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Gianni: Wie man über den Kapitalismus hinausgeht

[i]Alfonso Gianni ist Vizeminister für wirtschaftliche Entwicklung der italienischen Regierung. Auf der EIR-Konferenz „Marktradikalismus oder New Deal“ in Rom am 6. Juni hielt er die folgende Rede.[/i]

Ich bin mit vielem, aber nicht allem, was Lyndon LaRouche gesagt hat, einverstanden. Ich möchte kurz den historisch-analytischen Rahmen erwähnen. Meiner Ansicht nach gab es in der Mitte der 70er Jahre tatsächlich das, was ich, um einen Ausdruck von Karl Polanyi zu gebrauchen, die zweite große Transformation des modernen kapitalistischen Systems nennen möchte. Diese drehte sich, und hier bin ich etwas anderer Ansicht als LaRouche, um drei große Erscheinungen, die im Laufe des letzten Vierteljahrhunderts und zu Beginn des laufenden Jahrhunderts gewaltigen Einfluß hatten.

Die erste war zweifellos Richard Nixons Entscheidung, die, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, am 15. August 1971 fiel, die Konvertibilität des Dollars zum Gold einzustellen, womit die internationalen finanziellen Arrangements, die die Welt mit Bretton Woods und nach dem Zweiten Weltkrieg eingerichtet hatte, zerbrachen. Ab dem Punkt war der Vorstoß zur finanziellen Transformation der Wirtschaft, die Volatilität des Kapitals und seine Abtrennung von der materiellen Produktion wirklich sehr, sehr stark. Aus dem internationalen System wurde ein System der Schulden und Kredite. Es gibt einen hübschen Ausdruck eines französischen Gelehrten, der mir sehr liegt, Marc Bloch; er definiert das kapitalistische System als ein System, in dem die Schulden uneinbringlich sind, weil es in niemandes Interesse sei, einen Schlußstrich zu ziehen und ihre Begleichung zu verlangen, da bestimmte Systeme und wahrscheinlich sogar das globale System zusammenstürzen würden.

Das zweite große Ereignis - eines, das LaRouche meiner Meinung nach unterschätzt - ist der sog. „Ölschock“, der seitens der erdölproduzierenden Länder den Wunsch nach einer globalen Rolle aufkommen ließ, was vielen aktuellen Problemen zugrunde liegt, der aber auch im Westen - und das ist für mich etwas Positives, nicht etwas Negatives - die Vorstellung einführte, daß die Möglichkeit rein quantitativer Entwicklung eine Grenze hat.

Das dritte große Ereignis und für mich das Grundlegende, ist das vorherrschende, charakteristische Element der gegenwärtigen kapitalistischen Globalisierung. Ich sage „die gegenwärtige“, weil wir mehr als eine Art der Globalisierung hatten. Denken Sie an die Globalisierung vor dem Ersten Weltkrieg und vor der sowjetischen Revolution, die mit der Einförmigkeit des globalen kapitalistischen Systems brach. Wir sprechen von der Globalisierung nach 1975 und besonders nach 1989, die durch ein tiefergehendes Phänomen gekennzeichnet ist, und das ist meiner Ansicht nach die Transformation des Paradigmas der Produktion. Die Leute, die Industrieunternehmen studieren, bezeichnen diese Globalisierung als Übergang vom „Fordismus“, d.h. der Massenfabrikation am Fließband, zum Post-Fordismus, den einige an der japanischen Erfahrung des „Toyota-ismus“ oder jedenfalls der Just-in-time-Produktion festmachen. Sie konzentriert sich auf die spezifischen Forderungen des Marktes und - das ist der wesentliche Punkt - die Verteilung der Produktion auf weltweiter Ebene.

Wenn ich die gegenwärtige Globalisierung in Hinsicht auf die von Lenin oder Hilferding in den ersten 15 Jahren des 20. Jahrhunderts analysierte beschreiben soll, würde ich sagen, es ist die Aufteilung der Produktion. D.h., die Großunternehmen, angefangen mit den technisch entwickelten, haben eine Denkzentrale, einen Organisationskörper in einem bestimmten Teil der Welt, was nicht immer die Vereinigten Staaten von Amerika sein müssen, obwohl sie es überwiegend sind; und dann haben sei eine Verteilung der Produktionsanlagen über die Welt, mit der Folge, daß sie verschiedene Lohnsysteme anwenden können sowie verschiedene Methoden des Herausziehens von „Mehrwert“, wie wir hartnäckigen Marxisten es weiterhin nennen.

[h3]Krise der internationalen Finanzinstitutionen[/h3] Das sind die drei beherrschenden Merkmale der weltweiten Globalisierung. Nun schlage ich vor, so paradox das klingen mag, daß wir die Lage nicht nur dadurch zu verändern beginnen, daß wir nur hinsichtlich der Produktionsmethoden eingreifen, sondern daß wir auf allen drei Fronten auf globaler Ebene eingreifen. Auf der einen Seite die Demokratisierung der Produktionsverhältnisse, wenn möglich mit der Verallgemeinerung der Arbeitnehmerrechte auf die ganze Welt. Auf der anderen Seite - und das ist der klare Unterschied zu LaRouche - sollte man Wert auf die Wahrung der Umwelt legen, aber nicht einfach nur als eine Grenze der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern als Motor einer wirtschaftlichen Entwicklung neuer Art. Und die dritte Frage ist eine neue Weltwirtschaftsordnung. In dem Punkt sind wir uns offenbar einig.

Was ich mir vorstelle? Ich denke im wesentlichen folgendes: Neulich gab es in der einzigen Zeitung, die mir wirklich Neues liefert, [i]Il Sole 24 Ore [/i]- nicht zufällig die der Gegenseite, man muß immer die Zeitungen der anderen Seite lesen, weil die eigenen immer nur trösten -, einen brillanten Artikel von Platero über die Widersprüche der internationalen Wirtschaftsinstitutionen. Beispielsweise wies er darauf hin, daß der Internationale Währungsfonds (IWF) im letzten Jahr Kredite im Gesamtumfang von 15 Mrd. Dollar vergab. Vor sieben Jahren betrug die Gesamtsumme 78 Mrd.$, bei einer Ausstattung von 100 Mrd.$. Man erinnere sich, daß die Währungsreserven Chinas auf etwa 1,2 Billionen Dollar geschätzt werden. Chinas Währungsreserven sind also überwältigend, verglichen mit den Mitteln des Weltwährungsfonds. Gleichzeitig leidet die Weltbank am Wettbewerb privater Banken bei der Finanzierung von Projekten, beispielsweise Infrastrukturprojekten in aufstrebenden Ländern, den sog. Entwicklungsländern, die jedenfalls einen günstigen Markt bieten können. Trotz des Anspruchs und, wie uns [der frühere Weltbank-Chefökonom] Stiglitz richtig lehrte, manchmal trotz der Schikanen von IWF und Weltbank machen diese Einrichtungen also eine Krise durch, wie auch die gegenwärtige Phase der Globalisierung in einer Krise ist.

Deshalb müssen wir an neue Lösungen denken, und die Zeit dafür ist jetzt gekommen. Auch wenn es sehr theoretisch erscheinen mag, ich denke im wesentlichen an eine Rückkehr zu einem Keynesianischen Modell insgesamt. Sowohl in Hinsicht auf das Konzept des öffentlichen Eingreifens in die Wirtschaft als auch in Hinsicht auf die Verteidigung der Entwicklung des Sozialstaats, der in Europa historisch etwas anderes ist, als bloß eine Lösung der Probleme des Überlebens und der Reproduktion der Arbeitskraft. Er ist eine bestimmte Art und Weise der Produktion, die anders war, als die vom strengen Kapitalismus beabsichtigte und die der realen sozialistischen Systeme. Es war eine staatliche Methode der Produktion.

Und dieses Modell wird jetzt vom privaten Geld angewandt - von Hedgefonds und Rentenfonds bis zu Versuchen der Vernichtung und Inbesitznahme. Das ist kein Phänomen der Liberalisierung und somit eine Verbesserung von Wettbewerb und Chancen für den Bürger, wie mein Freund Tremonti glaubt, sondern hauptsächlich, daß die Finanzen mächtiger werden als die Wirtschaftspolitik der Staaten und die Realwirtschaft, zumindest allgemein gesprochen.

[h3]Nachdenken über Keynes[/h3] Ich halte dieses Nachdenken über Keynes auch in Bezug auf die Währung für nützlich. Es war, wenn ich mich recht erinnere (auch wenn ich mich an den Titel im Englischen nicht mehr genau erinnere) im Jahr 1942, als John Maynard Keynes eine Theorie über eine Universalwährung entwickelte, die er den „Bancor“ nannte. Bis jetzt hat sich das als Utopie erwiesen, die Universalwährung hat nie existiert. Die vier Grundwährungen sind, wenn ich mich nicht irre, Yen, Dollar, Pfund Sterling und Euro, darin werden internationale Transaktionen getätigt.

Wir sollten diese Idee der Schaffung eines großen globalen Fonds konkret wiederbeleben - mit verschiedenen Ländern, nicht nur den vier von Lyndon LaRouche genannten, weil Europa außen vor bliebe, wenn das Schicksal der Veränderungen des Währungssystems nur von den Vereinigten Staaten von Amerika, Indien, China und Rußland abhinge. Ich denke, Europa muß als kollektives System eine wichtige Rolle bekommen, wenn es den Mut hat, sich zu verändern und statt einer Einheit, die nur in Handelsfragen von Bedeutung ist, wie bisher, eine Einheit wird, die Initiativen im Bereich der globalen Wirtschaftspolitik ergreift. Es wäre ein Reservesystem, in das die Länder Gelder einzahlen könnten, das sie dann in einer Universalwährung zurück erhielten und in Krisenperioden wieder verwenden könnten, um eine Art Puffer zu bilden, der die Welt vor Finanzkrächen und großen finanziellen Tragödien abschirmen könnte.

Es mag seltsam erscheinen, daß ein Mensch wie ich, der sich als Teil des Feldes des marxistischen Denkens auffaßt, den Fall des Kapitalismus vermeiden will. Aber wenn man es real sieht, haben die Marxisten im 20. Jahrhundert zwar oft vom Fall des Kapitalismus geredet, aber er ist nie geschehen. Es gab zwar verschiedene sehr schwere Krisen, wie die 1929, die Krise 1987, die Krise 1997 bezogen auf die aufstrebenden kapitalistischen Länder in Südostasien, aber jedesmal gelang es dem Kapitalismus, sich wieder aufzubauen und zu verändern. Ich meine, wir müssen diese messianische Erwartung auf den Fall des Kapitalismus aufgeben und wie alte Maulwürfe darüber nachdenken, wie wir aus dem System selbst heraus über den Kapitalismus hinausgehen können, indem man die in den globalen Finanzen herrschende, antidemokratische und unkontrollierbare Logik durchbricht und sich des Problems eines Systems von Währungs- und Finanzregeln annimmt, in dem die Demokratie und die Bedeutung realer Länder wieder eine Rolle spielen.

Es wäre noch viel zu sagen, aber ich lasse nun Herrn Tremonti sprechen, weil er gleich noch einen Fernsehtermin hat. Ich sage nur noch: Was den Nutzen einer möglichen Reform von IWF und Weltbank betrifft, oder wie man über sie hinausgeht, stehe ich voll und ganz zur Verfügung. Wir dürfen die Welt aber nicht so denken, daß man eine Supermacht durch mehrere ersetzt, was immer noch auf große Mächte beschränkt wäre, sondern daran, wie man allen Völkern, allen Regierungen Bedeutung gibt.

Das ist die Kreativität, die wir gebrauchen müssen, wenn wir an ein globales demokratisches System denken. Wenn möglich, schafft man eine Methode der Kompensation und dialektischer Lösungen für die Konflikte, die unweigerlich auftreten werden, damit diese Konflikte nicht zu Tragödien werden. Und in einer von militärischen Mächten beherrschten Welt ist das Vermeiden von Tragödien wesentlich für das Leben der Menschen und für das Überleben der kämpfenden Klassen selbst, wie der gute alte Marx vor langer Zeit im [i]Kommunistischen Manifest [/i]sagte - ein Satz, den jeder verzerrt hat, dessen Wert man heute aber zu verstehen beginnt.

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