Eine Analyse der EIR Nachichtenagentur
Wenige Tage vor dem Gipfeltreffen der BRICS-Staaten sprach die Vorsitzende des Russischen Föderationsrates, Senatorin Walentina Matwijenko, ein wahres Wort, das man im Westen nicht gerne hört: „Die bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen werden nicht das wichtigste Ereignis des Jahres für die Weltgemeinschaft sein und nicht den weiteren Verlauf der Geschichte prägen… Dieses Ereignis wird der BRICS-Gipfel sein. Die drei Tage des BRICS-Gipfels und die Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs der Mehrheit der Weltbevölkerung in der Hauptstadt von Tatarstan werden einen entscheidenden Einfluß auf unsere Zukunft haben.“
So ist es, denn die entscheidenden Fragen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist – Atomkrieg oder Frieden, wirtschaftliche Entwicklung oder katastrophaler Zusammenbruch des Finanzsystems – standen auf dem BRICS-Gipfel auf der Tagesordnung, während sie im Rennen um die US-Präsidentschaft praktisch keine Rolle spielen – zur Freude der Wall Street und der Londoner City.
An dem Treffen vom 22. bis 24. Oktober im russischen Kasan nahmen Vertreter von 36 Ländern teil, darunter 22 Staatsoberhäupter. Der Gipfel veröffentlichte eine Erklärung mit dem Titel „Stärkung des Multilateralismus für eine gerechte globale Entwicklung und Sicherheit“. Am Rande des Gipfels fanden Dutzende größere und kleinere Treffen statt, unter anderem zwischen den 15 anderen anwesenden Staats- und Regierungschefs sowie den 36 ausländischen Delegationen.
Ein herausragendes Beispiel war das Treffen zwischen dem indischen Premierminister Narendra Modi und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping, ihr erstes persönliches Treffen seit fünf Jahren. Das Foto ihres Händedrucks wurde zum Wahrzeichen des Gipfels, der mit der Ankündigung endete, daß die neun BRICS-Mitglieder – Ägypten, Äthiopien, Brasilien, China, Indien, Iran, Rußland, Südafrika und die Vereinigten Arabischen Emirate – sich darauf geeinigt haben, 13 Länder als neue „Partnerstaaten“ einzuladen. Diese sind: Algerien, Belarus, Bolivien, Indonesien, Kasachstan, Kuba, Malaysia, Nigeria, Thailand, Türkei, Uganda, Usbekistan und Vietnam, zusammen fast eine Milliarde Menschen. Damit vertritt die BRICS-Gruppe nun über 4,6 Milliarden Menschen, 57% der Weltbevölkerung: buchstäblich die Globale Mehrheit.
Die Autorität der BRICS beruht jedoch nicht nur auf dem Umfang dieser „Vertretung“ als solcher, sondern vor allem darauf, daß alle BRICS-Mitgliedsstaaten gemeinsam das Ziel haben, für das Gemeinwohl der Menschheit zu arbeiten. In der Praxis bedeutet das, das kolonialistische und kriegsbegeisterte westliche Finanz- und Wirtschaftssystem zu beenden und einen neuen Rahmen für nationale und internationale Beziehungen in jeder Hinsicht zu schaffen: wirtschaftlich, sozial, kulturell und zivilisatorisch.
In seiner Eröffnungsrede als Staatschef und Moderator des Runden Tisches mit den Vertretern der anderen acht BRICS-Staaten sagte Präsident Putin über die BRICS: „Wir haben Verantwortung für die Zukunft der Welt übernommen, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten… Die BRICS-Staaten verfügen über ein wahrhaft immenses Potential an politischer Macht, Wirtschaft, Wissenschaft, Technologie und menschlicher Entwicklung. Darüber hinaus verbinden uns gemeinsame Werte und eine gemeinsame Weltanschauung.”
Der chinesische Präsident Xi Jinping betonte in seiner Rede die Rolle der BRICS in dem „systemprägenden Prozeß“ hin zu einer neuen globalen Wirtschafts-, Sozial- und Sicherheitsarchitektur im Dienste des Wohlergehens der Nationen. Auch die Staatschefs anderer Länder äußerten sich beim Runden Tisch und bei anderen Treffen sehr deutlich zu allen Aspekten des BRICS-Prozesses, den viele als „transformativ“ bezeichnen. Der brasilianische Präsident Lula da Silva sagte beispielsweise: „Jetzt ist es an der Zeit, bei der Schaffung alternativer Zahlungsmittel für Transaktionen zwischen unseren Ländern voranzukommen. Es geht nicht darum, unsere Währungen zu ersetzen. Aber wir müssen darauf hinarbeiten, daß sich die von uns angestrebte multipolare Ordnung im internationalen Finanzsystem widerspiegelt. Diese Diskussion muß ernsthaft, umsichtig und fachlich fundiert angegangen werden, aber sie kann nicht länger aufgeschoben werden.“ (Lula sprach per Video aus Brasilien, weil er sich von einem Sturz erholen muß und nicht reisen konnte.)
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa sagte: „Wir arbeiten auf einen gegenseitigen, gemeinsamen und gerechten Wohlstand für alle hin.“ Er freue sich auf den Bericht an die BRICS über Maßnahmen zur Verwendung lokaler Währungen (anstelle des Dollars). Er betonte auch: „Klimabedenken werden die Entwicklungsbestrebungen des Globalen Südens nicht ersticken.“
Der Bericht der Präsidentin der Neuen Entwicklungsbank (NDB), Dilma Rousseff, über die Aktivitäten dieser 2015 gegründeten BRICS-Bank stieß auf großes Interesse und wurde ausführlich diskutiert. Es war einer von vier Sonderberichten für den Gipfel. Rousseff sagte: „Es gibt einen enormen ungedeckten Bedarf an Entwicklungsfinanzierung. Die Erweiterung der Rolle der Neuen Entwicklungsbank ist eine wesentliche Voraussetzung, um diesen Bedarf zu decken.”
Bemerkenswert ist, daß bei allen Diskussionen über die Finanzierung von Handel, produktiven Investitionen und Devisenhandel auch über konkrete Entwicklungsprojekte berichtet wurde. Drei Beispiele von vielen:
Der Internationale Nord-Süd-Transportkorridor, der von Rußland durch das Kaspische Becken bis zum iranischen Hafen Chabahar am Arabischen Meer führt, wurde vom iranischen Präsidenten Masoud Peseschkian und vom indischen Premierminister Modi besonders erwähnt. Beide betonten den Nutzen dieses Korridors insbesondere für Afghanistan und ganz Zentralasien.
Präsident Putin schlug eine neue BRICS-Weltgetreidebörse vor. In der Erklärung des BRICS-Gipfels heißt es (Punkt 73), daß das Konzept darin besteht, „eine Getreidehandelsplattform (Rohstoffhandelsplattform) innerhalb der BRICS (die BRICS-Getreidebörse) einzurichten und sie anschließend weiterzuentwickeln, einschließlich der Ausweitung auf andere Agrarsektoren“.
Vom ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah El-Sisi wurde das Projekt des Kernkraftwerks El-Dabaa angesprochen, das derzeit an der Mittelmeerküste gebaut wird.
Das ist genau die Art von Entwicklungsprojekten zum Wohle der Nationen und der damit verbundenen positiven multinationalen Beziehungen, die der kollektive Westen um jeden Preis verhindern will. Die Globale NATO mit den USA und Großbritannien an der Spitze hat die BRICS-Staaten ins Visier genommen – buchstäblich, wie ihre Unterstützung des Krieges gegen Rußland und den Iran, ihre Aggressivität gegenüber China und anderen Ländern und ihre Subversion im allgemeinen zeigen.
An beiden Fronten, Ukraine und Südwestasien, ist die Gefahr einer Eskalation zu einem Atomkrieg extrem hoch. Zu den jüngsten Entwicklungen gehört dabei, daß Deutschland und Großbritannien ein neues Militärabkommen geschlossen haben, um die gegenseitige Nutzung ihrer militärischen Ressourcen zu verstärken. Vorausgegangen war am 21. Oktober die feierliche Eröffnung der neuen Ostsee-Kommandozentrale „Commander Task Force Baltic“ der NATO in Rostock – ein klarer Verstoß gegen das 2+4-Abkommen über die deutsche Wiedervereinigung, das die Stationierung und den Einsatz ausländischer Truppen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ausdrücklich untersagt; das russische Außenministerium bestellte deswegen den deutschen Botschafter ein. Der russische Verteidigungsminister Andrei Belussow traf am 23. Oktober im weißrussischen Minsk mit den dortigen Verteidigungsbehörden zusammen, um angesichts des wachsenden Drucks der NATO die verstärkten gegenseitigen Verteidigungsverpflichtungen zwischen Rußland und Belarus zu bekräftigen.
US-Außenminister Antony Blinken besuchte dieser Tage zum elften Mal seit dem 7. Oktober 2023 Südwestasien. Er verkörpert praktisch die amerikanische „Lizenz zum Töten“, mit der die USA Israels Völkermord an den Palästinensern und anderen billigen, der sowohl in Gaza als auch im Südlibanon unvermindert andauert. Es wird berichtet, daß Blinken in Riad versuchte, Druck auf Saudi-Arabien auszuüben, die Beziehungen zu Israel zu „normalisieren“.
Im Gegensatz dazu haben sich die Führer der BRICS-Staaten bei ihren Beratungen in Kasan für ein Ende von Aggression, Töten und Eskalation des Krieges ausgesprochen. Viele Staats- und Regierungschefs bezogen sich auf den Friedensvorschlag für Verhandlungen über die Ukraine, den China und Brasilien im Mai vorgelegt haben. Ebenso forderten die Staats- und Regierungschefs ein Ende des israelischen Krieges in Südwestasien.
Gegen Ende des BRICS-Gipfels stand die drängende strategische Frage in der Luft: Wird der Westen endlich auf die BRICS hören, mit der Globalen Mehrheit zusammenarbeiten und seinen verrückten Marsch in den Atomkrieg beenden? Unsere EIR-Korrespondenten in Kasan stellten diese Frage auf einer Pressekonferenz dem russischen Präsidentenberater Anton Kobjakow. „Auch wenn die BRICS nicht gegen den Westen sind, ist der Westen derzeit gegen die BRICS“, begann Sébastien Périmony von EIR. „Wenn sich das nicht ändert, besteht die Gefahr eines Nuklearkrieges in den Konflikten in der Ukraine und im Nahen Osten sowie wegen der Aufrechterhaltung der Sanktionen. Glauben Sie, daß der BRICS-Prozeß die Sichtweise der anglo-amerikanischen Eliten verändern wird, so daß sie sich positiv an der Entwicklung einer neuen Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur beteiligen, wie es Helga Zepp-LaRouche vom Schiller-Institut fordert?“
Kobjakows Antwort war unverblümt: „Wir hoffen, daß die anglo-amerikanischen Eliten positiv reagieren werden. Aber wir haben eine nukleare Abschreckungsdoktrin. Wenn die Pax Americana endet, hoffen wir, daß nicht die ganze Welt mit ihr untergeht.“ Mit Blick auf Israel und die USA fügte er hinzu: „Vielleicht kommen sie nach den Reden bei den BRICS-Treffen zur Vernunft. Wir hoffen es.“
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