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„Die Krise kommt erst jetzt bei den Kommunen an.“

Interview. Die Stadt Zschopau, südlich von Chemnitz
gelegen, ist typisch für die wirtschaftliche Situation in den Städten
und Gemeinden. Seit 1989, nachdem ein Großteil der produktiven
Arbeitplätze vernichtet wurde, ist die Einwohnerzahl um 35%
zurückgegangen. Marcus Kührt von der BüSo Sachsen sprach mit
Oberbürgermeister Klaus Baumann.

Marcus Kührt: Herr Baumann, Sie sind jetzt seit 16
Jahren Bürgermeister der schönen Stadt Zschopau. Was halten Sie von den
Berichten in den Medien, daß es einen Riesenaufschwung gäbe in Deutschland, den
größten seit der Wiedervereinigung? Denn die tatsächliche Lage in den Ländern,
Gemeinden und Kommunen ist eigentlich eine ganz andere. Herr Baumann, können
Sie zu diesem Thema vielleicht ein bißchen Aufklärung geben?

OB Klaus Baumann: Das kann ich sehr gern. Ich weiß
nicht, wer solche Meldungen erfindet, daß es einen Aufschwung gibt. Die Krise
kommt erst jetzt bei den Kommunen an. Also das, was da gesagt wird, ist
sicherlich schöngeredet.

Wenn wir davon ausgehen, daß unsere Stadt im Jahre 2011 eine
investive Schlüsselzuweisung - das bedeutet, die Mittel, die wir vom Freistaat
Sachsen bekommen, um investieren zu können - von nur noch 17% gegenüber dem
Jahr 2010 bekommen, und im Jahr darauf nur noch 10% des Jahres 2010, dann kann
ich nicht von Aufschwung sprechen, denn das ist eindeutig ein ganz, ganz
prägnanter Abschwung und bedeutet auch für die örtliche Wirtschaft: keine
Aufträge aus der Kommune.

Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen wird der Weggang
der jungen Leuten nicht zu bremsen sein, denn es fehlen einfach die
entsprechenden Arbeitsplatzangebote im Osten, speziell auch hier in Sachsen.
Wir haben uns als Stadt selbst am Projekt Demographie des Freistaates Sachsen
beteiligt und suchen hier nach Alternativen, um Jugendliche hier zu behalten.
Aber es scheitert eindeutig am Angebot an Arbeitsplätzen, und demzufolge - gut,
es wird sicherlich keine, das ist ein bißchen drastisch ausgedrückt,
Geisterstädte geben -, aber wir werden im Anteil der älteren Bevölkerung über
fünfzig, sechzig, siebzig Jahre eindeutig steigen, und das bedeutet, daß sich
eine Kommune infrastrukturell damit befassen muß. Aber wenn nicht eindeutig
Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Arbeitsplätze für junge Leute hier
anbieten, dann wird diese Entwicklung hier so weitergehen.

Kührt: Laut dem deutschen Institut für Urbanistik ist
ein Rückstau von Investitionen in der Infrastruktur der Kommunen von 700 Mrd.
vorhanden. Wie wirkt sich das konkret aus?

[i]Baumann[/i]: Also die Angaben sind sicherlich korrekt,
und als Kommune versucht man zwar, im kommunalen Eigentum entsprechend zu
investieren, aber es gibt ja nicht nur rein kommunales Eigentum, sondern mein
Hobby sind immer Straßen, und wenn ich gerade in unserem Bereich, Kreisstraßen
und Staatsstraßen anschaue: die sind katastrophal, und es werden keine Mittel
bereitgestellt, um an diesen Straßen in naher Zukunft irgend etwas zu tun, und
sie werden von Jahr zu Jahr schlechter. Diese Straßen führen über Brücken, die
sind genauso schlecht.

Also ich sag immer: Das Herzstück einer Infrastruktur eines
Staates sind erstmal die Straßen, denn darauf bewegt sich alles, der gesamte
Transport, und wenn die nicht in Ordnung sind, dann klappt das mit der
Wirtschaft nicht, dann ist der Bürger unzufrieden, denn jeder fährt fast
täglich mit den PKW über kaputte Straßen. Wenn da nichts getan wird, dann sinkt
ganz einfach die Lebensqualität.

Kührt: Werden Straßen geschlossen werden müssen?

Baumann: Es ist durchaus möglich, daß ich in Zschopau
im nächsten oder übernächsten Jahr eine Straße sperren lassen muß. So schlimm
wird’s.

Kührt: Obwohl bereits 80% der deutschen Gesetzgebung
von Brüssel bestimmt werden, will die EU-Kommission nach dem gigantischen
Rettungsschirm sogar die Haushaltspolitik entscheiden. Welche Rolle spielt die
EU bei den Kommunen?

Baumann: Also, ich sag es mal so, für mich als
Bürgermeister einer kleinen erzgebirgischen Kleinstadt ist der gesamte
Gesetzesdschungel, der aus Brüssel kommt, sowieso nicht durchschaubar. Viele betreffen
mich nicht, sondern werden nur für die große Politik gemacht.

Das, was ich eigentlich nur von der EU nutzen kann, sind
mögliche Fördergelder, die im kommunalen Bereich angesiedelt sind. Dort habe
ich Antragsfluten zu bewältigen, die gehen bis hin zu ganzen dreibändigen
Werken, die ich dann nach Brüssel schicken muß, die Bearbeitungsfrist dauert
ein bis zwei Jahre. Wir als Kommunen haben von Brüssel überhaupt nichts.

Kührt: Die Zentralbanken Amerikas und Europas
erzeugen durch ihre ungebremste Geldausweitung zur „Rettung“ der Banken eine
Hyperinflation auf Weltmaßstab. Was soll man davon halten?

Baumann: Völlig falsche Entwicklung. Also ich bin
auch ein Verfechter des Trennbankensystems und glasklarer Investitionen in die
Wirtschaft mit günstigen Bedingungen, damit dort wirklich ein Aufschwung
realisiert werden kann. Den restlichen Banken, den Investmentbanken, das
Spielgeld wegnehmen, damit sie dort nicht mehr zocken können, und daß auch
niemand mehr nachschießen muß: Da müssen ganz konkrete, harte Gesetze ran, und
die Leute müssen ins Gefängnis gesteckt werden, das ist meine Meinung, die
solche Verbrechen an der Menschheit begehen und einfach nur Gelddruckmaschinen
sind. Das muß weg, und ich bin sogar bereit, zu sagen: Diese Investmentbanken
müssen dann unter staatliche Kontrolle gestellt werden. Es kann nicht sein, daß
ein Bankensystem die Wirtschaft einen Staates kontrolliert, denn Banker sind
nicht auf das Wohl der Bürger bedacht, sondern auf ihr eigenes Wohl, auf ihre
eigene Brieftasche, auf ihren eigenen Profit. Das muß konsequent bekämpft
werden.

Kührt: Welche Bedeutung haben große
Infrastrukturprojekte wie das in den USA anlaufende NAWAPA-Projekt und die
Eurasische Landbrücke, wodurch nicht nur Millionen von Arbeitsplätzen, sondern
ganze Biosysteme geschaffen werden?

Baumann: Ich bin dafür. Jedes Projekt, jedes
Großprojekt, was Arbeitsplätze schaffen könnte und Wohlstand für die
Bevölkerung, muß ganz einfach durchgeführt werden. Für mich erschließt sich
momentan nur noch nicht die Möglichkeit der Finanzierung für dieses Projekt.
Dort müßte sicherlich noch ein großer Kampf geführt werden, um auch die
Finanzierbarkeit entsprechend durchzuorganisieren. Ansonsten sollte jedes
Projekt, überall auf der Welt, was Arbeitsplatze schafft, durchgeführt werden.

Genau das gleiche könnte ich mir in Asien über diese
Landbrücke vorstellen. Alles, was Arbeitsplätze schafft, ich wiederhole mich
da, würde ich sehr begrüßen, nur die Finanzierung müßte gesichert werden,
natürlich über die entsprechenden Regierungen der beteiligten Staaten, das ist
völlig richtig.

Das würde nachhaltig und dauerhaft auch für die bisher noch
nicht erschlossenen Regionen in diesem Teil der Welt - also sprich Sibirien
hauptsächlich und natürlich auch anschließend Alaska - entsprechend Aufschwung
bringen und natürlich in die benachbarten Regionen ausstrahlen. Es klingt
gewaltig, aber es ist zu bewältigen.

Was Sachsen betrifft, bin ich der Auffassung, ob es jetzt
eine Magnetschwebebahn ist oder ein anderes Verkehrssystem: Diese Erschließung
muß unbedingt erfolgen, die Verkehrswege müssen noch weiter ausgebaut werden,
nicht extensiv, sondern intensiv, also sprich: die vorhandenen Schienenwege,
die da sind, weiter intensiv nutzen, parallele Dinge entsprechend mit auch
Verlagerung von der Straße auf die Schiene, dort ist auch eine große
Investition notwendig. Eine weitere Vernetzung von Bevölkerungsakkumulationen:
Das ist die Zukunft, und da wird kein Weg dran vorbeiführen. Das muß auch in
Sachsen passieren.

Kührt: Wenn die derzeitige Perspektivlosigkeit, die
besonders die Jugend trifft, durch neue Möglichkeiten für gute Arbeitsplätze
und einen Wirtschaftsbau abgelöst wird, welche Verbesserungen müssen dann im
Bereich der Kultur unternommen werden?

Baumann: Wir müssen einfach auch über die Schule -
und das ist der Appell, den ich auch an unsere Kulturminister richte - einfach
über die Schule versuchen, unsere Kinder und Jugendlichen noch besser und noch
mehr aufs Leben vorzubereiten und dort entsprechend Kultur mit zu integrieren.
Klar, wenn ich ein Elternhaus habe, was nicht viel Geld zur Verfügung hat, dann
wird das Kind, von kulturellen Angeboten sicherlich wenig haben.

Kührt: Die Wirtschaftskrise hat direkt Effekte auf
die…

Baumann: …Natürlich, natürlich. Aber wir müssen eins
versuchen, über die Dinge, die jetzt Stand der Technik sind - die Jugend sitzt
vor Computern, sitzt vorm Fernseher: Dort müssen wir versuchen, sie Schritt für
Schritt wieder an die Kultur heranzuführen, damit sie dann vielleicht im jungen
Erwachsenalter - früher, denke ich, wird es wenig Sinn machen - im frühen
Erwachsenalter schon wieder in die Richtung auch kultureller Betätigung gehen
und sich auch wieder intensiv mit tiefgründiger Kultur befassen - ich will das
jetzt mal so bezeichnen. Ich bin mir sicher, ich könnte jetzt ein Orgelkonzert
in der Kirche machen, und lade alle Jugendlichen ein, auf freiwilliger Basis,
da sind von den jugendlichen Schülern in Zschopau vielleicht nur 20 oder 30
dort, und nicht 700.

Wir müssen uns Methoden ausdenken, um dieses Annähern an unsere
Kultur wieder zu fördern.

Kührt: Vielen Dank, Herr Baumann.