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Ein Leuchtturm der Hoffnung in finsteren Zeiten: 25 Jahre West-Eastern Divan Orchestra

Am 15. April 2024 fand in Berlin das Jubiläumskonzert zum 25. Bestehen des West-Eastern Divan Orchestra statt. In der ausverkauften Philharmonie wurde Felix Mendelssohn Bartholdys berühmtes Violinkonzert e-moll (op. 64) und Anton Bruckners Symphonie Nr. 4 Es-Dur (in der Fassung 1878/80) unter der Leitung von Daniel Barenboim gespielt. Solist in Mendelssohns Violinkonzert war Yamen Saadi aus Ramallah, der seit seinem 11. Lebensjahr im West-Eastern Divan Orchestra spielt und seit zwei Jahren Konzertmeister des Orchesters der Wiener Staatsoper ist.

Dirigent, Solist und Orchestermusiker wurden von den Zuhörern begeistert gefeiert - für ihre großartige Darbietung des schönen und anspruchsvollen Programms und ihr persönliches Beispiel, trotz der aktuellen Zuspitzung im Nahen Osten gemeinsam für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit einzutreten.

1999 hatte Daniel Barenboim mit dem 2003 verstorbenen palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward W. Said in Weimar den West-Eastern Divan Workshop gegründet, aus dem das gleichnamige Orchester entstand, um jungen Menschen durch gemeinsames Musizieren und Zusammenleben einen Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen des Nahen Ostens zu ermöglichen. In Proben, Vorträgen und Diskussionen, zu denen die Mitglieder des Orchesters jährlich zusammenkommen, werden internationale Konzerttourneen vorbereitet. Namensgeber für das aus gleichen Teilen aus israelischen und arabischen Musikern und einigen spanischen, türkischen und iranischen Mitgliedern bestehendem Orchester ist Goethes Gedichtsammlung West-Östlicher Diwan.

Nichts ist besser geeignet, den Funken der menschlichen Kreativität zu entfachen, der in jedem Menschen schlummert und ihn damit in die Lage zu versetzen, auch scheinbar völlig unlösbare Probleme zu überkommen, als eben die schöne Kunst. Es ist das Prinzip der „Ästhetischen Erziehung des Menschen“, die den Menschen wahrhaft frei machen kann, wie Friedrich Schiller schrieb.

In der Selbstdarstellung des Orchesters heißt es: „...Musik gibt jeder einzelnen Person das Recht und die Verpflichtung, sich selbst vollständig auszudrücken und dabei auch dem Gegenüber Gehör zu schenken. Auf der Grundlage dieser Auffassung von Gleichheit, Zusammenarbeit und Gerechtigkeit stellt das Orchester ein alternatives Modell zur aktuellen Situation im Nahen Osten dar und beweist immer wieder, dass Musik Brücken bauen und Barrieren beseitigen kann, die zuvor als unüberwindlich galten. ...“

Hoffnung und Schönheit mit der Welt versöhnen

Daß es sich bei der Orchestergründung nie um eine abgehobenes, rein schöngeistiges Projekt handelte, sondern um eine andauernde leidenschaftliche, verantwortungsvolle Intervention, die akut bedrohte menschliche Zivilisation vor der Barbarei zu bewahren, wird aus Daniel Barenboims und Mariam Saids Beitrag zum 25jährigen Jubiläum deutlich:

"...Zweieinhalb Jahrzehnte nach der Gründung des West-Eastern Divan Orchestra blicken wir zurück auf das Vermächtnis dieses Orchesters und voraus auf sein Versprechen in die Zukunft.
Wir erinnern uns an viele wichtige Momente, von dem denkwürdigen Konzert in Ramallah 2005 über den Auftritt in der UN-Generalversammlung und die Auszeichnung als Global Advocate for Cultural Understanding bis zu Konzerten für Papst Benedikt XVI im Jahr 2012 und beim World Humanitarian Summit der UN in Istanbul 2016. großartige musikalische Erlebnisse. Wir denken zurück an die ungemein erfolgreichen Tourneen des West-Eastern Divan Orchestra, Standing Ovations in den bedeutendsten Konzertsälen der Welt und zahllose großartige musikalische Erlebnisse. Wir sind dankbar, dass hunderte von talentierten Künstler:innen uns ihre Musikalität und Leidenschaft für unsere Mission geschenkt haben.

Doch unsere Arbeit ist noch nicht abgeschlossen, und wir begehen dieses Jubiläum nur schweren Herzens. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Situation im Nahen Osten immer weiter eskaliert, und eine gerechte und friedliche Lösung scheint weiter entfernt denn je. Während Israelis noch immer um die Toten des 7. Oktober 2023 trauern und um das Schicksal derer bangen, die sich weiter in Gefangenschaft befinden, sind mehr als 33.000 Palästinener:innen getötet worden, und über eine Million Menschen in Gaza, darunter Frauen und Kinder, sehen sich Hunger und Vertreibung ausgesetzt. Wie können wir angesichts solch entsetzlicher Gewalt an unserer Vision von Gerechtigkeit und Gleichheit festhalten?

Das West-Eastern Divan Orchestra hat nie den Anspruch erhoben, ein 'Orchester für den Frieden' zu sein, als das es von anderen oft bezeichnet worden ist. Es entstand als Projekt gegen Ignoranz, das Menschen ermutigen sollte, ihr Gegenüber kennenzulernen und zu verstehen, was der oder die Andere denkt und fühlt. Der Geist der Musik, der die Mission des Orchesters trägt, sei 'weder ein sentimentales Allheilmittel noch eine einfache Lösung' für die Probleme unserer zerrissenen Welt, schrieb Edward [Said] 1999. Die Botschaft ist dennoch klar und deutlich: Humanismus 'ist die letzte Verteidigungslinie, die wir haben, um uns gegen die unmenschlichen Praktiken und die Ungerechtigkeiten zu wehren, die unsere Menschheitsgeschichte verunstalten.'

Unser Orchester ist seit vielen Jahren ein Leuchtturm der Hoffnung, und durch den unermüdlichen Einsatz seiner Mitglieder wurde es zu der Institution von Weltrang, als die es heute dasteht. Nun ist es an uns, diese Hoffnung und Schönheit mit einer Welt zu versöhnen, die manchmal hoffnungslos erscheint. An diesem besonderen Tag reflektieren wir die Rolle dieser Institution in der künftigen Welt und beginnen, all das neu zu formulieren, das uns nicht länger nützt. Antworten haben wir heute keine, aber den Willen, wichtige Fragen zu stellen – und vor allem die Ehre, zusammen mit Ihnen einen Abend wundervoller Musik zu verbringen.

Und während wir uns alle etwas Zeit zum Zuhören nehmen, geben wir das Recht nicht auf, auf eine Zukunft zu hoffen, wie sie vor 25 Jahren in Weimar so mutig erdacht wurde.“

In diesem Sinne ist das West-Eastern Divan Orchestra eine Inspiration für den Geist, den wir alle heute brauchen.

Elke Fimmen

Weitere Informationen: daniel-barenboim-stiftung.org