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Kriegsgefahr: Am Rande des Abgrunds ist immer noch eine Lösung möglich!

von Alexander Hartmann

Denken Sie zurück an die Weltlage Anfang Oktober dieses Jahres – vor etwa vier Wochen: Der BRICS-Gipfel hatte Ende August stattgefunden und den Kristallisationskern für eine völlig neue Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur für den Planeten in Gang gesetzt. Mitte September fand das Östliche Wirtschaftsforum im russischen Wladiwostok statt, auf dem umfangreiche Projekte der wirtschaftlichen Zusammenarbeit die Bestrebungen für ein neues Wirtschaftssystem verfestigten.

Der Krieg in der Ukraine zog sich scheinbar endlos in die Länge, und London und Washington griffen angesichts des Fiaskos der ukrainischen „Gegenoffensive“ unter Einsatz moderner westlicher Waffen zu immer provokanteren ukrainischen Angriffen auf Rußland.

Am 7. Oktober verübten dann Hamas-Radikale einen blutigen Angriff auf den Süden Israels, nutzten dabei den überraschend laxen israelischen Grenzschutz, töteten schätzungsweise 1400 Israelis und nahmen mehr als 200 Menschen als Geiseln. Israel antwortete sofort mit einer gnadenlosen Bombenkampagne gegen Gaza.

Die Israelischen Streitkräfte (IDF) wiesen am 13. Oktober „alle Bewohner von Gaza-Stadt an, ihre Häuser zu evakuieren“ und „zu ihrem eigenen Schutz nach Süden zu ziehen“. Außerdem kündigten die IDF einen baldigen, umfassenden Bodenangriff gegen den Gazastreifen an. Sollte er durchgeführt werden, wird das mit ziemlicher Sicherheit eine politische und möglicherweise militärische Explosion in der gesamten muslimischen Welt – und darüber hinaus – auslösen. Beide Supermächte bereiten sich auf diesen Fall vor.

Am 10. Oktober traf der Flugzeugträger USS Gerald R. Ford mit Begleitschiffen im östlichen Mittelmeer vor der Küste Israels ein. Am 14. Oktober gab US-Verteidigungsminister Lloyd Austin bekannt, daß er die USS Dwight D. Eisenhower beauftragt habe, sich der Gerald R. Ford anzuschließen. Am 17. Oktober bestätigte das Pentagon, daß 2000 US-Soldaten für einen möglichen Einsatz im Nahen Osten in erhöhte Bereitschaft versetzt wurden. Am 18. Oktober schließlich brach das Kommandoschiff USS Mount Whitney mit dem Kommandanten der 6. Flotte, Vizeadmiral Thomas Ishee, und seinem Stab an Bord in das östliche Mittelmeer auf. Berichten zufolge laufen die Planungen für eine „Reaktion“ auf eine mögliche Beteiligung des Iran an den Kampfhandlungen.

Am 18. Oktober, während eines Besuchs in China zum Belt and Road Forum, verkündete Präsident Putin, daß er „die russischen Luft- und Weltraumkräfte angewiesen hat, in der neutralen Zone über dem Schwarzen Meer dauerhaft zu patrouillieren. Unsere MiG-31-Flugzeuge tragen die Kinschal-Systeme, die bekanntlich eine Reichweite von über 1000 Kilometern haben und Geschwindigkeiten von bis zu Mach 9 erreichen können.“

Am 25. Oktober gab der Kreml bekannt, daß Putin persönlich eine Übung der nuklearen Abschreckungsstreitkräfte des Landes geleitet habe. Verteidigungsminister Schoigu ergänzte, die Übung umfasse „die Aufgaben der Durchführung eines komplexen Nuklearschlags durch strategische Offensivkräfte als Reaktion auf einen feindlichen Nuklearschlag“.

Ebenfalls am 25. Oktober beschloß der russische Föderationsrat einstimmig, die Ratifizierung des Atomteststopp-Vertrags zurückzunehmen.

Kampf der Kulturen oder Dialog der Zivilisationen?

Am selben Tag traf sich Präsident Putin im Kreml mit acht der wichtigsten religiösen Führer Rußlands, die den christlichen, muslimischen, jüdischen und buddhistischen Glauben vertreten. Putin verurteilte den Terrorangriff der Hamas auf Israel, aber auch Israels skrupellose Reaktion, auf der Grundlage des „berüchtigten Prinzips der kollektiven Verantwortung“ den gesamten Gazastreifen zu zerstören. Putin richtete eine scharfe Warnung an die ganze Welt: „Eine weitere Eskalation der Krise birgt das Risiko ernster und extrem gefährlicher und zerstörerischer Konsequenzen, ... die weit über die Grenzen des Nahen Ostens hinausgehen können.“

Putin sprach aber auch tiefergehende kulturelle oder zivilisatorische Fragen an: „Wir sehen Versuche gewisser Kräfte, ... eine Welle des Chaos und des gegenseitigen Hasses nicht nur im Nahen Osten, sondern weit darüber hinaus auszulösen... Meiner Meinung nach zielen diese Aktionen eindeutig darauf ab, Instabilität in der Welt zu säen, Kulturen, Völker und Weltreligionen zu spalten und einen Kampf der Kulturen zu provozieren.“

Dieser „Kampf der Kulturen“ wird gemeinhin mit dem Harvard-Professor Samuel Huntington in Verbindung gebracht, gelegentlich aber auch mit der „Krisenbogen“-Doktrin des ehemaligen US-Sicherheitsberaters Zbigniew Brzezinski, die darauf abzielte, im Umfeld der damaligen Sowjetunion ethnische und religiöse Kriege zu provozieren, um sie zu isolieren und zu spalten. Das Konzept und der Begriff selbst wurden jedoch schon drei Jahre vor Huntington von dem britischen Geheimdienstler und Nahost-Spezialisten Bernard Lewis geprägt. Lewis diente nach dem Zweiten Weltkrieg im Nachrichtendienst der britischen Armee und später im Außenministerium. Das Grauen, das sich heute in Südwestasien abspielt, ist der Bernard-Lewis-Plan in Aktion: die bewußte Förderung von religiösem Zwist und Blutvergießen in der gesamten Region, um auf beiden Seiten maximale Barbarei hervorzubringen.

Man denke nur an die Bemerkung des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu im Jahr 2018: „Die Schwachen zerfallen, werden abgeschlachtet und aus der Geschichte getilgt, während die Starken überleben, im Guten wie im Schlechten.“

Oder man höre die Worte des IDF-Oberstleutnants a.D. Dr. Mordechai Kedar, der 25 Jahre im israelischen Militärgeheimdienst diente, gegenüber Sputnik: Medienberichte, wonach die IDF plane, die von Hamas gebauten Tunnel im Gazastreifen zu fluten, könne er zwar nicht bestätigen; aber das sei bestimmt billiger und effektiver, als viele Bomben abzuwerfen. „Es wird nicht so schwer sein, Wasser vom Meer in die Stadt strömen zu lassen. Sobald die Stadt mit Wasser bedeckt ist, ... werden alle Tunnel überflutet sein, und wer auch immer in diesen Tunneln ist, wird herauskommen oder für immer dort begraben sein.“ Zum Schaden eines solchen Vorgehens für die Zivilisten sagte er: „Ich glaube nicht, daß wir diesen Fragen so viel Aufmerksamkeit schenken müssen.“

Oder man höre die verzweifelte Stimme von Dr. Muhammed Kandeel, der im Nasser-Krankenhaus in Gaza arbeitet. Inmitten des Infernos von 1,4 Millionen vertriebenen Palästinensern – von 2,3 Millionen, die in Gaza leben –, abertausenden Toten und einem zusammenbrechenden Gesundheitssystem, das die Rettung von Menschenleben fast unmöglich macht, sagte Kandeel gegenüber CBS News: „Wir haben das Gefühl, daß wir nicht Teil der menschlichen Gemeinschaft sind. Wenn wir Untermenschen sind, sagt uns das, damit wir etwas dagegen tun können.“

Eine cusanische Lösung muß her!

Man fühlt sich an den schmerzerfüllten Eröffnungssatz in der Schrift De Pace Fidei (Über den Frieden im Glauben) des Nikolaus von Kues aus dem Jahr 1453 erinnert, einer wichtigen philosophischen Studie über die Prinzipien der kommenden Goldenen Renaissance:

„Bei der Eroberung Konstantinopels ließ kürzlich der Sultan der Türken die schlimmsten Grausamkeiten geschehen. Auf die Kunde davon entbrannte ein Mann, der jene Stätten aus eigener Anschauung kannte, zu einem solchen Eifer für Gott, daß er den Erschaffer des Alls unter inständigen Seufzern darum bat, Er möge in seiner Güte doch der Verfolgung Einhalt gebieten, die da wegen der Religionsverschiedenheiten im Ritus so außerordentlich wüte.”

    Aber erinnern wir uns auch an den nächsten Satz von Cusa:

    „Da tat sich dem davon Ergriffenen nach einigen Tagen – vielleicht weil er unaufhörlich darüber grübelte – eine Schau auf, der er dies entnahm: In einem kleineren Kreis von solchen Weisen, die aus eigener Erfahrung mit den Verschiedenheiten, wie sie zwischen den Religionen über den Erdkreis hin herrschen, vertraut sind, ließe sich auch eine irgendwie realisierbare Übereinstimmung finden, und so wäre im Religiösen ein ewiger Friede auf angemessenen und ehrlichen Wegen erreichbar.”

      Helga Zepp-LaRouche, die Gründerin des Schiller-Instituts und eine führende Cusanus-Forscherin, ist davon überzeugt, daß diese cusanische Methode des „Zusammenfalls der Gegensätze“ der einzige Ausweg aus der gegenwärtigen zivilisatorischen Krise ist. Sie schloß ihr wöchentliches Internetforum vom 25. Oktober mit dem folgenden Aufruf:

      „Wir befinden uns in extrem herausfordernden Zeiten, und es gibt viele Menschen, die sich ins Privatleben zurückziehen wollen und sagen: ,Daran will ich gar nicht denken, das ist zu schrecklich. Es bereitet mir schlaflose Nächte, also will ich nichts davon wissen.‘ Ich denke, das ist das Schlimmste... Wenn man sich eines großen Übels bewußt ist und nicht sein Bestes tut, um es zu beseitigen, macht das etwas mit einem – mit seiner Seele, seinem Verstand, seinem Wesen als Mensch. Und ich denke, wir haben es hier im Westen – und nicht nur dort – mit einer unglaublichen Verrohung der Gesellschaft, einem kulturellen Verfall, zu tun. Und wenn wir tolerieren, was gerade geschieht, werden wir einen Schritt weiter in eine Katastrophe geraten, von der wir uns vielleicht nicht mehr erholen.”

        Zepp-LaRouche fuhr fort: „Stattdessen sollten wir etwas tun, was erhebt, wie klassische Musik. Wir sollten viele klassische Konzerte veranstalten. Wenn man Gebete organisieren will, ist das auch sehr gut – alles, was die Seele erhebt und die Menschen zu besseren Menschen macht. Denn noch nie stand die Zivilisation so sehr vor der Frage, wohin wir uns wenden wollen, vor der Frage, wie moralisch die Menschen sind, wie sehr sie sich um die Menschheit bemühen. Und gerade jetzt geht es bei der Frage der ästhetischen Erziehung, bei dem Versuch, bessere Menschen zu sein als gestern, in Wirklichkeit darum, eine Kraft der Menschlichkeit zu entfalten, denn nur die kann den Militärisch-Industriellen Komplex besiegen. Es mag wie Utopie klingen, aber ich bin fest davon überzeugt, daß die Schönheit der menschlichen Seele stärker ist als das Böse des militärischen Profits und der Kriegstreiberei. Aber man muß auch nach dieser Einsicht handeln.“