecklich die Situation jetzt auch sein mag – eine Zukunft haben, eine Hoffnung haben. Indem wir die Idee des Oasenplans bekannt machen, versuchen wir, eine ganz andere Agenda auf den Tisch zu legen.“
Sie schloß ihren Internet-Dialog mit der Bemerkung:
„Neben dem schrecklichen Krieg in der Ukraine und der schrecklichen Situation im Nahen Osten haben wir eine reale Krise der westlichen Kultur. Wir stehen vor einem totalen dekadenten Zusammenbruch. Es ist schwer zu sagen, ob man sie mit dem Zusammenbruch des Römischen Reiches oder mit dem 14. Jahrhundert oder mit anderen Perioden des totalen Zusammenbruchs und der Dekadenz der Eliten vergleichen soll. Wir müssen das Menschliche in uns wiederentdecken und darauf aufbauen. Wir müssen Hoffnung schaffen, die Liebe zur Menschheit wecken und versuchen, zu einer menschlichen Gesellschaft zurückzukehren.
Ich denke, wir werden nun durch eine Periode von vielleicht einem Jahr, anderthalb Jahren, zwei Jahren hindurchgehen, in der viele Prozesse an einen Punkt der Erschöpfung, des Bruchs, des Übergangs kommen. Wenn es uns irgendwie gelingt, genügend Menschen davon zu überzeugen, daß es eine Lösung gibt, dann kann und muß der Westen aufhören, arrogant zu sein und fälschlich zu denken, er könne die koloniale Weltordnung aufrechterhalten.“