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Konfrontationshaltung gegenüber Rußland provoziert Risse in der Fassade der Einigkeit

Von Alexander Hartmann

Die Russische Föderation besteht weiterhin darauf, daß die Vereinigten Staaten und die NATO sich schriftlich dazu verpflichten, Rußlands nationale Sicherheitsbedürfnisse zu respektieren. Die in der letzten Januarwoche von den USA und der NATO offiziell vorgelegten Antworten auf Rußlands Forderungen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück. Aber in der Fassade der „Einigkeit des westlichen Bündnisses“ zeigen sich bereits Risse.

US-Außenminister Antony Blinken gab am 26. Januar auf einer Pressekonferenz des Ministeriums und in einer Klausurtagung mit Kongreßmitgliedern bekannt, daß die USA eine schriftliche Antwort auf die von Rußland im Dezember vorgeschlagenen Sicherheitsabkommen gegeben haben. Auch die NATO, so Blinken, habe „ein eigenes Papier mit Ideen und Bedenken zur kollektiven Sicherheit in Europa ausgearbeitet” und werde es Moskau übermitteln. Das NATO-Papier untermauere das der USA in vollem Umfang und umgekehrt. „Die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten und Partner sind sich in diesen Fragen völlig einig.“

Blinken wiederholte seinen sophistischen „zweigleisigen“ Ansatz gegenüber Rußland: Die Aufrüstung des Westens in Osteuropa diene nur der Abschreckung, aber ansonsten seien die USA und der Westen offen für Diplomatie - „wenn Rußland sich dafür entscheiden sollte“. Um die harte Haltung des Westens zu unterstreichen, gab Blinken weitere Maßnahmen zur Aufrüstung der Ukraine bekannt, darunter die Lieferung von Javelin-Raketen und anderen Panzerabwehrwaffen sowie Mi-17-Hubschraubern. Außerdem befänden sich 8500 US-Soldaten in „erhöhter Einsatzbereitschaft“, um, falls sie benötigt werden, „die Ostflanke der Alliierten zu stärken“. Blinken signalisierte Gesprächsbereitschaft - aber nicht bezüglich der Themen, die von russischer Seite als „rote Linien“ bezeichnet wurden.

Rußland, das derzeit militärische Übungen in Weißrußland und in der Arktis durchführt und Trainingsübungen unter Einsatz seiner Nuklearstreitkräfte organisiert, hat seinerseits wiederholt deutlich gemacht, daß es sich gezwungen sähe, nicht näher beschriebene „militärische oder militärisch-technische Maßnahmen“ zu ergreifen, wenn der Westen auf seine Forderungen nicht eingehe. Über diese Maßnahmen wird viel spekuliert: Könnte dazu die Stationierung von Hyperschall-Atomraketen in der Nähe westlicher Staaten gehören? Und/oder die Stationierung atomarer Kurzstreckenraketen in Kaliningrad? Die USA verfügen in Europa über rund 200 ballistische Atombomben für gemeinsame Nukleareinsätze. Wenn Rußland nun einen ähnlichen Druck auf die Vereinigten Staaten ausübt, wie eng wird dann das Zeitfenster für die Reaktion auf einen tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen atomaren Angriff? Wie die Vorsitzende des Schiller-Instituts Helga Zepp-LaRouche betont, stünde die Welt damit vor einer „umgekehrten und doppelten Kubakrise“!

Außenminister Sergej Lawrow bedauerte am 27. Januar gegenüber russischen Medien, daß die USA „keine positive Antwort“ auf die Kernforderungen des Kremls gegeben haben. „Das Hauptproblem betrifft unsere klare Position zur Unannehmbarkeit einer weiteren NATO-Osterweiterung und der Stationierung hochgradig zerstörerischer Waffen, die das Territorium der Russischen Föderation bedrohen können“, wird Lawrow von RT zitiert. „Es ist bezeichnend, daß unsere westlichen Kollegen, wenn sie auf unsere Vorschläge reagieren, immer die Umsetzung der vereinbarten Prinzipien im euro-atlantischen Raum fordern... Sie sagen dann sofort, dies bedeute, daß die NATO das Recht habe, zu expandieren, und kein Land das Recht habe, das zu verbieten.“ Tatsächlich gebe es aber schriftliche Zusagen des Westens, „die im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mehr als einmal bestätigt wurden, auch auf Gipfelebene. Jetzt werden wir den Schwerpunkt darauf legen, diese doppelzüngige Haltung unserer westlichen Partner aufzudecken.“

Damit bezog sich Lawrow auf zwei Dokumente, die von allen OSZE-Parteien, einschließlich des US-Präsidenten, unterzeichnet wurden, nämlich die Istanbuler Erklärung 1 von 1999 und die Astana-Erklärung2 von 2010. In diesen Dokumenten heiße es: „Das Recht, Bündnisse zu wählen, ist eindeutig an die Notwendigkeit geknüpft, die Sicherheitsinteressen anderer OSZE-Mitgliedstaaten, einschließlich der Russischen Föderation, zu berücksichtigen.“

Lawrow warf dem Westen vor, er wolle das Prinzip vertuschen, daß ein Staat seine Sicherheit nicht auf Kosten der Sicherheit anderer stärken darf. „Diese Punkte werden ausgeklammert… Das können wir nicht akzeptieren. Wir werden uns jetzt darauf konzentrieren, Klarheit über diese heuchlerische Haltung unserer westlichen Partner zu bekommen.“

Keine Einigkeit in der NATO

Unterdessen zeigt sich immer deutlicher, daß unter den NATO-Verbündeten - ganz im Gegensatz zu Blinkens Beteuerungen - tatsächlich keine Einigkeit über die Reaktion auf die Ukraine-Krise mit Rußland herrscht. Die Briten verfolgen eine klare Konfrontationsstrategie, ohne ihre Verbündeten zu konsultieren (zählen dabei jedoch darauf, daß die anderen für sie den Krieg führen). Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz und andere in Deutschland wollen eine Eskalation verhindern, es liefert im Gegensatz zu anderen NATO-Mitgliedern der Ukraine keine Waffen, sondern nur Stahlhelme. In Frankreich wird in Militär und Politik sogar öffentlich über einen Ausstieg aus der integrierten militärischen Kommandostruktur der NATO debattiert. In Norwegen lehnt die Regierung es ab, daß ausländische NATO-Truppen an der Grenze zu Rußland stationiert werden.

In Kroatien erklärte Präsident Zoran Milanovic, sein Land werde sich in keiner Weise in die Ukraine-Krise einmischen und keine Soldaten entsenden. Er erklärte, die Ukraine gehöre nicht in die NATO, und es sei die Europäische Union (mit Großbritannien) gewesen, die 2014 einen Putsch in Kiew ausgelöst habe. Die Krise habe nichts mit der Ukraine oder Rußland zu tun, sondern mit der innenpolitischen Dynamik in den Vereinigten Staaten.

In Spanien haben sich die Partei Unidos Podemos und acht kleinere Parteien, allesamt Mitglieder der Regierungskoalition der Sozialistischen Partei, öffentlich gegen die Entscheidung von Ministerpräsident Pedro Sanchez gestellt, Militärkräfte zu entsenden, um sich an der Aufstockung der NATO-Streitkräfte gegen Rußland zu beteiligen. Sie rufen zu einer Anti-Kriegs-Mobilisierung wie im Jahr 2003 auf, als die Regierung Aznar gestürzt wurde, weil sie Spaniens Militärkräfte für George Bushs Irakkrieg zur Verfügung gestellt hatte. Sogar die Existenz der NATO wird in Frage gestellt.

Auch in Deutschland melden sich immer mehr Stimmen zu Wort, die die Konfrontationshaltung gegenüber Rußland kritisieren und eine Neuauflage der Entspannungspolitik fordern. So veröffentlichte die Internetseite Welt-Trends eine Erklärung, die von rund 50 deutschen Sicherheitsexperten, Militärs und pensionierten Diplomaten unterzeichnet wurde.3 Sie fordern eine Wiederbelebung der Entspannungspolitik in der Tradition der Ostpolitik der 1970er Jahre und der Rüstungskontrollgespräche der 1990er Jahre. Sie zitieren die Architekten der berühmten „Ostpolitik“, die stets betont hätten, „daß gesamteuropäische Stabilität nicht ohne oder gegen Rußland, nicht ohne oder gegen Amerika erreicht werden kann“.

Insbesondere habe Egon Bahr auf einen fundamentalen Unterschied der Interessen Deutschlands und der USA hingewiesen: „Vielleicht mag man in Amerika glauben, Vorteile aus der fortdauernden inneren und äußeren Schwächung Rußlands zu gewinnen, solange nur das Chaos vermieden wird und der atomare Faktor kontrollierbar bleibt.“ Für Deutschland und die EU dagegen sei „ein Rußland vorzuziehen, das sich konsolidiert“. Westliche Konfrontationspolitik gegen Rußland liege also eher im Interesse der USA und des Bestrebens, das westliche Europa unter Kontrolle der USA zu halten, als im deutschen und europäischen Interesse. „Wir fordern daher von der neuen deutschen Bundesregierung eine Rückbesinnung auf die Eckpfeiler der Friedenspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr.“

Auch der prominente Sozialdemokrat Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Hamburger Bürgermeister und eine führende Figur in deutsch-russischen Dialogen, rief in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen Europa dazu auf, nicht länger einer unvernünftigen Politik der NATO zu folgen und stattdessen eine eigene deeskalierende Politik gegenüber Rußland zu betreiben.4

In ihrem Internetforum vom 28. Januar betonte Helga Zepp-LaRouche, daß die Kriegsgefahr weiter vorhanden ist. Man müsse feststellen, „daß die grundlegende Reaktion des Westens darin besteht, nicht auf die sehr legitimen Sicherheitsinteressen Rußlands einzugehen“. Die amerikanische Vernachlässigung der Sicherheitsinteressen Rußlands, aber auch der Sicherheitsinteressen europäischer Länder wie Deutschland und der wirtschaftlichen Interessen sei „so eklatant, daß die ganze Sache in einer völligen Gegenreaktion enden könnte“. Wenn die Vereinigten Staaten darauf bestünden, „der Hegemon zu sein und eine unipolare Welt aufrechtzuerhalten, und versuchen, dies gegen die Interessen der sogenannten Verbündeten durchzusetzen und eine offene Feindschaft mit den sogenannten Gegnern - nämlich Rußland und China - zu schaffen“, dann könne dies ganz anders enden, als es die Architekten der Konfrontation beabsichtigen. „Wir müssen also abwarten… Man muß zwischen dem Konfetti, das geworfen wird, und der Kernfrage unterscheiden. Und die Kernfrage ist, daß eine Lösung gefunden werden muß, die den grundlegenden Sicherheitsinteressen Rußlands Rechnung trägt, und das ist die Quintessenz.“

Raus aus der NATO - Für eine neue Sicherheitsarchitektur , hier unterschreiben.