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Gastbeitrag von Prof. Yang Heng: Reich durch Verbindungen

[i] Aus Shanghai wurde uns freundlicherweise der folgende Beitrag von Prof. Yang Heng zur Verfügung gestellt. Wir freuen uns, ihn veröffentlichen zu dürfen.[/i]

[h1]Ansicht eines 86-jährigen chinesischen Beobachters[/h1]

[b]von YANG Heng, emeritierter Professor für chinesische Geschichte, Shanghai, 21.05.2017[/b]

Vor 20 Jahren, im September 1997, nahm ich auf Einladung von Professor Bernd Kluge von der Humboldt-Universität zu Berlin am XII. Internationalen Numismatischen Kongress in Berlin teil und hielt dort einen Vortrag zum Thema „Förderung der Kulturverständigung durch Numismatik“. Das war mein erster – und bleibt mein einziger Deutschlandbesuch, der mich zuerst über die Zwischenstation München führte. Aus dem Flugzeug ausgestiegen, brachte mich die ebenerdige Rollbahn schnurstracks zum Ausgang, für mich ein einmaliges Erlebnis. Die Schnellbahn (S-Bahn) führte direkt zum Stadtzentrum, wo sich die Anschlüsse zur U-Bahn und zu weiteren Einrichtungen unterirdisch auf drei Ebenen verteilen. Zu meiner großen Bewunderung: München hatte damals 1,2 Millionen Einwohner und besaß ein dichteres Verkehrsnetz aus U-Bahn, S-Bahn und Bussen als Shanghai – dass zu dieser Zeit 12 Millionen Einwohner hatte und keine einzige U-Bahn-Linie aufweisen konnte.

Überhaupt war das Schienenverkehrsnetz in Europa hochentwickelt: Nach einer Stadtbesichtigung in Trier (als Geburtsort von Karl Marx für mich ein wichtiger Ort) benötigte die Weiterfahrt nach Luxemburg mit der Bahn nur eine halbe Stunde, dann fast in einem Katzensprung weiter nach Brüssel, um am selben Tag über Den Haag gegen Abend in Amsterdam anzukommen. Das die Menschen innerhalb Europas schnell und komfortable reisen können, hinterließ bei mir einen tiefen Eindruck. Für mich ist das ein Beweis dafür, dass die Europäer, allen voran die Deutschen, 50 Jahre nach dem Krieg durch ihr unermüdliches Arbeiten die Kriegsschäden beseitigt und ihre Heimat zu modernen Ländern wiederaufgebaut haben.

Die Welt wandelt sich und weitere 20 Jahre sind vergangen. Ich bin jetzt 86 Jahre alt und konnte glücklicherweise in China den gesamten Reformprozess, den Deng Xiaoping zur wirtschaftlichen Eröffnung des Landes einleiten ließ, über einige Jahrzehnte bis heute erleben und im Detail verfolgen. In China stand und steht der wirtschaftliche Aufbau im Zentrum. Ein zweistelliges Wachstum der Brutto-Inlandsproduktion hielt Jahre lang an. Beispiel Autoindustrie: Das Land führte die Produktionstechniken von Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz aus Deutschland ein sowie von General Motors aus den USA. Sowohl die Joint Ventures, als auch die einheimischen Unternehmen produzieren heute verschiedenste Personen- und Nutzfahrzeuge für die heimischen und für die internationalen Märkte. Beispiel Verkehr: Landesweit entsteht sukzessive ein immer dichter werdendes Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetz. Ebenso wird in den Städten der U-Bahn-Bau vorangetrieben. Allein in der Stadt Shanghai sind ein dutzend U-Bahnlinien entstanden, die alle Stadtteile miteinander verbinden. China ist zur zweit größten Volkswirtschaft der Welt geworden.

Das ganze Land arbeitet jetzt an der Realisierung des von der Politik angestoßenem „Chinesischen Traum“, den Staatspräsident Xi Jinping im Jahre 2013 ins Leben rief. Seinen wichtigsten Bestandteil bildet die „Neue Seidenstraße“, wörtlich übersetzt mit „Gürtel und Straße“ - da neben dem Ausbau eines Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetzes entlang der ursprünglichen historischen Route der Seidenstraße über Land auch mehrere Seewege mit ausgebauten Schiffshäfen ein Verbundsystem zum weltweiten Gütertransport ensteht. Dieses Großvorhaben hat das erklärte politische Ziel, das Zugpferd für die gemeinsame Entwicklung von Reichtum und Wohlstand quer durch Asien, Europa und Afrika zu sein. Zu diesem Zweck wurde ein internationales Forum für die weltweite Zusammenarbeit gegründet. Darauf haben über 100 Länder und internationale Organisationen überwiegend positiv reagiert, davon 40 mit China Verträge in unterschiedlichen Formen geschlossen und schon eine Reihe von Teilprojekten erfolgreich umgesetzt. Die „Neue Seidenstraßen Konferenz“, die vor kurzem in Beijing stattfand, konnte sich durch Teilnahme von 29 Staatschefs, über 140 Staatsvertreter sowie über 70 Gesandten aus verschiedenen internationalen Organisationen als ein wichtiges Forum zur internationalen Zusammenarbeit bestätigen.

„Reich durch Verbindungen“, das gilt in China in gleichem Maß wie in der Welt. Chinas Entwicklung braucht die Welt. Ebenso braucht die Entwicklung der Welt auch China. Die „Neue Seidenstraße“ hat ihre Wurzel in der historischen Seidenstraße zu Land und zu Wasser, die bis in die Tang- und Han-Dynastie zurückreicht. Zum ersten Mal in der Geschichte werden die Leitgedanken der chinesischen Diplomatie im internationalen Maßstab aufgestellt, nämlich friedlich zusammenarbeiten, Offenheit und Toleranz sowie gegenseitigen Respekt zeigen, von einander lernen, gemeinsam handeln, gemeinsam aufbauen und gemeinsam profitieren. Insbesondere sollen die von der „Neuen Seidenstraße“ angebundenen Länder die Chance bekommen, sich an der chinesischen Entwicklung zu beteiligen um ihre eigene Infrastruktur und Wirtschaft weiter aufzubauen. Der weitere Ausbau soll ein gerechteres und gemeinnützigeres globales Zeitalter einläuten. Damit bricht die „Neue Seidenstraße“ die veraltete Idee und die darauf basierende Praxis „Reich durch Stärke“, die leider häufig zu Kriegen und zu inneren Zusammenbrüchen von schwächeren Ländern führte.

Immer mehr chinesischen Unternehmen nutzen die „Neue Seidenstraße“ für ihren Außenhandel, während umgekehrt die angebundenen Länder den Anschluß an die chinesischen Märkte erreichen. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit entstehen bereits rege grenzüberschreitende Ströme von Gütern und Dienstleistungen aus dem Bereich Finanz, Energie und Technologie. Ebenso etablieren sich auch neue Standards, die weltweiten Einfluss gewinnen, z. B. in 5G Mobile Kommunikation, in Hochgeschwindigkeitstransport und im Bereich Kernenergie-Nutzung. Michael Clauss, seit 2013 deutscher Botschafter in China, kommentierte die „Neue Seidenstraße“ als eine sehr gute Chance für den Handel. Im Gespräch mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping bekundet die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich, den Plan der Neuen Seidenstraße zu unterstützen.

Ein wichtiger Meilenstein im erfolgreichen Aufbau der „Neuen Seidenstraße“ war der 3. November 2016, als erstmals ein Handelsschiff vollbeladen mit chinesischen Gütern vom pakistanischen Tiefseehafen Gwadar am Arabischen Meer in See stach, welchen China und Pakistan gemeinsam gebaut haben. Die Güter kamen aus der Stadt Kaschgar in der chinesischen Provinz Xingjiang, werden durch den sogenannten China-Pakistan-Wirtschaftskorridor über den Landweg gebracht und in alle Welt weiter transportiert.

Der Premierminister der pakistanischen Provinz Punjab, Shahbaz Sharif meinte, die „Neue Seidenstraße“ reduziert die Armut, schafft zehntausend Jobs entlang ihres Linienverlaufs und reduziert die Distanz zwischen den Entwicklungsländern und den Industriestaaten. Pakistan unterstützt die Entwicklung und den Aufbau der Neuen Seidenstraße, schließlich ist Pakistan eines der ersten profitierenden Länder des Wirtschaftskorridors. Sharif beschreibt die Zusammenarbeit zwischen China und Pakistan so: „Die Tinte zur Vertragsunterzeichnung ist kaum trocken, schon starten die chinesischen Unternehmen bereits ihre Arbeit“.

Seitdem die „Neuen Seidenstraße“ ins Leben gerufen wurde, erreichen die sogenannten „Mitteleuropäischen Express“-Züge aus 24 chinesischen Städten Dalian, Chengdu, Wuhan, Xian, Yiwu etc. innerhalb von 14 Tagen direkt Madrid, London, Hamburg usw. - 11 europäische Länder mit 28 Städten. Bis heute sind mehr als 4000 Züge unterwegs, allein in diesem Jahr 2017 schon über 1000.

Doch auch europäische Unternehmen beginnen, die Bedeutung der „Neuen Seidenstraße“ für sich zu verstehen. Anlässlich eines Projektbesuchs der chinesischen Vertreter im spanischen Unternehmen ISDIN in Barcelona schilderte der CEO Juan Naya die Vision seines Unternehmens: „Wir haben auch einen chinesischen Traum. Ma Yun (einer der bekanntesten chinesischen Unternehmer und Gründer der Idee ‚Internet-Seidenstraße‘) hat Recht: man sollte einen Traum haben, der möglichst Realität werden kann“. Der chinesische Traum, den Juan Naya meinte, besteht darin, die Waren von Spanien und Europa mittels des Internets und über die Neue Seidenstraße nach China zu verkaufen. Das geschieht bereits tagtäglich zwischen Spanien und China. Die Big Data Analyse von Alibaba (das von Ma Yun gegründete E-Commerz-Großunternehmen) führt Spanien am Platz 10 im Länder-Ranking innerhalb des Alibaba-Subunternehmens Tianmao im internationalen Einkauf. Gleichzeitig belegt Spanien den Platz 3 im Länder-Ranking innerhalb des Alibaba-Subunternehmens Sumaitong im internationalen Verkauf, dicht hinter Russland und den USA. Allein die Express-Linie Yiwu (chinesische Stadt in der Provinz Zhejiang) und Madrid verbindet über zehntausend klein- und mittelständische Unternehmen im Güterverkehr. Parallel hierzu lässt die sogenannte Internet-Seidenstraße die virtuellen Verbindungen exponentiell wachsen.

China ist mit Stolz dabei, die Idee von Xi Jinping der „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ in den Weg zu leiten. Die „Neue Seidenstraße“, als Weiterentwicklung der seit Jahrtausend bewährten Idee der alten Seidenstraße, verbindet die Menschen im Globus miteinander durch friedlichen Handel und gemeinnützliche Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe. Damit fördert die „Neue Seidenstraße“ auch die Verständigung der unterschiedlichen Völker miteinander und ermöglicht ihnen eine faire Chance im Handel, im Aufbau und im Genuss der materiellen Güter und geistigen Reichtümer.

Auch ich empfinde gewissen Stolz, dass China, 20 Jahre nach meinem ersten und einzigen Europabesuch eine solche Entwicklung durchlebt hat und nun einen guten Schritt von einem Entwicklungsland bis hin zu einer führenden Nation in der Welt macht.

[i]Übersetzung: Dr. Hongguang Yang[/i]