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Die nächsten 50 Jahre der Erde

[title]Die nächsten 50 Jahre der Erde[/title]

[author]von Lyndon LaRouche[/author]

[subhead]Einleitung[/subhead] Dieser ziemlich umfangreiche Bericht ist notwendig geworden, weil es jetzt dringlich ist, sich mit einer kaum verstandenen, aber nahen Gefahr für unsere Zivilisation zu befassen. Ich möchte damit dem Mangel abhelfen, daß gewisse wichtige, möglicherweise fatale Folgen der gegenwärtig wahrscheinlich fruchtlosen Bemühungen um einen notwendigen Dialog der Kulturen im allgemeinen nicht erkannt werden. Dieser Dialog wird höchstwahrscheinlich scheitern, mit katastrophalen Folgen für die Menschheit, wenn man nicht auf gewisse falsche, aber derzeit gängige Vorstellungen über diesen Dialog hinweist und einige dieser Irrtümer unter mühsamer Kleinarbeit berichtigt, so wie ich dies hier unternehme.

Wir wollen in dieser Schrift folgendermaßen vorgehen: Erst beschreiben wir, worin diese tödliche Gefahr für die Weltzivilisation besteht und wo sie herkommt, und anschließend betrachten wir kritisch die Irrtümer und Chancen des Dialogs der Kulturen, wie er heute angestrebt wird, als mögliche Abhilfe gegen die Gefahr.

Man darf allerdings diesen Dialog nicht auf Vertreter der weitgehend gescheiterten Generation beschränken, die in den letzten vier Jahrzehnten die Welt und ihre Nationen immer mehr in den tödlichen kulturellen Sumpf, in dem wir heute stecken, hineingezogen hat. Wir würden unser Ziel verfehlen, wenn wir nicht auch das sagen, was besonders der heutigen jungen Erwachsenengeneration, der wir unausgesprochen die Zukunft der Menschheit anvertrauen, gesagt werden muß. Wir müssen dieser jungen Erwachsenengeneration der 18-25jährigen alles sagen, was sie wissen muß. Alles, was wir sagen, geschieht vor dieser jungen Erwachsenengeneration, in deren Hände wir es legen, die Lösung des drohenden Problems in die Tat umzusetzen.

Leider herrscht in den Bemühungen um einen Dialog der Kulturen, wie sie heute üblich sind, ein Hang zu Allgemeinplätzen und Sentimentalitäten. Man drückt sich vor dem unangenehmen konkreten Wer, Wie, Was, Wann und Wo bestimmter problematischer Diskussionen, die mancher lieber meidet, als sie zu lösen. Man geht dann aus übertriebener Höflichkeit nicht nur der notwendigen Auseinandersetzung mit Fragen der "Persönlichkeit" aus dem Weg, es fehlt auch die nötige Präzision bei der Definition konkreter Lösungen für Probleme, die offen angesprochen werden müssen, wenn man auf Dauer Fortschritte erzielen will. Die heutige Lage erfordert dringend konkrete Lösungen, auch wenn diese manchmal umstritten sind. Manchmal führt der Weg zum Sieg über steiles Gelände.

Ich werde nun dementsprechend verfahren.

Die akute Krise, die einen Dialog der Kulturen dringend erforderlich macht, kann und muß anhand einiger konkreter und zuweilen ruppiger Feststellungen genau festgemacht werden - etwa wie folgt.

Die Zöglinge des verstorbenen Harvard-Professors William Yandell Elliot, Zbigniew Brzezinski und Samuel Huntington, haben - oft in Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Leiter des britischen Arabien-Büros Bernard Lewis - Pläne ausgearbeitet, um ein faschistisches anglo-amerikanisches Weltreich als moderne Kopie des Römischen Reiches zu errichten. Sie und andere betreiben eine solche "Globalisierung" als Fortsetzung von Huntingtons Entwurf in seinem romanesken [i]Der Soldat und der Staat[/i], der auf ein internationales faschistisches SS-System hinausläuft, auch wenn er dies wenig glaubhaft abstreitet. Zu seinem fragwürdigen Repertoire gehören [i]Die Krise der Demokratie[/i], das zur Gründung der wortverdreherischen Einrichtungen "Projekt Demokratie" und "National Endowment for Democracy" beitrug sowie sein Leitfaden für weltweiten Religionskrieg [i]Kampf der Kulturen[/i].[footnote]Samuel P. Huntington, [i]Der Soldat und der Staat[/i] (The Soldier and the State, 1957), [i]Kampf der Kulturen[/i] (The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order, 1996).[/footnote] Die entsprechenden außenpolitischen Schriften und Machenschaften des Gründers der Trilateralen Kommission Brzezinski entsprechen in ihren Zielen und ihrem Hang zum Bösartigen ganz denen seines langjährigen Kumpans Huntington.[footnote]Mit seinen gegenwärtigen Machenschaften, beispielsweise aus dem Nordkaukasus heraus in die Ukraine, behält Brzezinski die Rolle, die er als Nationaler Sicherheitsberater der Regierung Carter spielte, als er den Krieg gegen den, wie er es nannte, "weichen Unterleib" der Sowjetunion in Afghanistan in Gang setzte. Diese Operation und der stark vermehrte internationale Rauschgifthandel, der als Teil ihrer logistischen Basis entstand, geht heute weiter mit dem Versuch, die Ukraine und Rußland durch Terroroperationen aus dem Nordkaukasus zu zerstören. Man könnte Brzezinski einen Wahnsinnigen nennen, aber Wahnsinn mindert nicht die Bedrohung der Zivilisation durch solche durch und durch verrückten römischen Kaiser wie Caligula oder Nero.[/footnote]

Viele glauben [i]fälschlich[/i], die Pläne für eine teils neuartige, weltweite, neofeudale [i]ultramontane Tyrannei[/i] kämen aus Amerika. So wie das britische Arabien-Büro eine Rippe aus dem imperialen Indien-Büro der Briten war, so entstammen die teuflischen Spielchen dieses Pärchens und ihrer Komplizen in Wirklichkeit der Tradition des Pariser Vertrags vom Februar 1763, mit dem das britische Empire geschaffen wurde. Dem Dienst dieses Imperiums hat der Altmeister der Bande von Oberdrückebergern um Brzezinski und Huntington, der rassistische Nashville-Agrarier und Harvard-Professor Elliott, sein Lebenswerk gewidmet. Es ist das Empire, gegen das der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg geführt wurde und das mehrfach versucht hat, die Vereinigten Staaten zu zerstören, meist entweder gewaltsam oder durch Unterwanderung in der Art von Professor Elliott und seiner Mannschaft.[footnote]Man sollte nicht vergessen, daß die Konföderierten Staaten von Amerika durch eine Unternehmung von Jeremy Bentham vom britischen Außenamt und seinem wichtigsten Schützling Lord Palmerston entstanden. Den Kern der entstehenden Konföderation bildete das Junge Amerika, eine Unterabteilung des Jungen Europa von Palmerstons Spion Giuseppe Mazzini. Der spätere Präsident Theodore Roosevelt erhielt seine Ausbildung bei seinem Onkel, dem Leiter des Nachrichtendienstes der Konföderation, dessen Hauptsitz in London war, und Präsident Woodrow Wilson, ein Anhänger des britischen Liberalismus, war ein in der Wolle gefärbter Befürworter des Ku-Klux-Klans, welcher während seiner Amtszeit mit seiner tatkräftigen Unterstützung wiederbelebt wurde. Die Nashville-Agrarier, zu deren Führung der Harvard-Professor Elliot gehörte, wurden in den 20er Jahren im wesentlichen von einem Kreis von Enkeln der Väter des ursprünglichen Ku-Klux-Klans gegründet.[/footnote]

Der gleiche böse Grundzug wie bei Bzrezinski und Huntington findet man z.B. im Werk der ehemaligen US-Außenministerin und Brzezinski-Freundin Madeleine Albright, samt ihren Komplizen wie Richard Holbrooke, die in ihrer Amtszeit im Balkankrieg die Rezeptur für ein "neues finsteres Zeitalter" umsetzte. Ironischerweise hat sie zur gleichen Zeit als Außenministerin in einer Rede in New York nicht nur zugegeben, sondern sich sogar damit gebrüstet, sie und ihr Vater seien Anhänger des faschistischen britisch-imperialen Utopismus des Gesinnungsgenossen des Amerikahassers Bertrand Russell, H.G. Wells.[footnote]Rede von Außenministerin Madeleine Albright vor dem Institute of International Education in New York City, 14. Oktober 1999. Siehe H.G. Wells [i]Die offene Verschwörung[/i] (1928). Abraham Lincolns Sieg veranlaßte die Briten, ihre frühere Absichten eines direkten militärischen Angriffs auf das US-amerikanische Festland aufzugeben - einmal abgesehen von dem britisch-japanischen Plan aus den frühen 20er Jahren für einen japanischen Angriff auf Pearl Harbor - und sich stattdessen auf Unterwanderung der Art zu verlegen, wie sie die Lehren von Bertrand Russell, H.G. Wells oder Professor Elliot verkörpern.[/footnote]

Wenn ich dieser Mannschaft soviel Bedeutung zumesse, ist das keine Haarspalterei. Genauso wie es sich der Harvard-Professor für Politische Wissenschaften Elliott und ähnliche Leute zur Lebensaufgabe machten, die Vereinigten Staaten im Hobbesschen Magen eines künftigen britisch-imperialen Commonwealth aufzulösen, so war und ist es die erklärte Absicht Brzezinskis, Huntingtons und anderer bei allem, was sie tun, den Nationalstaat als solchen von der Erde zu vertilgen - die USA eingeschlossen. All dies und noch viel mehr tun sie für eine moderne Kopie einer imperialen Weltordnung, wie sie Lord Shelburnes Lakai Gibbon in seinem [i]Aufstieg und Fall des Römischen Reiches[/i] entwarf.

Diese imperialen Absichten äußern sich heute in dem Versuch einer Rückkehr zu einer imperialen Ordnung nach dem Vorbild des [i]ultramontanen[/i] Systems im mittelalterlichen Europa, das in der jahrhundertelangen Partnerschaft der herrschenden Finanzoligarchie Venedigs mit der für die Kreuzzüge berüchtigten normannischen Ritterschaft wurzelte. Eine solche Weltordnung zeigte sich auch bei dem Vorstoß des spanischen Großinquisitors Tom?s de Torquemada zur Erneuerung des ultramontanen Systems im Jahr 1492 - dem Vorbild für Hitlers Judenverfolgung und für die nachfolgenden Religionskriege in ganz Europa. Dies alles sollte den in der Renaissance gerade geborenen neuzeitlichen europäischen Nationalstaat in der Wiege ersticken. Dieser ultramontane Imperialismus zeigt sich heute im Vorstoß zur "Globalisierung" - einer gegen die Vereinigten Staaten gerichteten imperialistischen Doktrin, mit der die Tradition des Westfälischen Friedens von 1648 ausgelöscht werden soll.[footnote]Dafür stehen auch Lynne Cheneys Verbindungen zum britischen liberalen Imperialismus; sie erinnert an Mary Wollstonecraft Shelley, weil sie ihrerseits ihr kaugummikauendes Frankensteinmonster, ihren fanatisch imperialistischen und neokonservativen Golem, Vizepräsident Dick Cheney, sozusagen aus dem Schlamm eines Fußballfeldes erschuf.[/footnote] Führende Kreise, die dies vertreten, sollten es nach ihren Erfahrungen mit Adolf Hitlers Unternehmungen eigentlich besser wissen.

Wie die immer noch relevanten Schriften des Martinisten und Freimaurers Graf Joseph de Maistre verdeutlichen - sozusagen der Erfinder des räuberischeren gallischen Tyrannen und Romantikers Napoleon Bonaparte[footnote]Siehe [i]The Children of Satan[/i], LaRouchePAC, 2004 (deutsche Übersetzung: [i]Die Wiederkehr der Barbarei[/i], Wiesbaden 2004, ISDN 3-925725-49-0). Die Ähnlichkeiten der Gallikanischen Kirche des Kaisers Napoleon Bonaparte zu der des "Sonnenkönigs" Ludwig XIV. sind Bestandteil eines bis heute immer wiederkehrenden romantischen, gewissermaßen "Fronde-artigen" verderblichen Zuges in der französischen Kultur.[/footnote] - , ist das Torquemada-Modell der Ursprung des Faschismus der Neuzeit, wie man ihn mit Benito Mussolini oder Adolf Hitler verbindet. Das ist die Tradition der neuen Imperialisten wie Elliott, Huntington und Brzezinski.

Im Zuge des Kampfes gegen das Übel des Religionskriegs, wie ihn Brzezinski, Huntington und andere verbreiten wollen, unternehmen die Gegner ihrer Pläne wie Papst Johannes Paul II. neue Anstrengungen für eine wahrhaft [i]agapische[/i] ökumenische Brüderlichkeit der großen Weltreligionen. Sie erneuern damit die Bemühungen führender Köpfe der Katholischen Kirche wie Kardinal Nikolaus von Kues während der Renaissance in Europa im 15. Jh.[footnote]Siehe Nikolaus von Kues, [i]De pace fidei[/i]. Die Agape, von der Sokrates in Platons [i]Staat[/i] spricht, ist dieselbe Agape wie die des christlichen Apostels Paulus in seinem Brief an die Korinther (1. Korinther 13) und wie die des Verfassungsprinzips des Leibnizschen "Strebens nach Glück" in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung sowie der Präambel der Verfassung der USA von 1787-89.[/footnote] Andere haben die Aufgabe in "Dialog der Kulturen" umbenannt, aber der andere Fachausdruck bedeutet eigentlich für die europäische Politik nichts Neues, außer einer größeren Reichweite: Es zwingt den Dialog nur zurück zu derselben Kategorie wie des Cusaners alter Vorschlag zu einem "Frieden im Glauben" zwischen Christen, Juden und Muslimen, wenn auch auf breiterer Grundlage.[footnote][i]De pace fidei[/i] von Nikolaus von Kues steht in Einklang mit seinem europaweiten Eintreten für Ozeanfahrten über den Atlantik und in den Indischen Ozean. Das Werk des Cusaners und seiner unmittelbaren Mitarbeiter regte Christopher Kolumbus zu seinem Plan zur Wiederentdeckung Amerikas an. U.a. deswegen haßt ihn die venezianische Oligarchie bis zum heutigen Tag, wie die Schriften des Francesco Zorzi, des venezianischen Eheberaters Heinrichs VIII., belegen.[/footnote]

Man versteht besser, was die ökumenischen Bemühungen der führenden Köpfe der europäischen Renaissance für die heutige Auseinandersetzung bedeuten, wenn man besonders betont, wie Großinquisitor Torquemada gegen die Ökumene der christlichen Kirche eines Cusanus aus der Mitte des 15. Jh. blutig vorgegangen ist.

Torquemada stand für Rassenhaß als weltanschauliche Waffe, wie dies auch Huntington usw. schüren, was typisch sowohl für das alte Römische Reich als auch für den mittelalterlichen Ultramontanismus der venezianischen Finanzoligarchie und normannischen Ritter mit den Kreuzzügen war. Mit der Ausweisung der Juden aus Spanien 1492 entfesselte Torquemada eine Zeit der Religionskriege; die nachfolgenden religiösen Bruderkriege gegen die Einrichtung des neuzeitlichen souveränen Nationalstaats beherrschten den gesamten Zeitraum von 1511 bis zum Westfälischen Frieden 1648. Heute bildet dies wiederum die Grundlage der Absicht, das Erbe des Westfälischen Friedens auszurotten; praktisch ist es der Drang zu einem faschistischen Weltreich, wie er sich in den Thesen eines Brzezinski oder Huntington ausdrückt. Der gegenwärtige Feldzug für die "Globalisierung", gegen die Ordnung des Westfälischen Friedens, ist der kulturelle Ausdruck davon, daß die Welt in ein neues finsteres Zeitalter abzugleiten droht.

 

 

[subhead]Die gegenwärtige Lage[/subhead]  

Es gibt nur einen Weg, wie die Mitglieder eines Konzerts nationaler Kulturen beurteilen können, in welche Zukunft die jeweils vorgeschlagenen Impulse führen würden. Sie wären verpflichtet, zu verfolgen und zu beurteilen, welche der weltweiten qualitativen Veränderungen durch diese Impulse neuartige mörderische Konflikte heraufbeschwören, die man doch gerade verhindern wollte. Es stellt sich also die Frage: Wie müssen wir unter Berücksichtigung dieser Überlegungen die gemeinsamen Ansichten beurteilen und verändern?

Man müßte sich dann beispielsweise vorstellen: Was wäre das reale Ergebnis nach einer Testphase von schätzungsweise zwei Generationen oder länger - von der Geburt eines Kindes heute bis zur Geburt von dessen Enkelkind. Unter den jetzigen Bedingungen gäbe es wahrscheinlich in jeder ökumenischen Übereinkunft zwischen Nationen, auf die sich heute bestehende Institutionen einigen würden, einige Dinge, die zukünftige Generationen aus guten Gründen verfluchen würden.

Das war beispielsweise das ungewollte Ergebnis, als man einen Völkerbund gründete: Der Völkerbund hatte sich in weniger als einer Generation gründlich diskreditiert und trug sogar maßgeblich dazu bei, daß es zum Zweiten Weltkrieg kam. Ähnliches gilt für die Arbeit der UNO, der Vereinten Nationen, die zwar wesentlich nützlicher waren als der Völkerbund - einige Male sogar unabdingbar - , die aber heute, zwei Generationen nach ihrer Gründung, an der Verwirklichung ihrer vor fast 60 Jahren gesetzten grundsätzlichen Ziele kläglich gescheitert sind, wie es sich heute im Fall Irak zeigt.

Ein Beispiel für die enttäuschende Arbeit der UNO war die Entscheidung des anglo-amerikanischen Establishments und anderer Mitte bis Ende der 60er Jahre, sich in eine "nachindustrielle" utopische Zukunft zu stürzen. Diese Entscheidung für die "ökologische Ökumene", wie sie sich im Zeitraum von 1964-81 entfaltete, war die Hauptursache, der entscheidende kulturelle Wertewandel, der uns heute an die Schwelle des selbstverschuldeten Untergangs der amerikanischen und europäischen Volkswirtschaften gebracht hat. Nun drohen die kettenreaktionsartigen Folgen der damaligen Entscheidung die ganze Welt in ein neues finsteres Zeitalter zu stürzen.

Es sollte offensichtlich sein, daß dieser Hang zur Gegenkultur auch eine tödliche Gefahr für jeden "Dialog der Kulturen" ist, weil dieser höchstwahrscheinlich an den eigenen Widersprüchen zugrundegehen würde. Das ist aber nur ein beispielhafter Aspekt der großen Hindernisse, die sich bei den heutigen Versuchen eines Dialogs der Kulturen auftun. Es sind hauptsächlich Hindernisse zweier Art.

Der erste allgemeine Fehler fast aller Utopisten unterschiedlicher Arten ist bei solchen Versuchen, daß sie von Anfang an davon ausgehen, die beste Übereinkunft wäre eine Art [i]Minestrone[/i], indem man wie bei einer bunten italienischen Suppe ganz "demokratisch" die Vorschläge aller Teilnehmer zusammenmischt. Die Übereinkunft soll möglichst wenig kulturellen und sonstigen Widerspruch der vorgeformten Meinungen der anderen erregen.

Bei einem solchen Hang zur Sophisterei - manchmal wird das "Demokratie" genannt[footnote]Das klassische Beispiel für das Gleichsetzen von "Demokratie" mit "Sophisterei" ist der Fall der selbsternannten Demokratischen Partei in Athen, die den Justizmord an Sokrates verübte - ein Mord im Namen der Verteidigung der "fundamentalistischen" religiösen Überzeugungen jenes Ortes zu jener Zeit.[/footnote] - werden die entscheidenden Dinge - ob etwa gewisse kulturelle Züge einer Nation wenig tauglich für das Funktionieren dieser Nation mangelhaft sind - niemals wirksam wissenschaftlich hinterfragt. Wenn man so fortfährt, entsteht am Ende ein Vertrag wie unter gegnerischen Anwälten, ohne jede tiefere Grundlage im [i]Naturrecht[/i] (der Begriff wird weiter unten dargelegt). In einem so angelegten Dialog der Kulturen wird die Auseinandersetzung um so deutlicher in neuer Form zutagetreten, je mehr man sie scheinbar beigelegt hatte. Allgemein besteht heute der Fehler darin, daß man versucht, die Wissenschaft aus der Sicht der Tradition an sich zu beurteilen, statt aus angemessener wissenschaftlicher Sicht die Tradition zu begutachten und ihr Gutes von ihrem Schlechten zu trennen, was dringend notwendig wäre.

Der schlimmste aller Fehler in einem solchen fehlgeleiteten Dialog der Kulturen ist die Vorstellung, die Religion müsse der Wissenschaft unvereinbar gegenüberstehen. Dieser leider weit verbreitete tödliche Irrtum, es gebe unvereinbare Gegensätze zwischen Religion und Wissenschaft, wird in diesem Aufsatz an entsprechenden Stellen besonders untersucht und berichtigt.

Aber einmal abgesehen von dem, was bloß Verwirrung stiftet: Beispielhaft für das wirklich Bösartige, dem bei dieser grundsätzlich falschen Art der "Demokratie" - wie unabsichtlich dies auch sein mag - Unterschlupf gewährt wird, ist der verkommene existentialistische Irrationalismus des Kongresses für Kulturelle Freiheit (Congress for Cultural Freedom, CCF) des Nazi-Freundes Allen Dulles.[footnote]Siehe [i]The Children of Satan[/i], a.a.O.[/footnote] Beispielhaft für den profaschistischen Charakter des CCF ist der Existentialismus der "Frankfurter Schule" des Nazi-Philosophen Martin Heidegger und seiner jüdischen Freunde Hannah Arendt und Theodor Adorno,[footnote]Das Teuflische der Tradition des existentialistischen Irrationalismus der Frankfurter Schule und Brechts gelangte in Allen Dulles' Kongreß für kulturelle Freiheit (CCF) über die Politik von T.W. Adorno u.a. in [i]Die autoritäre Persönlichkeit[/i] (New York: Harper, 1959).[/footnote] die zusammen mit anderen Existentialisten und deren Verbündeten wie die American Family Foundation den Faschismus der berüchtigten "Rattenlinie" und anderer Nazi-Freunde von Dulles und Genossen rechtfertigen wollten, indem sie vorgaben, die kulturellen Übel des Kommunismus zu bekämpfen.[footnote]Beurteilt man die Entwicklung seit 1989, so läßt sich leicht nachweisen, daß die Rechtfertigungsversuche des Existentialismus über die Netzwerke um den Kongreß für kulturelle Freiheit (CCF) der nachsowjetischen Weltzivilisation von heute mehr moralischen und materiellen Schaden zugefügt haben als der sowjetische Marxismus. Der schlimmste kulturelle Einfluß unter dem Kommunismus waren solche Ideologien wie die der ehemaligen Marxisten im CCF, die als intellektuelle Wühlmäuse die Propagandakampagnen des CCF steuerten. Die schlimmsten marxistischen Philosophen folgten Engels' britischer Lehre, der Mensch sei "objektiv" wie ein Affe - ohne Erkenntnis. Die Existentialisten des CCF hingegen, die wie Adorno und Arendt die Wahrheit haßten, waren noch schlimmer: Sie negierten die Erkenntnis nicht, sondern vergewaltigten sie und brachten sie um.[/footnote]

Man suchte Kompromisse zwischen Kulturgruppen, die alle davon ausgingen, ihre vorhandenen, durch die Kultur geprägten Wünsche seien im Kern von Natur aus richtig. Diejenigen, die solchermaßen auf den typischen Irrationalismus des CCF hereinfielen, pochten auf ihre einander widersprechenden Vorstellungen von "richtig", weil man sie ihnen jeweils als [i]a priori[/i] existierend dargestellt hatte. Die schlimmsten faschistischen existentialistischen Philosophen, wie der zeitweilige Schützling des Nazi-Kronjuristen Carl Schmitt Leo Strauss und seine Anhänger in der Regierung Bush heute, übernahmen die bestialische Philosophie des realen und literarischen Thrasymachos, wonach widerrechtliche oder tyrannische Regimes wie das von Hitler oder von Präsident George W. Bush ein Recht auf Willkürherrschaft hätten.[footnote]Es gibt nur ziemlich wenige Bürger der Vereinigten Staaten - solange es nicht erwiesene Verrückte in spinnerten religiösen Sekten in der Tradition eines Jonathan Edwards, der Nashville-Agrarier oder eines Torquemada sind - , die Präsident George W. Bush als Mensch mögen; aber seit dem 11. September und dem Patriot-Gesetz gibt es viele verängstigte und feige moralische Schwächlinge, die Angst haben, jemand könnte sie erwischen, daß sie ihm nicht huldigen, ähnlich wie jene Deutschen, die Hitler zwar verachteten, ihn aber trotzdem unterstützten, nachdem die Ereignisse 1933 und 1934 sie in Angst und Schrecken versetzt hatten. Das ist das Thrasymachos-Prinzip, dem Leo Strauss und seine neokonservativen Anhänger huldigten - eben das Prinzip, das Platon in seinem [i]Staat[/i] entlarvte.[/footnote]

Zweitens müssen wir uns fragen, ob die Überlegung, ob das angestrebte Ergebnis wirklich Erfolg haben wird oder nicht, nicht vielleicht von vornherein ausgeschlossen wurde. Dies geschah dann mehr oder weniger aus Rücksicht auf die jeweiligen axiomatisch begründeten und mit den eigenen unvereinbaren Empfindlichkeiten der anderen. Und zwar mit dem Argument, man wolle nicht über die Werteordnung der anderen Beteiligten, oder zumindest einigen von ihnen, von "außen" ein Urteil fällen. Das Schlimmste daran ist, daß man die inneren Widersprüche der Prinzipien, die man bei den jeweiligen kulturellen Wertesystemen annimmt - etwa der willkürlich angenommene Gegensatz zwischen europäischen und asiatischen spirituellen Werten - , auch noch als positives Prinzip ansehen will!

Eine solche Suche nach einer möglichst schmerzlosen Einigung, sich nicht auf Prinzipien zu einigen, ist die Folge davon, wenn man die entscheidende Tatsache umgeht, daß ein Prinzip, wenn es denn wirklich eines sein soll, ein Prinzip in dem Sinne sein muß, wie wir diesen Begriff mit den Naturgesetzen des Universums verbinden.

Mit anderen Worten: Wir müssen "Prinzip" so verstehen, wie die klassische Tradition Platons und die neuzeitliche Wissenschaft eines Cusanus, Kepler, Leibniz, Gauß oder Riemann die wissenschaftliche Methode definieren - so wie W.I. Wernadskijs experimentelles Prinzip der Noosphäre eine Wissenschaft definiert, die zu einer neuen eurasischen Kultur werden muß. Wenn man ein wahres Prinzip mißachtet oder ein falsches durchsetzt, wie etwa den mörderischen "olympischen" Umweltkult der vergangenen vier Jahrzehnte,[footnote]Siehe Aischylos, [i]Der gefesselte Prometheus[/i]. "Olympisch" bezieht sich darauf, daß der grausame Zeus in Aischylos' Prometheus-Trilogie den Menschen die Kenntnis der Naturgesetze verbieten will.[/footnote] dann wird die ganze Menschheit dafür bestraft, wie es sich an dem apokalyptischen Ergebnis nach vier Jahrzehnten des Einflusses und der Anwendung solcher falschen Überzeugungen zeigt. Die beiden Weltkriege sind lehrreiche Beispiele dafür, was geschieht, wenn man diesen Zusammenhang mißachtet.[footnote]Es war zwar die Geld- und Wirtschaftspolitik unter der Doktrin der "kontrollierten Auflösung der Wirtschaft" der Trilateralen Kommission aus den 70er Jahren, die als grundlegende Veränderung der Währungs- und Finanzpolitik die heutige Weltdepression auslöste, aber erst die systematische Zerstörung der Politik der Kapitalbildung durch wirtschaftliche Anwendung wissenschaftlichen und technischen Fortschritts unter dem Einfluß des "Umwelt"-Kults verlieh der jetzigen Weltwährungs- und Finanzkrise die Attribute einer drohenden allgemeinen Zusammenbruchskrise des gegenwärtigen Weltsystems. Die Natur hat laut und deutlich kundgetan, daß sie den Umweltkult nicht sanftmütig hinnehmen wird.[/footnote]

Nimmt man seine Zuflucht zu solchen falschen, sentimentalen [i]a priori[/i]-Annahmen, vor denen ich gerade gewarnt habe, so ist das Ergebnis - wie im Falle des Völkerbunds und der UNO - der gutgemeinte Wille, eine Wiederholung früherer Kriege oder ähnliches zu vermeiden, indem man Regeln aufstellt, die im besten Falle den vermuteten Absichten bestimmter früherer Konflikte entgegenwirken, in Wirklichkeit aber nur neue Regeln eines Spiels sind, das die Nationen bewußt oder unbewußt auf den Weg in den nächsten brutalen Weltkonflikt führt. So geschah es, recht bald, nach dem Ende der beiden "Weltkriege" des 20. Jh. Und heute geschähe genau dasselbe.

So war der Weg in den Zweiten Weltkrieg von 1922 bis 1939 die Folge eines faschistischen Plans der Finanzoligarchie der Synarchistischen Internationale[footnote]Über den Synarchismus siehe [i]The Children of Satan[/i], a.a.O., passim.[/footnote] auf der Grundlage der neuen anglo-holländischen liberalen Spielregeln, die von den entsprechenden Mächten in den Versailler Vertrag hineingeschrieben wurden. Die eigentlichen Verursacher des Krieges waren nicht ein paar rechte Fanatiker wie Hitler oder Mussolini, sondern jene Leute, die diese beiden und andere Fanatiker groß machten und als Werkzeuge benutzten, um den Krieg herbeizuführen. Jeder, der die politische Wirklichkeit kannte, wußte von Anfang an, daß die Finanzoligarchie der Synarchistischen Internationale, die Urheber des Versailler Vertrages, diesen Krieg wollte.

Nach Versailles dienten das Buch [i]Die offene Verschwörung[/i] und der Film [i]The Shape of Things to Come[/i] des utopischen Fanatikers H.G. Wells als ideologische Generalprobe für den Absturz der Welt in den Zweiten Weltkrieg und danach in ein finsteres Zeitalter, so wie es heute nach dem gegenwärtigen anglo-amerikanischen Irakkrieg droht. Dieses finstere Zeitalter wird schon bald das Ergebnis sein, wenn die sozusagen Wellsschen "neokonservativen" Grundannahmen, wofür die gegenwärtigen Regierungen der USA und Großbritanniens stehen, nicht bald verdrängt werden.[footnote]Zum Verständnis der Balkankriege, die bald auf den ersten Irakkrieg folgten, siehe die Bemerkungen über US-Außenministerin Madeleine Albright.[/footnote] Ohne diese Veränderung sind ein neuer Weltkrieg und in der Folge ein Absturz in ein weltweites finsteres Zeitalter praktisch unvermeidlich, so sicher, wie man Mitte der 30er Jahre nur die Worte "Adolf Hitler" zu sagen brauchte - auch wenn heutige Romantiker diesen Zusammenhang noch so vehement bestreiten mögen.

Solche immer wiederkehrenden Paradoxa gibt es nicht erst in der Neuzeit. Alle großen Tragödien in der Geschichte der europäischen Zivilisation vom Fall Athens im Gefolge des Peloponnesischen Krieges bis hin zu den Leiden Kontinentaleuropas, seit unter dem englischen König Edward VII. das angezettelt wurde, was man die beiden "Weltkriege" des letzten Jahrhunderts nannte, veranschaulichen dasselbe Prinzip.[footnote]Entgegen allen populären Ammenmärchen der Diplomatie bis zum heutigen Tage: Nach dem Scheitern der Absichten Lord Palmerstons mit dem Sieg der USA über die Konföderierten stand fest, daß die Vereinigten Staaten eine Dynamik entwickelt hatten, die neue mittelbare oder unmittelbare britische Angriffe auf diese Republik unmöglich machten. Deshalb wurden neue britische imperiale Strategien ersonnen; beispielhaft dafür ist die schrittweise Entstehung des liberalen Imperialismus der Fabianer, wie ihn heute die Regierung Tony Blair verkörpert. Der von Palmerston ausgebildete "Herr der Inseln", der spätere Edward VII., ging zu den Ursprüngen britischer Imperialmacht zurück: der Anzettelung des Siebenjährigen Krieges, der zu dem britischen imperialen Triumph am 10. Februar 1763 führte. Das Ergebnis, das Vermächtnis Edwards VII. an seine Nachwelt, nannte man den Ersten Weltkrieg, woraus dann in veränderter Form der Zweite Weltkrieg und später der "Kalte Krieg" von 1946-89 wurde.[/footnote] Und der lange Bogen der bekannten Geschichte asiatischer Kulturen ist in dieser Hinsicht noch schlechter als der Europas. Europa scheint nur vielen auf den ersten Blick schlimmer dran zu sein, weil die europäische Kultur der Neuzeit, wenigstens bis jetzt, pro Kopf betrachtet ein mächtigeres Instrument gewesen ist als die asiatische Kultur. Heute, da sich unwiderruflich Atomwaffen in den Händen asiatischer Kulturen befinden und immer mehr diese erlangen, und da weltweit noch mehr asymmetrische Kriege entfesselt werden, drohen uns nicht Kriege zwischen Zivilisationen, sondern - wie wir an der gegenwärtigen Praxis der Regierung Bush im Irak sehen - ein allgemeiner Krieg gegen den Fortbestand der Zivilisation selbst, ein Weltkrieg unter Tanzpartnern wie der, auf den sich die bereits tanzenden Regierungen Bush und Blair einlassen. Es ist höchste Zeit, darüber zu sprechen, statt in selbsterniedrigender Weise so zu tun, als glaube man den üblichen diplomatischen Allgemeinplätzen.

Wer die Geschichte nicht versteht, redet sich aus der eigenen Mitschuld gewöhnlich damit heraus, daß er die Schuld einigen wenigen führenden Persönlichkeiten gibt - hauptsächlich solchen, die sich in opportunistischer Weise nur allzusehr an eine gerade beliebte Kultur angepaßt haben. Dabei wird übersehen, daß die Ursache solcher Katastrophen immer die Kultur selbst war, nicht nur die Kultur der Führung, sondern, was viel wichtiger ist, die des ganzen Volkes. Es war das Volk, das sich [i]gewohnheitsmäßig[/i] auf die eine oder andere Art und Weise eine solche Führung für seine herrschenden Institutionen ausgewählt hat. Dabei wurden entweder vorhandene Alternativen abgelehnt oder, schlimmer noch, es stand gar keine andere qualifizierte Führung zur Auswahl.

Zugegeben, B.G. Tilak und Mahatma Gandhi wiesen mit ihrem Eingreifen Indien den Weg aus der tyrannischen Fremdherrschaft. Dies belegt erneut in herausragender Weise, daß eine Kultur ein Regime, das mit den Beherrschten unvereinbar ist, stürzen kann. Diese Erfahrung und die gegenteilige Neigung der Untertanen, der Tyrannei Glaubwürdigkeit zu verleihen - wie in Deutschland nach Görings Reichstagsbrand und in den USA nach dem 11. September 2001 - , sind für den entscheidenden Dualismus in der bisherigen Geschichte bezeichnend. Dennoch bleibt die häßliche Wahrheit, daß eine schlechte Herrschaft, wie die der römischen Cäsaren, ein Ausdruck der Kultur des Volkes ist. Shakespeare bringt das, etwa in der Eröffnungsszene von [i]Julius Cäsar[/i] oder in [i]Hamlet[/i], auf dem Theater gekonnt zum Ausdruck. In beiden Fällen stellt Shakespeare mit genialer Einsicht das Böse einer Kultur auf die Bühne - sei es der Tyrann oder sei es der mordlustige Dummkopf, den das Böse im Volk hervorgebracht hat. Wie Shakespeare den Charakter Julius Cäsars oder Hamlets auf der Bühne erschafft, so erschafft auch die Kultur im Volk oft die Tyrannen, die es dann später regieren.[footnote]"Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus, durch eigne Schuld nur sind wir Schwächlinge." Wer diesen Satz nicht versteht, so wie Shakespeare ihn gemeint hat, hat noch nichts Wesentliches über Politik, Geschichte oder die geistige Natur des Menschen verstanden.[/footnote]

Dann denken Männer und Frauen nicht klar, sondern laufen wie Hamlet lieber opportunistisch etwas nach, was innerhalb der Grenzen liegt, die gerade von der öffentlichen Meinung anerkannt sind. Sie denken nicht daran, welche Folgen diese Gegenwart auf die Zukunft, von der vermeintlich "noch kein Reisender je zurückkehrte", haben wird. Auf diese Weise wurde immer wieder der weitverbreitete, intellektuell-geistig feige Glaube an eine bestimmte Kultur zur Quelle ihres eigenen Unheils. So bringen Gesellschaften, wie heute, oft utopistische Pläne hervor, unter deren Folgen kommende Generationen leiden müssen, wenn sie nicht verhindert werden.[footnote]Siehe Hamlets Monolog im 3. Akt.[/footnote]

 

 

[subhead]Das entscheidende Paradox[/subhead]  

Dabei wäre es möglich gewesen, wissenschaftliche Prinzipien zu entdecken, mit deren Hilfe man dem immer wieder ähnlich törichten Ausgang solcher utopistischen Pläne hätte entgehen können. Ich muß es wieder betonen: Das Problem, das wir lösen müssen, besteht in der verbreiteten, manchmal tödlichen falschen Vorstellung, die erwünschte Utopie müsse auf Prinzipien gründen, die vermeintlich ganz naheliegend sind und die man oft als herzerwärmend empfindet - wie z.B. eine bestimmte Tradition. Eine solche sich selbst verderbende Moral der Völker wird in unverantwortlicher Weise als etwas mehr oder weniger Selbstevidentes behandelt, und selbst sonst vernünftige Menschen schließen sich ihr ohne Zögern an.

Der große, oft tödliche Irrtum liegt darin, außer acht zu lassen, daß - wie in der Naturwissenschaft - die gewünschte Lösung nur darin liegen kann, neue Prinzipien zu finden, die oft so gut wie alles, was die vorherrschende Meinung bisher geglaubt hatte, auf den Kopf stellen. Gewöhnlich wurde leider fälschlicherweise angenommen, die Krise sei die Folge von Verstößen gegen irgendwelche herkömmlichen Werte, doch in Wirklichkeit wurde sie gerade dadurch verursacht, daß diese herkömmlichen Werte nicht verletzt wurden. Anschauliche Beispiele sind Benjamin Franklins Amerikanische Revolution auf der Grundlage des Leibnizschen Denkens oder Schillers Behandlung der historischen Figur des Wallenstein. Der Irrtum besteht also gerade in der Annahme, die Lösung läge im Rahmen des Denkens, das in die Krise führte. So marschieren die Lemminge ihrer schrecklichen Tradition folgend über die Klippe und stürzen ins Meer.

Die Aufgabe des guten Rettungsschwimmers ist nicht, die Dame zu verführen, sondern ihr Leben zu retten, ob sie ihm nun persönlich sympathisch ist oder nicht. Genauso ist es mit den Staatsmännern, von denen die Lösung einer kulturellen Krise wie der heutigen Weltkrise abhängt. Hier liegt die eigentliche Herausforderung eines Dialogs der Kulturen. Falls ein solcher Dialog tragisch scheitert, läge dies, wie schon in der Vergangenheit, in erster Linie daran, daß sich keine Führung entwickelt, die Änderungen der allgemein anerkannten Prinzipien einer Kultur durchsetzen kann.

Erklären wir diesen ganz entscheidenden Punkt der Klarheit halber noch einmal anders. Ich darf nicht zulassen, daß unser Dialog sich von diesem Punkt entfernt.

Der größte Feind der Menschheitszivilisation und aller Zivilisationen, die Quelle ihrer größten, tödlichsten Schwäche, ist letztendlich die Vergötterung allgemeiner Mittelmäßigkeit im Namen des "Wahrens bestehender Traditionen". Das Verhalten gleicht dem von Raubtieren oder deren Opfern, die ihren angeborenen tierischen "Instinkten" nicht entrinnen können. Der Mensch sollte sich darauf verlassen, daß er sich anders verhalten kann. Der Hang, sämtliche Stimmen, die den irreführenden, falschen Frieden allseitiger Mittelmäßigkeit bedrohen, zu unterdrücken oder ganz zum Schweigen zu bringen, ist der typische Ausdruck jener Verachtung für das Prinzip der Wahrhaftigkeit, die vormals scheinbar große Kulturen in den selbstverschuldeten Untergang führt.

So war z.B. die vorherrschende "antivoluntaristische" Kultur der sowjetischen Gesellschaft in wirtschaftlicher Hinsicht der wichtigste der Umstände, die zum selbstverschuldeten Fall der Sowjetunion führten. Die Tatsache, daß der lebendige, "voluntaristische" Impuls der sowjetischen Rüstungsforschung die Schlacht gegen Plechanows Tradition des Sowjetsystems verloren hatte, bleibt auch heute noch die entscheidende strategische Lehre für den Entwurf eines Programms für Rußlands Erholung aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion.[footnote]Das war die Grundlage für meine prophetische Warnung im Februar 1983 gegenüber dem sowjetischen Vertreter bei den Sondierungsgesprächen, die ich 1982-83 im Auftrag des amerikanischen Präsidenten R. Reagan führte. Ich sollte der sowjetischen Regierung den Vorschlag erläutern, den ich Präsident Reagan gemacht hatte - eben den Vorschlag, den der Präsident selbst wenige Wochen später, am 23. März 1983, öffentlich unterbreitete. Ich faßte die Entscheidung zwischen diesem Plan und der entgegengesetzten Doktrin der Sowjetregierung folgendermaßen zusammen: "Sollte die Regierung der Sowjetunion das Angebot, falls mein Präsident es unterbreitet, zurückweisen, dann würde die sowjetische Wirtschaft in etwa fünf Jahren zusammenbrechen." Am 23. März 1983 unterbreitete Präsident Reagan öffentlich das Angebot, doch der sowjetische Generalsekretär Andropow wies es umgehend zurück, und etwa sechs Jahre später begann das sowjetische System sichtlich auseinanderzufallen. Es war meine Einsicht in die wirtschaftlich selbstmörderischen Folgen des sowjetischen Antivoluntarismus in den nichtmilitärischen Bereichen der Wirtschaft, die mich in die Lage versetzt hatte, diese prophetische Einsicht in die heutige russische Geschichte zu gewinnen.[/footnote]

Das entscheidende Thema, mit dem man sich bei der Beurteilung früherer gescheiterter Versuche in Richtung eines Dialogs der Kulturen befassen muß, zeigt sich beispielhaft daran, daß Führungspersönlichkeiten, wenn sie tatsächlich auftraten, ermordet, eingesperrt oder auf andere Art ausgeschaltet wurden. Abweichung ist das Ferment von Genie und Dummheit gleichermaßen, aber sie bleibt dennoch die Brutstätte, wo etwas Neues entstehen kann, mit dessen Hilfe sich ein Volk aus dem tödlichen Griff fehlgeleiteter Gewohnheiten befreit. Solche abweichenden Stimmen systematisch auszurotten, ist typisch für die Unfähigkeit, eine Systemkrise zu überwinden, die eine ehemals mächtige Nation in den selbstverschuldeten Untergang treibt.

Der allgemeine Fehler der Staatsführer in der Vergangenheit war also der, daß entweder keine anderen ausgewählt wurden oder daß gar keine geeignete andere Führung zur Verfügung stand, weil man diese in der betreffenden Kultur nicht entwickelt und gefördert hatte oder sogar frühzeitig beseitigt hatte - so wie man den "unerwünschten legitimen Erben am liebsten schon in der Wiege ermordet" - , entweder auf Anordnung oder unter stillschweigender Duldung der Herrschenden. In solchen Fällen brachten die Menschen in aller Regel schlimmstes Leid über sich. Das Wirken des Kongresses für kulturelle Freiheit (CCF) des Nazifreundes Allen Dulles ist ein Paradebeispiel dafür, wie den Völkern eine solche geeignete Führung, die sie vor dem selbstverschuldeten tragischen Untergang bewahrt hätte, vorenthalten wird, indem man verhindert, daß sie sich entwickelt und zur Auswahl steht.[footnote]"Nazi-Freund" ist keine Übertreibung. Die Brüder Dulles waren Teil des internationalen Apparates der Finanzoligarchie, der die faschistische Entwicklung in der Zeit nach Versailles geschaffen hatte, und gehörten zu der internationalen Fraktion, die Hitler 1933 an die Macht brachte. Hitlers Entscheidung Mitte der 30er Jahre, erst im Westen anzugreifen, bewog Frankreich und England, die USA ins Spiel zu bringen. Unter diesen Bedingungen wechselten viele in den USA und in Großbritannien, die vorher zu Hitlers Unterstützern gezählt hatten, vorübergehend auf die andere Seite. Aber noch mitten im Kampf zum Sieg über Hitler holten Leute wie Allen Dulles wesentliche Teile des Nazi-Apparats in das Umfeld der späteren NATO und in die Putsch- und Mordmaschinerie etwa des Pinochet-Regimes und der mit diesem verbundenen massenmörderischen Operation [i]Condor[/i] in Mittel- und Südamerika. Der CCF war ein integraler Bestandteil dieser heimlichen "Renazifizierung".[/footnote]

Dagegen waren sämtliche großen Staatsmänner, die eine Kultur vor den Folgen ihrer eigenen Torheit in Sicherheit brachten, Ausnahmen dessen, was diese Kultur "im Durchschnitt" wahrscheinlich als akzeptable Wahl betrachtet hätte.

Solche Ausnahmen waren die Wahl der amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln und Franklin Roosevelt oder des Präsidenten Charles de Gaulle in der französischen Fünften Republik. Beispiele für das Prinzip, solche Ausnahmeerscheinungen in entscheidenden Momenten der Geschichte auszuschalten, waren die Ermordung der indischen Premierministerin Indira Gandhi oder die Ermordungen Jürgen Pontos und Alfred Herrhausens in jeweils entscheidenden Phasen der Geschichte Deutschlands. Die glücklicheren Ausnahmen, scheinbare Zufälle der Geschichte wie Lincoln oder Franklin Roosevelt, waren nicht wirklich Zufälle. Es waren Menschen, die sich bewußt für eine bestimmte Rolle entschieden. Weil sie dazu erzogen waren und sich auch selbst dazu erzogen hatten, sich gegen die anerkannten Verhaltensmuster der herrschenden Kultur zu stellen, konnten sie die außergewöhnlichkeiten Möglichkeiten, die eine Krise oftmals bietet, richtig nutzen. Dann war das Ergebnis eine Ausnahme von den üblichen tragisch falschen Vorlieben der betreffenden Kultur, wenn es um kritische Entscheidungen ging.

Wer Aussicht hat, ein solcher Staatsführer zu werden, und in dem Verdacht steht, solche unerwünschten Fähigkeiten in sich zu tragen, wird gewöhnlich auf die eine oder andere Weise von der Szene entfernt. So erging es mir, u.a. wegen gemeinsamer Anstrengungen meiner Gegner in Amerika und der Sowjetunion, hinsichtlich meiner Rolle bei der Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) zwischen 1983 und 1989.[footnote]Dazu zählte ein massiver bewaffneter Einsatz in der Nacht vom 6. zum 7. Oktober 1986 mit dem Ziel, mich zu töten. Damit sollten die Gespräche über die SDI bei dem kurz bevorstehenden Gipfeltreffen zwischen US-Präsident Ronald Reagan und dem sowjetischen Generalsekretär Gorbatschow in Reykjavik verhindert werden.[/footnote]

So rettete die Wahl des außergewöhnlichen Franklin Roosevelt seinerzeit die USA und half entscheidend, damals die Welt zu retten. Roosevelts Tod beseitigte die entscheidenden Hindernisse der Herrschaft des geistigen und moralischen Mittelmaßes, verkörpert im "kleinsten gemeinsamen Nenner" Harry S. Truman, die dann zu den größten Katastrophen in der Welt der letzten 50 Jahre führte. Diese Seuche ungeheurer intellektueller und moralischer Mittelmäßigkeit - verstärkt durch den vom Nazi-Freund Allen Dulles und anderen gegründeten CCF - schuf die Grundlage für den Absturz der Weltzivilisation in die kulturelle Dekadenz und von dort in die nun drohende "Götterdämmerung" eines weltweiten neuen finsteren Zeitalters.

Die größte Torheit der bekannten Kulturen bestand immer darin, daß man die Führung der Nationen und ihre Pläne auf einen vermeintlichen politisch-kulturellen Konsens, eine sogenannte altehrwürdige Tradition, stützen wollte. So war es bei den Mächten Kontinentaleuropas, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs führend waren, als die sich anbahnende Krise erfordert hätte, sich gegen alle Meinung nur auf die nackte Wahrheit zu verlassen - jene Art von Wahrheit, welche die selbstmörderische Dumheit der vorherrschenden kulturellen Normen entlarvt.

Zivilisationen sind durch ihr stures Festhalten an den Fehlern ihrer ererbten kulturellen Gewohnheiten zum Untergang verurteilt, wie eine Tierart durch ihr genetisches Erbe zum Aussterben verurteilt ist. Deshalb ist es ironischerweise oft nur eine Revolution der kulturellen Traditionen, wie Benjamin Franklins Amerikanische Revolution 1776-89, welche die wertvollsten politischen und anderen Institutionen, die in dem Fall die englischsprachige Welt bis dato hervorgebracht hatte, retten konnte und auch rettete.

Daß es Kontinentaleuropa nicht gelang, sich auf revolutionäre Weise vom Erbe parlamentarischer Gewohnheiten und sog. "unabhängiger" Zentralbanken zu befreien, war seit 1789 die Ursache aller großen Tragödien und verpaßten Chancen, die Kontinentaleuropa bis heute wiederholt über sich brachte.

In der Naturwissenschaft, in der großen klassischen Kunst und in der Staatskunst zeichnet sich eine Nation, die wahre Größe erlangt, dadurch aus, daß sie zu der notwendigen grundsätzlichen Ausnahme vom sonst allgemein üblichen Vorgehen greift - man spricht auch von der "revolutionären" Ausnahme. So war es bei der Rückbesinnung auf die amerikanische Verfassung unter Franklin Roosevelt.[footnote]Die Gepflogenheiten der Zeit von 1901-1932 verkörperten insbesondere die Regierungen unter den Präsidenten Theodore Roosevelt, Woodrow Wilson, Calvin Coolidge und Herbert Hoover.[/footnote] Man muß aus dem Kreis der Besten in diesen Berufen die wirklich außergewöhnlichen auswählen, die allein die Veränderungen bewirken können, von denen die Größe und sogar das Überleben einer Kultur abhängt. Die Tiere sind dazu verurteilt, eines Tages von der Natur ausgelöscht zu werden, weil ihre Gattungen festgelegt sind. Aber der Mensch ist kein Tier, es sei denn, er versucht, die Tiere nachzuahmen, indem er Glaubensstrukturen wie die "radikalökologische" annimmt, die einer niederen Gattung mit kulturell festgelegten, quasi-genetischen Eigenschaften zukäme.

Das gilt auch für die Religion. Religionen, welche die Existenz des Schöpfers außerhalb des Universums annehmen und sich ein Universum mit festen Regeln wie auf einem Fußballfeld vorstellen, begehen den blasphemischen Fehler, dem Schöpfer die Fähigkeit abzusprechen, aus seinem Universum heraus Veränderungen zu bewirken. Das wirkliche Universum ist das, in dem Er selbst lebt. Wenn ein solcher Narr in überheblicher Weise dem Schöpfer des Universums diese Fähigkeit absprechen will, muß er sich auch damit abfinden, daß er selbst nicht mehr ist als ein Tier. Er leugnet die Existenz des menschlichen Individuums, die Existenz der Seele, die den sterblichen Körper, den sie nur für einen kurzen Moment bewohnt, überleben soll. Spräche man dem einzelnen die Fähigkeit und die Pflicht ab, willentlich dazu beizutragen, das Universum, das sein kurzes sterbliches Dasein überlebt, zu verbessern, so erniedrigte man ihn dazu, sich selbst für ein Tier zu halten. Dann verhielte er sich auch wie ein Tier, wie einst der Großinquisitor Torquemada - was, wie man sehen kann, auch heute leider oft am Ende dabei herauskommt.[footnote]Dies zeigt sich u.a. in der gnostischen Lehre vom ewigen Bösen, wie sie auch protestantische Sekten wie die des Großvaters des Verräters Aaron Burr, Jonathan Edwards in Nordamerika immer vertreten. Tatsächlich ist der Mensch nicht von Natur aus böse, sondern wird böse, wenn er seine eigene Natur verleugnet, und die besteht darin, sich als Geschöpf, das der Liebe seines Schöpfers würdig ist, zu entwickeln - ein Geschöpf von Agape, wie es Platons Sokrates z.B. im [i]Staat[/i] oder Paulus im [i]1. Korintherbrief[/i] 13 beschreiben. Diejenigen, den Philos und ähnliche Vorstellungen eines Schöpfergottes im Universum ablehnen, nehmen sich theologisch das Recht heraus, dem Schöpfer anzutun, was Zeus in Aischylos' Trilogie Prometheus antut. Die gnostische Lehre von einem nach der Schöpfung "gezähmten" Gott in einem von Satan beherrschten Universum ist immer auch ein Deismus des Satanismus - so wie der Kult des Bernard Mandeville in Friedrich von Hayeks und Milton Friedmans Mont-P?lerin-Gesellschaft oder des Großinquisitors in Dostojewskis Novelle.[/footnote]

Das Gespräch in Form eines "Dialogs der Kulturen" ist nicht nur wichtig, es ist dringend notwendig. Aber, wie uns die Geschichte gelehrt haben sollte, besteht die große Gefahr, daß die Beteiligten sich zu schnell, zu weitgehend und zu oberflächlich auf nur allzu bereitwillig hingenommene Gemeinplätze einigen. Die Suche nach einem neuen Kompromiß führt dann zu einem Ergebnis, das sich sehr schnell überlebt, so wie beim Völkerbund.

Deshalb dränge ich auf die langfristige Sichtweise, die ich schon in verschiedenen früheren Schriften beschrieben habe. Wie soll man versuchen einzuschätzen, warum und wie unsere Nachfahren zwei Generationen nach uns die Ergebnisse unseres vereinbarten gemeinsamen Vorgehens beurteilen werden? Vorher angemessen einzuschätzen, ob unsere Entscheidung richtig ist, beruht eben nicht auf der Erfahrung der Vergangenheit, sondern auf unserer richtigen Beurteilung der Erfahrungen der Zukunft.[footnote]In der Geschichte der neuzeitlichen Wissenschaft bildet diese Vorstellung, die Zukunft zu erfahren, die Besonderheit der herausragenden Errungenschaften von Kepler und Gauß in der Astrophysik sowie der allgemeinen Prinzipien der Relativität, die in Bernhard Riemanns Werk gründen. Diese Vorstellung universeller wissenschaftlicher Prinzipien als Ausdruck einer in die Zukunft wirkenden Kraft war bereits in dem Kraftbegriff der Pythagoräer und Platons enthalten. Gauß' Entdeckung der Umlaufbahnen der Asteroiden - die Keplers Annahme bestätigte, daß es einmal einen Planeten zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter gegeben haben muß, der später explodierte - ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür, die Zukunft schon in der Gegenwart zu erfahren, und zwar nicht nur intellektuell, sondern real. Diese Vorstellung erscheint dem heutigen Durchschnittsleser paradox, weil sie den krankhaften Vorschriften eines philosophischen Reduktionismus, wie etwa des Empirismus, grundsätzlich widerspricht.[/footnote] Das ist das entscheidende Paradox, die große Herausforderung für alle Befürworter eines Dialogs der Kulturen, die ich mit dieser Schrift machen möchte. Dieses Paradox beschreibt die große Gefahr bei allen Versuchen, nur aus dem Dialog selbst heraus eine erfolgreiche allgemeine Einigung zu erzielen. Die beste Daumenregel für die Lösung dieses entscheidenden Paradoxons bietet W.I. Wernadskijs Definition der Noosphäre.

 

 

[subhead]Die Zukunft löst die Aufgaben der Gegenwart[/subhead]  

In diesem Einleitungsteil beschränke ich mich auf eine grobe Übersicht, zu welcher Lösung uns dieses Paradox führen muß. Ähnlich wie schon in früheren Schriften möchte ich hier Wernadskijs Beschreibung der Noosphäre Bal Gandaghar Tilaks [i]Orion[/i] und [i]The Arctic Home in the Vedas[/i] (Die arktische Heimat in den Veden) gegenüberstellen. So wie die Griechen die Wissenschaft der [i]Sphärik[/i], die in den Pyramiden zum Ausdruck kommt, von den Ägyptern übernahmen, und wie sich diese klassische Wissenschaftsmethode in Keplers Entdeckungen widerspiegelte, so sollten wir mit Tilak das Leben auf unserem Planeten heute und morgen aus der Sicht von Jahrtausenden und noch weiter zurück in der Vergangenheit betrachten. Untersuchen wir, was das aus der erneuerten klassischen Sicht von Wernadskijs Definition der Noosphäre bedeutet, und definieren davon ausgehend, welche gemeinsamen Werte als Maßstab für den Erfolg der Menschheit auf dieser Erde in nur zwei Generationen dienen können.

Wenn wir davon ausgehen, wie bestimmt dann die Entscheidung für bestimmte kulturelle Werte heute, ob und wie der jetzt so akut und massiv gefährdete Planet in etwa zwei Generationen erfolgreich dastehen wird? Offensichtlich ist: Wenn man zuließe, daß nur die heute gängigen kulturellen Werte - in ihrer schon jetzt extremen Form - weiter aufeinander wirken, wäre das Ergebnis nicht nur ein allgemeines Scheitern, sondern sogar eine unmittelbare Katastrophe.

Die Schwierigkeit heute ist nicht, daß einige maßgebliche Nationen Fehler gemacht haben. Die Schwierigkeit ist, daß die Gesamtheit der kulturellen Einflüsse auf der Erde in den 60 Jahren seit Franklin Roosevelts Tod, und verstärkt in den letzten 40 Jahren, zu einem gegenseitigen Hochschaukeln Roosevelt entgegengesetzter Einflüsse zwischen Nationen und Kulturen geführt hat. Das ist es, was den ganzen Planeten in die heute unmittelbar drohende Gefahr gebracht hat. Und auch wenn heute einige Regierungen und Vereinigungen einzeln oder zusammen teilweise nützliche Ideen in Erwägung ziehen, berücksichtigt bisher doch keine davon angemessen die eigentliche jahrzehntelange Ursache des Niedergangs in das nunmehr drohende lange finstere Zeitalter.

Zum Beispiel: Der Schlüssel zum Verständnis der Weltgeschichte der Neuzeit, mindestens der vergangenen drei Jahrhunderte, ist die Erkenntnis, daß die Weltgeschichte spätestens seit dem Triumph von Lord Shelburnes britischer Ostindiengesellschaft im Februar 1763 von der weltweiten imperialen Macht des anglo-holländisch-liberalen Systems geprägt ist. Dennoch tut die Mehrheit der heutigen Welt törichterweise so, als nähme sie diese offensichtliche Tatsache und damit auch ihre bis heute weitreichenden praktischen Folgen für alle Teile der Erde sozusagen "höflich" nicht zur Kenntnis. Es ist, als stünde ein Elefant laut trompetend im Hochzeitsbett und würde trotzdem nicht wahrgenommen.

Dieses liberale System beherrscht die Welt mit Hilfe des oligarchischen Weltfinanz- und Währungssystems - spätestens seit dem 10. Februar 1763, dem Tag des Pariser Vertrages am Ende des von den Briten inszenierten Siebenjährigen Krieges, der die betrogenen Mächte Kontinentaleuropas ins Verderben stürzte. Mit diesem Vertrag entstand das Weltreich der britischen Ostindiengesellschaft, die im 18. und 19. Jh. Indien und viele andere Länder ausraubte und ausbeutete. Die heutige Weltkrise ist im Grunde ein Ergebnis der künstlichen Steuerung der Beziehungen zwischen den Nationen der Welt, hauptsächlich über die Mechanismen des Liberalismus, die in dem noch heute regierenden ausbeuterischen finanzoligarchischen Imperium vorherrschen.

Ein Beispiel: Es ist nur zu typisch für die falschen Vorstellungen vieler, die an die Idee eines Dialogs der Kulturen herantreten, daß in den vergangenen Jahrzehnten die Vereinigten Staaten, und praktisch sie allein, öffentlich als angeblicher Herrscher der Welt verurteilt wurden - eine ebenso alberne wie weitverbreitete Meinung. Für den, der weiß, wie Entscheidungen wirklich zustandekommen, ist diese Legende die Frucht einer tödlichen, selbstmörderischen Torheit derer, die die Dinge so simpel erklären wollen.

Entgegen dieser weitverbreiteten falschen Meinung, die sich sogar in den USA selbst findet, beherrscht das anglo-niederländische liberale System in erheblichem Maße die heutigen USA. Das tut es zunehmend seit dem Tode Franklin Roosevelt und besonders seit dem Mord an Präsident John F. Kennedy, der die Amerikaner vor Angst fast erstarren ließ, ähnlich wie später die Ereignisse des 11. September 2001.

Diesen fremden Einfluß verkörpert heute hauptsächlich die Mannschaft der liberal-imperialen Fabianer um den britischen Premierminister Tony Blair, und vor ihm war es die Bande um Margaret Thatcher, die denselben Hintergrund hatte. Das ist das anglo-niederländische System, gegen das wir Amerikaner den Unabhängigkeitskrieg kämpften, das sich aber heute wie ein Parasit am Hals der einfältigen USA festgekrallt hat, so wie vorher schon während der Regierungen Harry Trumans und Richard Nixons. Und lange vor Truman dienten Vertreter der Tradition der Konföderierten wie Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson sowie später die Seuche typisch liberalen Diebstahls unter Wall-Street-Kreaturen wie Coolidge und Hoover dieser imperialen Mutter des Systems globaler Unterdrückung, dem liberalen System.

Diese Verbindungen zu leugnen, hieße den Elefanten im Hochzeitsbett nicht sehen zu wollen. Dies allein könnte schon Grund für ein tragisches Scheitern eines versuchten Dialogs der Kulturen sein.

Unter dem heutigen Weltwährungs- und Finanzsystem wird die Politik eines Landes oder einer Gruppe von Ländern nicht von klar abgegrenzten einzelnen politischen Entscheidungen dieser Länder bestimmt. Die Gesamtwirkung, die in diesen einzelnen Entscheidungen zum Ausdruck kommt, entsteht vielmehr durch bestimmte axiomatische Grundannahmen - wie etwa dem heute weitverbreiteten Aberglauben an das Freihandelsdogma des anglo-holländisch-liberalen Systems.[footnote]Die Lehre vom "Freihandel", die Lord Shelburnes Anhänger Adam Smith 1776 in seiner Polemik gegen die Amerikanische Revolution [i]Der Reichtum der Nationen[/i] darlegte, war im wesentlichen bei den führenden französischen Physiokraten Dr. Fran?ois Quesnay und Turgot, zwei zweifelhaften Autoritäten, abgeschrieben. Obwohl Quesnays mystische Lehre vom [i]Laissez-faire[/i] Smiths wichtigste Quelle war, wurde sein Plagiat in England vor allem deswegen anerkannt, weil ihm Bernard Mandevilles [i]Bienenfabel[/i] vorangegangen war: Den merkwürdigen gnostischen Eingebungen Mandevilles zufolge kam öffentliches Wohl für die Gesellschaft durch private Laster zustande. Smith selbst verteidigte solche spezifisch gnostisch-unfruchtbaren Wahnvorstellungen 1759 in seiner [i]Theorie der moralischen Empfindungen[/i] mit derselben Begeisterung für schiere Irrationalität, die den merkwürdigen Sexualpraktiken der Katharer (denen wir das Wort "Kondom" verdanken) die weltanschauliche Grundlage lieferte. Professor Milton Friedman bietet in seiner Fassung desselben Unfugs nicht einmal mehr solchen exotischen Ersatz für Rationalität. Er argumentiert nur, wie Frau Joan Robinson aus Cambridge darlegte, wie ein tölpelhafter Schüler, der den Lehrstoff in sein Schulheft abschreibt: [i]post hoc ergo propter hoc[/i]. 28. Einige Entscheidungen sind bahnbrechend, weil sie die besondere Eigenschaft haben, die herrschende Kultur zu verändern. Sonst ist es immer das Muster der Entscheidungen und nicht eine oder mehrere einzelne Entscheidungen, welches den absehbaren Weg einer Nation bestimmt.[/footnote]

Dies stellt ein äußerst wichtiges, aber selten als solches erkanntes methodisches Problem im Umgang mit dem Verhalten in und zwischen Gesellschaften dar. Betrachten wir die geschichtliche Bedeutung von vier verschiedenen, recht häufigen Auswirkungen einzelner politischer Entscheidungen.

Erstens gibt es Fälle, in denen eine Handlung praktisch ein Theorem bestehender axiomatischer Grundannahmen über das richtige Verhalten ausdrückt, so daß das geltende Handlungsprinzip durch sie nicht in Frage gestellt wird. Wenn dieser Auswuchs geistigen Stillstands dazu beiträgt, die Lage weiter zu verschlimmern, dann war das nur ein Beweis dafür, was schon in den früheren Denkgewohnheiten über die Axiome politischer Entscheidungen begründet lag.

Zweitens gibt es Fälle, in denen die herrschenden axiomartigen (d.h. systemischen) Annahmen nicht geändert werden, aber ein extremer Punkt in der von diesen axiomartigen Annahmen vorherbestimmten Bahn berührt wird. Weil man damit in die Nähe einer Grenzbedingung des Systems gerät, löst dies eine ungewohnte neuartige Wirkung aus, wie man sie mit einer "Krise" verbindet, doch die entsprechenden axiomartigen Annahmen, nach denen sich die Gesellschaft bis dahin richtete, werden damit noch nicht verändert.

Drittens gibt es Entwicklungen, die mit dem, was die allgemein herrschenden Grundannahmen erlauben, axiomatisch in Widerspruch geraten, deren Folgen aber wahrscheinlich aufgefangen werden - wie ein kleiner Insektenstich, der den Schläfer nur kurz belästigt - , wobei das System herrschender Annahmen kaum gestört wird.

Dann denke man sich einen vierten Fall, in dem die Auswirkung einer Handlung das System der bislang herrschenden axiomartigen Annahmen über den Haufen wirft oder zumindest diesen Anschein erweckt. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, daß eine axiomatische Veränderung des ganzen Systems ausgelöst wird. Zum Beispiel: Die meisten direkten und indirekten Androhungen von Gewalt gegen meine Person, die in den letzten 30 oder mehr Jahren aus dem "Establishment" kamen, rührten daher, daß die entsprechenden Leute erkannt hatten, daß meine Handlungen den Fortbestand ihres Systems ernsthaft gefährden konnten.

In allen Fällen ist nicht die einzelne Handlung historisch entscheidend, sondern das System oder das Ineinanderwirken der Systeme oder Veränderungen im System. Deshalb muß man bei der fachkundigen langfristigen Wirtschaftsprognose Wirtschaftssysteme immer axiomatisch betrachten, so wie es die fachkundige Naturwissenschaft tut: Man betrachtet sie als System und gründet Prognosen darauf, das System als System zu untersuchen, statt sich in den Schlamm oder Treibsand der unweigerlich falschen Extrapolationen eines gedankenlosen Buchhalters mit seinen wie üblich grobschlächtigen und oft völlig irrwitzigen statistischen Methoden zu begeben.

Dasselbe gilt in leicht veränderter Form, wenn man einen anderen Fall von Belang betrachtet: das bösartige Dogma, Zentralbanken - die in Wirklichkeit nichts anderes sind als Werkzeuge des kollektiven Willens des "Schleimpilzes" finanzoligarchischer Privatinteressen - müßten unter dem Schutz der [i]systemischen[/i] Annahme arbeiten, daß sie frei von der Aufsicht gewählter Regierungen sein müssen. Das ist das System, die Weltanschauung, die heute in den meisten Nationen herrscht, und wer dieses System beherrscht, der bestimmt die Art und Weise, wie in den jeweiligen Nationen die Politik gestaltet wird. Falsche axiomatische Annahmen wie der Glaube an die Unabhängigkeit der Zentralbanken herrschen dann in den entsprechenden Institutionen von Regierung und Volk vor, und somit richtet sich die ganze Nation nach ihnen. Und gewöhnlich sind es diese Annahmen, die schon im voraus bestimmen, welche Entscheidungen gefällt werden. Es sind nicht einzelne Entscheidungen, die zu diesem Ergebnis führen, vielmehr bestimmt die Entfaltung einer Weltanschauung, welchen Lauf die Auswirkungen der entsprechenden Entscheidungen nehmen.[sup]28[/sup]

Immer bestimmt das System die Bedeutung eines Ereignisses und nicht, wie heute fälschlich angenommen wird, die statistische Häufung von Ereignissen das System. So bestimmte in der Weltgeschichte, wie u.a. der Erste Weltkrieg zeigt, bisher meistens das Axiomatische einer Weltanschauung den Willen und das Schicksal von Nationen - und das weit wirksamer und erbarmungsloser als jede noch so überwältigende Streitmacht.

Der Unfug anzunehmen, die Vereinigten Staaten wären die Hauptursache der gegenwärtigen Systemkrise dieser Welt, ist genau die Art Irrglaube, die unweigerlich die Welt, die daran glaubt, in eine tragische Katastrophe führen würde. Nur wenn man erkennt, daß die Vereinigten Staaten [i]heute[/i] selbst [i]im System[/i] ein Untertan (ein Opfer) des "Freihandels"-Systems und des weltanschaulichen Erbes der britischen Ostindiengesellschaft - der Weltherrschaft finanzoligarchischer Interessen - sind, nur dann kann man mehr tun als törichte Vermutungen über das Wesen der heutigen Welt verbreiten. Wenn dieser Punkt nicht verstanden wird, wird jeder Ansatz zu einem Dialog der Kulturen zu einem katastrophalen Ergebnis verdammt sein.

Das Ausmaß einer Wirkung an sich - wie die Auswirkungen der Handlungen der Vereinigten Staaten heute - ist noch kein Beweis dafür, daß sie auch ihre eigene Ursache ist. Entscheidend ist, welcher Einfluß zu der Wirkung geführt hat und die nächste Wirkung steuern wird. [i]Große Fußspuren sind noch keine großen Füße.[/i] Die Ursache ist das System, welches das Verhalten der Vereinigten Staaten bestimmt. Um diese Wirkung zu steuern, müssen wir das System steuern, das das Volk lenkt, solange das Volk noch nicht selbst das System steuert.

Als man merkte, daß die Vereinigten Staaten sich dringend auf ihre Verfassung berufen mußten, änderte sich das System. So handelte Präsident Franklin Roosevelt 1933, um die USA vom Joch des anglo-holländischen Systems hinter der Politik der Regierungen Theodore Roosevelt, Wilson, Coolidge und Hoover zu befreien. Die Folge war ein Eingriff in den Gang der Geschichte unter Franklin Roosevelt, der es möglich machte, daß die Vereinigten Staaten dem Faschismus, der ein im anglo-holländischen System gefangenes Mittel- und Westeuropa überrollte, entkommen konnten.

Diese veränderte Wahrnehmung unter Franklin Roosevelt - wie vorher im Falle Präsident Abraham Lincolns - erlaubte den Vereinigten Staaten nicht nur wirtschaftlich einen großen Sprung nach vorne, sie konnten auch den entscheidenden Beitrag leisten, um das Ungeheuer des Faschismus zu besiegen und das kriegszerstörte Europa wieder aufzubauen.

Eine entgegengesetzte, weitverbreitete und oft verhängnisvolle falsche Annahme ist die, man könne einem Konflikt mit bestimmten Traditionen an der Spitze der Gesellschaft aus dem Weg gehen und die Gesellschaft verbessern, indem man nur bessere Spielregeln des kulturellen Austausches in den Grenzen der unteren Schicht der Weltordnung einführt. Man will solche Verbesserungen in der Gesellschaft von unten nach oben anwenden, doch das eigentlich Entscheidende, von oben nach unten Wirkende - daß beispielsweise Dogmen wie "unabhängige Zentralbanken" und "Freihandel" hingenommen werden - soll nicht angetastet werden. Dieses starrköpfige, manchmal verhängnisvolle Verhalten wird z.B. gerechtfertigt mit dem gängigen, tragischen Wunschdenken: "Die Menschen sind für große Veränderungen noch nicht reif, man muß sie ihnen in kleinen Schritten beibringen" - am liebsten so, daß sich die Beine gar nicht merklich bewegen. Solche häßlichen Anwandlungen selbstauferlegter psychosexueller Impotenz machen aus Menschen gewissermaßen politische Eunuchen.

Unsere Aufmerksamkeit sollte sich daher auf diese Tatsache konzentrieren: Das Beherrschende der internationalen Beziehungen ist seit Februar 1763, daß die Welt nicht von irgendeiner Nation beherrscht wurde, sondern zunehmend von einer modernen Spielart des mittelalterlichen europäischen [i]Systems[/i] der Partnerschaft der venezianischen Finanzoligarchie mit der normannischen Ritterschaft - nämlich dem anglo-holländischen liberalen System der Weltfinanzen, ganz besonders in der Form, die es seit 1971-72 hat. Früher kannte man dieses liberale [i]System[/i] als die Weltmacht, die sich im 18. Jh. selbst als Venezianische Partei oder auch als die französische und britische "Aufklärung" etwa eines Voltaire bezeichnete. Es ist dieses [i]System[/i], das heute die Welt regiert und mit Hilfe des Weltwährungsfonds und der Weltbank die Regierungen der Nationen wie Vieh einsperrt und bei Bedarf schlachtet, solange die Nationen sich nicht selbst aus ihrem Griff befreien.

 

 

[subhead]Die strategische Lage heute[/subhead]  

Bereiten wir uns nun darauf vor, in den Hauptteil dieses Berichts einzusteigen, indem wir das bisher Dargelegte wie folgt zusammenfassen.

Die Währungs- und Finanzeinrichtungen, in erster Linie die internationalen und in zweiter Linie die nationalen, haben das Sagen bei allen wesentlichen Entscheidungen zu den Angelegenheiten der Nationen und Völker, die von 1972 bis heute die "Autorität" von IWF und Weltbank hingenommen haben. Törichte Regierungen und Menschen sehen im allgemeinen nichts Bedeutsames an dieser Regelung. Man geht in maßgeblichen meinungsbildenden Kreisen weithin stillschweigend davon aus, daß es zu dem mit diesen Institutionen verbundenen System gegenwärtig keine absehbare Alternative gibt - jedenfalls bis eine entsprechende Systemkrise ausbricht. Aus diesem Grund will die unwissende Meinung, die heute in höchsten Regierungsstellen vorherrscht, einfach nicht erkennen, daß der Wille der Regierungen heute in der Regel nicht von der Macht der Nationen abhängt, sondern von einem [i]System[/i] supranationaler finanzoligarchischer Interessen, das mächtiger ist als jedes Land, das sich den Spielregeln dieses liberalen Systems unterwirft.

Das heutige liberale System ist nur ein typischer Ausdruck einer Klasse von Einfluß über den Willen von Nationen und Völkern, den man eine "Ideologie" nennen kann. Ein Mensch, der irgendwelche Voraussetzungen als quasi axiomatisch für seine Entscheidungen hingenommen hat, ist in diesem Maße genauso wenig Herr über sein eigenes Denken und Handeln wie ein Tier, dessen Verhalten durch seine Instinkte als Mitglied seiner Art oder Rasse vorherbestimmt ist. Die tatsächliche Macht von Institutionen wie Regierungen oder Gruppen von Regierungen ist heute nur selten wirklich von der Vernunft gelenkter freier Wille, sondern oft eher das Ochsenjoch einer bestimmten Weltanschauung.

Man sehe sich den Staatsmann an, wie er sich innerhalb dieser eingebildeten "eisernen Jungfrau" herumwindet. Er droht vernünftig zu handeln, aber weil er die Zwänge seiner Lage spürt, meidet er lieber den Schmerz und schränkt seine Bewegungen entsprechend ein. Er hat die Voraussetzungen, vernünftig zu sein; aber wie ein tragischer Held kann er sich noch nicht von den entsprechenden Begrenzungen befreien. Das [i]System[/i] beherrscht ihn.

In früheren Schriften und Reden habe ich die Funktionsweise dieses Problems als "Fischglas"-Ideologie beschrieben. Eine Bevölkerung übernimmt bestimmte gewohnheitsmäßige Annahmen, von denen einige ziemlich wahr und andere grundfalsch sind, als ihre Weltanschauung. So war das kollektive Handeln aller bisher bekannten Gesellschaften eine Reaktion auf eine unausgesprochene, eingebildete physikalische Geometrie, die vom wirklichen Universum mehr oder weniger radikal abwich. Selbst dann, wenn im Laufe der Entwicklung die bestehenden kulturellen Werteordnungen der Wirklichkeit über ein erträgliches Maß hinaus widersprechen, werden die Opfer dieser Weltanschauung eher [i]nicht[/i] auf die wirkliche Welt reagieren, sondern auf die eingebildete Welt ihrer gewohnten Weltanschauung. Ich habe das "Fischglas-Ideologie" genannt: Man schwimmt weiter im gewohnten Fischglas, selbst wenn das Glas zerbrochen ist und das Wasser und die hilflos zuckenden Fische sich über das Mobiliar ergießen.

Das war noch bis vor kurzem der erbärmliche Geisteszustand eines großen Teils der amerikanischen Wählerschaft, die den steilsten Einbruch der Wirtschaft ihrer Region seit einem halben Jahrhundert erlebte, aber gleichzeitig George W. Bush wiederwählte, weil sie an einen anhaltenden Wirtschaftsaufschwung glaubte, der überhaupt nicht existierte! Das liberale System ist eine maßgebliche Ideologie - eine "Fischglas-Mentalität" - , welche die Nationen heute meistenteils beherrscht.

Wenn die Beteiligten versuchen, beispielsweise durch einen Dialog der Kulturen ein System kultureller Gefälligkeit zu definieren und so axiomatisch gegensätzliche a-priori-Annahmen zu vermischen, führt das aus einer gegenwärtigen oder früheren Katastrophe geradewegs wieder in Auseinandersetzungen, die in gegenseitiger Selbstzerstörung münden - etwa ausweglose Kriege wie den Krieg der USA im Irak heute.

Eine wichtige Tatsache ist damit also schon ziemlich klar: Die Anstrengungen für Reformen wie etwa kulturelle Vereinbarungen unter den heutigen Nationen werden mit Sicherheit völlig scheitern - so edel und leidenschaftlich die Motive auch sein mögen - , bis das Kranke des übergreifenden Systems der derzeit herrschenden "Fischglas-Mentalität", dem finanzoligarchischen imperialen System des anglo-holländischen Liberalismus, aus den Institutionen der Macht auf der Erde entfernt ist.

Diese heute herrschenden Mechanismen sind "genetisch" die Nachfahren der Mechanismen, aus denen der Erste Weltkrieg hervorging, der wiederum die faschistische Herrschaft in Kontinentaleuropa zwischen 1922 und 1945 nach sich zog. Heute sind es die beherrschenden Kräfte in der Welt des alten amerikanischen Oligarchen George Shultz und seiner Geschöpfe Condoleezza Rice, Dick Cheney, Arnold Schwarzenegger sowie dem alten Räuber Pinochet. Kein Kulturabkommen unter den Mäusen unterschiedlicher Couleur wird von Dauer sein, solange die anglo-holländische finanzoligarchische Katze frei herumläuft. Wir müssen dieser großen, menschenfressenden Katze nicht nur eine Schelle umhängen, zuerst müssen wir sie in den Käfig sperren.

Die Befreiung dieses Planeten von der anglo-holländischen liberalen Tradition, die früher auch die Regime von Benito Mussolini, Adolf Hitler und Francisco Franco hervorbrachte, ist die unverzichtbare Vorbedingung dafür, heute die Zivilisation zu bewahren. Aber es gibt noch viel mehr, was ins Reine gebracht werden muß. Mussolini und Hitler loszuwerden, war notwendig; aber den ekligen Müll heraustragen heißt noch lange keine schmackhafte Mahlzeit produzieren. Wir müssen an der Stelle der kranken Welt von heute ein neues Gebäude errichten. Also fragen wir: Nach welchen Grundsätzen sollte man dann ein ökumenisches System der Zusammenarbeit unter souveränen Nationen gestalten, das alle Phasen der Planung und des Aufbaus auf der Erde im Laufe von zwei Generationen ab jetzt angemessen behandelt?

Das Gute ist niemals nur die Negation des Schlechten. Das Gute ist das Erhabene, das aus seiner eigenen positiven Natur heraus außerhalb der Grenzen vorhandener Verhaltensgewohnheiten wirkt und da aufbaut, wo das Herkömmliche aufgrund seiner innewohnenden Mängel zerstört. Eine gute dramatische Behandlung eines Gegenstandes wie Adolf Hitler beschreibt die Menschen nicht als gut, wenn es nur zeigt, wie böse Hitler war. Sich in den schmutzigen Einzelheiten eines schrecklichen Verbrechens zu suhlen - wie etwa die Absicht hinter Allen Dulles' proexistentialistischem CCF ein großes Verbrechen war - veredelt den Betrachter eines Theaterstücks nicht, sondern wird auf das Publikum und die Schauspieler eher eine verderbliche Wirkung haben, so wie ein Stück von Bertolt Brecht. Man behandelt das Böse Hitlers durch Liebe zu dem Guten, das er vernichtete - nicht nur das Gute in seinen Opfern, sondern auch das verdorbene Gute in Deutschen und anderen, die von Hitler und dem System seiner synarchistischen Herren für ihre Unternehmungen mißbraucht wurden.

Die Welt braucht dringend ein Bild, das dem dient, was die Befürworter des Dialogs der Kulturen fördern möchten. Aber wir müssen richtig daran herangehen. Der Wunsch nach etwas Besserem darf uns nicht zu romantischen Träumen und Wunschdenken verlocken, die schon so oft genau das Gegenteil von dem bewirkten, was man sich davon erhofft hatte.

Wernadskijs Noosphärenbegriff definiert einen erhabenen empirisch-gedanklichen Bezugspunkt, einen Bezugsrahmen, der alle ernsthaft zu behandelnden Fragen - auch die Unterschiede zwischen den Kulturen - quasi axiomatisch einschließt. Wie wird die Noosphäre in zwei Generationen aussehen? Wie soll das zustande kommen? Welche Herangehensweise ist der beste Weg, im Laufe der kommenden beiden Generationen oder mehr sowohl die Erfordernisse nationaler und persönlicher Souveränität zu erfüllen als auch dringend notwendige Verbesserungen der Eigenschaften und Qualität der Noosphäre zu schaffen?

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[head]1. Kapitel: Die Wernadskij-Lösung[/head]Kompetente Wissenschaft oder ein ehrlich angestrebter Dialog der Kulturen geht immer von der Annahme aus, daß in der Gesamtheit der vorhandenen Überzeugungen jeder nationalen Kultur oder jedes Lehrgebäudes ein bedeutender Teil falsch ist. Das erste Prinzip der Wissenschaft sollte demnach sein, sich damit zu befassen, was am ganzen Gebäude der öffentlichen oder wissenschaftlichen Meinung - und sei sie noch so stolz vertreten - falsch ist. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dabei die besonderen Paradoxa, die im Grenzbereich eines allgemein anerkannten Gedankengebäudes liegen. Ein Beispiel sind die jeweiligen Grenzen zwischen nichtlebenden Systemen, lebenden Systemen und Systemen der menschlichen Erkenntnis in Wernadskijs Noosphäre mit ihrem unterschiedlichen Wesen und ihren jeweiligen Besonderheiten als universelle physikalische Systeme, aus denen sich das bekannte Universum als ganzes (als Riemannsches integriertes System) zusammensetzt.

Ob man diese Methode anwenden darf, hängt nicht davon ab, ob es schon klare Anzeichen für irgendeinen bestimmten Fehler in den gerade anerkannten Überzeugungen gibt. Ein guter Gesundheitszustand heißt nicht nur, daß keine Krankheit sichtbar zu erkennen ist, man muß auch Krankheiten entdecken und vorbeugen, die wir bisher noch nicht richtig als Bedrohung erkannt haben - so wie es im Falle der Retroviren war. Mit dieser Methode können wir erkennen, daß selbst an bisher nicht widerlegten allgemeinen Überzeugungen etwas falsch ist. Sie ist kein bloßes Flickzeug, das man herausholt, wenn man eindeutig falsche Ansichten entdeckt hat. Es ist eine Denkweise, die bei jeder Gelegenheit alle anderen verdrängen muß.

Die Methode, aus unserem Wissen über die Zukunft zu lernen, wie ich sie in der Einführung zu dieser Schrift beschrieben habe, ist nicht neu. Sie stammt aus der Antike. In der Naturwissenschaft gehört sie unausgesprochen zur Methode der [i]Sphärik[/i], welche die Pythagoräer und Platon, neben anderen Vertretern der klassischen[footnote]Der Begriff "klassisch", wie er in dieser Schrift durchgängig gebraucht wird, hat nichts mit der verbreiteten Vorstellung von etwas bloß "Herkömmlichem" zu tun, wie sie etwa ungebildete Leute in Amerika heute mit dem Wort "Klassiker" verbinden. Beispielhaft ist der verallgemeinerte Maßstab von Pythagoras, Thales, Solon von Athen, Platon und der klassischen griechischen Bildhauerkunst im Unterschied zur archaischen Kultur; genauso ist es im Fall von Italiens Cicero und der Renaissance des 15. Jhs. mit der Wiederbelebung des klassischen Griechisch gegen das Gemeine der übrigen lateinischen Kultur, insbesondere der Kultur und Tradition des Römischen Reiches.[/footnote] griechischen Antike, der in Ägypten entwickelten Astronomie entlehnten. Tatsächlich wurde mit allen wirklich klassischen Strömungen des europäischen wissenschaftlichen Denkens seit jener Zeit diese Methode wieder aufgegriffen - als bewußtes Mittel, um die entgegengesetzten verkommenen Methoden von Eleaten, Sophisten und anderen philosophischen Reduktionisten zu vermeiden. Das ist beispielsweise die Methode Keplers, was sich darin widerspiegelte, daß er zukünftige Mathematiker aufforderte, den infinitesimalen differentialen Kalkulus zu entwickeln, wie Leibniz (und nur er) es dann wirklich tat.[footnote]Die Behauptung der Anhänger des Venezianers Antonio Conti, ihr Schützling Issac Newton habe die Infinitesimalrechnung entdeckt, ist nicht nur inhaltlich falsch, sondern geradezu grotesk. Einen typischen klassischen Beweis für den Leibnizschen Kalkulus, gegen diese Behauptung von Newtons zweifelhaften Bewunderern, lieferte Gauß mit seiner Berechnung der Bahn des Asteroiden Ceres. Diese Entdeckung - ein Vorläufer von Gauß' allgemeinem Krümmungsprinzip - war ein strenger Beweis dafür, warum die echte Infinitesimalrechnung notwendig war, von der alle die abartigen Apologeten von Newtons Prioritätsanspruchs im 18. Jh. und danach - wie D'Alembert, Euler und Lagrange - behaupteten, es könne sie gar nicht geben, weil ihr nichts im wirklichen Universum entspreche. Diese Behauptung der Bewunderer Newtons, er habe etwas entdeckt - das Infinitesimal - , von dem sie und ihre Nachfolger behaupteten, das gebe es gar nicht, ist eine bemerkenswerte Wortverdrehung, wie sie nur Scharlatanen vom Schlage eines Fran?ois Quesnay oder dessen Plagiator Adam Smith würdig ist.[/footnote]

Diese Entdeckungen, nacheinander von Kepler, Leibniz und Bernoulli, Gauß, Riemann u.a., sind der Beleg der Methode, mit der die Menschheit Vorwarnungen entdeckt und so ein gewisses Vorwissen der noch nicht erlebten Zukunft erwirbt. Dies hängt ab vom Begriff der [i]Kraft[/i] im klassischen griechischen Sinne, wie ihn die Pythagoräer, Platon und seine Akademie u.a. auffaßten[footnote]Etwa Aristarch von Tarent und Eratosthenes sowie später Nikolaus von Kues (z.B. in seiner Schrift [i]De docta ignorantia[/i]).[/footnote] - der Begriff eines universellen Naturprinzips, wie wir mit Recht sagen können. Wie Wernadskij die Begriffe der Biosphäre und Noosphäre entwickelte, ist ein weiteres Beispiel für die Anwendung dieser klassischen Methode der [i]Kräfte[/i].[footnote]Siehe auch: Lyndon LaRouche, [i]The Economics of the Noösphere[/i] (Washington 2001). Es ist daher eine köstliche Ironie, daß der vielleicht bedeutendste aller sowjetischen Wissenschaftler, Wernadskij, der wichtigste Nachfolger Mendelejews und Begründer der sowjetischen angewandten Kernphysik, einer der größten Wissenschaftler des 20. Jhs. war. Ist er doch nach amtlicher sowjetischer "Histomat"- und "Diamat"-Lesart ein [i]Idealist[/i] in der platonischen Tradition. Hier hat die sowjetische philosophische "Objektivität" der Engelsschen Tradition mit ihren üblen systematischen Fehlern bei der Anwendung auf die Praxis in der zivilen Wirtschaft völlig versagt. Das führt unter anderem auch die Krise der Kultur des 20. Jhs. vor Augen, die der bemerkenswerte Brite C.P. Snow im Paradox der "beiden Kulturen" ausmachte: der Dichotomie, die gesellschaftliches Denken und naturwissenschaftliches Denken hermetisch voneinander trennte. In einer Kultur, die durch Koexistenz von reduktionistischer Naturwissenschaft und irrationalem antiklassischen Denken geprägt ist, sind Zusammenbrüche im Gang der Zivilisation zu erwarten - nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch so, wie es im Sowjetsystem geschah.[/footnote]

Wie ich in dieser Schrift zeigen werde, liefert diese Sichtweise die einzige vertrauenswürdige Herangehensweise für einen "Dialog der Kulturen". Das angesprochene Werk Wernadskijs liefert einen solchen notwendigen Bezugspunkt, um die Herausforderungen der modernen Volkswirtschaft zu bewältigen, indem man diese Probleme von einem höheren Standpunkt aus, vom Erhabenen aus angeht.

Diese grundlegenden Entdeckungen solcher Kräfte in der Wissenschaft haben gezeigt, daß die größte Ansammlung von Fehlern gewöhnlich in Annahmen steckt, die irregeführte Vertreter einer irrenden Kultur zu ihrer unerschütterlichen Überzeugung machen. Oft machen sie daraus [i]a priori[/i]-Annahmen. Die kartesische Ordnung von [i]a priori[/i]-Definitionen, Axiomen und Postulaten bei den Empiristen oder das aristotelische astronomische Schema des Betrügers Claudius Ptolemäus im Römischen Reich sind typisch für etwas, was oft nicht nur ein intellektuell verhängnisvoller Irrtum, sondern bewußter Betrug ist.[footnote]Die "Sonnenhypothese", auf die Nikolaus von Kues Bezug nimmt, war schon vor Eratosthenes' Zeit bekanntermaßen belegt worden, und Aristarch von Samos hat das festgehalten. Claudius Ptolemäus kannte diese Aufzeichnungen und verfälschte bewußt die Fakten für seinen Appell für jene ptolemäische Fantasievorstellung, der erst Kepler wirklich wieder wissenschaftlich den Garaus machte.[/footnote] Daher muß sich die Wissenschaft immer einen Ausgangspunkt suchen, der im Universum praktisch existiert, aber außerhalb des Bezugsrahmens liegt, in dem sich der vermutete Fehler in den Annahmen verbirgt - sie braucht einen Bezugsrahmen außerhalb der Reichweite der derzeitigen Überzeugungen des Forschers. Bei Fragen, welche die Natur des einzelnen Menschen und der Menschheit im allgemeinen betreffen, ist Wernadskijs Vorstellung der Noosphäre ein außerordentlich nützlicher und derzeit äußerst wichtiger Ausgangspunkt für das Verständnis der Probleme, die in nächster Zukunft erkannt und gelöst werden müssen.

Ein Beispiel: Um die Vorurteile, die eine verderbliche ideologische Trennmauer zwischen Kunst und Wissenschaft geschaffen haben, leichter zu überwinden, wollen wir nun diese Einleitung zur angewandten Naturwissenschaft verlassen, um damit den Fall der klassischen Ironie in englischsprachigen oder anderen Gedichten und Dramen zu vergleichen. Immerhin ist der Dialog der Kulturen selbst Kultur im weitesten Sinn des Begriffs. Was überall in der Kultur als ganzer wahr ist, muß auch in jedem ihrer Teile als wahr nachzuweisen sein.

 

 

[subhead]Worte zum Leben erwecken[/subhead]  

Köstliche Akademikerwitze über "die Beerdigung der Grammatiker" oder die Abneigung des gebildeten Denkers gegen zeitgenössische Stilfibeln sind von klinischer Bedeutung, weil sie die Aufmerksamkeit auf die axiomatischen Wurzeln eines großen Mangels der gängigen Kulturen lenken: Diese Kulturen sind unfähig, einheitliche Begriffe der Wahrheit zu definieren, die auf systematisch kohärente Weise für sprachliches wie für naturwissenschaftliches Denken anwendbar wären.[footnote]Vgl. C.P. Snow, [i]Die zwei Kulturen. Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz[/i], Stuttgart 1988. (Engl. Original: [i]Two Cultures and the Scientific Revolution[/i]).[/footnote] Diese Schwäche, die "Torheit der Grammatiker" in der Entwicklung des Individuums kann ein lähmendes Hindernis auf dem Weg zu einem Dialog der Kulturen und damit auch der Naturwissenschaft sein.

Gerade wenn es um einen Dialog der Kulturen geht, wäre es töricht, sich auf Vereinbarungen zu verlassen, die nur nach dem Wörterbuchverständnis der toten Worte eines Grammatikers zustandekommen. Wir brauchen etwas Lebendiges, nicht leblose Worte, denen jeder nach seinem Gutdünken irgendeine willkürliche Bedeutung beilegen kann. Die Lehre vom "Buchstaben des Gesetzes", wie sie der berüchtigte Richter Antonin Scalia vom Obersten Gerichtshof der USA vertritt, ist ein Paradebeispiel für solches pathologisches Verhalten moralisch toter Geister. Um eine Art "intelligenter Kommunikation" zu ermöglichen, müssen wir Worte zum Leben erwecken - eine Wiederbelebung, die in jedem steifen Grammatiker einen heiligen Schrecken hervorruft, wie er auch Rembrandts Belsazar traf!

Um eine literarische oder künstlerische Kultur in das gleiche System einzubinden wie eine wissenschaftliche Kultur, wie sie Wernadskijs Werk zur Noosphäre verkörpert, betrachte man diejenigen Grundsätze einer Sprachkultur, die zwischen der Vorstellung der Kultur im allgemeinen und Wernadskijs Werk eine Brücke schaffen können.

Shakespeare und alle anderen fähigen Schriftsteller, Dichter und Philosophen wußten es schon immer: Wie ich hier zeigen werde, existiert Wahrheit - anders als Scalia meint - nur in dem, was man Ironie oder Metapher nennt; in dem, was dem schlecht gebildeten Kopf erscheint wie Brüche in den wörtlichen Bedeutungen, welche diese Leichenbestatter des Geistes, die Grammatiker, den Worten beigelegt haben. Die Wahrheit steckt in den scheinbaren Brüchen, "dazwischen", im Prinzip der Ironie, wie es William Empson in seinem bemerkenswerten Werk [i]Sieben Arten der Mehrdeutigkeit[/i] behandelt.[footnote]William Empson, [i]Seven Types of Ambiguity[/i] (Middlesex 1961). Wir wollen uns damit Empsons Gedankengang nicht vorbehaltlos anschließen, sondern betonen, daß sein Werk, bei allen Irrtümern, die es enthalten mag, ernstgenommen werden muß.[/footnote]

Mehrdeutigkeit, als welche die klassische Ironie eines großen Dichters manchmal erscheinen mag, ist so verstanden die einzige wirksame Methode, durch Äußerungen in einer gemeinsamen Sprache die Fesseln der wörtlichen Bedeutung aufzubrechen, um den Menschen aus der Sklaverei toter Worte zu befreien und genaue Vorstellungen wahrer Ideen und durch die Ironie erweckter lebendiger Worte zu vermitteln. Für einen Menschen, der wirklich denken kann, ist der Grammatiker die perfekte Verkörperung des funktionell Schwachsinnigen, der einem bei der Suche nach wahren Ideen im Wege steht. [i]Wirklich lebendiges Wissen[/i] findet man nur in den transzendentalen Ausdrücken, die wir als klassische Ironie bezeichnen.

Diesen Punkt klarzustellen, trifft den Kern des Problems, um das es hier unmittelbar geht.

Stellen wir uns die Frage: Warum ist es für eine angemessene naturwissenschaftliche Arbeit notwendig, daß wir die Entdeckung eines experimentell nachgewiesenen Naturgesetzes mit dem Namen des betreffenden Entdeckers verbinden? Nicht die Namen, die man manchmal den mathematischen Formeln beilegt, mit denen man eine Wirkung der Anwendung eines Prinzips beschreibt, sondern [i]der Name des Entdeckers[/i] selbst.

Diese Frage sollte Aufmerksamkeit für einige entscheidende Beispiele der Bedeutung klassischer Ironie in uns wecken: Wir müssen beweisen, warum wir die Methode des Grammatikers als "Spiel mit toten Worten" bezeichnen müssen.[footnote]Bei einem Internetforum am 9. November 2004 machte ich eine Bemerkung über einen Mathematiker, der eine Plastikpuppe heiratete, weil ihm ihre Maße so gut gefielen.[/footnote]

Indem wir die Entdeckung eines Naturgesetzes mit dem Namen des Entdeckers verbinden - beispielsweise Archimedes - , sind wir unausgesprochen verpflichtet, in unserem eigenen Geist das entsprechende Erlebnis der Entdeckung hervorzurufen und nachzuvollziehen - in dem Fall die des Archimedes oder auch die des Archytas, als er sich mit der Verdoppelung des Würfels befaßte. Wir verpflichten uns, die innere kognitive Erfahrung des Vorganges dieser Entdeckung nachzuvollziehen. Wir versuchen also, eine Nachbildung der entsprechenden Entdeckung aus dem Geist dieser Person, wie sie es damals erlebte, in unseren eigenen souveränen Denkabläufen ins Spiel zu bringen. Indem wir das tun, wird die entsprechende Entdeckung als "lebendige Idee" definiert, und die Worte, die ironisch benutzt wurden, um uns die Richtung anzugeben, werden zu "lebendigen Worten" - [i]Worte, die für uns lebendige Bedeutung haben[/i] - anstelle toter Buchstaben. Das ist mit "Hervorbringen und Vermitteln wirklicher Ideen" gemeint. Das heißt es, [i]Ideen platonischer Art lebendig zu machen[/i].

Ein Beispiel: Manche machen den großen Fehler anzunehmen, Entdeckungen von Naturgesetzen ließen sich an einer Tafel oder am Computer vorführen. Das behaupten z.B. die wirren Anhänger der "Informationstheorie". Gauß hat die Wahrheit bewiesen, als er 1799 in seiner Schrift den entsprechenden Schwindel von Empiristen wie D'Alembert, Euler, und Lagrange aufdeckte. Er bewies erneut, daß Entdeckungen von Prinzipien nicht durch formale mathematische Konstruktionen arithmetischer oder kartesischer Art zustandekommen. Die Entdeckung wird durch die formalen Paradoxa - etwa algebraische Paradoxa, die sich an einer Tafel darstellen lassen - nur angestoßen. Aber die eigentliche Entdeckung vollzieht sich weder an der Tafel noch im Innenleben eines Computers - das geht nur innerhalb der souveränen Erkenntnis, der Vorgänge der Hypothesenbildung, die eine einzigartige Fähigkeit des menschlichen Geistes sind und die den Menschen vom Tier unterscheiden.

Den Namen des ursprünglichen Entdeckers zu nennen, ist eine Herausforderung: die Herausforderung, den Vorgang der Entdeckung, wie er sich im Geist dieses namentlich bekannten Entdeckers vollzog, im eigenen Geist nachzuvollziehen. Das kann man nur tun, indem man seine entsprechende Hypothese im eigenen Geist neu erschafft. Die scheinbar, doch wunderbar paradoxe ontologische Bedeutung meiner Äußerung wird deutlich werden, wenn man die folgenden Kapitel dieser Schrift über Wernadskijs Begriff der Noosphäre konzentriert verfolgt.

Bereits an dieser Stelle kann uns Wernadskijs Gedanke der Noosphäre helfen, einiges von der physischen Bedeutung des gerade Gesagten zu erhellen. Unser lebendes Gehirn und sein Zubehör erweckt z.B. den Ablauf von Archimedes' Entdeckung wieder zum Leben, so wie er sich im Geiste des Archimedes vollzogen hatte. Er wird innerhalb der Funktionen unseres lebendigen Gewebes wiedergeboren.[footnote]Man beachte schon hier einen für die Wirtschaftswissenschaft bedeutsamen Punkt, mit dem ich mich weiter unten befassen werde. Die Erkenntnisprozesse des menschlichen Geistes sind von einer höheren Ordnung als das Prinzip des Lebens an sich, so wie lebende Vorgänge mit nichtlebenden in Wechselwirkung stehen, aber keine sind. Die Erkenntnis ist aber auf einen lebenden Vorgang, den des menschlichen Geistes, angewiesen, um die Idee eines Prinzips, die ein Archytas oder Archimedes hervorgebracht hat, wiederzubeleben. So werden derartige wahre Ideen sowohl innerhalb der zeitgenössischen Gesellschaft wie auch über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende hinweg vermittelt.[/footnote] Dieser Vorgang ist die charakteristische Form des Hypothesenbildens, das Platons Sammlung der sokratischen Dialoge zusammenfaßt. Daß dieses Wiederbeleben der lebendigen Idee hinter dem Namen Archimedes - die lebendige Erkenntnis jenes damals lebenden Archimedes - etwas Physisches ist, haben die Ausleger von Wernadskijs Werk anscheinend bisher noch nicht begriffen. Sowohl das sowjetische "materialistische" als auch das liberal-empiristische Dogma sind Hindernisse, auf die man achten muß, wenn man sich mit den Beweisen für diesen Fehler befaßt.

Vielleicht ist es an dieser Stelle notwendig, diesen Gedankengang noch einmal zu rekapitulieren: Die Ironie, die Person des Entdeckers mit der Entdeckung eines Naturprinzips gleichzusetzen, verpflichtet uns, die lebendige Erfahrung dieses ursprünglichen Vorgangs in seinem Geistes als lebendige Erfahrung in unserem eigenen Geist nachzuvollziehen. Dies ist sozusagen ein Modellfall für die Funktion der klassischen Ironie als dem einzig wahrhaftigen Weg, über Arten der Verständigung, die praktisch tot sind, wenn man sie nur für sich behandelt (wie es bloße Grammatiker tun), von einem Geist zum anderen eine [i]lebendige Erfahrung[/i] von Wahrhaftigkeit zu vermitteln, selbst wenn Tausende von Jahren dazwischen liegen.

Die klassische Tragödie, etwa von Aischylos, Shakespeare oder Schiller, ist in der Kunst ein Modell für die gleiche Bedeutung der klassischen Ironie, wie ich sie für den anderen Fall dargelegt habe, daß man ironisch Namen wie Archimedes, Kepler oder Gauß benutzt, um den Geist des Hörers anzuregen, die entsprechende Entdeckung eines Naturprinzips nachzuvollziehen. Dies dient uns wiederum dazu, zu zeigen, wie man festlegt, welche Prinzipien man annehmen sollte, um einen Dialog der Kulturen zu entwickeln, und [i]vor denen zu warnen, die nicht angewandt werden sollten.[/i]

 

 

[subhead]Wozu studiert man die klassische Tragödie?[/subhead]  

Zum Beispiel: Wozu braucht man klassische Schauspieler? Sprechen die gedruckten Worte nicht für sich selbst? Sollte nicht irgendeine bunt zusammengewürfelte Schar von Laienschauspielern, die den Text des Dramas vorträgt, genausogut in der Lage sein, die Absicht eines Verfassers wie Schiller oder Shakespeare zu vermitteln? Vielleicht fehlen ihnen ein paar Feinheiten, aber vermindert das die Fähigkeit, die vom Schriftsteller beabsichtigte Bedeutung zu vermitteln? Der sophistische Pedant würde auch fragen: Ist das Rezitieren klassischer Dichtung nicht eine Frage des "Geschmacks"?

Aber das sind nur Meinungen. In Wirklichkeit muß eine Schauspieltruppe, die ihr Fach beherrscht, beispielsweise in den Eingangsszenen zu [i]Hamlet[/i] oder [i]Julius Cäsar[/i] den Geisteszustand des alten Rom zu Zeiten Cäsars und Ciceros oder von Hamlets legendenhaftem Dänemark, so wie Shakespeare es sah, lebendig auf die Bühne bringen, noch bevor die Hauptpersonen des Stückes selbst aufgetreten sind. Aus Gründen, die ich weiter unten erläutern werde, ist es bei der Komposition klassischer Tragödien fast schon ein Prinzip, daß die Hauptperson erst auftreten darf, wenn das Paradoxe an dem ganzen Umfeld, in dem sie erscheint, im Geist des Publikums schon zu einer ganz bewußten, klar umrissenen Erfahrung geworden ist - und natürlich durch Proben und die Erfahrung wiederholter öffentlicher Aufführungen auch in den Köpfen der Schauspieler der klassischen Bühne.[footnote]Deshalb: Bitte gebt uns die Theatergesellschaften mit klassischem Repertoire wieder! Sorgt euch nicht darum, ob sie sich wirtschaftlich auszahlen - das Geld, das sie kosten, ist sehr gut angelegt. Aufführungen dieses Theaters auf Film festhalten? Ausgezeichnet - so haben Regisseur und Schauspieler eine Hilfe bei der Vervollkommnung ihrer Live-Aufführungen vor Publikum. Anschließend kann man das beste Ergebnis mit demselben Ensemble für ein Massenpublikum wiederholen. All das trägt dazu bei, ein immer besseres, angemesseneres Ergebnis zu erzielen - was einschließt, Schauspieler heranzuziehen, die immer besser in der Lage sind, die höheren Ziele zum Nutzen der Gesellschaft, die Verfasser und Darsteller unausgesprochen beabsichtigen, zu erreichen.[/footnote]

Ich werde versuchen, diesen Punkt, der ein wesentlicher Gesichtspunkt des Dialoges der Kulturen ist, zu verdeutlichen: Das Wesen des Dramas liegt jenseits der Buchstaben, sozusagen "in den Ritzen". Ein wahrer Dialog dieser Art findet nur in dem Bereich statt - dem Bereich der platonischen Hypothesenbildung - , wo die Wahrheit liegt: in dem universellen Prinzip der spezifisch menschlichen Kommunikation, der klassischen Ironie.

So muß beispielsweise in den Eröffnungsszenen der beiden Tragödien Shakespeares, die uns hier zur Veranschaulichung dienen, das Publikum sehr rasch, nachdem der Vorhang sich geöffnet hat, das unheimliche Gefühl bekommen, daß das Universum auf der Bühne ein ganz anderes kulturelles Universum ist als ihre eigene reale Lebenswelt. Das wechselseitige Verhalten der Schauspieler auf der Bühne darf die Worte nicht so ausdrücken, als hätten sie Menschen aus der zeitgenössischen Kultur des Publikums gesprochen, und die Zuschauer dürfen nicht es nicht als Geschehen innerhalb ihrer eigenen zeitgenössischen Erfahrung auffassen. Andernfalls wäre die Aufführung von Anfang an künstlerisch mißlungen.

Das heißt: Die ableitbaren Verhaltensregeln zwischen den Menschen der einen Kultur sind anders als die einer anderen. Die klassische Tragödie handelt davon, wie die systemischen Eigenschaften einer Kultur, als Ganzes betrachtet, zu deren Untergang führen. So spürt der zeitgenössische Zuschauer die oft scheinbar nur ganz feinen Unterschiede zu dem vermeintlich gleichen Gespräch, wenn es innerhalb der Kultur der Zuschauer wiederholt würde. Es muß ganz klar sein, daß diese Gespräche in diesem anderen kulturellen Umfeld stattfinden - [i]an einem anderen Ort der physikalischen Raumzeit[/i], der für die Kultur steht, die das Thema der Tragödie bildet.

Man muß also hervorheben, daß die Hauptfiguren einer Tragödie auf der Bühne anders handeln, anders denken, Teil einer qualitativ anderen Kultur sind als die Zuschauer oder die Schauspieler als Privatpersonen. Selbst wenn sie die gleichen Worte aussprechen, ist die Bedeutung in irgendeiner Hinsicht eine ganz andere. Schließlich haben sie sich von einer Gesellschaft, ihrer Alltagswelt außerhalb der Bühne, in eine andere Welt begeben, die Welt einer vergangenen geschichtlichen Epoche, einer anderen Kultur und anderer Lebensumstände. Ein guter Autor oder Regisseur muß das Genie haben, eine tiefe Einsicht in diese systemischen Unterschiede zu entwickeln und die Feinheiten der kulturellen Substanz anzuführen, die den Rahmen des vom Autor beabsichtigten Themas bilden.[footnote]Eine besonders durchschlagende Wirkung, wenn man Werke von Shakespeare und Schiller erlebt, betrifft deren geschichtliche Treue bei der Darstellung von Ort und Zeit, ihr feines Gespür für historische Genauigkeit. So berühren beispielsweise Shakespeares Dramen zur englischen Geschichte die wichtigsten Wesensmerkmale der Zeit des ultramontanen Bündnisses des venezianischen Geldadels mit den normannischen Rittern im Mittelalter. Sobald man seine Aufmerksamkeit auf diese historischen Abläufe als Gegenstand des Dramas wendet, statt auf irgendwelche netten touristenartigen Bemerkungen zu historischen Daten, Personen und Orten, spürt man die Macht von Shakespeares schöpferischem Geist. Was Schiller betrifft, soweit ich mich hier auf ihn bezogen habe, so ist sein Gespür für die Feinheiten der Geschichte noch genauer und leidenschaftlicher als das Beste von Shakespeare.[/footnote]

Es zeichnet den großen Dichter aus, daß er solche Möglichkeiten wirksam ausschöpft. Seine Absicht ist, das Publikum aus dem Universum, in dem es lebt, geistig in ein anderes Universum zu versetzen, wo der Umgang der Menschen miteinander in der Gesellschaft qualitativ anders ist als in der Welt der Zuschauer. Die Schauspieler müssen sich selbst und ihr Verhalten untereinander in dieses andere Universum verlegen; das eigene sollten sie solange auf der Straße geparkt lassen.

Deshalb ist es unbedingt erforderlich, daß die Schauspieler im Stück von Anfang an nicht bloß Verse rezitieren. So müssen die Schauspieler in der Eröffnungsszene von [i]Julius Cäsar[/i] Römer jener Zeit sein. Die Worte, die sie sprechen, haben nicht die Bedeutung, die sie hätten, wenn sie ein Zeitgenosse spräche. Wenn man wie ein lebendiger Römer in entsprechender Stellung handelt und reagiert, mit all der "Körpersprache" und den emotionalen Abstufungen, die dieser Römer unter den entsprechenden Umständen an den Tag legte, wird auf unheimliche Weise der Unterschied deutlich, wie sich diese Römer verhalten und wie wir in unserer Zeit und an unserem Ort diese Zeilen sprächen. Die Wirkung auf den Geist der Zuhörer muß die sein, daß hier etwas unheimlich und "anders" ist, das man spürt und erkennen kann, das aber außer Sichtweite des Zuschauers ist.

Nur ein Beispiel für solche scheinbar unwichtigen, aber entscheidenden Kritikpunkte: Wie spricht Casca Ciceros Namen aus? Was ist seine "Körpersprache"? Wie hätte man dieselben Worte unter heutigen Umständen ausgesprochen? Tatsächlich sieht man hier - zwischen der klassischen Sichtweise, für die Cicero steht, und dem Umfeld des quasi faschistischen Cäsar - schon den erbitterten, alles beherrschenden und für die Tragödie entscheidenden Kampf der Kulturen im alten Rom. Wie gut Shakespeare diesen Zusammenhang verstand, zeigt sich daran, wie er auf höchst ironische Weise Cicero fast körperlich spürbar in die Szene einbezieht. Diese Bedeutung Ciceros, den man gar nicht sieht, ist für die Aufführung der ganzen Tragödie entscheidend. Die Zuschauer werden vielleicht zuerst nicht wissen, warum dieser Bezug auf Cicero so bedeutsam ist, aber Regisseur und Schauspieler müssen die Zuschauer diese Bedeutung [i]spüren lassen[/i].[footnote]Nur ein geschichtlich ungebildeter Mensch könnte behaupten, daß ich in dieser Beurteilung von Cascas Äußerung falsch liege. Shakespeares Wesen als Dichter zeigt uns eine Persönlichkeit, deren Wurzeln in der italienischen platonischen Renaissance des 15. Jhs. liegen, wie sie auch bei Sir Thomas More (Morus) zum Ausdruck kommt - jenem More, in dem die venezianische Finanzoligarchie, verkörpert u.a. durch Francesco Zorzi, Kardinal Pole und Thomas Cromwell, ihren Todfeind sah.[/footnote]

Die Absicht des großen Dichters ist nicht, den Zuschauern einfach nur eine bestimmte Lösung für das in der Tragödie vorgestellte Paradox aufzudrängen. Keineswegs; solche Dummheiten überlassen wir den Romantikern, die behaupten, alles zu erklären, aber in Wirklichkeit alles Besondere einer historischen Situation kaputtmachen, indem sie das Schicksal ganzer Völker und Zivilisationen auf die Ebene ihrer Schlafzimmersicht von Scheitern und Triumph einzelner Helden und Bösewichter herabziehen - fast schon Seifenopernniveau!

Nehmen wir Schillers [i]Jungfrau von Orleans[/i]: Schiller hat die Grundlagen von Ort und Zeit der damaligen Ereignisse sorgfältig nachgeforscht und die wahre Bedeutung Johannas nachgeschöpft. Johannas Wirken in der Wirklichkeit jener Zeit und jenes Ortes - die reale Auswirkung ihres damaligen Handelns, bis zum Augenblick ihres Todes, als die Inquisition sie auf dem Scheiterhaufen verbrannte - habe ich vor kurzem mit dem Martyrium Martin Luther Kings verglichen, so wie er selbst es begriffen hatte und noch bis zum Morgen seiner Ermordung mit seinen eigenen Worten zum Ausdruck brachte.

[i]Analysis situs[/i]! So wie es Leibniz und Riemann verstanden. Es war ihr Handeln in dieser besonderen Lage, wie Schiller es vermittelt, was aus diesem Augenblick der Menschheitsgeschichte heraus die Entwicklung in Gang setzte, der u.a. zur Gründung der ersten wirklich souveränen Nationalstaaten der bekannten Geschichte führte: Frankreich unter Ludwig XI. und England unter Heinrich VII. Durch das Handeln Jeanne d'Arcs und seine Folgen wurde die Macht der jahrhundertealten ultramontanen Ordnung im mittelalterlichen Europa - des Bündnisses des venezianischen Geldadels mit den normannischen Rittern - gebrochen. Und das wird bei einer werkgetreuen Aufführung von Schillers Stück deutlich.

In ähnlicher Weise ist der Maßstab für das Handeln der Vereinigten Staaten heute praktisch immer noch, was wir nach Martin Luther Kings Tod alles [i]unterlassen haben[/i]. Martin war nicht Johanna - wieder [i]Analysis situs[/i]! Die Kulturen sind verschieden, aber das Prinzip, daß der Mensch ein Werkzeug ist, die Zukunft zu erschaffen, ist der höhere Standpunkt, von dem aus man die unterschiedlichen besonderen Eigenschaften der verschiedenen Zusammenhänge begreifen muß.

Halten wir hier einen Moment inne, um diesen Punkt zu unterstreichen. Er ist für den Erfolg eines Dialoges der Kulturen entscheidend.

In der realen Geschichte erhält die individuelle menschliche Existenz durch die Geschichte der [i]lebendigen Worte[/i] Bedeutung in Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart gleichzeitig. Das Vermitteln von Ideen als [i]lebendigen Worten[/i] zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft drückt die Unsterblichkeit des einzelnen aus - wie der Widerhall einer alten vedischen Hymne über Astronomie in Mittelasien vor Tausenden von Jahren. Nur eine verdorbene Kultur wie die empiristische oder sophistische wird dem Menschen diese Verbindung durch [i]lebendige Worte[/i] (d.h. wahre [i]Ideen[/i] im Sinne der platonischen Hypothesenbildung) vorenthalten. Die "erzieherische" Wirkung klassischer Dramen, Musik, Dichtung, Malerei, Bildhauerei und Architektur besteht darin, über das [i]lebendige Wort[/i] im Zuschauer oder Zuhörer ein Verständnis der Unsterblichkeit zu wecken. "Gestern sprach mein Geist mit dem Geist des Archimedes. Unsere Geister waren verbunden durch ein Kommunikationssystem, das uns über Jahrtausende hinweg zusammenführt." Die Figur auf der klassischen Bühne, das ist nicht unser Nachbar, der Verse aufsagt, sondern eine vielleicht längst verstorbene Persönlichkeit wie Johanna oder Amerikas Held Martin Luther King, der durch das Medium der [i]lebendigen Worte[/i] auf der Bühne wieder lebendig wird. Diese [i]lebendigen Worte[/i] verbinden diese reale Vergangenheit unmittelbar mit unserer Gegenwart und bringen so Menschen verschiedener Generationen zusammen - so wie Raphael Sanzio in seinem Fresko [i]Die Schule von Athen[/i] sich selbst in der Gleichzeitigkeit der Ewigkeit darstellte.

Auf diese Weise wird der Mann, der vom Rang aus zuschaut, über die Verbindung zu den [i]lebendigen Worten[/i], die auf der Bühne gesprochen werden, ein Gefühl wahrer Unsterblichkeit spüren - vorausgesetzt, Regisseur und Schauspieler lassen die Zuschauer diese Worte wirklich als [i]lebendige Worte[/i] fühlen. Hierin liegt das wahre Geheimnis klassischer Tragödien. Wer das lebendige Wort nicht fühlt, der hat an Shakespeares und Schillers Tragödien noch nichts Wesentliches verstanden.

Deshalb gilt für alle wahrhaft klassischen Tragödien, wie bei Schillers Herangehensweise, das strenge Prinzip [i]geschichtlicher Genauigkeit[/i] des Historikers. [i]Analysis situs![/i] Bedeutungen lassen sich nicht ohne weiteres aus einer bestimmten Raumzeit des Universums in eine andere verfrachten. Jeder Teil der Geschichte hat einzigartige, historisch präzise Merkmale. Hamlet ist nicht Julius Cäsar. Hamlets sagenhaftes Dänemark ist nicht dasselbe wie die römische Kultur zur Zeit Ciceros - jener Cicero, der für das Stück ganz entscheidend ist, obwohl er kaum darin auftritt, so wie er es auch für die Wendepunkte der wahren Geschichte im Rom jener Zeit war.

Allen gemeinsam aber ist, wie wir die Fähigkeit entwickeln müssen, zu verstehen, nach welchen Gesetzen man die Geschichte verändert, denn sie sind die eigentliche Grundlage der Gesetzgebung und Auslegung der Gesetze der Regierung. Wir verbinden unterschiedliche Zeiten und Orte der Geschichte nicht durch bestimmte Handlungen als solche. Wir verbinden sie mittels der Naturgesetze, der einzig verfügbaren wirklichen Verbindung im sich ständig wandelnden Territorium der Geschichte. Dafür, für die Strategie, bedürfen wir der Methode, die alle historischen Besonderheiten zusammenfaßt. Die Geschichte muß für uns ein Reich der lebendigen Worte sein, die die Unsterblichkeit aller menschlichen Erfahrung und Entwicklung in einem einzigen Bild einfassen, so wie der wahrhaft klassische Historiker vor uns nahtlos die Gleichzeitigkeit der Ewigkeit entfaltet. Solche klassischen Dichter sind die wahren Historiker, das ist die Aufgabe, die sie erfüllen sollten.

Wenn wir viele verschiedene Orte und Zeiten der Geschichte betrachten, müssen wir es vermeiden, "den Durchschnitt zu nehmen", wie es Shakespeares alberner Polonius getan hätte. Wir brauchen ein Konzept, das über allen Versuchen steht, die Geschichte in hermetisch getrennte Abteilungen zu ordnen. Bei diesem Vorhaben kann das Werk Wernadskijs für unsere Arbeit über ein Konzert jeweils ganz eigenständiger Kulturen Wesentliches beitragen.

Nehmen wir als Beispiel in diesem Licht den Geist in [i]Hamlet[/i]. Man stellt sich vor, wie dieser Geist während des Monologes im Dritten Akt schweigend und unsichtbar im Dunkel erscheint. Man betrachtet, wie dieser Monolog mit dem früheren Monolog im zweiten Akt vorbereitet wurde. In der Schlußszene spürt man, wie die Wucht des tragischen Untergangs die ganze Kultur dieses sagenhaften Dänemark erfaßt. Während Hamlets Leiche weggetragen wird, stellt Fortinbras seine Torheit zur Schau und schockiert das Publikum mit seinem lüsternen Prahlen, und gleichzeitig richtet der wie betäubte Freund des toten Hamlet den Blick von der Bühne in das versammelte Publikum und spricht unmittelbar zu ihm, fast als wäre die Figur des Chorus (aus [i]Heinrich V.[/i]) herbeigerufen worden.

Nun rufe man sich das Bild des Geistes und der Handlung jener Szene zu Beginn des Stücks in Erinnerung. Shakespeare braucht den Geist, und man muß in der Schlußszene spüren, wie der Geist schweigend, unsichtbar, aber doch spürbar anwesend ist. Denn ohne das könnte Shakespeare dem Publikum nicht so leicht dieses unheimliche Gefühl vermitteln, was für ein Geist, was für ein Aberglaube und welcher typische Umgang alle Schichten der auf der Bühne vorgestellten Kultur kennzeichnen. "Die sind alle völlig verrückt!" "Dieses Dänemark ist ein wahrer Alptraum!"

Ich kann dieses Gefühl verstehen, aber man muß vorsichtig sein. Es reicht nicht aus, diese Figuren nur allgemein als verrückt darzustellen. Es muß eine ganz bestimmte Art von Wahnsinn sein, den man ihnen bei der Aufführung gibt: eben der Wahnsinn, der ihrem kulturellen "Goldfischglas" eigen ist. Man darf nicht impulsiv in grotesker Weise gegen das Grundprinzip historischer Stimmigkeit verstoßen. Ohne das Gespür für die [i]historisch stimmige Darstellung[/i] (wenn man an die britische Geschichte denkt) oder, was von der Wirkung her das gleiche ist, für das treffend [i]Legendenhafte[/i], das [i]unheimlich[/i] in der Irrationalität aller Charaktere dieser Kultur durchscheint, wird hier - und genauso auch in Shakespeares Behandlung von [i]Macbeth[/i] und [i]Lear[/i] - die wahre Absicht des Dichters nicht angemessen vermittelt. Es reicht nicht, das Stück aufzuführen; man muß das Drama und die darin dargestellte Kultur an ihrem Ort und in ihrer Zeit erleben.

Die Drama [i]Hamlet[/i] endet in der Schlußszene mit einem Appell an das Publikum: Es soll erkennen, daß die treibende Kraft der Tragödie nicht in der Person Hamlets an sich liegt, sondern in der Kultur dieses Dänemarks als dem eigentlichen Thema des Dramas. Hamlets ist deshalb so erbärmlich, weil er nur allzusehr den verrückten Dänen jener sagenhaften Zeit verkörpert. Noch bevor die Hauptfigur die Bühne betritt, muß das Publikum die Wucht des Verderbens als dramatische Ironie spüren, vergleichbar mit dem großen Ausbruch zu Beginn der Ersten Symphonie von Brahms. Wenn man das beachtet, wird die Hauptfigur zu einem Menschen im Kampf mit den Kräften des Untergangs, die seine Kultur auszeichnen. Kann er den bösen Zauber dieses Untergangs brechen, oder erweist er sich nur als ein weiteres bedauernswertes Mitglied jener Kultur, die sich selbst zum Untergang verurteilt hat, weil er nicht den Willen aufbringt, diese Kultur so zu ändern, wie es notwendig wäre, um ihre Menschen zu retten?

Dabei hat in der klassischen Tragödie wie in der wahren Geschichte jeder Fall seine historischen Besonderheiten. Jeder Augenblick der Geschichte ist kulturell einzigartig, dies aber paradoxerweise innerhalb einer nahtlos kontinuierlichen, doch vielfach verknüpften Riemannschen Universalität der Gleichzeitigkeit der Ewigkeit. Solche unterschiedlichen Augenblicke der Geschichte lassen sich nicht auf eine einfache Formel reduzieren. Bei jedem wichtigen Thema eines klassischen Dramas müssen der Dichter und die Schauspieler den Stoff des Dramas als ein einzigartiges Ereignis auffassen, das keine Formel hervorrufen könnte. Auf diese Weise müssen sie dem Drama ein ganz bestimmtes Leben verleihen - sie müssen das ironische Gefühl vermitteln, daß hier ein "lebendiges Wort" wirkt. Ein Drama ist nicht wirklich klassisch - weder die Dichtung noch die Aufführung - , solange sein zentrales Thema nicht ein einzigartiger schöpferischer Akt ist: das hypothetische Aufstellen einer Lösung für ein Problem, das nie zuvor in der Geschichte aufgetreten ist und nie wieder in genau gleicher Weise auftreten wird.

In letzter Zeit beziehe ich mich des öfteren auf den Sieg Friedrich des Großen über die Österreicher bei Leuthen als Beispiel für das Prinzip des Oberkommandierenden im wichtigsten Führungsamt einer Nation oder des Kommandeurs, der persönlich die Verantwortung für den historischen Ausgang eines Krieges übernimmt. Solche Beispiele drücken das Wesen des Inhalts von Tragödien aus. Friedrichs neuartiges Vorgehen angesichts einer Lage, in der sein Heer den gut ausgebildeten und fachmännisch eingesetzten österreichischen Kräften zahlenmäßig weit unterlegen sein würde, war eine erfolgreiche Lösung, die einzigartig auf diese Situation zugeschnitten war. Soll man versuchen, daraus eine "Durchschnittslösung" für gleichgelagerte Fälle abzuleiten? Das wäre ein Schwindel; nicht nur, daß der exzentrische Friedrich auch ein schöpferisches Genie war, sein Handeln war ganz auf diese historische Situation zugeschnitten - wieder [i]Analysis situs[/i].

Was man daraus lernen kann: Die Kleingeister unserer Kultur und ihresgleichen haben einen erbärmlichen Hang zu der Behauptung - so wie der Betrüger Claudius Ptolemäus im Römischen Reich - , nachdem Gott die Welt erschaffen habe, müsse die Schöpfung [i]a priori[/i] vollkommen sein. Wenn wir also, so behauptet der Sophist, den Gedanken zulassen, Gott selbst könne in das Universum eingreifen und es ändern, dann wäre das so, als behaupte man, Gott habe Fehler gemacht, die er nun nachträglich ausbügeln müsse. [i]Dieser Sophist beleidigt damit Gott![/i] Gott hat recht; es sind Sophisten wie Aristoteles und später sein Anhänger Ptolemäus, die unrecht hatten - wenn sie nicht einfach nur dumm sind.

Wenn wir mit dem Menschen und der Gesellschaft zu tun haben, haben wir es mit einem schöpferischen Wesen zu tun, das oft Fehler macht, aber als lebendiges Abbild eines Gottes geschaffen ist, dessen Lebensweite die ständig fortgesetzte Schöpfung ist. Wie Heraklit betonen würde, und der Platon des [i]Parmenides[/i] stimmt ihm zu: Im Universum gibt es nichts als Veränderung, und das ist auch das ontologische Wesen des Schöpfers.

Diese Sicht der Schöpfung ist für jeden Verfasser klassischer Tragödien, der sein Handwerk versteht, der Standpunkt, von dem aus er seine Themen wählt. Der ureigene Inhalt der klassischen Tragödie ist die schöpferische Kraft (zur platonischen Hypothesenbildung) des menschlichen Geistes. Seit Platons Dramen, seinen sokratischen Dialogen, wurden alle klassischen Tragödien danach komponiert, ob diese Hypothesenbildung vorhanden ist oder ob ihr Eingreifen fehlt.

Wir wollen um der Deutlichkeit willen diesen letzten Gedankengang noch einmal rekapitulieren; man bedenke folgendes:

Der einzig angemessene Inhalt eines klassischen Dramas ist, darzustellen, daß dieser Akt schöpferischer Vernunft und schöpferischen Willens notwendig ist. Dieses Element, welches Schiller als das [i]Erhabene[/i] bezeichnet, ist der eigentliche Inhalt des Dramas - ob es nun in der Tragödie stattfindet oder ob es als naheliegendes schöpferisches Handeln stattfinden sollte, aber nicht tut. Das ist das Erlebnis, das man im Geist des Publikums hervorrufen muß, so wie uns der Name des Entdeckers eines Naturprinzips verpflichtet, seine Hypothesenbildung in den lebendigen Vorgängen unseres Geistes nachzuvollziehen. Dieser Vorgang der Hypothesenbildung, das [i]Erhabene[/i] bei Schiller, ist das Wesen der gelungenen Aufführung einer klassischen Tragödie, so wie dies schon für das Werk Shakespeares galt. Über die besondere historische Vermittlung durch Abraham Kästner und Gotthold Ephraim Lessing wurde sein [i]lebendiges Wort[/i], der "lebendige Shakespeare" wiederbelebt und beeinflußte die klassische humanistische Renaissance des späten 18. Jh., die von Deutschland ausging. Dank des Wirkens von Kästner, Lessing u.a. lebt Shakespeare heute wieder.

Diese Einstellung zur klassischen Tragödie ist beispielhaft für den Geisteszustand, den man haben muß, bevor man Fragen eines Dialoges der Kulturen erörtert. Die Tragödie, wenn sie denn als solche endet, liegt nicht in den Führern der Gesellschaft, sondern in dem, was sie nicht sind. Die eigentliche Dynamik der Tragödie liegt vor allem in der Kultur, für die der tragische Hauptheld allzu typisch ist.

Deshalb verabscheute Platon Entsprechendes an den griechischen Tragödien seiner Zeit: Platon vermißte in diesen von ihm kritisierten Tragödien den Kontrast zu dem, was Schiller später das [i]Erhabene[/i] nannte, und er bewies auch in seinen Dialogen dieses Prinzip.

Zum Vergleich betrachte man, wie bekannte Autoren versucht haben, Gegenstände der zeitgenössischen Geschichte zu behandeln. Zu den gelungeneren unter den neueren amerikanischen Tragödien zählen Arthur Millers [i]Tod eines Handlungsreisenden[/i] und Eugene O'Neills [i]Der Eismann kommt[/i]. Ein klassisch ausgebildeter Schauspieler wie Lee J. Cobb hätte das Ironische der Hauptfigur des [i]Handlungsreisenden[/i] wirksam vermitteln können: daß sie nämlich nicht das Tragische dieser Figur auf der Bühne verkörpert, sondern das Tragische der damals zeitgenössischen amerikanischen Kultur überhaupt. [i]Der Eismann kommt[/i] ist für die leicht erkennbare Absicht sehr schön komponiert, aber das Publikum neigt dazu, sich nur mit der vermeintlichen Tragödie Hickeys zu befassen, statt mit dem tragischen Scheitern der Volkskultur, deren Opfer er wird. Hickey "nimmt dem Schnaps das Leben", aber die treibende Kraft der Tragödie ist nicht Hickey selbst, sondern der "Schnaps" der allgemeinen Weltsicht dieser Kultur - ähnliches gilt auch für den [i]Tod eines Handlungsreisenden[/i]. In beiden Fällen besteht die Gefahr, daß unsere verdorbene Zeit das Publikum dazu verführt, das Drama mit dem verwirrten Geist des Romantikers zu sehen und den Kern der Tragödie in der Hauptfigur auszumachen statt in der Gesellschaft, die diese Figur vor unseren Augen herumschlenkern läßt wie eine Marionette an den kulturellen Fäden ihrer Zeit und ihres Ortes. Die Gefahr besteht darin, daß das Gefühl des [i]Erhabenen[/i] fehlt, welches uns, das Publikum der Gegenwart, bei dem Erlebnis des entsprechenden fruchtbaren Ausgangs der Tragödie auf der Bühne mit uns selbst verbindet.

Da das Prinzip der klassischen Tragödie nur wirkt, wenn die Veränderungen der Kultur einer ganzen Nation ihr eigentliches Thema bilden, hätten diese modernen Dichter besser daran getan, ihre Tragödien um eine führende Persönlichkeit dieser Gesellschaft und Kultur herum aufzubauen. So könnte man es eher vermeiden, in der Tragödie nur die Angelegenheit eines einzelnen zu sehen, statt in dieser Führungsperson das beispielhafte Opfer einer Unterordnung unter die Kultur der Gesellschaft zu erkennen. Diese Hauptperson muß nicht gerade einer der letzten Präsidenten sein, aber die schicksalhaften Entscheidungsprozesse der Nation und die Verkommenheit der Amerikaner, die eine solche Travestie zulassen, müssen sich in ihr in angemessener Weise widerspiegeln. Das Thema der klassischen Tragödie ist, wie Platon und Schiller fordern, die Geschichte der Menschheit. Um die [i]lebendigen Worte[/i] des erhabenen Erlebnisses abzuleiten, braucht man ein echtes historisches Thema, entweder aus bekannten Orten und Zeiten der wahren Geschichte oder aus Legenden, die vergleichbare Bedeutung hatten.

So gesehen war es ein Fehler, in dem Fall von Miller und O'Neill, daß sie statt Personen an der Spitze der Nation "kleine Leute" zu tragenden Figuren ihrer Tragödien machten, auch wenn dieser Fehler auf entsprechende modische Forderungen des "Theatergeschäfts" und des zahlenden Publikums ihrer Zeit zurückging. Sie taten ihr Bestes, und ich bewunderte das Ergebnis sehr, weil es klassische Tragödien waren. Aber ich erkannte auch, daß die krankhaften Romantiker und Existentialisten, die sich wie die Räuber unter die Kritiker und das Theaterpublikum mischten, das tiefere Verdienst dieser Werke wahrscheinlich übersehen würden.

Das Thema der klassischen Tragödie sind die notwendigen Veränderungen in der Kultur als ganzer. Der Versuch, anstelle einer solchen Veränderung einer ganzen Kultur eine lokale Änderung innerhalb der Kultur zu setzen, kann offensichtlich nur dann aufgehen, wenn Dichter und Regisseur sich dieses gerade von mir dargelegten Problems bewußt sind. Die Schilderung der Hexenprozesse von Salem in Millers [i]Hexenjagd[/i] ging als Tragödie schief, weil das Massachusetts der Zeit der Winthrops und Mathers falsch dargestellt ist, um einer reflexartigen Reaktion auf die Hexenjagd McCarthys und Trumans in der Ära Truman willen, und dabei etwas herauskam, aus dem sich keine wahrhaften "lebendigen Worte" ableiten ließen.[footnote]Die historischen Unterlagen belegen, daß die Hexenprozesse von Salem eine Operation der erklärten politischen Gegner der Winthrops und Mathers waren, aus der langfristig die politische Basis der verräterischen Hartford-Konvention Anfang des 19. Jhs. (wie die Unterstützer von Lowell und Perkins in den "Syndikaten") hervorging. Es gibt also eine Parallele zu dem Komplex um Harriman, Russell, Truman und Alan Dulles, der das Ferment für die Hexenjagd in der Zeit vor Eisenhowers Präsidentschaft schuf. Der Angriff dieser Kräfte galt dem verstorbenen Präsidenten Franklin Roosevelt, und er hält bis zum heutigen Tag an. Ohne die Helden von Massachusetts, die für die spätere Gründung unserer Republik stehen und gegen die sich die Machenschaften von Salem richteten, ist Millers dramatische Behandlung des Stoffes unsinnig.[/footnote]

Ein Beispiel: Vor etwa einem Jahrzehnt erhielt ich eine Führung durch eine berühmte Moskauer Maschinenfabrik, deren Name mir ihrer Bedeutung wegen während der gefährlichen Zeit der Belagerung Moskaus durch die Wehrmacht wohlbekannt war. Ich hatte zu jener Zeit wie viele Menschen meiner Generation bei dieser Belagerung aus der Ferne mitgefühlt. Nun beobachtete ich in einem Gebäude in dieser Fabrik einzelne Männer bei der Arbeit, die offenbar schon so alt waren, daß ich sehr lebhaft an die Arbeiter denken mußte, die im Krieg unter dem Feuer der Belagerung gearbeitet hatten. Nicht lange nach meiner Besichtigung wurde die Fabrik stillgelegt. Als ich davon erfuhr, vergoß ich stille Tränen und dachte an einige Gesichter der altgewordenen Männer bei der Arbeit an diesen Maschinen, die man ihnen nun weggenommen hatte, und ich dachte an die Zeit der Belagerung durch die Wehrmacht. Nun sagen Sie mir: Was ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Tragödie? Der einzelne? Oder das System? Die Gesellschaft? Trägt nicht die Gesellschaft in solchen Fällen die Verantwortung für das Leiden des einzelnen?

Könnte jener Arbeiter, der mehr als alle anderen meine Aufmerksamkeit erregten, im Mittelpunkt eines Dramas über die heutige postsowjetische Gesellschaft Rußlands stehen? Sicherlich, aber man muß dabei mit einem Gespür für das Wesen der klassischen Tragödie vorgehen und die gesellschaftlichen Abläufe von oben nach unten, die das Schicksal des Arbeiters prägen, mit darstellen, so wie das Clifford Odet in [i]Warten auf Lefty[/i] tat.

Denken wir dann noch einmal an die Methoden, nach denen große klassische Gedichte oder Tragödien komponiert werden. Ich habe beschrieben, welche Absicht solche Werke prägen sollte. Welche Methode dient nun dieser Absicht?

 

 

[subhead]Die lebendigen Worte[/subhead]  

Man betrachte den Fall, wo dasselbe Bild oder Wort oder dieselbe Wortfolge an jeder der verschiedenen Stellen, an der sie in einem Gedicht auftaucht, eine andere Bedeutung hat. Trotzdem definiert gerade der Widerspruch - [i]die formale Diskontinuität (Mehrdeutigkeit) unterschiedlicher Bedeutungen[/i], die demselben Begriff an verschiedenen Stellen eines Werkes beizumessen sind - diese Mehrdeutigkeit als einzigartigen, klar umrissenen und unterscheidbaren Gegenstand, der ein [i]lebendiges Wort[/i] sein kann (in dem Sinne, wie ich oben "lebendige Worte" definiert habe). Diese Methode, eine solche Singularität zu erzeugen, bildet die Grundlage der klassischen Ironie. Percy Shelley veranschaulicht das in seiner Schrift [i]Zur Verteidigung der Poesie[/i].[footnote]Man vergleiche meine und Shelleys Auffassung dieses Begriffes mit den Erklärungen in William Empsons [i]Seven Types of Ambiguity[/i] (Sieben Arten der Mehrdeutigkeit), worauf schon weiter oben Bezug genommen wurde.[/footnote] Indem wir den Unterschied, der hier als Diskontinuität auftritt, mit einem bestimmten Namen versehen, haben wir, als Dichter oder als mitdenkendes Publikum, die vorhandene Sprache so gebraucht, daß wir unserem geistigen Wortschatz einen neuen Begriff, ein solches neues Wort hinzufügen. Auf diese Weise nehmen tote Worte eine lebendige Bedeutung an.

Das ist die Ironie, die aus der jeweils verwendeten Sprache eine [i]lebendige Sprache[/i] macht. Die Sprache lebt nicht durch ihre Form an sich, sondern durch die ironische Art und Weise, in der man sie gebraucht. Im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten, einen stehenden nominellen Wortschatz zu verwenden, werden Bedeutungen [i]lebendiger Worte[/i] entwickelt - man denke insbesondere an Bedeutungen universeller Naturprinzipien. Wenn sich die Bedeutung, der Bezug eines Begriffes anhand seines Platzes in einem deduktiven System definieren läßt, ist er kein [i]lebendiges Wort[/i], solange man ihn in diesem Sinne gebraucht. Es muß eine sinnvolle funktionelle Diskontinuität im Gebrauch des Wortes geben, die gewährleistet, daß der Geist das Vorhandensein eines solchen geistigen Gegenstands spürt.

Dem entspricht aber wiederum, daß eine Sprache, die auf diese Weise gebraucht wird, dadurch neue Diskontinuitäten erzeugt, die neu entdeckten Zuständen in dem durch diese Sprache dargestellten Universum entsprechen. Das ist der Weg, wie wir astronomischen Objekten, neu entdeckten Naturgesetzen und anderen geistigen Begriffen, die wir durch ihr streng abgegrenztes Vorhandensein als Diskontinuitäten kennenlernen, ihren Namen geben. Das war tatsächlich die Methode beispielsweise Keplers, der als erster ein allgemeines Gesetz der Gravitation definierte, oder vorher von Archytas, der einen eindeutigen Lösungsweg zur Verdoppelung des Würfels durch kontinuierliche geometrische Wirkung fand. Dies ist auch das unverzichtbare aktive Prinzip bei der Schaffung klassischer Kunstwerke.

Das ist der grundlegende Ausdruck der künstlerischen Kreativität, auf die sich Shelleys [i]Verteidigung der Poesie[/i] bezieht: die Veränderung einer Sprache in Zeiten, in denen die Fähigkeit, tiefgreifende und leidenschaftliche Gedanken über Menschen und Natur zu empfangen und mitzuteilen,[footnote]Shelleys wichtigster Bezugspunkt war an dieser Stelle nicht nur die Amerikanische Revolution von 1776-89, sondern die ganze Welle humanistischen Aufschwungs, die in Deutschland um Persönlichkeiten wie Abraham Kästner, dessen Schüler Lessing und Moses Mendelssohn entstand und sich allgemein auf die europäische Kultur ausweitete. Die Schrecken des Jakobinerterrors und das Wüten Napoleon Bonapartes verdarben diesen humanistischen Aufschwung, und daraufhin breitete sich kultureller Pessimismus aus, der u.a. in der romantischen Reaktion auf Napoleons Tyrannei, dann Metternichs Wiener Kongreß und im Protofaschismus der Hegelschen Geschichts- und Staatstheorie niederschlug, die bis zu zu Adolf Hitler und darüber hinaus wirkte. Shelley und Heinrich Heine, der die [i]Romantische Schule[/i] in Deutschland verurteilte, waren gefangen im Abebben des klassischen Ferments in der Kunst - auch wenn beispielsweise Schumann und Brahms später noch viel erreichten. Es war noch kein Ende, aber ein ganz beträchtlicher Abschwung. So fiel auch der Tod von Gauß, Dirichlet und Riemann in den 50er und 60er Jahren des 19. Jhs. mit dem Ende der an Tiefe und Breite fruchtbarsten Periode der Wissenschaft in Europa zusammen, und seither gewannen immer mehr die Reduktionisten die Überhand.[/footnote] im Leben der Menschen zunimmt. Diese Fähigkeit drückt sich in der Vermittlung eines [i]lebendigen Wortes[/i] aus.[footnote]Die Stelle in einer Äußerung, an der sich eine Idee befindet, gibt an, daß eine Diskontinuität vorhanden ist. Es entspricht dem Ort, wo eine Idee erzeugt wird, im Sinne von Platons Begriff der Wirkung nach dem Hypothesenprinzip. Mit dem experimentellen Nachweis, daß eine solche hypothetische Idee einzigartig wirksam ist (d.i. ein einzigartiges Experiment im Sinne Riemanns), ist ein Naturprinzip aufgestellt.[/footnote]

Man leitet die Bedeutung irgendeiner Aussage ab, indem man prüft, ob sie solche [i]lebendigen Worte[/i] enthält. Nur [i]lebendige Worte[/i] können als [i]Ideen[/i] im strengen, technischen Sinn des Wortes gelten. Man erkennt eine Idee in einer Aussage daran, ob diese Idee als ableitbares [i]lebendiges Wort[/i] darin vorhanden ist oder nicht. Diese abgeleitete Bedeutung ist die Frucht des gleichen geistigen Vorgangs wie beim Nachschöpfen einer Idee aus den Anhaltspunkten des jeweiligen Problems, das sie löst - etwa wenn ein heutiger Schüler Archytas' Konstruktion der Verdoppelung des Würfels nachvollzieht.

So wird beispielsweise aus der Idee, den Erdumfang zu kennen, ein [i]lebendiges Wort[/i] im Geist dessen, der es verwendet, wenn er das Experiment nachvollzogen hat, mit dem Eratosthenes um 200 v.Chr. den Großkreis der Erde maß, indem er anhand von Sonnenbeobachtungen in Tiefbrunnen den Sonnenstand an zwei Orten entlang einer Nord-Süd-Strecke in Ägypten verglich und dann mit der gleichen Methode die Großkreisentfernung vom ägyptischen Alexandria nach Rom maß. Der Beweis der sog. "Sonnenhypothese" des Aristarch von Samos ist ein ähnlicher Fall, den man z.B. mit den bekannten Teilen der Arbeiten von Thales früher vergleichen kann. Die Ansammlung solcher nacherlebter Entdeckungen grundlegender wissenschaftlicher Beweise bildet die notwendige gewöhnliche Grundlage, dem jugendlichen Geist ein Gefühl wissenschaftlicher Bildung zu vermitteln.

So beginnt z.B. die Idee hinter Carl Gauß' Angriff auf die Behandlung der Algebra bei D'Alembert, Euler und Lagrange für den heutigen Schüler ein [i]lebendiges Wort[/i] zu werden, wenn er den Ursprung von Eulers Fehler zurückverfolgt, indem er die Arbeit von Cardanus und anderen über die Quadratwurzeln auf die Verdoppelung des Quadrats bei Archytas' Freund Platon zurückführt. Dies führt zu einem umfassenderen Verständnis, was Euler mit seinem Schwindel eigentlich angreifen wollte, nämlich Leibniz' und Bernoullis Entdeckung des Prinzips des infinitesimalen Kalkulus in seiner verbesserten Form auf der Grundlage der Kettenlinie: Leibniz' Prinzip der universellen kleinsten physikalischen Wirkung. Diese Verbindung von Leibniz zu Gauß führt zur Verallgemeinerung des mathematisch-physikalischen Prinzips des komplexen Bereichs bei Gauß, Riemann u.a.

Ich habe dieses Beispiel gewählt, um die Denkweise anzugeben, wie man sich mit der Angelegenheit so befassen kann, wie es für die hier anstehende Vorstellung angemessen ist.

Diese Ideen, die nur "zwischen den Ritzen" existieren, sind "lebendige Worte" in dem Sinn, den der deutsche anti-kantianische Philosoph Herbart mit dem Begriff der "Geistesmasse" beschrieb. Bernhard Riemann erkannte, daß diese Bedeutung bei Herbart die vorbewußte Vorstellung von Naturwissenschaft und ebenso von Literatur darstellt. In beiden Fällen ist es mehr als nur ein angemessener Fachausdruck des Spezialisten. Der Begriff entspricht, auch wenn er heute selten in dieser Bedeutung gebraucht wird, der wesentlichsten Vorstellung in der ganzen klassischen Philosophie. Er verweist auf etwas, das zumindest oberflächlich dem ähnelt, was der Psychologe Wolfgang Köhler "Gestalt" nennt, auch wenn dieser eine weit gröbere Vorstellung der entsprechenden geistigen Funktion hat. Damit sind wir in einem Grenzbereich des wesentlichsten Arbeitsbegriffes im Versuch eines Dialogs der Kulturen angelangt.

Wie ich in entsprechenden Veröffentlichungen wiederholt betont habe, ist die Art und Weise, wie der Mensch die Welt um sich herum physiologisch wahrnimmt, keine unmittelbare Erkenntnis der wirklichen Welt, die er wahrnimmt, sondern seine Auslegung der Reaktion seines Sinnesapparates auf die Begegnung mit der Welt jenseits seiner Sinne. So sieht der Blinde. Indem der Mensch so die wahre Welt jenseits der Sinne wahrnimmt, schafft er eine potentielle Erkenntnis der Wirklichkeit auf zwei jeweils höherstehenden Ebenen über die Sinneswahrnehmung als solche hinaus. Eine solche Erfahrung nennt man [i]platonischen Realismus[/i]. Es ist der platonische Realismus, der dem Werk von Kues, Leonardo, Kepler, Leibniz, Gauß, Riemann u.a. zugrunde liegt. Er tritt auch durch Wernadskijs Gedanken der Noosphäre zutage.

Auf der erste Stufe geht es hier um geistige Vorgänge, von denen Köhler sagt, Affen und Menschen hätten sie gemeinsam. Der Strom von Eindrücken, der auf die Sinnesorgane des Kleinkinds einströmt, wird zu einer Welt benennbarer Sinnesobjekte "entschlüsselt". Diese Gegenstände stellen sich dem Kind nicht direkt dar, sondern sind das Ergebnis davon, wie die Sinneserfahrungen praktisch von der Gesamtheit der menschlichen geistig-körperlichen Vorstellungskraft des Kindes verarbeitet werden. So macht der gesunde Geist des Kindes aus einem nicht zu bewältigenden Strom von Wahrnehmungen eine verständliche Ansammlung von spielerischen Gegenständen und Beziehungen zwischen Gegenständen.

Auf der zweiten Stufe kommt es zu einer ähnlichen Entwicklung auf einer qualitativ höheren Reaktionsordnung, die es nur beim Menschen gibt und nicht bei den Menschenaffen: die Entdeckung einer höheren Ordnung geistiger Gegenstände, z.B. der Entdeckung eines experimentell definierten Naturgesetzes.

Diese höhere Ebene findet man in der klassischen Kunst, wo Herbart für die Erziehungsarbeit den Fachausdruck "Geistesmasse" verwandte, und in der Wissenschaft, wo Riemann es mit seinem Begriff "Dirichlets Prinzip", nach seinem Lehrer und Amtsvorgänger Lejeune Dirichlet, verbindet. Dieser Berührungspunkt der beiden Verwendungen der Bedeutung des Begriffs der Geistesmasse ist der Schlüssel zu einer vernünftigen Herangehensweise an einen Dialog der Kulturen. Die mit diesem Begriff der "Geistesmasse" verbundene Vorstellung verweist auf den zentralen Gedanken einer [i]Kulturwissenschaft[/i], der Wissenschaft, die einem Dialog der Kulturen angemessen ist.

Dies bringt uns zum [i]physikalischen[/i] - statt bloß formal mathematischen - Begriff des komplexen Bereichs. Der Gedankengang, den ich schon oft bei anderen Gelegenheiten beschrieben habe, läßt sich wie folgt zusammenfassen.

Riemann bezieht sich auf seinen Begriff der Geistesmasse nur in einem bestimmten Zusammenhang, in einer Reihe verwandter, teilweise bruchstückhafter Schriften, die erst nach seinem Tode veröffentlicht wurden. Trotzdem ist die Vorstellung, die er mit diesem Begriff in dem posthum erschienenen Werk verbindet, pädagogisch für ein besseres Verständnis praktisch unverzichtbar, wenn sich der Lernende heute etwa mit seinen Hauptwerken wie seiner Habilitationsschrift oder zur implizit physikalischen Geometrie der Abelschen Funktionen befaßt. Die Bedeutung des Begriffs der Geistesmasse bei Riemann, und unausgesprochen auch bei Herbart, führt uns unmittelbar wieder zurück zu unserer Behandlung der Frage des [i]lebendigen Wortes[/i]. Dieses Riemannsche Verständnis des [i]lebendigen Wortes[/i] ist wesentlich, um ganz zu begreifen, welche besondere Bedeutung Wernadskijs Noosphärenbegriff hat, um die drängenden Fragen der Wirtschaft und Kultur der heutigen Welt zu definieren.

Riemann meint das [i]lebendige Wort[/i], wenn er von [i]Geistesmasse[/i] spricht.

Mathematisch-physikalisch läßt sich die Wirklichkeit dieses Begriffs nur durch die Vorstellung eines physikalischen - statt bloß mathematischen - komplexen Bereichs ausdrücken.

Wir nehmen die Gegenstände unserer Umgebung nicht unmittelbar wahr. Was wir wahrnehmen, ist der Eindruck, den die Welt um uns herum auf uns macht, so wie unser Geist diesen Eindruck auf unseren biologischen Sinnesapparat beurteilt. Dies ist nicht unähnlich der Art und Weise, wie das Kleinkind einen Strom von Wahrnehmungen in eine verständliche Umgebung von Gegenständen verwandelt. Aber es besteht in der Hinsicht ein qualitativer Unterschied zwischen dem Tier und dem menschlichen Geist.

Die Schwerkraft beispielsweise wird von den Sinnen auf allerlei Weise wahrgenommen, ist aber an sich kein Gegenstand der Sinne. Sie läßt sich auch nicht in einen greifbaren Gegenstand verwandeln, so wie der Geist des gesunden Kindes einen Strom von Wahrnehmungen in Gruppen unterscheidbarer Gegenstände verwandelt. Dennoch existiert und wirkt die Schwerkraft, wie Kepler sie definiert, als Gegenstand unseres Geistes. Sie wird zu einem solchen geistigen Gegenstand, wenn wir sie durch die Fähigkeit, die wir mit dem Begriff [i]lebendiges Wort[/i] verbinden, erkannt haben. Sie ist dann ein Gegenstand der höheren Erkenntnis des menschlichen Geistes, des Bereiches wahrer Ideen, auf den wir sonst im Zusammenhang mit der Ironie in der klassischen Poesie und Tragödie begegnen. Hier ist also die Stelle in den geistigen Abläufen des Menschen, wo klassische Kunst und Naturwissenschaft, richtig definiert, ein und dasselbe werden.

Alle wahren universellen Naturgesetze sind von dieser gleichen Art.

Hier ist die Auflösung von C.P. Snows Paradox der "zwei Kulturen". Hier liegt der Schlüssel für einen erfolgreichen Dialog der Kulturen.

Allerdings gibt es innerhalb dieser Einheit einen untergeordneten qualitativen Unterschied zwischen den beiden. In der Naturwissenschaft liegt unser Hauptaugenmerk auf der Entdeckung von Gegenständen höherer Ordnung im physikalischen Bereich, d.h. der Entdeckung der gesetzmäßigen Abläufe im nichtlebenden wie lebenden Bereich. In der klassischen Kunst hat sich das Verhältnis der Noosphäre zur Biosphäre verlagert: Hier geht es um die sozialen Vorgänge an sich, die zwischen dem Geist des einzelnen und dem funktionalen Verhältnis der Gesellschaft zur Biosphäre vermitteln. Im höheren Bereich wirkt der einzelne auf die Biosphäre über sein Wirken auf die Gesellschaft. Die Schwierigkeiten, die auftreten, wenn man das in dieser Weise als ganzes auffaßt, lassen sich sehr weitgehend lösen, wenn man sich auf die erkenntnistheoretische Bedeutung von Wernadskijs Noosphärenbegriff bezieht.

Wir werden uns jetzt dieser entscheidenden Frage zuwenden, um dann im nächsten Kapitel auf die Aufgabe der Erkenntniskraft des einzelnen zurückzukommen. Vorher gehen wir ausdrücklich auf die Schwierigkeit ein, die nach unseren bisherigen Ausführungen eine Spannung im Geist des Lesers aufgebaut haben dürfte: Was ist der menschliche Geist, [i]physikalisch[/i] gesehen?

Wernadskijs Riemannsche Definition der Noosphäre stellt uns ein Universum vor, das sich als vielfach verknüpfte physikalische Geometrie aus drei experimentell unterscheidbaren Ebenen universeller Naturgesetze zusammensetzt. Jede der drei läßt sich durch die von Riemann beschriebenen einzigartigen experimentellen Beweise, wie man sie mit der Entdeckung aller universellen Naturprinzipien verbindet, klar unterscheiden.

Die unterste der drei Ebenen, das sog. Anorganische und Präbiotische, umfaßt diejenigen Abläufe, für deren experimentellen Nachweis es weder notwendig noch zulässig ist, eine ursächliche Mitwirkung eines Prinzips des Lebens anzunehmen. (Damit weisen wir den radikal positivistischen Gegnern einer solchen Idee des Lebens, wie z.B. dem für die "Künstliche Intelligenz" berüchtigten John von Neumann, ihren Platz in den rein anorganischen Ascheimern an, worin sie ihr Dasein ohnehin von vornherein vorgesehen haben.) Die zweite, im Verhältnis dazu höhere Ebene, ist die der lebenden Vorgänge, für welche Louis Pasteurs Tradition die entsprechende experimentelle Herangehensweise beschrieben hat. Der dritte Bereich definiert sich durch den Vorgang der Erkenntnis im schöpferischen ([i]noetischen[/i]) Geist des einzelnen, über welchen universelle Naturprinzipien wie die Keplerschen entdeckt werden und ohne den es solche Entdeckungen niemals gäbe.

Der Bereich der anorganischen und lebenden Abläufe zusammengenommen bildet die Biosphäre. Der Teil der Biosphäre, in dem die menschliche Erkenntnis vorherrscht, bildet die Noosphäre.

Alle drei Wirkungsbereiche sind untereinander "vielfach verknüpft" im Riemannschen Sinne. In Wernadskijs Biogeochemie wird diese Sicht auf den sich entfaltenden Zustand des Planeten Erde hinsichtlich seiner Zusammensetzung aus unterschiedlichen Anteilen unterschiedlicher Hinterlassenschaften (Fossilien) angewandt. Hierbei wird das Abfallprodukt eines Vorgangs zum möglichen Kapital eines anderen und zum Schlüssel zum Verständnis und zur Lösung der "Rohstoffproblems" unserer Zeit. Das ist die klar ersichtliche Absicht der Existenz unseres Planeten - wäre seine Selbstentfaltung auf diese beiden Bezugspunkte beschränkt. So aber dringen wir Menschen in diesen Plan als immer wichtigerer Mitspieler ein, indem wir quasi von außen und von oben in diese Entwicklung des Planeten eingreifen.

Es gibt heute [i]keine Rohstoffkrise des Planeten[/i] an sich. Es gibt nur eine Krise, die durch die Dummheit der modernen Physiokraten entstanden ist. Die Rohstoffkrise kommt von wissenschaftlich völlig ungebildeten Männer und Frauen, die durch ihr Geld viel mehr Macht haben, als für sie und für diesen Planeten gut ist.

Gegen diese Sicht gibt es keine begründeten Einwände. Die Hinterlassenschaften, aus Wernadskijs Sicht untersucht, beweisen es. Könnte keine Zunge reden, sie würden doch aussagen, daß dies die Wahrheit der Existenz unseres Planeten ist, von seinem Ursprung bis in die heutige Zeit. Es ist die Absicht des Schöpfers, die da ausgebreitet liegt.

Das Umwerfendste an dieser Sicht Wernadskijs ist: Es widerlegt alle Versuche, die menschliche Schöpferkraft zu erklären, indem man sie in einem Gehirn ausmacht, das nur zur Biosphäre gehört. Aus diesem Grunde wird derjenige, der die Bedeutung dessen, was ich bisher geschrieben habe, zu begreifen beginnt, von einer schleichenden Beunruhigung erfaßt. Die besonders empfänglichen Leser werden an dieser Stelle meines Berichtes schon eine unheimliche Vorahnung spüren.

In der modernen Gesellschaft neigen wir zu der Auffassung, wir selbst verkörperten alle wesentlichen Eigenschaften unseres Lebens, auch unserer Persönlichkeit, innerhalb der Grenzen eines biologischen Vorganges als solchem. Aber wie das Verhältnis zwischen der wachsenden Ansammlung im Wernadskijschen Sinne höherwertiger Hinterlassenschaften belegt, gibt es eine Macht, die nicht auf den Bereich der Biosphäre begrenzt ist, die für all dies an unserer menschlichen Existenz verantwortlich ist. Etwas Höheres greift in die biologischen Abläufe des einzelnen lebenden Menschen ein, um die Wirkungen, die wir mit der Noosphäre und ihr allein verbinden, hervorzurufen. Genau das erfahren wir, inmitten seines Wirkens, beim Vermitteln einer Idee als [i]lebendigem Wort[/i], wenn ein früherer Einschnitt in der beschriebenen Art und Weise wiederbelebt wird, wie ihn uns etwa ein längst verstorbener Archimedes aus dem Altertum hinterlassen hat, damit er heute im Geist eines Schülers wiedergeboren wird.

Wenn man darüber nachdenkt, muß es uns dämmern, daß die ganze Menschheit aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eine pulsierende Masse von Selbstentwicklung ist, wie in einer Art Gleichzeitigkeit der Ewigkeit, die sich als Kontinuität durch das gesetzmäßige Wiederbeleben über [i]lebendige Worte[/i] ausdrückt. Wir fühlen uns an diesem Punkt unserer Überlegungen mit Recht getröstet, denn die Vorstellung des geistigen Wirkens ist jetzt [i]wissenschaftlich[/i] klar. Wie im Fall der wirklichen Johanna von Orleans, den Schiller uns vorstellt, wird das Selbstwertgefühl erhoben, weil man erkennt, daß der Gedanke der Unsterblichkeit des einzelnen eine reale Grundlage hat, und nicht bloß eine kindische Fantasie ist. Man teilt nicht mehr Hamlets Angst vor dem "Land, von dem noch kein Wanderer zurückgekehrt ist". Es vervielfacht sich die [i]geistige[/i] Kraft des einzelnen für Beiträge zum beständigen Fortschritt der Menschheit und zu dem, wozu auch immer eine - vom Schöpfer - geliebte Menschheit in ihrem Dasein noch dienen soll.

Das allein wäre schon ein großer Segen für eine Menschheit, die heute so unter der gefährlichen Last von Staatsführern leidet, die aus Angst vor einer Sterblichkeit, die noch schlimmer ist als bloß der Tod, schwach und ängstlich werden. Bestenfalls macht diese Angst aus ihnen Hamlets, wenn sie nicht noch korrupter oder feiger sind.

Sprechen wir kurz über den Schlüssel dazu, wie man diesen Punkt über die "Hamlets" in die Form eines [i]lebendigen Wortes[/i] übersetzt.

 

 

[subhead]Eine Seite aus in meinem Leben[/subhead]  

In den Jahren 1983-89 geriet ich wegen der möglichen Folgen meines Vorschlages, den Präsident Ronald Reagan dann am 23. März 1983 als "Strategische Verteidigungsinitiative" (SDI) vorstellte, in Lebensgefahr. Der sowjetische Generalsekretär Jurij Andropow lehnte Präsident Reagans Vorschlag, über sein Angebot auch nur zu verhandeln, schroff ab, und aus verwandten Gründen drohte meinem Leben Gefahr sowohl von mächtigen Kreisen in den Vereinigten Staaten als auch spätestens ab 1986 von der sowjetischen Regierung unter Generalsekretär Gorbatschow, dessen Drohungen ebenso reichlich und weitverbreitet wie unheilvoll waren.

So geschah es in der Nacht vom 6.-7. Oktober 1986, kurz vor dem Gipfel zwischen Reagan und Gorbatschow in Reykjavik, daß mehr als 400 bewaffnete Beamte, darunter sogar Sondereinheiten, mit gepanzerten Fahrzeugen nach Leesburg in Virginia und Umgebung kamen, um mich in aller Öffentlichkeit zu töten. Es gab keinen Zweifel, daß ihr Auftrag darauf hinauslief, mich und viele andere an dem Ort, wo ich mich damals aufhielt, umzubringen. Höhere Stellen meiner Regierung griffen am Morgen des 7. Oktober ein, so daß diese beabsichtige Mordaktion eingestellt wurde. Doch dieser kurzfristig abgebrochene Plan für meine Ermordung und das abgekartete juristische Vorgehen gegen mich aus dem Justizministerium und anderen Stellen in den Jahren 1983-89 und danach waren ein und dieselbe Sache. Man ließ mich später wissen, wenn es mir gelänge, mich dem juristischen Komplott erfolgreich zu entziehen, würde man mich beim nächsten Mal mit Sicherheit umbringen.

Ich komme an dieser Stelle wieder auf diese Angelegenheit zurück, weil sie als Beispiel wirksam und dramatisch vor Augen führt, wie sehr es den maßgeblichen Politikern in Europa und den Vereinigten Staaten heute an politischem Mut und Nervenstärke fehlt. Was für ein Gegensatz dazu, wie weit ich mich in Dingen wie der SDI vorwagte, obwohl ich schon ahnte, welches Risiko es für mich persönlich bedeuten würde!

In der Hinsicht war es ein glücklicher Zug, der aus der Erziehung meiner Familie und der allgemeineren Erfahrung unserer Gesellschaft in den letzten etwa 80 Jahren herrührt, daß mich als Erwachsener niemals Furcht davon abhalten konnte, manchmal sogar Gefahren für mein Leben einzugehen, wenn ich mich dazu moralisch verpflichtet fühlte. Es gab viele andere Ereignisse in meinem Leben, die das veranschaulichen, darunter noch mindestens ein oder zwei weitere geplante Mordanschläge, die sich zwar weit weniger dramatisch darstellten als das Geschehen vom 6.-7. Oktober 1986, die aber in gehörigem Maße die gleiche grundsätzliche Entwicklung im heutigen öffentlichen Leben in Europa, den USA und anderswo zum Ausdruck brachten. Weil ich selbst beinahe mit einem solchen Schicksal Bekanntschaft gemacht hätte, verstand ich sehr gut, was einem Walther Rathenau, Kurt von Schleicher, Martin Luther King, Aldo Moro, Jürgen Ponto, Indira Gandhi oder Alfred Herrhausen widerfahren war.

Im Laufe des Lebens habe ich auch einen anderen Aspekt hiervon erfahren: Hauptsächlich infolge der Propaganda und verwandten Unternehmungen des "Kongresses für kulturelle Freiheit" haben wir seit jener Zeit einen viel kleineren Anteil möglicher Führungspersönlichkeiten für Krisenzeiten hervorgebracht - weit weniger, als ich es noch als Jugendlicher und junger Erwachsener beobachten konnte. Das eigentliche Verbrechen der Existentialisten - einschließlich der moralisch verkommenen Vertreter der Frankfurter Schule wie Theodor Adorno und Hannah Arendt - besteht darin, daß sie den Gedanken, ehrlich nach der Wahrheit zu suchen und danach zu handeln, aus unserer Kultur verbannen. Damit kann es große Staatsmänner kaum oder gar nicht mehr geben.

Hauptsächlich infolge dieses existentialistischen Feldzuges glauben nur wenige aus der sog. "Babyboomer"- oder "68er-Generation" noch so weit an die Wahrheit, daß sie bereit wären, für irgendeine Sache im Dienst der Wahrheit (im Gegensatz zu irgendwelchen romantischen Schwärmereien) ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Sie neigen dazu, sich entweder vor Angst schlotternd in irgendeinem Mauseloch zu verkriechen oder aber mit entblößter Brust eine selbstmörderische Flucht nach vorne anzutreten. Sie glauben nicht mehr daran, daß die Wahrheit wirksam existiert, und das haben wir so üblen Charakteren wie Adorno oder Arendt zu verdanken.

Dieses typische Syndrom bei den Nachkriegsgenerationen in Europa, Nord- und Südamerika ist ein besonderer Ausdruck eines "Hamlet-Problems". Das sichtbare Verhalten des amtierenden Präsidenten der Vereinigten Staaten ist hier nur ein typisches, wenn auch extremes Beispiel: ein übellauniger, verzogener, einfältiger Bengel, der immer wieder in verschiedenster Form öffentlich moralische und geistige Verkommenheit an den Tag legt.

Der entscheidende Punkt, um den es mir dabei geht, ist der Wesenszusammenhang zwischen Wahrheitsliebe und Unsterblichkeit, ganz besonders hinsichtlich der politischen Führung der Gesellschaft in einer Krise wie der gegenwärtigen.

Jedes intelligente Mitglied unserer Kultur weiß, daß wir alle irgendwann sterben. Diese Gewißheit in der sich entwickelnden Persönlichkeit des Erwachsenen führt zu einer bestimmten, geistig und moralisch gesunden Einstellung zum eigenen Leben. Man sieht im sterblichen Leben ein Talent, das am Ende auf jeden Fall verbraucht sein wird - das Gleichnis von den Talenten aus dem Neuen Testament erinnert uns daran. Statt sich hysterisch an die bloße sinnliche Erfahrung des Lebens im Jetzt zu klammern, denkt ein wirklich erwachsener Mensch an die Bedeutung dessen, was er oder sie mit diesem sterblichen Leben anfängt. Er denkt daran im Hinblick auf die Welt, die er bei seinem unvermeidlichen Ableben hinterlassen wird.

Für denjenigen, der die Sterblichkeit des einzelnen so auffaßt, besteht die größte Angst im Leben darin, er könne vielleicht am Ende sein Leben vergeudet haben, weil er nichts wirklich Nützliches für spätere Generationen oder zur Ehre früherer Generationen beigetragen hat. Damit wird Gewißheit in der Frage der Wahrheit - Wahrheitsliebe, wie man sie nur mit dem verbinden kann, was ich über [i]lebendige Worte[/i] gesagt habe - zum alles überragenden Antrieb für das Handeln im Leben; und so war es auch bei mir.

Ein solcher Mensch spürt sicherlich keinen Drang zu einem frühen Tod. Im Gegenteil, die Arbeit für die Lebensaufgabe stärkt den Lebenswillen, ja "Lebenshunger": Man schüttelt die Nöte und Gebrechen des Alters ab, um weiter an dem zu arbeiten, was man als sein Lebenswerk erkannt hat.

Das soll nicht heißen, daß ich immer schon im voraus wußte, wofür ich mich im Laufe meines Lebens entscheiden würde. In manchem war ich mir schon seit der Kindheit sicher, und im Laufe der Jahrzehnte wurde es immer mehr. Aber für alle, die wie ich immer so zu entscheiden und zu handeln suchten, wie es der Wahrheit am besten dient, war und ist die Suche nach der Wahrheit und die sozusagen reflexartige Bereitschaft, notfalls dabei das Leben zu riskieren, das Wichtigste an der eigenen Identität als sterbliches Wesen.

Nachdem alles das allgemein dazu gesagt ist, ist der folgende Punkt zu betonen - und es sollte offensichtlich sein, warum das den Dialog der Kulturen grundsätzlich betrifft - : Die Frage der Wahrheit ist das Entscheidende, ganz besonders für eine Zivilisation, die so bedroht ist wie die gegenwärtige. Wenn in den maßgeblichen Kreisen auf der Welt Hamlet-artige und noch schlimmere Feigheit um sich greift, ist das deshalb die größte Gefahrenquelle für die Menschheit überhaupt. Sollte man also beim Dialog der Kulturen das axiomatisch Unvereinbare einfach so hinnehmen, wie das bei den entsprechenden Kreisen heute eine unübersehbare Tendenz ist, so wäre die Folge mit Sicherheit eine weltweite Katastrophe - weil es Menschen in wichtigen Ämtern an Mut fehlt, der Wahrheit ins Auge zu sehen.

Verstärkt wird diese Gefahr noch durch die Ausbreitung von Existentialismus und wahrheitsfeindlichem Fanatismus, der sich z.B. in verschiedenen Arten von "religiösem Fundamentalismus" ausdrückt, allem voran jene rechten religiösen Fundamentalisten, die den harten Kern der Unterstützerbasis von Präsident George W. Bush bilden.

Dieser Präsident hat immer wieder öffentlich gelogen, und das zu allen wesentlichen Fragen seiner Zeit. Er log über den Irakkrieg, er log über seine Mitverantwortung für die Folter von Kriegsgefangenen, und er log über seine Absicht, dem Volk die Rentengelder zu stehlen, damit sich gewisse Finanziers unter seinen Unterstützern bereichern und diese "Beute" aufteilen könnten. Er wählt seine politischen Ziele aus, indem er an die Stelle der Wahrheit seine persönlichen, gewöhnlich irrationalen Gefühle setzt. Immer wieder handelt er so: Wenn er denkt, daß er sich bei etwas in diesem Augenblick wohlfühlt, dann tut er es, ohne Rücksicht auf die Folgen für ihn selbst, seine Nation oder die Menschheit. Eben weil dieser fundamentalistischste Präsident der jüngeren Zeit sich in vielen entscheidenden politischen Fragen auch als der vielleicht größte, unmoralischste Lügner erwiesen hat, hängt heute über den Vereinigten Staaten wie über allen Teilen der Welt in ihrem Einflußbereich eine dunkle Wolke des drohenden selbstverschuldeten Untergangs.

Das Problem ließe sich in den Griff bekommen, wenn die Menschen allgemein und in den USA insbesondere gewillt wären, sich ohne Rücksicht auf eigene Furcht oder Vorteil für die Wahrheit einzusetzen. Das gilt insbesondere für Politiker und andere Führungspersonen. Es bleibt bei dem, was ich betont habe: Die Wahrheit kann sich nur durchsetzen, wenn sie erfolgreiche Verfechter hat - vor allem eine Führung, die diese Herausforderung mit dem gleichen Ernst und der gleichen Sorgfalt annimmt, wie man das von den besten Militärkommandeuren eines Landes erwarten würde.

Ich kann mit Ihnen über solche Dinge sprechen, weil ich mir das Recht und die Pflicht dazu erworben habe. Um Ihretwillen wünschte ich mir, es gäbe mehr Menschen wie mich. Das Überleben unserer Nationen hängt heute an so wenigen Fäden, an so wenigen kostbaren Menschen, die die Herausforderung wahrer Führung mit allen Verantwortlichkeiten und Risiken auf sich nehmen. Es ist ungeheuer wichtig, daß wir tun, was notwendig ist, um so viel andere wie möglich zu erheben und anzuspornen.

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[head]2. Kapitel: Wernadskij und die Realwirtschaft[/head] Ich habe nie vorgeschlagen, das Geld an sich abzuschaffen, und habe das auch nicht vor; aber, wie ich schon oft gesagt habe: Das Geld ist ein Idiot, der mit sich selbst nichts anzufangen weiß, es hat einen unheimlichen Hang dazu, sich den falschen Ort zu suchen und das Falsche zu tun, wenn man es sich selbst überläßt. Was ich vorschlage, ist das, was die Verfassung der Vereinigten Staaten eigentlich vorschreibt: allen Quellen außer der Regierung selbst die Befugnis, Geld zu schaffen ("auszugeben"), zu entziehen und statt dessen die Regierung dafür verantwortlich zu machen, wie sie Geldausgabe und Geldumlauf in der Gesellschaft regelt. Das bedeutet eine Rückkehr zu dem, was früher als "Amerikanisches System der politischen Ökonomie" bekannt war, im Sinne des ersten Finanzministers der Vereinigten Staaten und damals engsten Mitarbeiters von Präsident George Washington, Alexander Hamilton - der Hamilton, der auch ein Verbündeter und Gesinnungsbruder von Präsident Franklin Roosevelts Urahn Isaac Roosevelt war.[footnote]Der hier beschriebene Gesichtspunkt des Verhältnisses zwischen dem Präsidenten und Hamilton fällt in den Dezember 1791, gleichzeitig mit Hamiltons Bericht an den Kongreß [i]Über das Manufakturwesen[/i]. Wie ich in früheren Veröffentlichungen betont habe, waren mit Benjamin Franklins Tod und der aus London inszenierten Französischen Revolution viele unserer Freunde in Europa, wie etwa der Marquis de Lafayette, aus ihren früheren einflußreichen Stellen entfernt worden, und Europa geriet weitgehend unter den beherrschenden Einfluß der Todfeinde unserer Republik - im wesentlichen Lafayettes Feinde bei den Habsburgern, in London und im Frankreich des Jakobinerterrors und Napoleons. Dies blieb, mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen, der allgemeine Zustand des Verhältnisses der Vereinigten Staaten zu Europa bis zum Sieg der Regierung Lincoln über die von London gesteuerte Südstaatenkonföderation und das Marionettenregime unter Maximilian in Mexiko. In den 90er Jahren des 18. Jhs. geriet das unter Franklins Führung mühsam geschaffene feste Bündnis führender US-Amerikaner in Verwirrung, als zunehmend Fraktionen an Einfluß gewannen, die auf der Suche nach nützlichen Einflüssen für die Vereinigten Staaten in Europa entweder zu Frankreich oder London neigten. So kam es mit der verwirrten Regierung von Präsident John Adams, die von feindlichen Agenten wie Sir John Robison vom britischen Außenamt genasführt wurde, zur Auflösung der Föderalistischen Partei, und Jefferson und Madison machten es nicht besser als Adams, als sie wenig später ihre eigene Demokratisch-Republikanische Partei zugrunderichteten. Als sich diese Zustände anbahnten, war Hamiltons enge Zusammenarbeit mit Präsident Washington entscheidend dafür, daß damals die jungen Vereinigten Staaten von Amerika überleben konnten. Entgegengesetzte Auffassungen der Geschichte der USA - wie etwa das verantwortungslose Wunschdenken, Präsident Andrew Jackson, ein Mann der New Yorker Banken, sei der Retter des Volkes gewesen - sind im wesentlichen Märchen, die zur weltanschaulichen Beschwichtigung dieser oder jener politischen Partei oder Fraktion erfunden wurden.[/footnote]

Es ist nun die Zeit gekommen, da das vorhandene Weltwährungs- und Finanzsystem nicht nur bankrott ist, sondern hoffnungslos bankrott. Für den, der wirklich versteht, wie die moderne Welt auch unter diesen Bedingungen des allgemeinen Bankrotts läuft oder wenigstens laufen könnte, ist das an und für sich noch kein Grund zu allzu großer Sorge. Wirklich Grund zur Sorge hat der Regierungschef, der im wesentlichen weiß, was zu tun ist, der denkt: "Wenn man nicht so handelt, wie ich es vorschlage, werden die Folgen dieser Unterlassung für die ganze Erde katastrophal sein", aber gleich darauf diesen Gedanken, kaum gedacht, wieder leugnet - so wie es Hamlet in seinem Monolog im 3. Akt tut.

Ein Konzert verantwortlicher Regierungen wird - wenn sie handeln, solange mein Vorschlag noch durchführbar ist - , einfach das ganze Währungs- und Finanzsystem der Welt, das man auch als IWF-System kennt, einem Konkursverfahren unter Regierungsaufsicht unterziehen und ein neues Weltwährungs- und Finanzsystem bereitstellen, das zunächst im wesentlichen dem Vorbild des ursprünglichen Bretton-Woods-Systems aus dem Jahr 1944 folgt. Wenn sie klug sind, würden diese Regierungen die bankrotten Zentralbanken und verwandten Einrichtungen geschickt dahin lotsen, daß sie eine Art Mündel der jeweiligen Regierung werden. Der Plan wäre die Schaffung eines staatlich gelenkten Kredit- und Geldsystems, das dazu angelegt ist, zu verhindern, daß irgendeine Währungs- oder Finanzkrise einen allgemeinen Zusammenbruch der Realwirtschaft der Nationen oder einen Zusammenbruch der wesentlichen Mechanismen des Welthandels mit realen Gütern verursachen kann.

Es gibt vielfältige besondere [i]Gründe[/i] - mit anderen Worten, näher zu bezeichnende Einflüsse - , warum die akute weltweite Währungs- und Finanzkrise gerade in dieser Weise und in dieser Zeit über uns gekommen ist. Aber Ursachen und Lösungen sind oft asymmetrisch, so auch jetzt. Der eigentliche Grund für die Krise ist das falsche Wertesystem, unter dem das Währungs- und Finanzsystem der Welt seit etwa vier Jahrzehnten arbeitet. Dieses Wertesystem verleitete Regierungen und andere betreffende Einrichtungen dazu, bei der Verwaltung der Wirtschaft die falschen Maßstäbe, die falschen Entscheidungsregeln anzulegen. Die Regierungen reagierten meistens auf Statistiken - oft sogar aufgrund von Wunschdenken geschönte - , deren Angaben für die wirklich benötigten realen Entwicklungen und Zustände entweder unerheblich waren oder diesen sogar unmittelbar widersprachen.

Ein Beispiel ist, wie es jetzt in den USA der Fall ist, daß man eine "Besserung" für die amerikanische Wirtschaft meldet, während in Wirklichkeit der allgemeine physische Zusammenbruch der Realwirtschaft wieder einen Schritt weiter ging - wenn etwa Finanzdaten, die tatsächlich eine Zunahme der unbezahlbaren Verschuldung widerspiegeln, in törichter Schönfärberei als Anstieg der für Ausgaben verfügbaren Gelder ausgelegt werden. Oder die Volkswirtschaft schrumpft, weil man das Wenige an Industrieproduktion, wovon eine stabile Leistungsbilanz in einer schon nicht mehr kostendeckend arbeitenden Volkswirtschaft abhängt, auch noch stillegt. Man feiert das dann vielleicht noch als vermeintliche "Sparmaßnahme" zum Nutzen der künftigen Zahlungsbilanz des Landes - aber eben nicht seiner Realwirtschaft.

Deshalb wäre es töricht zu versuchen, der Volkswirtschaft mit den falschen Methoden eine Rückkehr zu einem reibungslosen Ablauf zu ermöglichen, während in Wirklichkeit gerade diese Methoden schuld daran waren, daß diese Volkswirtschaft über lange Zeit, über die letzten Jahrzehnte, nicht erfolgreich war. Oft ist es gerade diese vermeintlich "traditionelle" Politik, die fehlgeleitete Regierungen und andere nach eigener Aussage verbessern wollen, deren Fortsetzung als wirtschaftspolitisches System in jeder Form mit Sicherheit und schon bald zum allgemeinen Zusammenbruch führen würde. In dieser Lage wäre die einzige machbare Lösung, daß wir dieses Modell aufgeben und uns für ein neues Wertesystem entscheiden, das die Arbeit der Volkswirtschaft lenkt. Das System, das wir heute brauchen, hätte keinen der Präzedenzfälle der letzten Jahrzehnte zum Vorbild, sondern wäre weitgehend eine Rückkehr zu der noch früheren, ziemlich erfolgreichen Politik in Westkontinentaleuropa, Japan und den Vereinigten Staaten unter dem ursprünglichen Bretton-Woods-System vor 40 Jahren oder davor.

Da die Wirtschaft der USA und der Welt unter dem 1944 unter Präsident Franklin Roosevelt eingeführten Bretton-Woods-System ziemlich erfolgreich war, aber niederging, seit dieses System zwischen 1964 und 1982 untergraben und dann abgeschafft wurde, würde jede halbwegs vernünftige amerikanische oder andere Regierung praktisch alle protektionistischen und verwandten Regulierungen, die in den letzten knapp vier Jahrzehnten abgeschafft wurden, umgehend wieder einführen. Dieses plötzliche Umdenken hinsichtlich der Politik, die seit 1971 bei Gesetzesbeschlüssen und anderen Vereinbarungen vorherrschte, wäre dadurch motiviert, daß man den entsprechenden Gesetzgebern und anderen immer noch nicht Überzeugten klar vor Augen führt, welche Schrecknisse ihre Sturheit über das Land brächte, falls sie sich solchen dringend notwendigen Reformen erfolgreich widersetzten. Diese Maßnahmen sind das mindeste, was erforderlich ist. Diese Wende hin zu einer Ausrichtung im Sinne Franklin Roosevelts wäre ein guter Anfang; aber das allein reichte nicht aus. Der physische Zustand der Welt ist in den letzten vier Jahrzehnten nicht unverändert geblieben. Unsere Welt hat im letzten halben Jahrhundert entscheidende Veränderungen durchgemacht - weitgehend zum schlechteren. Das Modell der Zeit vor über 40 Jahren war gut, aber es würde nicht ausreichen, um die jetzt unmittelbar vor uns liegenden Herausforderungen der veränderten Welt von heute zu meistern. Aus diesem Grund müssen wir in eine Richtung gehen, für die wir unsere Auffassung von Weltwirtschaft und Volkswirtschaft neu überdenken müssen - weiter fortgeschritten, als es in früheren Zeiten notwendig war; wir müssen jetzt so denken, wie es der Bedeutung von Wernadskijs Vorstellung von der Noosphäre entspricht. Einige mögen nun einwenden, wir sollten besser gleich von Anfang an das vielleicht richtige System einführen, anstatt auf erfolgreiche Vorbilder aus der Vergangenheit zurückzugreifen. Hierzu ist zu sagen: Wir sollten zurückkehren zu den erprobten, erfolgreichen, alternativen Methoden der Vergangenheit, wie dem alten Bretton-Woods-System, das wir nie hätten aufgeben sollen - aber dann, wenn wir mehr Muße haben, sollten wir ein gründlich durchdachtes zukünftiges regulierendes System zur späteren Einführung entwickeln, wobei wir sehr sorgfältig die langfristige Zukunft bedenken.

Aus praktischen politischen und anderen Gründen sollte der Grundsatz sein: Anfänglich handelt man auf der Grundlage der besten Vorbilder für Regelungen aus einem entsprechenden früheren Zeitraum, in dem erfolgreich ein Wirtschaftsaufschwung zustande gebracht wurde, aber dann erarbeitet man sorgfältig und in aller Ruhe ein umfassendes System zusammenhängender Grundsätze, das die langfristige Fortentwicklung der Regelungen über zwei oder mehr künftige Generationen prägt.

Daß es jetzt sehr wichtig ist, Wernadskijs Begriff der Noosphäre auf die weltweite Verwaltung der notwendigen Rohstoffe anzuwenden, veranschaulicht einen bestimmten Punkt: Wenn wir das dauerhaftere System wirtschaftlicher Regelungen für die Zukunft entwerfen, müssen wir bedenken, daß wir hier die Zukunft, also ein ziemlich schlecht erkundetes Gelände langfristigen Wirtschaftens betreten. Die Entscheidungen, die zu fällen sind - und bei einigen davon geht es um gewaltige Werte, aufgewendet über Jahrzehnte - , werden das ganze System der Bildung von Realkapital über Generationen betreffen. Für den Augenblick sollte das Ziel sein, überhaupt einmal "in die Gänge zu kommen", wobei man im Auge hat, daß man die längerfristigen Kapitalaufwendungen so sorgfältig vorausplant, wie das angesichts der schwerwiegenden Folgen eines bedeutenden Fehlers notwendig ist. Die Aussicht sollte also sein, daß wir umgehend vorläufige Schritte zum Wiederaufbau unternehmen und dazu auf Übergangsreformen zurückgreifen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben - aber in der Absicht, diese Übergangsreformen irgendwann in absehbarer Zukunft in ein dauerhafteres, langfristigeres System einzugliedern.

Vorausgesetzt, wir folgen dieser angedeuteten Sichtweise, so bilden bestimmte kurzfristige Maßnahmen, die mit Präsident Franklin Roosevelts Vorstellungen vom Hamiltonischen Amerikanischen System der politischen Ökonomie übereinstimmen, ein durchaus angemessenes kurz- bis mittelfristiges Maßnahmenpaket für einen geordneten Übergang von dem höllischen Chaos der gegenwärtigen Weltordnung zu einer höheren Ebene, von der aus man grundlegende, langfristige Reformen beginnen muß. [i]Das sollte die wirtschaftliche Perspektive eines Dialogs der Kulturen sein.[/i]

Wir dürfen nicht weiter zulassen, daß feindselige Propagandisten diese notwendigen kurz- bis mittelfristigen Maßnahmen einer Rückkehr zur politischen Matrix von Bretton Woods als diktatorische "Polizeistaatsmaßnahmen" oder ähnliches schlechtmachen, so wie rechte Fanatiker in Vergangenheit und Gegenwart die Regierungen Franklin Roosevelts oder zuvor Abraham Lincolns verleumden. Eine Regierung, die für das Allgemeinwohl handelt, die sich also verpflichtet, in einer Zeit wahrer Krise die Mehrheit ihrer Bevölkerung zu schützen, ist eine Regierung des Volkes, wie die Wahl Franklin Roosevelts 1932 und das erbärmliche Scheitern von Präsident Herbert Hoover beweisen.[footnote]Zugegeben, Präsident Herbert Hoover hat den Aktienkrach 1929 nicht selbst verursacht, sondern sozusagen von Andrew Mellons und Calvin Coolidges Politik geerbt, aber er hat es zustandegebracht, daß das Nationaleinkommen der USA sich zwischen Oktober 1929 und März 1933 halbierte. Für diese Leistung wurde Hoover freundlicherweise damit belohnt, daß ihn das Volk aus dem Amt abwählte. Es ist wahr, daß einige Regierungen sich rechtlich verpflichtet haben, sich der Herrschaft sogenannter unabhängiger Zentralbanken zu unterwerfen. Aber wenn die Vereinigten Staaten vorangehen und aus dem System ausbrechen, so wie es der amerikanischen Verfassung entspricht, hätten andere Nationen keine Wahl, als umgehend mit den USA zusammenzuarbeiten, um den eigenen Hals zu retten.[/footnote] Roosevelt rettete die Demokratie in den Vereinigten Staaten, wohingegen alle Regierungen Kontinentaleuropas, die Roosevelts Vorbild nicht auf ihre eigene Weise folgen wollten, früher oder später verloren waren.

Dies hat wichtige kulturellen Folgen für die nähere Zukunft, die wir jetzt berücksichtigen müssen. Einige davon werden die Anhänger einer gewissen weitgehend irregeleiteten Meinung in Asien erschrecken.

Wer den entsprechenden Vergleichspunkten in der gegenwärtigen und vergangenen Geschichte genug Aufmerksamkeit gewidmet hat, der weiß, daß unter ähnlichen Krisenbedingungen nichts schneller eine Mischung aus abwechselnden tyrannischen Regierungen und Anarchie und Terror ausbrütet als eine verängstigte oder dumme Bevölkerung, die man mit populären Formen der Ignoranz und engstirnigen, provinziellen Weltanschauungen füttert - man denke an Haufen verrückter religiöser Fanatiker in den Vereinigten Staaten heute.

Wenn man Regierungen daran hindert, unter Bedingungen einer Überlebenskrise von Nationen notwendige Reformen durchzuführen, ist die Folge wahrscheinlich Tyrannei in der einen oder anderen Form, eingeschlossen die Tyrannei des Chaos wie kürzlich in Albanien. Eine Regierung, wie die von Präsident George W. Bush jun., die nur mit Lügen, massiver Korruption und Betrug - wie dem Plündern der staatlichen Rentenkasse - auf Stimmenfang geht, aber auch jeder führende Politiker, der drastisch handelt, selbst für eine gute Sache, ohne sich um einen entsprechenden ausführlichen vernünftigen Austausch mit seiner Bevölkerung zu bemühen, wie ich es seit Jahrzehnten tue, verhält sich nicht klug. Eine gute Staatsführung regiert - bzw. bemüht sich zu regieren - über einen wirklichen Dialog mit dem Volk, selbst wenn dieses sich stur widersetzt, anstatt nur oberflächliche Beliebtheit bei "demokratischen" Meinungsumfragen anzustreben. Letztere Sorte Politiker spielen mit billiger Demagogie die Rolle des Tyrannen - wie jene berüchtigte Demokratische Partei (die Sophisten), die den Justizmord an Sokrates verübte.

Wir brauchen eine Regierung, die mit den Methoden des konstruktiven sokratischen Dialogs, mit denen damals Unterstützung für die Annahme der amerikanischen Verfassung gewonnen wurde, in der Bevölkerung breite Zustimmung auch für ganz umfassende und plötzliche Reformen gewinnt. Eine solche Regierungsweise wird insbesondere in Zeiten, die als große Krise wahrgenommen werden, die Grundlage für eine volkstümliche Regierung bilden.[footnote]Beispielsweise die [i]Federalist Papers[/i].[/footnote] Sonst, ohne diesen sokratischen Dialog als politische Regierungsmethode auf breiter Grundlage, wird aus der Regierung unter Krisenbedingungen anstelle eines vernünftigen Beratungsprozesses ein gefährlicher Zusammenprall verschiedener Willen, von dem gewöhnlich das denkbar schlechteste Ergebnis zu erwarten ist.

So war, als man in Deutschland an der rücksichtslosen Politik der Regierung Brüning festhielt, das Hitler-Regime fast schon unausweichlich. Der Dialog mit der Bevölkerung darf auch nicht bloß rein formal sein; vielmehr muß die Regierung durch einen ehrlichen Austausch die richtige Politik entwickeln und beschließen. Man muß diesen Dialog darüber führen, was im langfristigen Interesse des Allgemeinwohls der ganzen Nation ist, statt nur über eine Politik, die eine sophistische vorübergehende "demokratische" Unterstützung der vorhandenen Parteien und Fraktionen genießt.

Wenn man nicht rechtzeitig solche Reformen wie die gerade beschriebenen unternimmt, wird jeder Versuch, das gegenwärtige IWF-System zu bewahren oder die unabhängigen Zentralbanken zu verteidigen, eine Implosion der Realwirtschaft der Welt und wahrscheinlich ein rasches Absinken der Welt in ein langes finsteres Zeitalter nach sich ziehen. Dabei würden auch Nationen wie China und Indien zusammenbrechen - aus Gründen, die deren Regierungen jetzt vielleicht politisch noch nicht begreifen wollen. Daher brauchen wir einen entsprechenden vorbereitenden Dialog in dieser Frage, ohne den der Dialog der Kulturen als solcher keinen Erfolg haben kann.

Wenn also die Welt diese jetzt heranstürmende allgemeine Zusammenbruchskrise von Währung und Finanzen überleben wird, wird sie das tun, weil die angegebenen Reformen tatsächlich und rechtzeitig durchgeführt werden. Geschieht das nicht, dann werden wir die Idee eines politisch erfolgreichen Dialogs der Kulturen für vielleicht zwei oder mehr Generationen von der Tagesordnung streichen müssen. Wenn wir diesen Dialog nicht damit beginnen, daß wir alles, was für das Ergebnis von Bedeutung ist, "auf den Tisch legen" - auch die geheiligten Vorurteile dieser oder jener Interessengruppe - , dann wird die gegenwärtige Zivilisation nicht heil aus dieser Krise herauskommen.

Treffen wir die glücklichere Wahl, die ich gerade beschrieben habe, so wird es hinterher zu einigen äußerst interessanten Reformen im Denken der Welt über Wirtschaft kommen müssen, und das recht bald. In dem Fall nähme nämlich eine vernünftige Welt Wladimir I. Wernadskijs Definition der Noosphäre zur Grundlage der Definition der realwirtschaftlichen Lehre der Verwaltung und Entwicklung aller modernen Volkswirtschaften. Meine eigenen Beiträge zur Begründung einer zeitgenössischen physikalischen Wirtschaftswissenschaft wären dabei unverzichtbar, um die notwendige Verbindung zwischen Wernadskijs Beiträgen und den Strukturen der modernen Volkswirtschaft herzustellen.

Das Ergebnis wäre für viele ein Schock, der sich darin äußern würde, wie der Stapel von Bilanzen und anderen Finanzberichten, das sie vor sich her trugen, ihren zitternden Händen entgleitet und zu Boden fällt, als würde es für immer liegenbleiben. Kinnladen fallen herunter. Augen scheinen überzugehen. Das ist in der Tat eine Revolution! Ja, aber eine sehr gute und längst überfällige.

Beginnen wir also diesen Abschnitt der Abhandlung mit den entsprechenden Grundlagen als Ausgangspunkt, von dem aus wir die Verdienste von Franklin Roosevelts Herangehensweise erkennen, aber auch darüber hinaus den notwendigen Übergang zu einer - wie man es nennen könnte - "Wernadskij-Reform" unserer langfristigen Sicht der zukünftigen Wirtschaft dieses Planeten erkennen können. Dieses Zurückgreifen auf Wernadskijs Werk wird sich als unverzichtbar erweisen, um den nunmehr dringend notwendigen Übergang von der Trennung zwischen europäischen und asiatischen Kulturen zu der notwendigen wahrhaft eurasischen Kultur ins Leben zu rufen. Der Dialog der Kulturen, der solche Überlegungen auf die Tagesordnung setzt, muß als Forum dienen, auf die alle Bezug nehmen können, die auf einen solchen Prozeß des Fortschreitens auf dem Weg einer sich herausbildenden eurasischen Kultur hinarbeiten; alle, die an diesem Dialog zur Formulierung der Politik und Abkommen unter souveränen Nationen, werden an diesem Fortschritt teilhaben.

Nachdem das gesagt ist, schreiten wir nun, indem wir Wernadskijs Werk als Bezugspunkt zu Hilfe nehmen, voran zu der grundlegendsten Frage überhaupt: der Bedeutung der besonderen, selten richtig verstandenen Natur unserer menschlichen Gattung - ihre Bedeutung für die Bestimmung einer angemessenen Sicht der Weltwirtschaft und der Volkswirtschaften heute.

 

 

[subhead]Auf dem Weg zur Globalisierung[/subhead]  

Wenn wir das sog. ökologische Potential verschiedener Menschenaffenarten vergleichen, und vergleichen dann das Ergebnis mit einer Untersuchung der Lebensbedingungen für eine affenartige Gattung auf diesem Planeten während der Epoche der bekannten "Eiszeiten", dann betrüge das Potential für eine Menschenaffenart, die der Menschheit am nächsten kommt, einige Millionen Individuen. Heute wird eine Weltbevölkerung von mehr als sechs Milliarden Menschen gemeldet, das sind etwa drei Größenordnungen mehr als eine theoretische Menschenart mit ähnlichen Begrenzungen wie Menschenaffen. Wo liegt der Unterschied?

Daneben gibt es Untersuchungen der menschlichen Bevölkerung auf der Erde seit vorgeschichtlichen Zeiten, die seit der aus der Asche des finsteren Zeitalters Europas im 14. Jh. auferstandenen Renaissance des 15. Jhs. einen deutlichen Aufschwung des Bevölkerungspotentials verzeichnen.

Beginnend mit dieser Renaissance, insbesondere seit dem Westfälischen Frieden 1648, bis zu Entwicklungen der letzten vier Jahrzehnte, beschleunigte sich das sonst unregelmäßige demographische Muster langfristigen Bevölkerungswachstums, und zuerst in Europa, Nord- und Südamerika und dann z.B. auch in Asien ging dieses Bevölkerungswachstum mit einer Verbesserung des realen Lebensstandards und der Lebenserwartung einher.

Die Zahlen sind in mehrerer Hinsicht unregelmäßig, was für unser Thema, die physikalische Wirtschaftswissenschaft, von Bedeutung ist. Dennoch belegen schon diese Zahlen an sich einen großen Anstieg der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte der menschlichen Gattung seit den politischen Veränderungen im Zusammenhang mit der Geburt des neuzeitlichen souveränen Nationalstaats im 15. Jh. und seit den vom Fortschritt der Wissenschaft angetriebenen raschen Veränderungen der Produktivkraft, die im Zuge der sog. dirigistischen oder colbertistischen Politik in Frankreich Mitte des 17. Jhs. entfesselt wurden.

Erst in den letzten 40 Jahren weist die langfristige Richtung abwärts: ein wenig verstandener Trend, der schon sehr bald das schlecht gestützte, bedrohte Wachstum einiger Teile der Weltbevölkerung ziemlich brutal ablösen wird.

Woher kam bis dahin die lange Welle des Anstiegs?

Betrachtet man die guten Schätzungen und andere statistische Auffassungen der Zusammensetzung der Weltbevölkerung so weit zurück, wie es sich mit annehmbarer Genauigkeit verfolgen läßt, so fallen bestimmte Tatsachen hinsichtlich der charakteristischen historischen Unterschiede der Demographie europäischer und asiatischer Kulturen auf (siehe Abbildung 2). Die ganze Zeit über war die europäische Zivilisation deutlich weniger bevölkerungsreich als die asiatische. Dennoch war die Kraft, die sich in der europäischen Zivilisation ausdrückte, größer, insbesondere seit dem Aufstieg der klassischen griechischen Kultur, spätestens ab etwa dem 7. Jh. v.Chr. Eine zweite Gruppe von Tatsachen betrifft den revolutionären Anstieg der Kraft der europäischen Zivilisation pro Kopf, den die Renaissance im 15. Jh. entfesselte und der noch offenkundiger zum Ausdruck kam, seit die von der ultramontanen Venezianischen Partei gegen die Reformen der Renaissance angezettelten Religionskriege der Jahre 1492-1648 mit dem Westfälischen Frieden endeten.[footnote]Meine Auswahl der Wendepunkte und Trends entscheide ich nicht anhand der heute leider üblichen, im wesentlichen linearen statistischen Methode, die grundsätzlich irreführend sind, sondern anhand der Methode des Leibnizschen Kalkulus, die auch Gauß bei der Entdeckung des Asteroidengürtels verwendete. Diese will zeigen, was man in Zukunft beobachten wird, wohingegen die erstere betont, was schon beobachtet wurde: Friedmans Methode des [i]post hoc ergo propter hoc[/i], wie Joan Robinson sagt. Nur die eine Methode mißt die Zukunft; die Ableitungen aus der anderen sind gewöhnlich völlig unzuverlässig, wenn es gilt, eine Krise zu beurteilen.[/footnote]

In den letzten 40 Jahren hat sich der allgemeine langfristige Aufwärtstrend der europäischen und insbesondere der neuzeitlichen europäischen Kultur umgekehrt, verhältnismäßig gesehen zum Nachteil der europäischen Kultur und zum - tatsächlich aber nur scheinbaren - Vorteil der aufstrebenden Mächte Asiens.[footnote]Der Wechsel hin zum Ultramontanismus venezianischer Art, seit George Shultz und andere 1971-72 das Währungssystem von Bretton Woods zerschlugen, bereitete den Boden dafür, daß die vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt angetriebenen agro-industriellen Volkswirtschaften in Europa, Nord- und Südamerika sowie Japan durch einen Vorgang, den man heute gewöhnlich "Globalisierung" nennt, zerstört wurden. Im Endeffekt wurden die Binnenwirtschaften in Europa und den Amerikas ausgeraubt und ruiniert - mit den venezianischen Methoden, die man von der Vorgeschichte von Europas Absturz in ein neues finsteres Zeitalter im 14. Jh. kennt. Die ging damit einher, daß die Beschäftigung zunehmend aus Europa und Nordamerika in die Teile Asiens und Mittel- und Südamerikas mit den billigsten Löhnen verlagert wurde. Den Präzedenzfall für dieses eigentlich völkermörderische Weltmodell in der europäischen Geschichte findet man in der von Venedig gesteuerten Heiligen Liga und den damit verbundenen Kreuzzügen des 13. Jhs.; dies führte in das völkermörderische große neue finstere Zeitalter ab Mitte des Jahrhunderts - beispielhaft ist der Fall der pikaresken Biche und Mouche des Hauses Bardi. Die Anwendung dieses mittelalterlichen ultramontanen Modells auf die heutige Welt hat u.a. die irreführende Folge, daß es einigen Teilen der Bevölkerung Asiens bedeutend besser geht, aber nur, weil die breite Masse der Armen in Asien und Amerika ausgebeutet und auf andere Weise kaputtgemacht wird. Man nennt das "Globalisierung", und einige irregeführte Seelen in Eurasien glauben, das sei für Asien ein Vorteil, einfach weil sie bisher noch nicht genug über ihre wahre langfristige Lage nachdenken wollen.[/footnote] Woher kamen die Perioden der Überlegenheit der europäischen Zivilisation hinsichtlich ihres Erfolges pro Kopf der Bevölkerung, und woher kam, aus der gleichen Sicht betrachtet, ihr Niedergang in den letzten 40 Jahren?

Wir wissen, daß Menschen aus jeder lokalen Kultur der Erde das gleiche Potential für Errungenschaften aufweisen. Oft sind Einwanderer in die europäische Kultur auffällig besser motiviert, sich in schöpferischer und anderer Hinsicht auszuzeichnen, als die verhältnismäßig selbstgefälligeren Mitglieder der Gesellschaft, in die sie sich eingliedern. In dieser Hinsicht besitzen alle Menschen die gleichen Möglichkeiten - die entscheidenden Unterschiede der potentiellen Erfolge sind kulturell. Die gleichen Untersuchungen ergeben, daß das moralische Niveau und die Kapazitäten für zusätzliche Errungenschaften einer ganzen Kultur herabgezogen werden, sobald man irgendeinen Teil ihrer Bevölkerung herabzieht.

Die Wurzel des langfristigen geschichtlichen Vorteils, den die europäische Kultur vergleichsweise genießt, liegt in der Ausstrahlung der griechischen klassischen Kultur - in dem, was der Historiker Friedrich Schiller als moralische und andere Überlegenheit der beispielhaften klassischen Figur des Solon von Athen gegenüber der moralisch bemitleidenswerten, ausgearteten Kultur Spartas unter Lykurg ausmacht.

Der Kern der Sache zeigt sich an der Haltung gegenüber den ärmeren Teilen der Gesellschaft, die mehr oder weniger ausnahmslos wie menschliches Vieh behandelt wurden. Selbst eine Kultur, welche die Masse der Bevölkerung wie Menschenvieh hütet, deren Menschenbild aber dem Gedanken einer dauernden Klasse von Menschenvieh widerspricht - wie die Vereinigten Staaten seit Lincoln bis in jüngste Zeit - , hat einen moralischen Vorteil, der sich über die Ausstrahlung kultureller Einflüsse in einen ziemlich großen potentiellen realen Vorteil umsetzt. Das belegt die Renaissance des 15. Jhs. mit Italien im Mittelpunkt durch die Explosion wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritts - insbesondere in Colberts Frankreich, aber auch in entscheidenden Teilen der Geschichte der Vereinigten Staaten.

Nehmen wir den Vorteil, den die Vereinigten Staaten früher, besonders in der beispielhaften Zeit von der Präsidentschaft Abraham Lincolns bis zu der Franklin Roosevelts, gegenüber Europa allgemein hatten. Die Armen, die auf der Suche nach wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verbesserung aus Europa nach Amerika flohen, verwandelten sich im Laufe von einer oder zwei Generationen in eine geistig fruchtbarere und produktivere Bevölkerung, als sie es gewesen wären, wenn diese Familien in Europa geblieben wären.

Das hat im wesentlichen mit der Natur des Menschen zu tun, und insbesondere mit dem Selbstverständnis, das im typischen einzelnen Mitglied der Gesellschaft geprägt wird. Deshalb kündigt sich in Asien eine mögliche Katastrophe an - selbst in den Ländern, die zu verhältnismäßig großen Weltmächten werden - , wenn man nicht das Menschenbild, das sich im Zustand der großen Masse der Armen widerspiegelt, vom Status der billigen Arbeitskraft zu einer geistig aufgeklärten und schöpferischen breiten Bevölkerung erhebt. Das wird offensichtlich im Rahmen jeder weltweiten Diskussion über Fragen des Dialogs der Kulturen eine ganz wesentliche Aufgabe sein.

Deshalb ist es wichtig, zu betonen, daß das abstoßende Bild, welches die europäische Zivilisation insbesondere in den letzten 40 Jahren bietet, nicht für die asiatische Kultur spricht, sondern nur beweist, wie die europäische Zivilisation sich selbst erniedrigt und Schande gemacht hat, indem sie die wiedererstandene weltweite Tyrannei der Venezianischen Partei in ihrer modernen Form hinnimmt. Offen gesagt ist der schlagendste Beweis, den man für den kulturellen und moralischen Niedergang der Vereinigten Staaten anführen kann, die Tatsache, daß dieses Land im ganzen so schamlos sein konnte, wie es aussieht, einen George W. Bush als Präsident wiederzuwählen und, noch schlimmer, das Wahlergebnis hinzunehmen. Es wurde schon oft gesagt: Wen (Menschen oder Länder) die Götter zerstören wollen, den treiben sie erst in den Wahnsinn. Die Globalisierung ist Wahnsinn, und Präsident Bush ist tatsächlich verrückt.

Die Überlegungen, die ich gerade zusammengefaßt habe, drücken zwei große Fragen aus, die vor jedem angemessenen Dialog der Kulturen gestellt werden müssen: Was ist die menschliche Natur? Wie können wir die Gesellschaft in die Lage versetzen, sich von dem kulturellen Ballast, der die Erniedrigung der breiten Masse der Bevölkerung zu einer Art Menschenvieh hinnimmt, selbst zu befreien? Wie es vielleicht auch Quäker gerne ausdrücken würden: Diese Frage ist auch der Schlüssel zur der Erkenntnis, wo die Wurzel der moralischen Verkommenheit der USA liegt, die sich darin ausdrückt, daß George W. Bush und seine Mannschaft das Präsidentenamt belegen.

 

 

[subhead]Potentielle relative Bevölkerungsdichte[/subhead]  

Wie sollen wir diesen kulturellen Faktor allgemein definieren, damit er auf alle Teile unseres Planeten zutrifft?

Unausgesprochen beantwortet Wernadskij diese Fragen in wesentlichen, wenn auch allgemeinen Begriffen. Meine eigenen, auf Leibniz' Werk bezogenen Entdeckungen im Bereich der physikalischen Wirtschaftswissenschaft aus den späten 50er und frühen 60er Jahren sind auch ein Schlüssel zur Auflösung der verbliebenen Fragen, die sich mit Wernadskijs Beiträgen in dieser Hinsicht stellen. Ich beginne mit gewissen wesentlichen Überlegungen zu meiner eigenen Arbeit. Ich beschränke meinen Bericht über dieses Thema hier auf eine zusammenfassende Beschreibung des Allerwesentlichsten und konzentriere mich auf das, was technisch am wenigsten beschwerlich ist. Dies erleichtert die Einsicht, wie Wernadskijs Werk uns verstehen hilft, wie man die Weltwirtschaft im gegenwärtigen Stadium der Evolution unseres Planeten ordnen und verwalten muß.

Bei dem grundlegenden Maßstab, der in meiner Methode der realwirtschaftlichen Buchhaltung die funktionale Grundlage liefert, spielt der Begriff des Geldes als Wert [i]keine[/i] Rolle bei der Definition der Wirtschaft als physikalischem Vorgang. Nur wesentliche physikalische Werte werden als grundlegende Werte in den realwirtschaftlichen Aspekten des Wirtschaftszyklus als solchem berücksichtigt. Geld, das von der souveränen Regierung geschaffen, ausgegeben und überwacht werden sollte, definiere und behandle ich hauptsächlich in seiner [i]gewöhnlichen Rolle in einer gesunden modernen Gesellschaft[/i]: als Endergebnis realwirtschaftlicher Entscheidungen und verwandter Handlungen einer Volks- und Weltwirtschaft, die führende Ökonomen wie Hamilton, Friedrich List und Henry C. Carey unter der Bezeichnung [i]Amerikanisches System der politischen Ökonomie[/i] von Präsidenten wie Washington, Lincoln, Franklin Roosevelt und einigen anderen kannten.

Warum Kraft damit vergeuden, Vorschlägen für eine Verewigung der todgeweihten anglo-holländischen liberalen Weltordnung, einem im wesentlichen veralteten, pro-feudalen Geldsystem, entgegenzukommen, zu einem Zeitpunkt, an dem man ein ganz anderes Geldsystem schaffen muß, eines, das auf der entgegengesetzten, der realwirtschaftlichen Grundlage ruht? Warum versuchen, einen Ozeanriesen zu überreden, auf eine Erdumlaufbahn zu fliegen?

Ich beginne diesen knappen Umriß der Hauptbestandteile der realwirtschaftlichen Auffassung des Amerikanischen Systems mit der [i]Bevölkerungsdichte[/i], definiert in Begriffen von Familienhaushalten, und zähle diese gemessen je Quadratkilometer der gesamten verfügbaren Landfläche sowie des von den entsprechenden Wohnungen und physischen Aktivitäten der Mitglieder dieser Haushalte belegten Landes. Ich vergleiche den Verbrauch, der notwendig ist, um diese Haushalte zu erhalten, mit dem realen, wirksamen Ausstoß der Arbeit, welche die Mitglieder dieser Haushalte verrichten. Die grundlegenden, dabei anzustellenden Messungen sind: ein Vergleich des Ausstoßes der Arbeit dieser Haushalte mit dem Niveau des Verbrauchs der ganzen Gesellschaft an der Klasse von Gütern, die zum Erhalt der Haushalte und der Gesellschaft, in der sie leben, notwendig sind - in einer Qualität, daß diese Produktionsmethoden weiterbestehen können - , sowie der Ausdruck hiervon in dem hergestelltem Ausstoß, letzterer gemessen pro Kopf und Quadratkilometer der Landfläche, die diese Haushalte und die mit ihren Aufgaben in der Gesellschaft verbundenen Beschäftigungen belegen, sowie ganz besonders die Bestimmung der Merkmale des Wirtschaftszyklus.

Die Aufgabe des Produktionszyklus (die Absicht, die in ihm Ausdruck kommt) muß darin bestehen, die physikalisch definierte Nettoproduktivkraft je Arbeitskraft und je Quadratkilometer zu steigern und gleichzeitig die durchschnittliche Lebenserwartung der betreffenden Bevölkerung zu erhöhen. Diese Vorstellung bereitet darauf vor, sich einen Begriff von der [i]potentiellen relativen Bevölkerungsdichte pro Kopf und Quadratkilometer[/i] zu machen. Die zentrale Vorstellung sollte sein, daß die Lebensqualität der Haushalte, die das Verhältnis zwischen Produktion und notwendigem Anstieg des Verbrauchs verbessert, nicht sinken, sondern sich anti-entropisch erhöhen soll.[footnote]Wie schon in einer vorangegangenen Anmerkung erklärt, beziehen sich die Begriffe [i]Entropie[/i] und [i]negative Entropie[/i], so wie man sie heute gewöhnlich verwendet, nicht auf naturwissenschaftliche Gesetze, sondern nur auf Wirkungen. [i]Anti-Entropie[/i] dagegen bezieht sich auf ein aus sich selbst heraus existierendes universelles Naturprinzip, das die entsprechende Wirkung hervorruft - so wie z.B. bei Keplers Entdeckung der Gravitation. Leben und schöpferische Erkenntnis sind immer Ausdruck der Wirkung eines Prinzips ständiger Veränderung - von Anti-Entropie.[/footnote]

Als pädagogische erste Annäherung bildet der Primärzyklus, der gemessen wird, eine Spanne vom Verbrauch des Haushalts, bis das hergestellte Endprodukt endgültig aufgebraucht ist - letzteres ist der Punkt, an dem das hergestellte Material aus dem Produktionszyklus der Wirtschaft herausgenommen wird.[footnote]Man muß vorsichtshalber diese Bedingung betonen, damit sich niemand von pseudowirtschaftlichen Lehren einnehmen läßt - beispielsweise dem Gedanken, ein wirtschaftlicher Vorgang sei "die Herstellung von Gütern durch Güter".[/footnote]

Andere Produktion, etwa im Zusammenhang mit der Herstellung von Zwischenprodukten, wird als Produktion und Verbrauch innerhalb des Produktionszyklus des Netto-"Endprodukts" aufgefaßt. Mit anderen Worten, wenn man bei der Berechnung des nationalen Güterausstoßes Zwischenprodukte zu den Endprodukten hinzuzählt, ist das oft zumindest teilweise eine Doppelzählung, insbesondere seit die sog. "68er-Generation" zu Einfluß gelangt ist.[footnote]Bei der heute üblichen Praxis der "Babyboomer" oder "Alt-68er" in Wirtschaft und Unternehmensführung wird meist nur kurzfristig gedacht, so wie es der "Jetzt-Generation" entspricht, wo man wirtschaftliche Werte mit den schnellen sexuellen und ähnlichen Genüssen der Spaßgesellschaft verwechselt - eine moderne Form der "Brot-und-Spiele"-Kultur des Römischen Reiches. Tatsächlich ist aber nicht nur die Kapitalbildung langfristig, in vielen Bereichen ist schon der Produktionszyklus selbst ein mittelfristiger Zyklus vom Entwurf einer Produktlinie bis das Endergebnis zum ersten Mal verkauft wird. Deshalb halten solche Leute Zwischenprodukte oft für eine Konkurrenz zum Endprodukt und neigen zu so verrückten Vorstellungen wie der, Zwischenprodukte zu verkaufen, auch wenn dadurch weniger Endprodukte geliefert werden können, obwohl doch von diesen der "ganze Laden" abhängt.[/footnote] Die Kosten für Zwischenprodukte gehen in den gesamten aufgelaufenen Kosten innerhalb des Zyklus auf. Die Verwendung des Begriffs des "Mehrwerts" hilft uns, die möglichen Abweichungen statistisch zu berichtigen, hebt sie aber nicht wirklich auf, weil die Kosten der Herstellung der Zwischenprodukte - besonders in einem System mit in Geld ausgedrückten Preisen - beträchtlich zu hoch oder zu niedrig sein können, gemessen an dem, was nötig wäre, um das notwendige Gleichgewicht an dem durch technischen Fortschritt angetriebenen Nettowachstum des Ausstoßes an Endprodukten pro Kopf aufrechtzuerhalten.

Die Herstellung veralteter, unnötiger Teile, wie z.B. Kutschböcke für Automobile, ist nur ein Beispiel für die verschiedenen Möglichkeiten, wie sich der entsprechende Denkfehler ausdrücken kann. Man sollte statt in Geldbegriffen lieber in physikalischen Begriffen denken - ein reales [i]Kapitalverhältnis[/i] von Zwischenprodukt zu Endprodukt - und ansonsten das Zwischenprodukt als Kostenfaktor im Gesamtsystem des Zyklus auffassen. Entscheidend ist, daß man Kosten bezogen auf die Rate des technischen Fortschritts und verwandte Produktivitätsverbesserungen messen sollte, statt mit Methoden der Finanzbuchhaltung, die von derartigen Folgen mehr oder weniger unberührt bleiben. Buchhaltermethoden, die leider gern als Ersatz für die Arbeit an ernsthafter wirtschaftspolitischer Planung dienen, sollten wir vermeiden.

Zwischen diesen beiden Endpunkten liegt die Herstellung der Zwischenwerte. Dazu gehören die grundlegende wirtschaftliche Infrastruktur, die man annähernd in Begriffen von Quadratkilometern und pro Kopf mißt, sowie [i]das Kapital des eigentlichen Produktionszyklus[/i]. Diese beiden Klassen von Zwischenprodukten stuft man als Kapitalbildung ein und mißt sie in Jahren nützlicher realer Lebensdauer. Die richtigen Messungen der Kapitalbildung sind, in erster Annäherung, im wesentlichen folgende.

Wir beginnen mit dem Zeitraum von der Geburt bis zur Erwachsenenreife oder entsprechenden funktionalen Reife des neugeborenen Mitglieds der Gesellschaft. Das ist die sinnvollste Maßeinheit für die Bestimmung von [i]Kapitalzyklen[/i] und ist selbst ein Kapitalzyklus. Es geht uns darum, die nützliche Lebensdauer einer Kapitalverbesserung für Infrastruktur oder Produktion mit der Zeitdauer der Investition, welche die Entwicklung eines Kindes vom Säuglingsalter bis zum Beginn des wirtschaftlich aktiven Erwachsenenleben darstellt, zu vergleichen. Dabei ist die funktionelle Grundannahme: Die Rate des Nettoanstiegs der produktiven Arbeitskraft sollte sowohl einer Verbesserung des Lebensstandards der Haushalte entsprechen als auch der Annäherung des Endes des Ausbildungsalters an ein bestimmtes Optimum - für die USA etwa wäre die angemessene Zukunftsperspektive, das man Schule und Berufausbildung mit 25 Lebensjahren abgeschlossen hat.[footnote]Sollten einige Leser schockiert darüber sein, daß ich eine Obergrenze der normalen Lebenszeit für Schule und Berufsausbildung setze, so lenke ich deren Aufmerksamkeit auf den Unterschied zwischen "wissen" und "lernen", wofür meine Darlegungen weiter oben über Vorstellungen (Ideen) von Prinzipien, wie etwa bei Archimedes, Gauß u.a., beispielhaft sind. Wenn er die Erfahrung der Entdeckung von Prinzipien durch entscheidende Experimente nachvollzieht, statt sie nur auswendig zu lernen, gewinnt der Geist des Schülers unmittelbar an Stärke; man braucht nicht mehr bloß zu hoffen, daß diese Geistesstärke sozusagen wie osmotisch auftaucht, wenn man ihn einer ewigen Litanei bloßen "Lernens" aussetzt. Letzteres ist nicht nur schrecklich ineffektiv, am Ende müssen dabei sogar naturgemäß mehr Fehlschläge als Erfolge herauskommen. Zur Veranschaulichung dieses grundsätzlichen Unterschiedes verweise ich oft auf das Buch [i]Neurotische Störungen des schöpferischen Prozesses[/i] des verstorbenen Prof. Lawrence Kubie und ähnliche Schriften.[/footnote]

Insgesamt gibt es vor dem hier gerade zusammengefaßten Hintergrund zwei Gesichtspunkte dieses grob umrissenen Vorgangs, die für das, was ich jetzt zu dem von Wernadskij entwickelten Begriff der Noosphäre betonen möchte, von Bedeutung sind.

Das eine sind diejenigen Verbesserungen der Biosphäre als solcher, die das produktive Potential eines Gebietes erhöhen - Potential gemessen in Begriffen pro Kopf (Person) und Quadratkilometer, nicht an anderen Maßstäben.

Das zweite ist die qualitative und quantitative Entwicklung desjenigen Teils der Noosphäre als solcher, der - in erster Annäherung gesprochen - kein Ergebnis biologischer Funktionen/Komponenten angehäufter Fossilbildung auf dem Planeten, sondern ein Ergebnis menschlicher Erkenntniskraft ist.

Die unausgesprochene allgemeine Regel in Wernadskijs eigener Darstellung des Themas ist, daß die Zuwachsrate nützlicher Fossilien der Noosphäre größer sein soll als die der Biosphäre, während die Entwicklung der Biosphäre pro Quadratkilometer voranschreiten soll.

Den Antrieb zur Erhöhung dieses Verhältnisses bildet die dem einzelnen Menschen innewohnende (noetische, kognitive) Erkenntniskraft. Beide Zuwachsraten lassen sich als eine einzige ausdrücken, wenn wir berücksichtigen, daß die willentliche Verbesserung der Biosphäre, ausgedrückt je Quadratkilometer, ein Ergebnis von Produktionssteigerungen ist, welche die menschliche Schöpferkraft hervorgerufen hat.

Die vorangegangenen Punkte zur Wirtschaft aus physikalischer statt monetär-finanzieller Sicht laufen in einer Vorstellung zusammen, die ich vor mehr als einem halben Jahrhundert entwickelt und [i]potentielle relative Bevölkerungsdichte[/i] genannt habe. Dieser Begriff schien mir damals für Industrieingenieure oder vergleichbare Techniker im Produktionsprozeß handhabbar, während er gleichzeitig auch auf den höheren Bezugsrahmen verwies - nämlich die spezifisch Riemannsche Sicht des Vorgangs, der in einer produktiven modernen Volkswirtschaft zum Ausdruck kommt.

Wesentlich ist dabei: Wenn eine entsprechende Landfläche gegeben ist, spiegelt die potentielle Produktivität der damit verbundenen Gesamtbevölkerung auf der einen Seite die Entwicklung des produktiven Prozesses einschließlich der Bevölkerung selbst und ihrer Arbeitskraft wider; andererseits hängt aber der wirtschaftliche Erfolg von der Entwicklung der Landfläche ab, einschließlich der Produktionsstätten und verfügbaren Dienstleistungen, auf der diese Aktivitäten stattfinden.

In letzter Analyse umfaßt dies die Steuerung aller mit unserem Planeten verbundenen, vom Menschen ausgehenden physikalischen Vorgänge, die für die menschliche Existenz und die Verbesserung der potentiellen relativen Bevölkerungsdichte der Menschheit auf der Erde von Bedeutung sind. Aus diesem Grunde steigt Wernadskijs Werk zur Noosphäre, von dieser höheren Warte aus betrachtet, aus dem begrenzteren Bereich ausgewählter Anwendungen der wissenschaftlichen Forschung zu einem unverzichtbaren bestimmenden Bestandteil jeder wirtschaftlichen Praxis auf, den Regierungen und vergleichbare Stellen heute ernstnehmen müssen.

Das Maß der Veränderungen, die zu dem angedeuteten Ergebnis führen, ist die [i]Anti-Entropie[/i] der entsprechenden laufenden politischen Praxis.

Alle diese genannten Faktoren drehen sich um eine einzige entscheidende Frage: die Natur des Menschen als Erkenntniswesen, im Unterschied zu den Tieren und über diese hinaus. Der Schlüssel ist die Fähigkeit, Hypothesen zu bilden, wie Platon dies in seiner Sammlung sokratischer Dialoge definiert. In dem Maße, wie die Gesellschaft um das Wirken dieser nur dem Menschen eigenen Schöpferkraft herum geordnet ist, und zu dem Grade, wie das einzelne Mitglied der Gesellschaft dazu angeleitet und ihm geholfen wird, dieses besondere schöpferische Potential in sich zu pflegen und anzuwenden, werden Gesellschaften gedeihen, und man kann die kulturelle Entwicklung und das wachsende physische Wohlergehen der Menschen in diesen Gesellschaften fördern.

Wird daher die kognitive Entwicklung in einem großen Teil der Bevölkerung etwa mit den gängigen Methoden unterdrückt, so führt das dazu, daß die Entfaltungsmöglichkeit in der ganzen Bevölkerung, auch in ihrem "privilegierteren" Teil, geringer ist. Die Armen verlieren unter solchen unterdrückten Verhältnissen vielleicht nicht ihre Menschlichkeit, aber sie verlieren viel von ihrer möglichen Entwicklung als Mensch. Solche Bedingungen um "traditioneller Werte" willen hinzunehmen, ist die tödlichste Quelle der Schwäche in jeder Kultur.

Das Ziel von Veränderungen im Ablauf des Produktionsprozesses muß also natürlich die Wirkung des Verbrauchs des Endprodukts sein. Das als selbstverständlich vorausgesetzt, muß man auf dem Weg zur Erreichung dieses Zieles auch großes Gewicht darauf legen, die menschliche Qualität der Rolle des Menschen im Produktionsprozeß zu entwickeln. Menschen beispielsweise, die auf körperliche Arbeit abfällig herabblicken, unterschätzen häufig, wie wichtig es ist, ob der Arbeitsablauf die Erkenntnisfähigkeit im Leben und Beruf des Arbeiters fördert oder einschläfert.[footnote]Etwa so: "Mecker nicht, du trübe Tasse, du solltest dankbar sein, daß du überhaupt Arbeit hast."[/footnote]

Wir werden diesen Diskussionsfaden über die Bedeutung der menschlichen Menschen in einer Volkswirtschaft aus der Sicht von Wernadskijs Noosphärenbegriff später wieder aufgreifen, nachdem wir nun eine andere Frage der Wirtschaftswissenschaft, die jetzt aus dem Weg geräumt werden muß, geklärt haben. Es handelt sich um den funktionalen Unterschied zwischen einem Währungssystem mittelalterlicher Art - das heute die vorherrschende Form von Weltwährungs- und Finanzsystem darstellt - und einem neuzeitlichen Währungssystem der Art, wie es nur die beiden ursprünglichen Verfassungsdokumente der Vereinigten Staaten von Amerika aus dem 18. Jh. vorgeben.[footnote]Das erste Verfassungsdokument war die Unabhängigkeitserklärung worin 1776, worin das wichtigste verfassungsmäßige Bürgerrecht das "Streben nach Glückseligkeit" ist, das Benjamin Franklins Kreis aus Gottfried Wilhelm Leibniz' [i]Neuer Abhandlung über den menschlichen Verstand[/i] übernahm. Dies stand bewußt im Gegensatz zur Lockeschen Lehre vom "Recht auf Eigentum", das Richter Antonin Scalia vom heutigen Obersten Gerichtshof der USA und andere Verfassungsunterwanderer unter dem Markennamen [i]Shareholder Value[/i] eingeführt haben - eine Vorstellung, die der eindeutigen Absicht der "Gemeinwohl"-Klausel der Präambel der Bundesverfassung der USA unmittelbar widerspricht. Zur Beförderung seiner eigenen Auffassung von "Eigentum" und anderem Betrug hat sich der parteiliche Eiferer Scalia auf die verrückte, an venezianische Gebräuche erinnernde Vertragsrechtslehre verlegt, die sich stets auf den "Text" beruft.[/footnote]

 

 

[subhead]Die moderne Geldwirtschaft[/subhead]  

Der Produktivitätszuwachs innerhalb einer Realwirtschaft, wie ich sie eben vereinfacht geschildert habe, veranschaulicht, was die Grundlage wirklichen Gewinns ist: [i]kein finanzieller Gewinn, sondern ein realer, physischer Gewinn[/i] - man könnte auch sagen, die Marge an [i]gesellschaftlichem Gewinn[/i], erzeugt in den Begriffen einer physischen Wirtschaft, deren Anfangsgründe ich gerade grob umrissen habe. Dieser gesellschaftliche Gewinn ist zu unterscheiden vom eingebildeten finanziellen Gewinn, den die gängige Buchhaltungspraxis aus den falschen, praktisch feudalen Vorstellungen des Währungs- und Finanzsystems, auf das sich diese zeitgenössische Buchhaltung stützt, ableitet.

An einer guten Buchhaltung ist nichts auszusetzen, besonders wenn sie auch ehrlich ist. Buchhaltung ist in einer modernen Wirtschaft unverzichtbar, ganz besonders in einer Wirtschaft, in der Ganoven wie die Enron-Bande im Zuge der dynastischen Machenschaften der Familie Bush Amok laufen. Innerhalb der legitimen Buchhaltungspraxis tauchen die Schwierigkeiten gewöhnlich im Gewande angenommener Einbildungen auf, deren Vorhandensein und Auswirkungen der leichtgläubige oder auch nur unaufmerksame Leser leicht übersieht. Ernsthaftere Fehler entstehen, wenn gewisse Buchhalter - wie Professor Milton Friedman von der offen gestanden pro-satanischen Mont-P?lerin-Sekte des verstorbenen Friedrich von Hayek - sich als Wirtschaftswissenschaftler ausgeben, obwohl sie doch bestenfalls Buchhalter sind, und zwar von einer Art, deren Lehren und vermeintliche Schlußfolgerungen weitgehend darauf beruhen, daß sie über eine reale Wirtschaft weniger als nichts wissen.[footnote]Der Götze der von Hayekschen Mont-P?lerin-Gesellschaft war der berüchtigte Bernard Mandeville, der einer äußerst gnostischen religiösen Überzeugung "private Laster bedeuten öffentliches Wohl" anhing. Von Hayeks Komplize Milton Friedman zeigte seine Anbetung derselben niederländischen Gottheit bei einem Fernsehinterview mit Phil Donahue im April 1980, als er die Freigabe des Rauschgifthandels als "gut für die Wirtschaft" befürwortete. Friedmans Aufstieg als seltsame Art von Wirtschaftswissenschaftler begann, als er Buchhaltung studierte und Arthur Burns ihn sozusagen über Nacht in einen sogenannten Wirtschaftswissenschaftler verwandelte. Joan Robinson von der Universität Cambridge schilderte Friedman zutreffend als den Ökonomen des [i]post hoc, ergo propter hoc[/i]. Betrachtet man Friedmans Wirken als Wirtschaftsberater von wirtschaftspolitischen Versagern wie Präsident Richard Nixon und Gouverneur Arnold Schwarzenegger, so würden aufmerksame Beobachter vielleicht sagen, Friedmans Ratschlag in wirtschaftlicher Hinsicht lautete: "Zurück in die Steinzeit".[/footnote]

Jedenfalls dürfen wir nicht zulassen, daß die Buchhalter, ob fähig und ehrlich oder nicht, sich das System, das sie für ihre Arbeit verwenden, selbst ausdenken. Vielmehr muß die Buchhaltung ihre Arbeit an die Aufgabe anpassen, die Verfassung und Regierungsstellen als Ziele und Maßstäbe für die Entwicklung und Arbeit mit Buchhaltungssystemen vorgeben. Deshalb besteht heute eine unserer großer Schwierigkeiten darin - ganz besonders unter der geistig verwirrten Leitung der jetzigen Regierung Bush in den USA - , daß es nur sehr wenige Wirtschaftswissenschaftler gibt, die fähig sind, den Buchhaltern die richtigen aufgabenorientierten Maßstäbe für ihre Arbeit zu liefern. Und selbst diejenigen, die dazu fähig sind, können unter den verrückten Vorgaben aus dem Präsidentenamt und ähnlichen einflußreichen Meinungsquellen nicht wirksam arbeiten. Aber selbst ohne die zusätzliche Last dieser kopflosen Regierung läßt sich dieses Problem - zu versuchen, vernünftige Maßstäbe für die heute Buchhaltungspraxis zu erstellen - nicht lösen, ohne das heutige Währungs- und Finanzsystem umzustürzen. Zu den Ursprüngen der heute gängigen Geldtheorie ist in der gegenwärtigen Krisenzeit die folgende Klärung dringend notwendig.

Nachdem ich meine Entdeckungen zur physikalischen Wirtschaftswissenschaft gemacht hatte, befaßte ich mich in den 50er Jahren einige Zeit mit entsprechenden weiteren Untersuchungen. Ich beschäftigte mich mit der Geschichte des Geldes und der Buchhaltung, angefangen mit dem Aufkommen des Wuchers im Söldner- und Pachtwesen des antiken südlichen Mesopotamien und weiter über den Handel zwischen Mesopotamien und den Hethitern, für den vorsorglich (im Sinne der modernen Forscher) Keilschrifttafeln (anstelle des leicht verderblichen Pergaments) verwendet wurden; darauf schrieb man die Rechnungen für den Handel, die man hinsichtlich Zweck und Verwendung als ziemlich modern betrachten könnte. Ich verfolgte die Ursprünge der europäischen Geldsysteme über Kanäle wie Tyrus und das große Zentrum des Wuchers beim Kult von Delphi, wo diese Praktiken entwickelt wurden, hin zu den Entwicklungen im alten römischen System, auf denen seither die meisten europäischen Geldsysteme beruhen. Ich interessierte mich auch für neuzeitliche Formen seit dem Beginn der doppelten Buchführung, angefangen mit den inzwischen inhärent anachronistischen Ursprüngen in der [i]feudalen Praxis[/i] der venezianischen Finanzoligarchie - eine Entwicklung, die offenbar spät in den mittelalterlichen, feudalen Jahrhunderten der ultramontanen Herrschaft vor der Renaissance stattfand.[footnote]So erklären viele Forscher, die doppelte Buchführung, die man bei den Medici findet, sei früher vom Haus Bardi entwickelt und daraus abgeleitet worden.[/footnote]

Die Notwendigkeit einer annehmbaren Geldwirtschaft als Anhang einer modernen Wirtschaft entsteht als Nebenprodukt der einzigartigen Natur des Menschen als schöpferisches Wesen, wo die Schöpferkraft - in dem Sinne, wie Wernadskij das [i]noetische[/i] Prinzip definiert - als souveräne Eigenschaft menschlicher Individuen gilt.[footnote]Dies betrifft die entscheidende Schwäche des Denkens im sowjetischen System, auf die ich mich schon weiter oben bezogen habe. Die materialistische Lehre - beispielhaft und besonders anrüchig ist Engels' Variante des "Materialismus" - leugnet die Existenz der Erkenntnis, die den Menschen vom Affen unterscheidet, und schürt daher allgemein Mißtrauen gegenüber der "Intelligenzia". Aus diesem Grunde wurden die militärtechnischen Errungenschaften des Sowjetsystems, wo die Schöpferkraft des einzelnen - beispielhaft sind Wernadskij oder mein verstorbener Freund Pobisk Kusnezow - nicht verachtet werden durfte, als gesellschaftlicher Faktor zur wichtigsten Quelle der strategischen Stärke des Sowjetsystems und einem wesentlichen Erbe in Rußland bis zum heutigen Tage.[/footnote] Um die laufende Wertschöpfung über die Gesellschaft zu vermitteln, braucht man ein Werkzeug, mit dem man bestimmten Funktionen innerhalb dieses Vorgangs in der besonderen Art und Weise, die mit einem staatlich geschaffenen Geldsystem verbunden ist, unterstützen kann. Die Aufgabe der allgemeinen Verwaltung des Geldes in einer modernen Gesellschaft besteht darin, den Fluß von produktiven Aktivitäten und Verbrauch so zu steuern, daß diejenige Art von Wachstum, die nur durch die Anwendung und Entfaltung der souveränen Schöpferkraft jedes einzelnen entstehen kann, so weit wie möglich gesteigert wird. Dazu müssen die Ausgabe und der Fluß des Geldes geregelt werden - hauptsächlich von der Regierung - , damit dieser Idiot, das Geld, nicht aus eigenem, von Natur aus unmenschlichem Antrieb in völlig falsche Richtungen davonläuft. Man kennt ja die Habgier des Wucherers.

Das axiomatisch Böse an den heute verbreiteten Varianten der feudalen oder sogar noch älteren Lehren über die Natur des Geldes ist die Annahme, Geld an sich besitze irgendeine reale oder zumindest moralische Kraft - ein natürliches Recht auf Wucher, das als physikalisches Prinzip der realen Wirtschaft wirken sollte. Diese Vorstellung vom Geld als "schnödem Mammon" ist etwas, das sogar als teuflisch zu betrachten ist. Der schlechte Ruf des Geldes ist insofern gerechtfertigt, als Mandeville - obgleich ein schillernder bösartiger Kerl von offensichtlich übler persönlicher Moral - nicht daneben lag, als er darauf beharrte, daß Geld - im Sinne des anglo-holländischen Auswuchses der venezianischen Tradition - auf etwas Bösartiges außerhalb des wirklichen Universums angewiesen ist, auf eine Art "Maxwellschen Dämon", vermutlich aus der Hölle, der Mandeville, von Hayek, Friedman etc. zufolge eine Nation, die das Laster fördert, mit öffentlichem Nutzen belohnt.

Die Aufgabe des Geldes in modernen Volkswirtschaften und in den Beziehungen zwischen solchen muß sich von der Aufgabe des Geldes in der antiken und mittelalterlichen Gesellschaft oder in neuzeitlichen Geldsystemen venezianischer Prägung so unterscheiden, wie sich Menschen von Affen unterscheiden. Es gibt kein an sich berechtigtes Gesetz, das einen bestimmten Zinssatz als wucherischen, rechtmäßigen Besitz des Geldes an sich vorschreibt.

Heute gibt es auf der Welt im wesentlichen eine Fortsetzung eines mittelalterlichen Wuchersystems; beispielhaft dafür ist das IWF-System der Zeit seit 1971, das der mittelalterlichen ultramontanen Tradition nachgebildet ist, diese weitgehend fortsetzt und heute das vorherrschende, inhärent feudalistische Finanz- und Währungssystem auf unserem Planeten darstellt.[footnote]Tatsächlich waren die internationalen Kredite im IWF-System von Bechtels George Shultz u.a. nach 1971 für den Schuldner ungefähr so nützlich wie eine malaysische Affenfalle für den Affen: Der Bankier verschlingt das Schuldnerland zum Mittagessen.[/footnote] Infolge der Wiederbelebung der Macht der venezianischen Finanzoligarchie Ende des 15. Jhs. und der Verlagerung der wichtigsten Machenschaften dieses oligarchischen Systems auf das System der Venezianischen Partei des anglo-holländischen Liberalismus im 18. Jh. ergibt sich in der heutigen Weltwirtschaft eine mörderische Ironie.

Verbunden mit dem Einfluß des Renaissance des 15. Jhs., des Westfälischen Friedens und der Geburt des amerikanischen Volkswirtschaftssystems als größtem Widersacher des anglo-holländischen liberalen Systems ist das heute vorherrschende Weltsystem in seiner paradoxen Form entstanden. Das Problem hat eine Vorgeschichte, zu der die nun folgenden Höhepunkte gehören.

Seit den gegenrevolutionären Veränderungen in der amerikanischen Volkswirtschaft und im IWF unter dem Einfluß von Mittelsmännern wie George Shultz in der Regierung Nixon 1971-72 ist das heutige, schwerkranke anglo-holländisch-liberale System - das nach der ursprünglichen Absicht der Bundesverfassung der USA gar nicht existieren dürfte - derzeit das Währungs- und Finanzsystem der Welt. Aber die Vereinigten Staaten können sich jederzeit auf die in ihrer Verfassung verankerten Grundsätze des Amerikanischen Systems berufen, so wie ich das vorschlage. Und dann gäbe es einen Machtkampf zwischen zwei Weltordnungen: ein erneuertes amerikanisches System auf der einen, das entgegengesetzte anglo-holländische liberale System auf der anderen Seite. Die grundlegenden geschichtlichen Ironien dieser verschiedenen tatsächlichen und möglichen Konstellationen sind folgende.

Das Entscheidende an der klassischen Renaissance im 15. Jh. mit Italien im Mittelpunkt war die Entstehung des neuzeitlichen souveränen Nationalstaats, als man das Erbe des imperialen Rom und seines mittelalterlichen venezianisch-normannischen Nachfolgers abschüttelte und sich statt dessen auf das Erbe des klassischen Griechenlands Platons zurückbesann.[footnote]Die Vorgeschichte des Konzepts des Nationalstaats der Neuzeit in Europa beginnt eigentlich bei Karl dem Großen, so wie dieses Ringen um seine Entwicklung über Kaiser Friedrich II. (von Hohenstaufen) weiterlief. Dante Alighieri lieferte mit seinen Vorschlägen zur italienischen Landessprache und in [i]De Monarchia[/i] die bedeutendsten Gedanken zum Konzept des Nationalstaates, bis dann Nikolaus von Kues mit seiner [i]Concordantia catholica[/i] und anderen Schriften, welche die moderne Experimentalwissenschaft begründeten (wie etwa die Schrift [i]De docta ignorantia[/i]), noch weiter ging. Die ersten beiden neuzeitlichen Nationalstaaten waren Frankreich unter Ludwig XI. und England unter Heinrich VII.[/footnote]

Mit der Erneuerung der Macht Venedigs in den letzten Jahrzehnten des 15. Jhs und danach kam es zu einer Lage, in der einerseits eine Gesellschaftsform entstanden war, der neuzeitliche souveräne Nationalstaat (das Gemeinwesen), der auf dem Gemeinwohl beruhte, während gleichzeitig der wissenschaftliche und technische Fortschritt dank des bleibenden Einflusses der Renaissance auch trotz der Rückschläge des späten 15. Jhs. unter dem Westfälischen Frieden einen gewaltigen Aufschwung nahm. Aber andererseits wurde die neu entstehende politische Weltordnung souveräner Nationalstaaten durch die erneuerte Macht der venezianischen Finanzoligarchie herausgefordert und oft von ihr beherrscht.

Das Ergebnis ist eine doppelte Weltordnung mit inhärent imperialistischen (d.h. ultramontanen) Währungs- und Finanzsystemen, die aus antiken und mittelalterlichen politischen und kulturellen Gesellschaftsformen herrühren, und auf der Gegenseite der Institutionen des neuzeitlichen souveränen Nationalstaats, der auf der Verpflichtung zum wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritt im Dienste des Gemeinwohls beruht.

Heute, seit 1776, besteht die größte Bedrohung des finanzoligarchischen Teils der Weltmacht (d.h. der Venezianischen Partei) darin, daß das Amerikanische System der Volkswirtschaft den wichtigsten Verfassungswert der neuzeitlichen souveränen nationalstaatlichen Republik bildet. Insbesondere von der Zeit Präsident Abraham Lincolns bis zu der Präsident Franklin Roosevelts standen wir mehrmals kurz davor, nach dem Vorbild der amerikanischen Verfassung als Paradebeispiel für moderne Nationalstaaten einen Aufstand von Nationen zu führen, die zusammen an weltweiter Macht und Einfluß die Übermacht über die instinktiv ultramontane Macht der Venezianischen Partei um das anglo-holländisch-liberale System gewonnen hätten.

Besonders zu erwähnen sind die wirtschaftspolitischen Reformen im Sinne des Amerikanischen Systems in Deutschland, Rußland, Japan und anderen Ländern in Reaktion auf die in der Jahrhundertausstellung in Philadelphia 1876 vorgestellten Erfolge sowie die "Gefahr" aus der Sicht der finanzoligarchischen Fraktion in Europa und den USA, daß sich unter Franklin Roosevelts Führung der Jahre 1939-45 und seinem Entwurf des Bretton-Woods-Systems 1944 durch politische Unterstützung der Vereinigten Staaten für die Befreiung der Kolonien der Welt und ihre Unabhängigkeit als souveräne Nationalstaaten das Amerikanische System weltweit ausbreiten und festigen könnte.

Was letzteres betrifft, nutzte man mit Hilfe eines mitschuldigen Präsidenten Harry Truman Roosevelts Tod aus, um die bösen Geister des Atomkriegs und prokolonialen Kriegs zu entfesseln und damit die Grundlage dafür zu schaffen, später Roosevelts wirtschaftspolitisches Erbe abzuwerfen - so wie es dann von 1981-72, also unter der Ägide der amerikanischen Nationalen Sicherheitsberater Henry Kissinger und Zbigniew Brzezinski, in den wesentlichen Punkten auch geschah. Untrennbar mit diesem Vorstoß zur Ausmerzung von Franklin Roosevelts Erbe verbunden war, daß wichtige Teile des Nazi-Systems mit Hilfe amerikanischer Kreise um den berüchtigten Allen Dulles in das spätere NATO-System der Nachkriegszeit und verwandte Bereiche eingebunden wurden. Das heutige Regime von Präsident George W. Bush ist jetzt die Würze dieser abstoßenden jahrzehntelangen Bemühungen.

Inzwischen hat die antiamerikanische Politik der Venezianischen Partei der Zeit seit 1945 einen Krisenpunkt erreicht, an dem ein sog. "nachwestfälisches" System der Weltregierung ("Globalisierung") nicht nur die letzten Überreste des Amerikanischen Systems vertilgen soll, sondern auch eine imperiale Weltregierung - praktisch eine Herrschaft der Venezianischen Partei - errichten und festigen soll, die durch Maßnahmen wie z.B. denen der Europäischen Kommission heute alle auf die große Renaissance des 15. Jhs. zurückreichenden Reformen rückgängig macht. Für einen amerikanischen Patrioten ist deshalb die Existenz eines solchen Systems innerhalb der Grenzen unseres Landes gleichbedeutend mit Verrat. Sollte ein solches Unterfangen Erfolg haben, so würde der ganze Planet mit Sicherheit sehr bald in ein langes finsteres Zeitalter der ganzen Menschheit stürzen, und nur sehr wenige der heute vorhandenen Nationen und Völker würden daraus noch in wiedererkennbarer Form hervorgehen.

Auf diese Weise ist also das gegenwärtige Währungs- und Finanzsystem sowohl grundsätzlich ein nachfeudaler Anachronismus als auch, falls es weiterbesteht, eine nicht hinnehmbare Gefahr für die ganze Zivilisation. Leider ist aber diese häßliche Ungereimtheit, dieser bösartige Anachronismus, dieser legendäre blutsaugende Dracula aus einer schwarzen, häßlichen Ruine der Vergangenheit, diese Ordnung der Venezianischen Partei im Währungs- und Finanzsystem die fleischgewordene vorherrschende Weltanschauung der meisten heutigen Regierungen und entsprechenden internationalen Institutionen. Es ist die Krankheit, der Parasit, der unsere Volkswirtschaften beherrscht und der unsere Kultur und unser Leben als Nation von innen heraus regiert.

Trotzdem huldigen unsere Wirtschaftswissenschaftler und Buchhalter regelmäßig am Altar dem heidnischen Monster, das heute die Nationen und Völker auffrißt. Diese Ministranten der Tradition der Venezianischen Partei wollen im ergebenen Dienste dieses Molochs des zeitgenössischen Monetarismus die Wirtschaft erklären und die Politik unserer Republik gestalten.

Was man außerdem nochmals betonen muß, ist, daß allein schon das Vorhandensein dieses Währungs- und Finanzsystems an sich mehr ist als ein Menschenblut saugender Anachronismus aus der Geschichte. Es ist inzwischen ein untrennbarer Bestandteil unserer Regierungs- und Wirtschaftssysteme, in einem Maße, daß das Opfer nicht mehr weiterleben kann, wenn es sich nicht von diesem Parasiten befreit.

Trotzdem behaupten unsere törichten Ökonomen und Buchhalter weiterhin, die amerikanische Wirtschaft und die Weltwirtschaft folgten den Sonderinteressen eines alten Relikts des Feudalismus, das in einer erfolgreichen modernen Volkswirtschaft nichts zu suchen hat, oder sollten ihnen folgen.

Das bedeutet, daß wir diese Irrlehre, die in den meisten Hochschulen und anderen entsprechen Stellen als sogenannte "Volkswirtschaft" gelehrt wird, aufgeben müssen. Wir müssen unsere politische Führung von diesem fremden monetaristischen Eindringling, der ihnen das Gehirn wegfrißt, befreien. Noch wichtiger, wir müssen uns selbst davon freimachen. Denn wir werden nur dann zu einer vernünftigen Wirtschaft und Wirtschaftspolitik finden, wenn wir uns für immer von einer Denkweise emanzipieren, die Wirtschaft in Begriffen der freien Geldzirkulation durch sog. "unabhängige Zentralbanken" oder ähnliches zu erklären sucht.

 

 

[subhead]Der Weg zu Regulierung, Kredit und Kapital[/subhead]  

Ich lenke nun Ihre Aufmerksamkeit unmittelbar auf die Grundsätze der Gestaltung der Wirtschaftspolitik für Regulierung, Kredit und Kapital in und zwischen Nationen. Diese Dinge sind für den Dialog der Kulturen keineswegs nur am Rande von Bedeutung. Es sind für den größten Teil der Weltbevölkerung heute Überlebensfragen.

Halten wir den Gedankengang so einfach wie möglich; die Grundsätze wirtschaftlicher Regulierung durch Regierungen sind die folgenden.

Beginnen wir mit der Regulierung der Preise. In dieser vorläufigen Aussage zu dem Thema beziehe ich mich auf relative Geldpreise; grundsätzlich aber beruht der Gedankengang nicht auf dem laufenden Geldpreis, sondern betrachtet diese Fragen aus der Sicht eines realen, physischen Preises.

Nachdem wir eine sinnvolle Bandbreite für vorübergehend notwendige kurz- bis mittelfristige Anpassungen zugelassen haben, darf am Ende der Preis des Realkapitals, das man braucht, um Güter in einer bestimmten Menge und Güte herzustellen, nicht unter ein bestimmtes Niveau fallen. Es ist das Niveau, wo der Preis der Güter dem entspricht, was physisch notwendig ist, um die fortlaufende Güterproduktion zu erhalten und um das notwendige Realkapital für den Erhalt und die Verbesserung dieser Menge und Qualität an Gütern über langfristige Kapitalzyklen hinweg zu erhalten, auszutauschen und zunehmend zu verbessern.

Dazu gehören auch die Kosten dafür, die Haushalte der aktiven und potentiellen Arbeiter auf einem kulturellen Standard des Realeinkommens zu halten, der nicht nur der Arbeit entspricht, die sie verrichten sollen, sondern auch dem ständig steigenden allgemeinen kulturellen Niveau, das man für die Gesamtbevölkerung braucht. Neben den Kosten für den Erhalt der Haushalte der Arbeiter und notwendigen Verwaltungsmitarbeiter muß der Preis der Güter auch einen angemessenen Anteil für die Regierung und die grundlegende wirtschaftliche Infrastruktur, worauf die Fabrikationsstätten des Unternehmens angewiesen sind, mit einschließen.

Diese und verwandte Erwägungen ergeben die Basislinie zur Berechnung eines, wie man sagen kann, [i]fairen Preises[/i]. Hieraus folgt offenbar, zumindest im Grundsatz: Wenn der Preis nicht [i]fair[/i] ist, dann ist er [i]falsch[/i]. Einen fairen Preis zu erreichen, muß langfristig die Absicht sein.

Es ist jedoch nicht so einfach, die Produktion in Menge und Qualität kurz- bis mittelfristig dahin zu bringen, daß dieses längerfristige Ziel erreicht wird. In diesem Zusammenhang gibt es Dinge, welche die Welt und ihre einzelnen Nationen jetzt berücksichtigen müssen - Erwägungen, die andere vielleicht vorher schon am Rande berührt haben, die jetzt aber von entscheidender Bedeutung sind und die man, wie ich es hier tue, auf ganz neue Art und Weise betrachten muß, nämlich aus der Sicht der praktischen Bedeutung von Wernadskijs Begriff der Noosphäre für die heutige Politik.

[i]Auf lange Sicht[/i] ist jede erzwungene Senkung der Preise der Güter einer Nation unter das Maß des [i]fairen Preises[/i] ebenso irrsinnig wie unmoralisch. Aber - [i]und das ist ein ziemlich großes aber[/i] - es gibt einige streng definierte zulässige [i]kurz- bis mittelfristige Ausnahmen[/i] von dieser Regel, die jetzt zum Teil sogar kurzfristig notwendig sind. Als Hilfe zur Erklärung dieses Punktes beginne ich mit einigen teilweise sonderbaren Streiflichtern aus der Geschichte, die dieses Problem in der Politik veranschaulichen. Nachdem wir auf diese pädagogisch nützliche Weise etwaige Vorurteile des Lesers geneckt haben, um das Gespräch zu diesem Thema aufzulockern, werde ich Ihre Aufmerksamkeit auf den Kern der Sache lenken, wie ich ihn gerade allgemein beschrieben habe. Wie ich nun zusammenfassend darstellen werde, sind die Dinge nicht ganz so einfach, wie man es selbst den meisten sogenannten Fachleuten beigebracht hat - keineswegs!

Manchmal waren Länder praktisch aus ihrer eigenen freien politischen Entscheidung heraus gezwungen, die Preise ihrer Güter und Dienstleistungen unter den [i]fairen Preis[/i] zu senken, wie China das seit etwa einem Vierteljahrhundert systematisch tut.

Diese Politik in China und einigen anderen Entwicklungsländern ist das, was ein früher berühmter sowjetischer Wirtschaftswissenschaftler der 20er und frühen 30er Jahre [i]sozialistische primitive Akkumulation[/i] nannte. In seinen Schriften bezog er sich damit darauf, daß die sowjetische Industrie in den 20er Jahren und vielleicht noch etwas später aufgebaut wurde, indem man einen Teil des Realkapitals, das zum aktuellen Weltpreis in der Landwirtschaft geschaffen werden konnte, auf den Industriesektor übertrug. Eine mögliche Methode war dabei die, die Preise, die im Inland für landwirtschaftliche Erzeugnisse bezahlt wurden, unter der Ebene anzusetzen, die man zu der Zeit als annähernd [i]fairen Preis[/i] für Nettozahlungen an die Landwirtschaft hätte ausrechnen können. Heute ist es China, das seine billigen Arbeitskräfte benutzt, um Waren für den Verkauf auf dem Weltmarkt herzustellen, um fortschrittliche Technik als Investition in Realkapital für das China der nächsten Generation zu akkumulieren.

Den Begriff [i]primitive Akkumulation[/i], den Preobraschenskij benutzte, verwendete in ähnlichem Sinne auch die vernünftigste und begabteste sozialistische Wirtschaftswissenschaftlerin des frühen 20. Jahrhunderts, Rosa Luxemburg.[footnote]Rosa Luxemburgs Ansichten zur wirtschaftlichen Natur des Imperialismus sind immer noch für historische Studien heutiger politischer Entscheidungsträger von Bedeutung. Sie war die einzige führende Persönlichkeit der sozialistischen Bewegung, die die Schwächen der Erklärungen Lenins und der Sozialdemokraten für das Phänomen des "Imperialismus" verstand. Letztere gingen von der falschen Annahme aus, daß Imperialismus sich aus der Ausweitung des Industriekapitals entwickelt habe, während Luxemburg (wie später auch der Experte des amerikanischen Außenministeriums Herbert Feis) aufzeigte, daß die Wurzeln des modernen Imperialismus im Bereich der internationalen Kreditvergabe zu suchen seien, wie dies durch die Machenschaften des IWF und der Weltbank seit 1971 erneut unter Beweis gestellt wurde. Diese Probleme des Imperialismus und der internationalen Finanzoligarchie, so wie sie die entscheidenden Fragen behandelte, auf die ich gerade Bezug genommen habe, bilden entscheidende Aspekte einer historischen Diskussion zur Bestimmung eines Prinzips der Gleichheit für eine heutige eurasische Politik.[/footnote] Preobraschenskij sprach von [i]sozialistischer[/i] primitiver Akkumulation, um die Motivation für eine solche sowjetische Politik von der primitiven Akkumulation der Praxis der imperialen Finanziers, von der Luxemburg berichtete, zu unterscheiden. Ansonsten war das von ihm behandelte Problem kein spezifisch sowjetisches, auch nicht ausschließlich eines von Volkswirtschaften in Ländern mit sozialistischen Verfassungen vor 1989. Es war und ist eine weitverbreitete Herausforderung, oft sogar eine Gefahr für die Volkswirtschaften von Entwicklungsländern - auch schon vor den radikalen Veränderungen im Weltwährungssystem 1971-72.[sup]63[/sup]

Preobraschenskij hielt es für notwendig, daß die junge Sowjetrepublik über ihre Im- und Exporte, aber auch im Inland eine Politik [i]primitiver Akkumulation[/i] betrieb, wobei das Niveau des [i]fairen Preises[/i] verloren geht. Er sah darin einen [i]vorübergehenden[/i] Verlust, den man im Interesse des Aufbaus der sowjetischen Wirtschaft auf eine annähernd gleich hohe Ebene realer Produktivität mit anderen europäischen Nationen hinnehmen mußte. Die damaligen fraktionellen Angriffe dieses Gründers der linken sowjetischen Opposition, Preobraschenskij, auf die Politik des Sowjetfunktionärs Bucharin[sup]64[/sup] trafen den Kern der Definition der [i]primitiven Akkumulation[/i] in einer Weise, die heute die strategische Bedeutung von Chinas Währungspolitik und seinem Verhalten zu ausländischen Investoren erklären hilft. Die törichte Regierung G.W. Bushs dagegen ist offenbar unfähig, die Bedeutung dieser Politik Chinas zu begreifen - wenn nicht noch etwas Schlimmeres dahintersteckt.

Preobraschenskijs Vorschläge und Handlungen in dieser Hinsicht waren, wie gesagt, ein Nachhall der Einsichten Rosa Luxemburgs, die wahrscheinlich unter den führenden Sozialisten der ersten Jahrzehnte des 20. Jhs. die einzige war, die als Wirtschaftswissenschaftlerin etwas taugte. Insbesondere lehnte sie im Gegensatz zu allen anderen wichtigen Sozialisten - W.I. Lenin ausdrücklich eingeschlossen - die verbreitete (eigentlich) kindische Behauptung ab, die Entstehung des "Imperialismus" sei die zwangsmäßige Folge der Entwicklung des Industriekapitals, die man als natürlichen Auswuchs der Karl Marx zugeschriebenen "Gesetze des Kapitalismus" hätte vorhersehen müssen. Luxemburg dagegen, die nicht unter ideologisch bedingten geistigen Hemmungen gegenüber Marx' entsprechenden Lehren litt, untersuchte die politische Geschichte der Angelegenheit und erkannte im Imperialismus jener Zeit einen Ausdruck der (tatsächlich venezianischen) Rolle internationaler Kredite.

Der Experte des amerikanischen Außenministeriums Herbert Feis gelangte später in seinen Arbeiten zum gleichen Schluß wie Luxemburg. Zum gleichen Schluß käme man heute auch bei einer Untersuchung der außenpolitischen Rolle des Amerikaners George Shultz seit der bewußten Zerstörung des Bretton-Woods-Systems 1971-72 sowie der traditionellen, noch andauernden Rolle des Vereinigten Königreichs als heute noch größte imperialistische Macht der Welt - wofür die Verbindungen der Bank von Schottland beispielhaft sind.[sup]65[/sup]

Man kann nichts Wichtiges über das Verhältnis Europas zur früheren (und praktisch auch heutigen) Kolonialwelt in wirtschaftlicher Hinsicht begreifen, ohne auf Auseinandersetzungen und sogar Kriege zu stoßen, bei denen eben diese Frage der primitiven Akkumulation im Mittelpunkt steht.

Man betrachte diese Angelegenheit der primitiven Akkumulation aus der Sicht meines eigenen Werkes, und zwar so, wie meine seit langem entwickelten Einsichten in letzter Zeit durch die verstärkte Hervorhebung von Wernadskijs Definition der Noosphäre beträchtlich erweitert und verbessert wurden.[sup]66[/sup] Dies führt uns, wie mein Bezug zu China nahelegt, ziemlich direkt zur Frage der Gestaltung der Politik der Nationen hinsichtlich Finanzen und Regulierung - ein entscheidender Teil jedes sinnvollen Dialogs der Kulturen. Befaßte man sich näher mit den Bereichen, die durch Darlegungen wie die Luxemburgs und Preobraschenskijs zur primitiven Akkumulation ins Blickfeld geraten, so lenkte das unsere Aufmerksamkeit auch heute noch in ziemlich nützlicher Weise auf einen größeren Komplex allgemeiner Prinzipien, die für die Gestaltung der nationalen Politik außerordentlich wichtig waren und sind, und ebenso wichtig, um die Herausforderungen zu meistern, die sich durch die bereits laufenden neuen Trends einer Hand in Hand arbeitenden Gemeinschaft souveräner Nationalstaaten stellen.[sup]67[/sup]

Gehen wir nun entsprechend vor, indem wir das Thema sozusagen von oben nach unten angehen.

Es gibt keine angemessene Beschäftigung mit Wirtschaftswissenschaft, die nicht als erstes das Hauptaugenmerk auf den Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier lenkt. Das veranschaulicht der Anstieg der menschlichen Bevölkerung unseres Planeten von wenigen Millionen - der Stufe, die eine Menschenaffenart erreichen kann - bis zu mehreren Milliarden heute. Dieser Unterschied ist die Folge eines Faktors, der bei keiner dem Menschen unterlegenen Gattung vorhanden ist: der Fähigkeit zur [i]Hypothesenbildung[/i], wie sie seit Thales, Solon von Athen und den Pythagoräern die Grundlage der Entwicklung der europäischen Zivilisation darstellt und in der Sammlung der Platonischen Dialoge näher studiert werden kann.

In der physischen Welt entspricht dem in der Existenz der menschlichen Gattung der Anstieg der Arbeitsproduktivkraft pro Kopf und Quadratkilometer; dieser Anstieg war und ist nur möglich durch die Früchte der Hypothesenbildung, so wie sie in Platons sokratischen Dialogen zusammenfassend definiert ist.

Wenn von Wirtschaft die Rede ist, dient als eine nützliche Annäherung an die wissenschaftliche Erklärung gewöhnlich die Gewinnspanne, die sich auf verbesserte Technik zurückführen läßt. Das ist als "Daumenregel" oft annähernd wahr. Aber erst wenn wir bestimmte technische Verbesserungen auf den Entwurf eines "einzigartigen Experiments" zum Nachweis eines wissenschaftlichen Prinzips zurückführen - in dem Sinne, wie Riemann solche einzigartigen Experimente definiert - , erst dann können wir die Herkunft einer technischen Verbesserung so festmachen, daß sich daraus die entsprechende Theorie ableiten läßt.

Diese Entwicklung vollzieht sich in einem Universum, das sich bereits selbst entwickelt. Aus der Sicht von Wernadskijs Schriften zur Noosphäre erscheint diese Entwicklung als Selbstentfaltung von und zwischen den drei streng unterschiedenen, aber in bedeutender Wechselwirkung zueinander stehenden Formen physischer Existenz, die wir aus der Sicht der Methode der entscheidenden Experimente den [i]abiotischen[/i] (nichtlebenden), den [i]biotischen[/i] (lebenden) und den [i]noetischen[/i] (Erkenntnis) Bereich nennen. Alle drei sind sich selbst entwickelnde Bereiche, worauf Heraklits berühmter Ausspruch hinweist, während ihre Entwicklung zugleich wechselseitig bedingt ist.

Der Mensch ist keine fest vorherbestimmte Gattung (wie alle niederen Gattungen es jeweils als Gattungen sind), sondern eine sich selbst entwickelnde. Er lebt in Wechselwirkung zu allen diesen drei Bereichen. Das neuere Wissen beweist, daß - wie Heraklit betont und wie Leibniz die "beste aller möglichen Welten" definiert - in diesem Universum nichts besteht außer einer Eigenschaft der Veränderung, die [i]anti-entropisch[/i] ist.[sup]68[/sup]

Zur Veranschaulichung dieses allgemeinen Prinzips der Entwicklung nehme man die folgenden Beispiele.

Nach unserem besten bisher überlieferten Wissen ist das allgemeine Bild dies: Unsere Sonne begann ihre Existenz als sich schnell drehendes einzelnes Gebilde, das im Sinne von Keplers Darstellung einen Teil seines Stoffes auf eine Scheibe um sich herum abwarf. Diese Scheibe bildete wahrscheinlich ein polarisiertes Plasma, in dem durch die Einwirkung der Sonnenstrahlung die höheren Bestandteile des Grundstocks des Sonnensystems aus dem Mendelejewschen Periodensystem erzeugt wurden. Das Material aus diesem Teil der Scheibe wurde dann "fraktionell destilliert" und belegte die vorbestimmten, in wohlgeordneten Verhältnissen zueinander stehenden Umlaufbahnen, die Kepler berechnet hat. Wie Gauß darlegte, bestimmten die Eigenschaften der Umlaufbahnen, wie sich das Material auf der Bahn zu den Planeten und ihren Monden, zumindest den meisten, verdichtete. Darüber hinaus ist das ganze Universum also ein sich selbst entwickelnder Bereich. Daher ist in diesem Universum Wissenschaft nicht in erster Linie eine Angelegenheit unveränderlicher Objekte, sondern gesetzmäßiger Abläufe von Veränderungen, nach denen grundsätzlich höhere Eigenschaften erzeugt werden, die sich manchmal sogar in "revolutionär" neuen physischen Zuständen im ganzen Universum ausdrücken.

Wie alt ist dieses Universum? Im Grunde ist die Frage albern. Wie mißt man das Alter eines Kepler-Riemannschen Vorgangs, außerhalb dessen nichts ist - einen Vorgang, den Einstein treffend als endlich, aber unbegrenzt beschrieb? Mit welchem nur denkbaren Recht könnten wir eine völlig grundsätzliche Reaktionsgeschwindigkeit oder einen konstanten Zeitablauf mit einem Maßstab messen, etwa einem [i]a priori[/i]-Maßstab, der sich außerhalb des sich selbst begrenzenden Entwicklungsvorgangs in diesem Universum befindet? Anders als die Gnosis behauptet, lebt der Schöpfer [i]in[/i] einer ewigen Gleichzeitigkeit dessen, was ich hier als ein durch die Funktion lebender Worte ausgedrücktes System von Verhältnissen definiert habe. Das ist das einzige Universum, das wir experimentell kennen können, wie Philos Beweisführung gegen Aristoteles - und unausgesprochen auch gegen Claudius Ptolemäus - nahelegt. Daher sollte die Wissenschaft sich selbst darauf beschränken, sich nur mit den Zustandsveränderungen innerhalb eines sich qualitativ selbst entwickelnden Universums zu befassen, damit der Dialog auf die wirkliche Welt beschränkt bleibt. Wichtig zu betonen ist, daß selbst das scheinbar nichtlebende Universum, das der lebendige Schöpfer selbst bewohnt, bereits ein sich selbst entwickelndes Universum ist, das grundsätzlich geordnete qualitative Veränderungen des ontologischen Zustands durchläuft.

Wir sehen also mit dem weiter entstehenden Bild, daß unser Planet innerhalb eines entstehenden Sonnensystems innere Phasenwechsel seines Zustands durchlaufen hat. Dieser Vorgang hat etwas hinterlassen, worin man bei Wernadskijs Methode Überreste (Fossilien) des in früheren Phasen Geschaffenen sieht. Zu diesen Überresten oder Hinterlassenschaften gehört u.a. all das, was wir als die für die Menschheit verfügbaren Rohstoffe betrachten, auf die eine moderne Wirtschaft sehr stark angewiesen ist.

Wendet man die Methoden, die Riemann mit dem [i]einzigartigen Experiment[/i] verbindet, beispielsweise auf das Werk von Louis Pasteur und dessen Nachfolgern einschließlich Wernadskijs an, so definiert sich die Existenz eines physikalisch-experimentellen Bereichs der lebenden Vorgänge sowie der Überreste, die deren aktive Existenz hinterläßt: die Biosphäre, ohne die menschliches Leben auf diesem Planeten unmöglich gewesen wäre.

Nach denselben Methoden des einzigartigen Experiments definiert sich eine Klasse von Hinterlassenschaften, die allein durch die synthetische Kraft zur Hypothesenbildung im einzelnen souveränen Menschengeist entstehen. Diese Anhäufungen sind, in erster Annäherung, die Fußspuren des Fortschritts der Noosphäre.

Diese drei so definierten Bereiche sind im Riemannschen Sinne vielfach miteinander verknüpft, aber auf eine Art und Weise, daß die Menschheit neben dem lebendigen Schöpfer dieses einzigen Universums steht. Kein klar denkender Mensch in diesem einzigen bekannten existierenden Universum kann an den abschließenden Worten über die Natur von Mann und Frau im ersten Kapitel der Schöpfungsgeschichte zweifeln. Was ich gerade über Mann und Frau gesagt habt, ist die Grundlage allen wahren menschlichen Wissens. Dieser Begriff vom Menschen und von der Menschheit erlaubt die einzig vernünftige Auffassung des Begriffs experimentell nachgewiesener universeller Naturprinzipien. Er ist die Grundlage von allem, was den Namen Wissenschaft und Vernunft verdient.

Mit den jüngsten Entwicklungen auf unserem Planeten sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir uns nicht mehr auf die, wie man früher oft sagte, "Schätze der Natur" verlassen können. Wir können nicht länger davon ausgehen, daß die lebenden und nichtlebenden Vorgänge der Erde, wie es sie vielleicht ohne Beitun des Menschen gäbe, noch ausreichen, um eine wachsende und sich weiterentwickelnde menschliche Bevölkerung zu erhalten. Wir haben schon den Punkt erreicht, an dem das bloße Eindämmen der Zunahme der menschlichen Bevölkerungszahl schon eine schlechtere Antwort auf diese heranrückende scheinbare Begrenzung wäre, als wenn alle Personen im geschlechtsreifen Alter Tag und Nacht alle wachen Stunden mit Kopulieren zubrächten, um mehr Menschen zu zeugen. Nur die Weiterentwicklung der Lebensumstände und Fähigkeiten des einzelnen kann uns dafür rüsten, diese Herausforderung durch die Grenzen, die in unserem Verhältnis zum abiotischen Bereich und zur Biosphäre scheinbar näher rücken, zu meistern. Wir müssen uns jetzt verpflichten, das Angebot an abiotischen und Biosphärenrohstoffen zu entwickeln, auf das ein vergrößertes und verbessertes menschliches Leben angewiesen ist.

Diese gerade beschriebene Notwendigkeit spiegelt sich im volkswirtschaftlichen Bereich als ein zusätzlicher realer Kostenfaktor wider, der unausgesprochen als wachsender Anteil an den sprichwörtlichen "Kosten des verkauften Produkts" in allen Teilen der Erde, also auf dem ganzen Planeten, beglichen werden muß.

Weil keine ausgeglichene Entwicklung der Gesamtbevölkerung beispielsweise der verschiedenen asiatischen Länder zustandegebracht wurde und gleichzeitig der "kulturelle Wertewandel" der nachindustriellen "Öko-Gegenkultur" in den letzten 40 Jahren so verheerend gewirkt hat, ist die Welt heute immer schneller und gründlicher ruiniert. Es ist mehr als eine Wirtschaftskrise der gegenwärtigen Weltordnung, es ist eine unmittelbar drohende Zusammenbruchskrise der menschlichen Bevölkerung der Erde im Sinne eines physikalischen Systems. Wenn der Dialog der Kulturen nicht von dieser Tatsache geprägt ist, wird uns der Versuch eines solchen Dialoges keine Vorteile bringen, sondern nur eine apokalyptische Katastrophe der ganzen Menschheit, die mehrere Generationen in die Zukunft währt.

Dies ist die erste Grundregel, wenn man sich mit der dringend notwendigen Regulierung von Geld, Kredit, Preisen, Einkommen und Kapitalbildung beschäftigt.

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[head]3. Kapitel: Ein System fester Wechselkurse[/head]Angesichts der herandrängenden allgemeinen Zusammenbruchskrise des Weltwährungs- und Finanzsystems wird die Zivilisation auf der Erde nicht mehr lange überleben können, wenn wir nicht umgehend zu einem System mehr oder weniger fester Wechselkurse zwischen vollständig souveränen Nationalstaaten zurückkehren. Wir brauchen wieder eine Welt, in der die wirtschaftlichen Angelegenheiten ähnlich geordnet sind wie in Präsident Franklin Roosevelts ursprünglichem Bretton-Woods-System. Die einzig vernünftige Antwort auf die Krise wäre jetzt ein Konkursverfahren für das System und eine Neuordnung, bei der man im Grundsatz so vorgeht, wie Präsident Roosevelt es im März 1933 tat.

Ein Dialog der Kulturen, der nicht davon ausgeht, daß dies unverzichtbar ist, bedeutete angesichts der nahen Zusammenbruchskrise praktisch nur ein Absegnen einer mehr oder weniger unmittelbaren weltweiten Katastrophe für die ganze Menschheit. Ohne die Notmaßnahmen, deren Grundsätze ich in den vorangegangenen Teilen dieser Denkschrift dargelegt habe, würde ein Dialog der Kulturen rasch zu einem nutzlosen Sammelsurium verkommen, und der Dialog selbst wäre bald von der Tagesordnung ernsthafter Bemühungen gestrichen.

Der entscheidende Grundgedanke, auf der die Gestaltung und Wirksamkeit eines Systems fester Wechselkurse beruht, ist die vollständig souveräne, nationalstaatlich verfaßte Republik - das zeigte schon der Erfolg des alten Bretton-Woods-Systems. Leider wird dieser Gedanke, außerhalb der maßgeblichen Strömungen klassischen Denkens der europäischen und amerikanischen Geschichte kaum verstanden. Alle Partner des Dialogs der Kulturen müssen diese Konzepte, die der asiatischen Kultur bis vor kurzem axiomatisch weitgehend fremd waren, klar verstehen und annehmen, wenn dieser Dialog die gesteckten Ziele erreichen soll.

Nehmen wir beispielsweise die Vorstellung, weil die europäische und vor allem die US-amerikanische Kultur derzeit versage, müsse diese nun zumindest sehr weitgehend vom asiatischen Denken abgelöst werden. Solche Einstellungen spiegeln bestenfalls ein weitverbreitetes romantisches Mißverständnis der Weltgeschichte wider: Es wurde nicht verstanden, daß die Geschichte von Abläufen bestimmt wird und nicht von den Leidenschaften und Gefühlen des einzelnen.

Das Problem heute ist: Es wird zuwenig verstanden, daß nicht irgendeine einzelne Nation die Bedingungen geschaffen hat, an die sich alle Teile der Welt angepaßt haben, sondern das von der Venezianischen Partei geschaffene Weltwährungs- und Finanzsystem in seiner 1971/72 geschaffenen Form. Obwohl es eigentlich offensichtlich ist, erkennt man nicht, daß alle Teile der gegenwärtigen Weltkultur mehr oder weniger gleich schuld sind, weil sie seit 1971 - widerstrebend oder nicht - bei diesem mörderischen Weltwährungs- und Finanzsystem jahrzehntelang mitgemacht haben. Das Problem ist nicht, daß irgendein Land krank ist, sondern daß sich derzeit alle einig sind, zusammen krank zu sein.

Bevor wir uns den Einzelheiten der Gestaltung eines Systems fester Wechselkurse zuwenden, müssen wir ins rechte Licht rücken, was im kulturellen Unterbau das Einigende und daher auch Monotheistische ist, das die Schaffung einer sich selbst erhaltenden Ordnung souveräner Nationalstaaten, die man für einen erfolgreichen Dialog der Kulturen braucht, erst möglich macht.[footnote]Wer sich mit dem Innenleben der europäischen Zivilisation auskennt, wird sich entsinnen, daß der Pantheismus und der Hang zu ständigen Religionskriegen, die das kaiserliche Rom und sein Pantheon hauptsächlich aus Westasien übernahmen, die tödlichste kulturelle Krankheit darstellen, unter der die europäische Kultur seit der Geburt Europas im nach-Homerischen antiken Griechenland leidet. Siehe dazu Nikolaus von Kues, [i]De pace fidei[/i]. Siehe auch meine Bemerkungen oben über den Gnostizismus des Claudius Ptolemäus, der ähnliche Wurzeln hatte.[/footnote]

Das heißt zunächst einmal auf jeden Fall, daß der wahrhaft souveräne Nationalstaat nicht ausschließlich von seinem autonomen Willen ausgehen soll - wie es etwa die Verrückten in der Regierung Bush versuchen - und es unter den gegenwärtigen Bedingungen auf der Welt auch nicht kann. Wahre Souveränität gibt es nur, wenn sich das Land bewußt und willentlich entschließt, sich für das Wohlergehen aller Länder und Völker einzusetzen.

Der Westfälische Frieden veranschaulicht dieses naturrechtliche Prinzip zwischenstaatlicher Beziehungen: Wenn sich der Souverän an den Tisch der Weltpolitik setzt, muß seine erste Sorge sein, welche Folgen die Entscheidungen für alle Nationen der Erde haben, erst an zweiter Stelle kommen seine eigenen Interessen. So hat man es beim Westfälischen Frieden 1648 aufgefaßt. Das war der Unterschied zwischen den Erfolgen des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der das Schicksal seiner Nation mit der Zukunft der ganzen Welt verband, und dem erbärmlichen Versagen seines neokolonialistischen unmittelbaren Nachfolgers. Ohne dieses Prinzip des Westfälischen Friedens würde sich jede Vereinbarung mehr oder weniger rasch in einem Meer der Heteronomie auflösen. Ich folge nun weiter diesem grundsätzlichen Gedankengang.

Als erstes müssen wir mit der Illusion aufräumen, Fragen der Kultur ließen sich von wirtschaftlichen Fragen trennen, oder man könne von irgendwelchen ökumenischen kulturellen Werten, auf die man sich geeinigt hat, sinnvolle wirtschaftliche Grundsätze ableiten. Zugegeben, die Politik des anglo-holländischen Liberalismus existiert heute leider gemeinsam mit den Überresten des Besten der europäischen klassischen Kultur - aber die beiden sind Todfeinde. Die klassische europäische Kultur lebt noch, ist aber gefesselt: Sie singt manchmal schön, aber es ist der Gesang der Insassen des Kerkers des Liberalismus, wie der Gefangenenchor in Beethovens [i]Fidelio[/i]. Doch unabhängig davon, was man über die Weltlage der Vergangenheit sagen kann: Wenn wir die Gesellschaft nicht nach den Grundsätzen ordnen, die ich in dieser Denkschrift und an anderer Stelle hervorhebe - so wie sie sich im Amerikanischen System der politischen Ökonomie ausdrücken - , dann besteht keine Aussicht auf einen glücklichen Ausgang eines Dialogs der Kulturen.

Der für manche vielleicht geheimnisvolle und versteckte Zusammenhang zwischen der klassischen Kultur und der Volkswirtschaft des Amerikanischen Systems liegt im Bereich des [i]lebendigen Wortes[/i] - so wie ich das weiter oben in dieser Schrift dargelegt habe. Dieser Gegenstand, das lebendige Wort, berührt den universellen Kern der menschlichen Natur und definiert deshalb, was eine richtige Ordnung der menschlichen Beziehungen in allen Bereichen menschlichen Daseins in verschiedenen Orten und Zeiten ist, und was nicht. Volkswirtschaft im Sinne des Amerikanischen Systems besagt im Grunde in jeder Kultur nicht mehr als den grundsätzlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier. Typisch für die Funktion dieses Systems von Beziehungen ist der wissenschaftliche und technische Fortschritt als unverzichtbare äußere Begrenzung, innerhalb derer mögliches Ausmaß und Qualität des Daseins aller Teile der menschlichen Bevölkerung festgelegt werden.

Dieses Verständnis steht im völligen Gegensatz zu dem falschen Menschenbild eines Hobbes und Locke, wie es die Liberalen und andere haben. Es ist praktisch, wenn auch nicht immer ausdrücklich, das prometheische Menschenbild. Von ihm hängt unter den heutigen gefährlichen Krisenbedingungen auf der Erde das zukünftige Wohlergehen der Menschheit ab.

Das System fester Wechselkurse ist zugegebenermaßen kein Naturprinzip. Es ist nur die angepaßte Anwendung des Prinzips auf eine konkrete Situation, die in der Zeit des alten Bretton-Woods-Systems gegeben war und auch heute gegeben ist - die bislang einzige Möglichkeit, dieses Prinzip unter den derzeit herrschenden Bedingungen auf der Welt praktisch anzuwenden. Nichtsdestoweniger ist es eine praktische aktuelle Abspiegelung eines gültigen Naturprinzips, und daher gehört ihm am Ende der Sieg. So und nicht anders sollte man das verstehen.

Da es aber für die Beziehungen zwischen Nationen und Völkern entscheidend ist, ob ein System wie das von der Regierung Roosevelt vorgesehene errichtet wird oder nicht, kann es einen erfolgreichen Dialog der Kulturen nur geben, wenn die allgemeine Auffassung von Kultur dieser dringenden Notwendigkeit eines Systems fester Wechselkurse nicht widerspricht. Noch keiner hat eine funktionierende Uhr gemacht, deren Uhrwerk sich nach dem Eindruck des Äußeren auf den bewundernden Betrachter richtete. Das zu verstehen bildet nun einen unverzichtbaren Bezugspunkt, um auf einen erfolgreichen Ausgang des eigentlichen Dialogs hinzusteuern.

Die Rückkehr zu einem System fester Wechselkurse wäre nur der Anfang. Solche Reformen des Weltwährungs- und Finanzsystems sind unmittelbar zwingend geboten, aber zusätzlich dazu erfährt die Welt derzeit grundlegende Veränderungen, deren Auswirkungen über das, was maßgebliche Institutionen heute wissen wollen, weit hinausgehen. Wir sollten in der Wiedereinführung eines Systems fester Wechselkurse mehr oder weniger den immer vorhandenen Eckstein sehen, von dem weitere erfolgreiche, manchmal radikale Veränderungen ausgehen müssen.

Mit einer solchen Eröffnung dieses Kapitels möchte ich den Leser vorwarnen - aber nicht, um ihn zu erschrecken: Wenn wir uns nun der Frage der inneren Dynamik einer neuen Weltordnung getrennter, aber zusammenarbeitender souveräner Nationalstaaten zuwenden, haben wir es mit etwas zu tun, das in seiner letztendlichen Vollkommenheit in schöner und erhabener Weise einheitlich wirkt, gleichzeitig aber auch ganz einfach erscheint - und das läßt sich nur durch einen wunderbar kunstvollen Kontrapunkt erreichen.

Am Ende, nachdem wir über diese paradoxe Seite der Angelegenheit gründlich nachgedacht haben, sollten wir uns vor Augen führen, daß dieser Kontrapunkt zugleich auch widerspiegelt, wie der menschliche Geist sein Bestes geben kann - jener Geisteszustand, auf den sich Leibniz' "beste aller möglichen Welten" bezieht. Der Mechanismus, durch den man dieses Verständnis erreicht, als einzelner am ganzen Universum teilzuhaben, spiegelt sich in Leibniz' Angriffen auf die bösartige Unwahrheit in John Lockes [i]Abhandlung über den menschlichen Verstand[/i] wider. Leibniz geht davon aus, daß eine Gesellschaft nur dauerhaft bestehen kann, wenn sie grundsätzlich fest entschlossen ist, die [i]Glückseligkeit des Menschen als im Kern unsterbliches Wesen[/i] zu fördern - so wie ich es weiter oben für das Verfassungsprinzip des Gemeinwohls dargelegt habe. Der Gedanke einer Gemeinschaft souveräner nationalstaatlicher Republiken als einer funktionellen Einheit beschreibt also die natürliche einheitliche Wirkung, die bei der Erschaffung der menschlichen Natur als Gattung eines unsterblichen Wesens von Anfang an beabsichtigt war.

Es ist daher von entscheidender Bedeutung, zu wissen, daß das Amerikanische System der politischen Ökonomie das Ergebnis der Zurückweisung des entgegengesetzten liberalen Systems war, das sich heute immer noch auf die gleichen Lockeschen Argumente beruft wie damals die Sklavenhalter der Südstaaten: die sklavereifreundliche Idee von "Besitzerrechten" oder "Shareholder value", das Lockesche Prinzip des Wuchers im IWF-System seit 1972. Aus der gegen Locke und den britischen Liberalismus gerichteten Kultur, die Benjamin Franklin verkörperte und die maßgeblich von Gottfried Wilhelm Leibniz beeinflußt war, ist das von Finanzminister Alexander Hamilton beschriebene Amerikanische System hervorgegangen.

Das heißt, es besteht eine natürliche, grundsätzliche Wechselseitigkeit zwischen der humanistischen Kultur und der humanistischen Wirtschaft. Der Zusammenhang wurzelt in dem Unterschied zwischen Mensch und Tier, der sich, wie oben erklärt, in der Funktion des lebendigen Wortes ausdrückt.

Um zu verstehen, was jetzt geschehen muß, sollte man daher wissen, daß der souveräne Nationalstaat der Neuzeit zwar erst vor wenigen Jahrhunderten in Europa entstanden ist, daß aber mit der Auffassung vom Menschen als unsterblicher Persönlichkeit von Anfang an das universelle Naturprinzip verbunden war, daß diese Institution einmal für die moderne Welt notwendig sein würde. Die Tatsache, daß der souveräne Nationalstaat erst verhältnismäßig spät in der Entwicklung unserer Gattung aufkam, spiegelt nur wider, daß die Menschheit in ihrer kulturellen Entwicklung ziemlich lange in einem beklagenswert kindischen Zustand verharrte. Folglich besteht die eigentliche Aufgabe eines Dialogs der Kulturen heute darin, die einflußreichsten Teile der Menschheit von den Fesseln kultureller Gewohnheiten zu befreien, die man gewissermaßen als die bisherigen Kinderkrankheiten der menschlichen Kultur auffassen kann.[footnote]Dieser Gedanke der Kinderkrankheiten ist vor allem auch ein christlicher: der Gedanke, daß die Menschheit aus den Irrtümern ihrer Kinderkrankheiten wie Imperien, Feudalismus oder Schlimmerem erlöst werden kann; daß der Mensch, der von Natur aus gut ist, auf einen Zustand der Erlösung dieses Guten seiner Gattung - eine Entwicklungsstufe, die den eigentlichen Absichten des Schöpfers für unsere Gattung entspricht - aufsteigen kann. Das Böse heißt, das Gute in uns selbst zu verwerfen, um sich den tierischen Eigenschaften des Körpers, in dem wir vorübergehend wohnen, zu unterwerfen. Das wahre Prinzip politischer und ähnlicher Führung, wie bei Jeanne d'Arc oder Martin Luther King, besteht darin, daß wir über unseren Körper herrschen und nicht umgekehrt. Entweder wir benutzen das Tierische in uns weise, so wie es das Prinzip der Agape (Nächstenliebe) nahelegt, oder es wird uns benutzen. Dennoch bleibt deutlich erkennbar diese universelle Idee einer Sehnsucht nach einer Vereinigung mit der Absicht des Schöpfers - wofür die klassische Wissenschaftsmethode von Platon bis zum Besten der Neuzeit steht - , welche die eigentliche gemeinsame Grundlage eines erfolgreichen Dialogs der Kulturen bildet.[/footnote]

Die wissenschaftlichen Prämissen dieser Sichtweise - in der einige zu Unrecht eine bestreitbare Behauptung sehen werden - wurden an früheren Stellen dieser Schrift schon weitgehend dargelegt, insbesondere im Zusammenhang mit dem Begriff des lebendigen Wortes. Aber jetzt sind wir so weit, daß wir die entscheidende praktische Bedeutung dieses Prinzips noch deutlicher machen müssen, auch wenn einige Leser damit nicht ganz oder auch überhaupt nicht einverstanden sein werden.

Der Grund dafür, warum die souveräne nationalstaatliche Republik erforderlich ist, liegt - wie ich gerade noch einmal betont habe - in der Überschneidung des universellen Naturprinzips der Erkenntniskraft des einzelnen mit der Funktion des lebendigen Wortes als dem Medium, in dem universelle Naturgesetze und ähnliche Prinzipien innerhalb der Gesellschaft vermittelt werden. Diese Überschneidung bildet die Noosphäre im Sinne Wernadskijs.

Eben aufgrund dieser Besonderheit ist das individuelle menschliche Dasein das eines Menschen und nicht eines Tieres, auch wenn der Mensch sterbliche Eigenschaften eines Säugetieres hat. Dieses Dasein wird vom Unsterblichen im Menschen, das in seiner Erkenntniskraft zum Ausdruck kommt, bestimmt, und davon hängt sein Fortbestehen ab. Obwohl die Vorstellung, daß es diese kognitiven Fähigkeiten der Erkenntnis gibt, oft bestritten wird - und das von hartgesottenen Reduktionisten ganz leidenschaftlich - ,[footnote]Wie es beispielsweise Immanuel Kant tat.[/footnote] müssen wir die Existenz der menschlichen Gattung funktionell ganz außerhalb und über der Kategorie tierischen Lebens definieren. Es ist dieses Unsterbliche im Leben des einzelnen - seine schöpferischen Fähigkeiten, seine Seele, die in diesem Sinne zu verstehen ist - , was den Menschen vor allen anderen Lebewesen auszeichnet.[footnote]D.h., das Verhalten der menschlichen Gattung und insbesondere unsere Fähigkeit, unsere potentielle relative Bevölkerungsdichte bewußt zu steigern, liegt nicht in der sterblichen (d.h. tierischen) Natur, sondern in der Erkenntniskraft, die allein der einzelne Mensch besitzt. Kardinal Nikolaus von Kues hat gesagt, das Tier hat teil am Menschen, wie der Mensch teil an Gott hat. Das Tier, dem die Unsterblichkeit fehlt, wirkt also am Dasein des unsterblichen Wesens mit, wie der Mensch über das Prinzip des lebendigen Wortes an Gott als der lebendigen Person des Schöpfers mitwirkt.[/footnote]

Deshalb muß die innere Ordnung einer Gesellschaft, die den Erfordernissen des einzelnen und damit auch seiner ganzen Gattung genügt, dem Grundgedanken folgen, den ich oben als das lebendige Wort beschrieben habe.

Das ist die wesentliche Grundlage eines erfolgreichen Dialogs der Kulturen.

Das bedeutet, man sollte die Gesellschaft so ausgestalten, daß die Menschen, die gemeinsam eine bestimmte Sprache sprechen, Ideen (lebendige Worte) untereinander vermitteln können. Diese Sprache verfeinert sich dann ständig in Hinsicht auf andere kulturelle Eigenheiten, wie etwa den wissenschaftlich-technischen Fortschritt in der Wirtschaft, der mit dem Gebrauch dieser Sprache zusammenhängt.

Den Heimatboden für Ironie im höheren Sinne bilden für die Mitglieder einer bestimmten Kultur die Anspielungen, die alle Benutzer dieser Sprache verstehen können - das angesammelte Erbe der bekannten und möglichen neuen Ironien beim Gebrauch einer Sprache, die als Typus im wesentlichen auf einer bestimmten Landfläche mit bestimmten Gewohnheiten verwendet wird. Diese Ironien, auch die Ironien der Geschichte eines Volkes, sind der Ausdruck der mehr oder weniger allgemein zugänglichen Erfahrungen der Sprecher einer Hochsprache zu einer bestimmten Zeit. Sie liefern den gemeinsamen Boden für einen reichen Gedankenaustausch ironischer Art zwischen den Menschen. Aus dieser Ansammlung von Ironien innerhalb einer bestimmten Kultur schöpfen wir die Paradoxa, über die man Ideen mit den Eigenschaften lebendiger Worte erzeugen kann.

In ihren weniger geistvollen Teilen sind die Sprachen, wie wir sie kennen, Gegenstand der Sinneswahrnehmung: Sehen, Hören usw. Aber das eigentlich Menschliche an diesen Sprachen ist ihr kognitiver Inhalt aus dem Bereich des lebendigen Wortes. Das unterscheidet sie vom Geplapper sprechender Papageien oder mancher Beos, sturer Grammatiker und man könnte auch sagen, Anhängern der Professoren Norbert Wiener und Noam Chomsky.

Wie aber diese lebendigen Worte als Ausdruck wahren Wissens auftauchen, hängt davon ab, wie sich das entfaltet, was man Platons sokratische Dialektik nennen kann. Denn jeder einzelne Bereich hat seinen besonderen Weg, eine solche Dialektik zu entwickeln. Das Wissen ist der gemeinsame Berg, den alle Kulturen erklimmen müssen, aber jede tut dies auf einem eigenen Weg und von einem anderen Ausgangspunkt aus. Das Potential für eine ökumenische Verständigung auf gemeinsame Grundsätze liegt nicht in den Bereichen, die eher den grotesken Nachahmungen menschlicher Laute von Papageien, mit Computerklängen oder einer grammatikalischen Algebra vergleichbar sind, es liegt im Bereich des lebendigen Wortes.

Die Trennung in nationale Kulturen ist deshalb unbedingt notwendig, weil unser Geist lebendige Worte hervorruft, indem er sich mit den Paradoxa befaßt, die er in einer bestimmten Sprachkultur schlummernd vorfindet. Hinderte man einen Teil der Menschheitsfamilie daran, diesen Vorgang der Entwicklung des Wissens lebendiger Worte auf diese souveräne Weise zu erleben, so versperrte man ihm damit den Zugang zu den Mitteln zum Verständnis der allgemeinen Wahrheiten, für die seine gemeinsamen lebendigen Worte stehen.

Der Gedanke eines Weltreiches, oder, was praktisch das gleiche ist, der Globalisierung, bedeutet schon an sich, allen Teilen der menschlichen Kultur ihre Menschlichkeit zu verweigern.

Anders gesagt, die Frage der Kultur ist die Frage nach der Wahrheit in dem Sinne, wie die platonische dialektische Methode einen Maßstab für Wahrhaftigkeit liefert: nicht die absolute Wahrheit bestimmter Ideen des Augenblicks, sondern Wahrheit in dem Sinne, frei zu sein von den Folgen gewissenloser Mißachtung der Begriffe der Wahrhaftigkeit, die am besten mit dem gleichgesetzt werden können, was ich hier als das lebendige Wort bezeichne. Wenn wir Wahrheitsliebe sagen, sollten wir darunter verstehen: "dem, was derzeit wißbar ist, angemessen". Selbst wenn eine Behauptung formal richtig ist, hat das, was man glaubt, ohne einen Maßstab der Wahrheitsliebe keine Wahrheit, und die Folge ist, daß die Gesellschaft von einer katastrophalen Ungewißheit sophistischer Art in die nächste torkelt. Wahrhaftigkeit in der Politik hängt also davon ab, die Bevölkerung in jeder Kultur in den hier zusammenfassend beschriebenen Vorgang einzubinden. Man bringt Kulturen zusammen, indem man die gemeinsame Erfahrung lebendiger Worte hervorruft - mit den Mitteln, die dem gemeinsam erfahrenen, jedenfalls erfahrbaren Erleben angemessen sind.

Es geht daher nicht um einen Kompromiß divergierender Meinungen, sondern um die Suche nach den höheren Wahrheiten, die als lebendige Worte existieren, in denen unterschiedliche Kulturen für ein gemeinsames Ziel zusammenlaufen müssen. Dieser Punkt läßt sich noch einmal wie folgt darlegen.

Diese Ideen können auch demjenigen zugänglich sein, der eine Fremdsprache spricht bzw. mit einer anderen Sprachkultur vertraut ist, aber die Art und Weise, wie er die Ideen in seinem Geiste bildet, findet notwendigerweise ihre Grundlage in den Ironien, die in seiner eigenen Sprache erzeugt werden können. Allerdings werden Ideen, die gültig sind, in jeder Sprachkultur neu zugänglich sein, sofern diese ausreichend entwickelt ist.

Ohne Zugang zu dem angesammelten Schatz vorhandener und möglicher Ironien ist die Entwicklung gemeinsamer lebendiger Worte abgebrochen, wenigstens zu einem funktionell bedeutenden Grad. Gleichermaßen wird eine Bevölkerung, die mit diesen Funktionen der Ironie im Gebrauch der eigenen Sprache nicht vertraut ist, nicht wirklich fähig sein, als wahrer Bürger an dieser Nation teilzuhaben bzw. die Art von Ideen, die die Voraussetzung dafür bilden, zu bewältigen. Man könnte sagen, die Mitglieder einer Gesellschaft, denen diese Entwicklung der Erkenntniskraft fehlt, sind verdummt.

Diese Unterschiede innerhalb einer Kultur und zwischen Kulturen stammen aus Verbindungen, die eine Vorgeschichte haben. Diese Verbindungen zwischen Kulturen sind Geschichte. Betrachten wir kurz einige entscheidende Auswirkungen davon aus der jüngeren Geschichte, die für uns hier von Belang sind. Beginnen wir mit einer der wichtigeren unangenehmen Tatsachen.

 

 

[subhead]Dem Menschlichen widerstrebende "Information"...[/subhead]  

Diese Art der Verständigung, die sich angemessen über das ironische Medium lebendiger Worte ausdrückt, ermöglicht es einem Volk, über den eher tierischen bloßen Informationsaustausch, zu dem es die tückische Informationstheorie erniedrigen will, hinauszuwachsen. Mit solchen bösartigen, reduktionistischen Lehren wurden im Laufe der etwa drei Generationen seit dem Ende des sog. Zweiten Weltkriegs der einzelne und seine sozialen Beziehungen ziemlich entmenschlicht.

Leute wie Bertrand Russell aus England und seine Anhänger haben diese Lehre von der Information bewußt entworfen, um den Zugang zu einer gebildeten Sprache zu verbauen und die Beziehungen unter den Menschen in einen Zustand zurückzuversetzen, der dem im ultramontanen mittelalterlichen Europa ähnelt. Typisch für diese haßerfüllten Absichten ist noch heute das, was der Kongreß für kulturelle Freiheit (CCF) der Zivilisation und den heute lebenden Generationen in Europa, Nord- und Südamerika an kulturellem Übel zugefügt hat.

Nehmen wir den Fall des heutigen Deutschland.

Alle positiven Errungenschaften der deutschen Kultur, beispielsweise von Nikolaus von Kues, Gottfried Wilhelm Leibniz und Bach, vereinte die klassische humanistische Tradition: Kästner, Lessing, Mendelssohn, Haydn, Mozart, Beethoven, Schiller und die berühmten Brüder Humboldt. Daß man nach 1945 wieder an Humboldts Bildungsreform für klassische humanistische Bildung anknüpfte, ist typisch für die erfolgreichen Bemühungen um dem Wiederaufbau Deutschlands unter Staatsmännern wie Konrad Adenauer. Aber weil ein Rudel Hyänen wie der CCF, angeworben in den Vereinigten Staaten und Großbritannien und unter der Leitung von Leuten wie Hochkommissar John McCloy in Europa eingesetzt, Deutschlands moralische Wiedergeburt der Nachkriegszeit zerstört hat, gibt es heute kaum noch eine lebendige Kultur in Deutschland.

Beispielhaft hierfür ist die Geschichte der vergangenen 15 Jahre in dem Teil Deutschlands, der früher von den Sowjets besetzt war. Die sowjetische Besatzungsmacht mischte sich in klassische Bildung und Kultur nicht ein und förderte sie sogar. Als die Berliner Mauer fiel, fielen die Apostel des CCF in Ostdeutschland ein wie Kriegsgewinnler oder die Horden Dschingis Khans. Sie zerstörten das produktive Potential in diesem Teil Deutschlands, z.B. in Sachsen, in einem solchen Maße, daß jetzt ganz Deutschland an den Folgen zerbrechen kann, wenn man dies nicht entsprechend wieder in Ordnung bringt. Wer sich ein wenig mit der betreffenden Geschichte auskennt, der fühlt sich erinnert an die seuchenartige Ausbreitung der Moral der Gegenkultur und den existentialistischen geistigen Niedergang in der Weimarer Republik vor Hitler, die der Nazi-Tyrannei in kultureller Hinsicht den Weg bahnten.

Heute überschneidet sich diese moralisch-geistige Zerstörung der klassischen Kultur Kontinentaleuropas mit den Auswirkungen der utopischen Pläne Bertrand Russells und H.G. Wells' zur Zerstörung der Zivilisation. Diese Pläne erinnern daran, wie der olympische Zeus Prometheus verurteilte und foltern ließ. Die Verbreitung dieser Syphilis namens Informationstheorie hat wesentlich mit dazu beigetragen, den Geist und die Moral einer zwar zugegebenermaßen mit Fehlern behafteten, aber doch einst blühenden Zivilisation zu zerstören.

Ich habe schon weiter oben darauf hingewiesen, daß die Grundlagen von Russells Argumentation in axiomatischer Hinsicht ganz denen des Empirismus entsprechen, den der erklärte Anhänger des Wilhelm von Ockham, Paolo Sarpi, eingeführt hatte. Diese Lehre, die Russell später in radikalerer, noch dekadenterer Form vorlegte, wurde durch Sarpis Hausdiener Galileo Galilei und Anhänger Sarpis und Galileos wie Sir Francis Bacon und Thomas Hobbes im ganzen neuzeitlichen Europa verbreitet. Russell hätte mir da stolz beigepflichtet, und sei es nur, weil ich in dem Punkt sein Todfeind bin.

Der Unterschied zwischen Sarpi von der Neuen Partei in Venedig und dem Neuaristotelismus Francesco Zorzis von der Alten Partei - der Heiratsvermittler des englischen Königs Heinrichs VIII. und Feind des Nikolaus von Kues - ist wie schon gesagt der: Sarpi erkannte, daß man den neuzeitlichen Nationalstaat, wie er während der Renaissance des 15. Jhs. entstand, nicht einfach ungeschehen machen konnte, indem man die Uhr zu dem mittelalterlichen, ultramontanen System zurückdreht, das im finsteren Zeitalter des 14. Jhs. untergegangen war.

Wie ich oben darlegte, erkannte Sarpi, daß man die Wirkung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, den die Renaissance ausgelöst hatte, allein schon aus strategischen Erwägungen heraus nicht einfach wieder rückgängig machen konnte, wie das seine rechtsgerichteten aristotelischen Rivalen von der Alten Partei in Venedig forderten.[footnote]D.i. die Forderung des Francesco Zorzi (oder Giorgi), Feind des Cusanus, Eheberater Heinrichs VIII. von England und typischer Vertreter der "alten Partei" Venedigs.[/footnote] Sarpi und Galilei waren sich einig, daß man technischen Fortschritt auch gegen den Widerstand der Geschöpfe des kulturellen Sumpfes, die immer noch dem Erbe des Betrügers Claudius Ptolemäus anhingen, hinnehmen mußte. Aber sie wollten, daß das Wissen, wie man grundlegende Prinzipien erkennen kann, aus den Köpfen der Menschen - sogar derer, die mit den Erzeugnissen des technischen Fortschritts arbeiteten - herausgehalten wird. So wurde aus dem Empirismus, wie ihn das Werk und Erbe von Descartes verkörpert, eine quasi religiöse Lehre des französischen und anglo-holländischen Liberalismus der Venezianischen Partei des 18. Jhs., der Strömung, die bis heute den politischen Liberalismus prägt.

Das Sprungbrett für Russells Schwindel der Informationstheorie war die britische Ideologie, d.h. der Empirismus der Nachfolger Paolo Sarpis, der anglo-holländische Liberalismus, der mit der britischen Venezianischen Partei des 18. Jhs. verbunden ist.

H.G. Wells und Russell gingen noch über Sarpi & Co. hinaus; sie wollten die Geschichte nicht nur aufhalten, wie es die gewöhnlichen Empiristen taten, sie wollten das Rad der Geschichte so schnell wie möglich in eine Art Steinzeit zurückdrehen. Das Merkmal ihrer Weltsicht war, daß sie den Nationalstaat, der wissenschaftlichen Fortschritt anstrebt, abschaffen wollten - aber ironischerweise wollten sie das mit Hilfe gewaltiger Massenvernichtungswaffen mit atomarer und biologischer Kriegführung tun, ergänzt durch Naturkatastrophen. So forderte es erst Wells und dann noch ausdrücklicher sein erzaristokratischer Komplize Russell. Sie stellten diese Politik als das geeignete Mittel dar, die Richtung der neuzeitlichen europäischen und Weltgeschichte umzukehren.

Den geistigen Kern von Russells Beitrag zum Schlechten bildete die Entwicklung dessen, was in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als Informationstheorie bekannt wurde. Das Prinzip hinter diesen Plänen tauchte in einer ersten Annäherung in Russells Teil der zusammen mit Alfred North Whitehead veröffentlichten [i]Principia Mathematica[/i] auf. Die Weiterentwicklung dieser Denkweise geschah zur Zeit der Solvay-Konferenzen der 20er Jahre als Fortsetzung des brutalen Angriffs der Anhänger der logisch-positivistischen Weltanschauung Ernst Machs auf den Physiker Max Planck. Dieser Streit, der während des Krieges in Deutschland und Österreich-Ungarn ausbrach, setzte sich später im Zusammenhang mit der Frage der Vollständigkeit in Russells Entwurf des Universums fort und trennte die Kreise um Kurt Gödel von Russell und dessen Anhängern wie John von Neumann, Norbert Wiener und ihren Komplizen und Anhängern. Ein bemerkenswertes Ergebnis dieser Schwindel war neben Russells Doktrin des "vorbeugenden Atomkriegs"[footnote]Russell, der maßgebliche Mann in einem entsprechen Kreis von Wissenschaftlern, war der Haupturheber der Doktrin des Einsatzes von Kernwaffen in einem "vorbeugenden Krieg" gegen die Sowjetunion in den 40er Jahren. Er schlug dies vor, so wie dies in einem Artikel, den er in der Ausgabe des [i]Bulletin of the Atomic Scientists[/i] vom September 1946 veröffentlichte, zum Ausdruck kommt. Nachdem die Sowjets eine einsatzfähige Wasserstoffbombe entwickelt hatten, ließ Russell die Forderung nach vorbeugendem Krieg fallen und verlegte sich auf eine Doktrin der Weltregierung (die Russell-Wellssche Doktrin, die heute Globalisierung heißt) durch die Drohung mit der gegenseitig zusicherten thermonuklearen Zerstörung. Das entsprechende Angebot an den sowjetischen Generalsekretär Chruschtschow wurde auf einer öffentlichen Konferenz in London verkündet.[/footnote] der Betrug mit der Informationstheorie, der von den radikal positivistischen Ansichten in Russells Teil der [i]Principia Mathematica[/i] abgeleitet war.

Russell und andere Sarpi-Nachfolger wollten den Gedanken unterdrücken, daß es universelle wissenschaftliche Prinzipien gibt, die Ausdruck der Erkenntnis einer grundsätzlichen Lösung eines ontologischen Paradoxes (wie etwa Keplers Entdeckung der Schwerkraft) sind. Russells Methode in der Mathematik bestand darin, den früheren Angriff von d'Alembert, Euler, Lagrange, Cauchy und anderen auf Leibniz' Entdeckung des Infinitesimalkalküls - sie hatten bestritten, daß etwas, was sie als angeblich rein imaginär abtaten, wirksam vorhanden sei - auf die Spitze zu treiben. Praktisch leugnete Russell die Existenz des komplexen Bereichs und beharrte auf dem Elfenbeinturmdenken eines numerischen Formalismus, der die Auffassung von Leibniz, Carl F. Gauß, Wilhelm Weber und Bernhard Riemann ausdrücklich bekämpfte.

Der schwere Schaden, den die Informationstheorie in bezug auf die geistigen Fähigkeiten der gebildeteren Bevölkerungsteile anrichtete, bestand vor allem darin, daß die Fähigkeit, wahre Ideen zu entwickeln und auszudrücken, zunehmend verloren ging. Mit anderen Worten: Die Fähigkeit der gebildeteren Schichten, das zu entwickeln und auszutauschen, was ich hier als lebendige Worte beschrieben habe, sollte eingeschränkt, möglichst sogar ganz zerstört werden. Diese Entgeistigung der gebildeten und anderer Schichten in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lief sogar in der naturwissenschaftlichen Lehre weiter, parallel zu der systematischen Hirnschädigungsaktion namens CCF.

Die nicht ganz so schwer denkgeschädigten Opfer dieser Konditionierung durch Russellsche Einflüsse kennen meist - wie vorher Lagrange und Cauchy - die Stelle, an der die Entdeckung eines allgemeinen Naturprinzips stattfinden müßte. Aber sie behaupten steif und fest, wir seien nicht fähig, die Entdeckung selbst auf den Begriff zu bringen. Die Anhänger Lagranges und Cauchys kannten die algebraische Formel, um sich der mit einer physikalisch-funktionalen Singularität verbundenen Zahl sehr stark anzunähern, aber das Prinzip an sich verstanden sie nicht. Dieser Geisteszustand bei der Verwendung von Sprache und ähnlichem Denken ist in formaler Hinsicht Schizophrenie vergleichbar. Es ist eine schlimmere Hirnschädigung als die, für die Gauß 1799 in seiner Dissertationsschrift Euler, Lagrange u.a. angriff.

Im Einzugsbereich der eifrigen Propagandatätigkeit des CCF verblieb kein Bereich der klassischen Komposition, dem nicht auf diese Weise Gewalt angetan wurde. Man denke etwa daran, wie das Boston Symphony Orchestra[footnote]Die Hauptstadt des amerikanischen Bundesstaates Massachusetts.[/footnote] häufig im Dienste der Sache des CCF nach Europa geschickt wurde, als man daranging, die klassische Musiktradition in modernem und postmodernem Lärm zu ersticken. Im Endeffekt brachte diese breitgefächerte Massenindoktrinierung die Bevölkerung dazu, sich selbst immer mehr zu erniedrigen, bis sie nur noch Abbilder von Yahoos oder Beatles waren - zu nichts zu gebrauchen als zum Bespringen (von jemand oder etwas oder auch nur der Luft) wie glattrasierte Schimpansen - , wie in Jonathan Swifts [i]Gullivers Reisen[/i] beschrieben. Eben die Kultur der Massenunterhaltung im heutigen Amerika.

Gleichzeitig arbeiten die Anhänger der Russell-Verehrer Norbert Wiener und John von Neumann - wie die Professoren Marvin Minsky und Noam Chomsky am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und ihre Gesinnungsgenossen an ähnlich ausgerichteten Einrichtungen - darauf hin, wie H.G. Wells' sagenhafter Dr. Moreau menschliche Intelligenz in Maschinen oder dem armen Versuchstier "Noam Schimpanski Chomsky" hervorzubringen!

Wer ein solches Verhalten wie das von Wells, Russell und ihren Anhängern hinnimmt, kann offensichtlich nicht als jemand gelten, der in irgendeiner Weise einen Beitrag dazu leisten könnte, die Ziele eines Dialogs der Kulturen festzulegen. Der Dialog muß sozusagen auf "Mitglieder der Menschheit mit Mitgliedsausweis" beschränkt sein. Die anderen kann man nur belustigt betrachten, wie man etwa Affen im Zoo betrachtet.

 

 

[subhead]...oder Sprache, die uns weiterbringt[/subhead]  

Die eigentliche Definition der Prinzipien der Gestaltung der souveränen nationalstaatlichen Republik der Neuzeit kennen wir im wesentlichen über die klassische sog. griechische Tradition, deren Ursprünge mit Persönlichkeiten wie Thales, den Pythagoräern, Solon von Athen und Platon verbunden sind. Allerdings hat der Inder Tilak - sozusagen der Dante Alighieri des modernen Indien - überzeugend dargelegt, daß er und andere die Prinzipien des modernen souveränen Nationalstaats aus der Beschäftigung mit den antiken Veden gewonnen haben. Tatsächlich wurde nach unserem besten Wissen die Grundlage der Zivilisation der Neuzeit, wie wir sie heute erkennen können, in der untereinander verknüpften Entwicklung der Astronomie in verschiedenen Teilen der Welt in der Antike geschaffen. Das schließen wir heute aus Fragmenten antiker ägyptischer, indischer und chinesischer Quellen, aus verwandten Fragen der transozeanischen und ähnlicher Astronavigation und aus dem offenkundig sehr alten Ursprung des Prinzips der Ironie in der klassischen Dichtkunst als mnemonischem Mittel des kollektiven Gedächtnisses eines Kulturvolks.

Aber die Entdeckung des Gedankens des souveränen Nationalstaats in Europa - die souveräne Nation, die auf dem Prinzip beruht, daß der Wille des Herrschers sich dem Gemeinwohl des ganzen Volkes unterordnen muß - wurzelt noch in etwas anderem, einem europäischen Gedanken.[footnote]In Präsident Abraham Lincolns berühmter Ansprache von Gettysburg aus dem Jahr 1863 ist zusammengefaßt, inwiefern dieses Prinzip einzigartig ist.[/footnote]

Der Ursprung dieses Gedankens rührt daher, wie der aus dem Griechischen übersetzte Begriff der [i]Kräfte[/i] Ideen definiert - vergleichbar dem Begriff der [i]Geistesmasse[/i] bei Herbart und Riemann, den Wolfgang Köhlers Gestaltpsychologie nur in grober Annäherung erfaßt. Dieses Verständnis, welches die Griechen aus der ägyptischen Astronomie übernahmen (die [i]Sphärik[/i]), ist von der Idee des Monotheismus praktisch nicht zu trennen. Es ist, wie ich in dieser Schrift mehrfach wiederholt habe, die Vorstellung des [i]lebendigen Wortes[/i]. Es ist [i]der unbekannte Gott[/i] der Griechen, der Gott des prometheischen Universums und eigentliche Widersacher des Olymp und des pro-satanischen (d.h. pythischen) Apollokultes in Delphi ist.

Diese Entwicklungen in der Antike, wofür die Bedeutung der alten ägyptischen Astronomie für die Griechen als [i]Sphärik[/i] beispielhaft ist, lieferten die Grundlage dafür, daß um das zunehmende Verständnis allgemeingültiger Naturgesetze herum, ausgehend vom ägyptischen Erbe in der europäischen Tradition im Werk von Thales, den Pythagoräern und Platon, nach und nach die neuzeitliche europäische Zivilisation entstand und sich weiterentwickelte. Diese Sammlung konstruktiv-geometrisch aufgefaßter allgemeingültiger Naturgesetze ([i]Kräfte[/i]) - im Gegensatz zu bloßen algebraischen Formeln als Ersatz für Prinzipien - ist das Ergebnis eines Vorganges, den ich als das Erschaffen lebendiger Worte bezeichnet habe. Dieser stimmt damit überein, wie sich Riemanns Begriff der [i]Geistesmasse[/i] auf die Naturwissenschaft anwenden läßt.

Wenn man die wesentlichen Grundlagen dessen unterrichten will, sind die klarsten Beispiele diejenigen im Zusammenhang mit dem Einfluß der ägyptischen astronomischen Methoden, wie sie Pythagoräer wie Archytas von Tarent übernahmen und Platon sie in seinen Dialogen benutzte, um den Begriff zu vermitteln, den wir aus dem Griechischen meist mit [i]Kräfte[/i] übersetzen. [i]Kräfte[/i] bedeutet hier das gleiche, was ich oben als [i]lebendige Worte[/i] und als Verständnis eines physikalischen statt bloß mathematisch formalen komplexen Bereichs beschrieben habe. Riemann macht den Unterschied klar, wenn er in seiner Habilitationsschrift aus dem Jahr 1854 und in ausgearbeiteterer Form in seinem Werk über die tiefere Bedeutung der Abelschen Funktionen von [i]Geistesmassen[/i] spricht.

Wenn wir auf diese Weise mit der Definition allgemeiner Naturprinzipien beginnen, sind wir dazu gerüstet, die Bedeutung des Prinzips der Ironie in der klassischen Kunst viel wirksamer darzustellen, als es sonst heute möglich ist. Wenn man so an die Kunst herangeht, taucht allerdings eine große Schwierigkeit auf: Sobald man auf diese Weise die Funktion klassischer Kunstprinzipien erkannt hat, sind für entgegengesetzte Auffassungen von Kunst unausgesprochen nur noch Bordelle akademischer oder anderer Art zuständig.

Wie ich weiter oben umrissen habe, war es die Anwendung des Prinzips der klassischen poetischen Ironie, die es der Menschheit ermöglichte, das Verständnis der Universalität des Menschen, wie es sich durch das Medium des lebendigen Wortes ausdrücken läßt, weiterzuvermitteln. Die künstliche Trennung dieser Prinzipien der poetischen Ironie in der klassischen Kunst vom Verständnis universeller Prinzipien in der Naturwissenschaft - die Dichotomie, die C.P. Snow beobachtet hat - war immer das große Hindernis für die Entwicklung der europäischen Zivilisation.

Unser Thema ist hier der Ursprung der souveränen nationalstaatlichen Republik der Neuzeit in einem klassischen künstlerischen Verständnis von Sprache. Dieses Ziel ist zwar unausgesprochen schon in Solons Reformen in Athen und seiner Ermahnung seiner fehlgeleiteten Mitbürger enthalten, aber die Mittel, wodurch die neuzeitliche Republik in der europäischen Renaissance des 15. Jhs. aus der Taufe gehoben wurde, sind weitaus vielfältiger als das, man aus einer Übersetzung von Solons anregendem Gedicht herauslesen kann. Dieser Gesichtspunkt ist hier und jetzt besonders wichtig, weil asiatische Kulturen im allgemeinen nicht wirklich verstehen, wie sich dieser Gedanke in der europäischen Zivilisation entwickelt hat. Dieses mangelhafte Verständnis verleitet zu einer gefährlich vereinfachten Auffassung der europäischen Wurzeln des souveränen Nationalstaates, vor der wir unsere Dialogpartner bewahren müssen.

In der gegenwärtigen neuzeitlichen europäischen klassischen Kultur kann man den erfolgreichen Beginn der modernen Zivilisation in hohem Maße aus Dante Alighieris Argumentation für die Entwicklung und den Gebrauch der italienischen Sprache ableiten, die in seiner Schrift [i]De monarchia[/i] die Grundlage seiner Forderung nach dem souveränen Nationalstaat bildet und daraus, wie insbesondere Petrarca diese Auffassung der Sprache weitergeführt hat. Das ist ein hervorragendes Beispiel für die Bedeutung von Formen der Ironie, die am besten geeignet sind, lebendige Worte zu vermitteln, was Latein als römisch-imperiale Weltsprache nicht leisten konnte und auch nicht tat.[footnote]Zur Geschichte des Ringens um die Gründung eines souveränen Nationalstaates im Mittelalter, vor dem 15. Jh., siehe Friedrich von der Heydte, [i]Die Geburtsstunde des souveränen Staates[/i] (Regensburg, Verlag Josef Habbel, 1952).[/footnote]

Auch die Idee des neuzeitlichen europäischen souveränen Nationalstaates, wie sie sich wie hier und weiter oben beschrieben entwickelt hat, ist ein lebendiges Wort. Dieses Wort bezeichnet die Abläufe, die für eine Gesellschaftsform, wie ich sie hier zusammenfassend geschildert habe, kennzeichnend sind. Es bezeichnet den Kontrapunkt der Ironien, die das Lebendige im Gegensatz zum bloß Formalen der Kultur eines souveränen Volkes ausmachen. Ein solches Verständnis der lebendigen Worte einer Kultur stimmt mit dem Gedanken des Monotheismus überein. Nicht mit der Vorstellung eines unweltlichen Gottes, der außerhalb des Universums herumschwebt, sondern der Personalität eines Schöpfergottes innerhalb des Universums, das er immer weiter erschafft. Deshalb ist die Übersetzung des Johannes-Evangeliums sehr treffend, wenn es heißt: "Am Anfang war das Wort." Es bezeichnet die Vorstellung, daß die Entwicklung lebendiger Worte in der transfiniten Gesamtheit des Prozesses des Hervorbringens gültiger lebendiger Worte zusammenläuft. Als Theologie spiegelt es die Erkenntnis dieser Schöpferkraft wider, wie sie sich in der menschlichen Erfahrung von Ideen mit der Eigenschaft wahrer lebendiger Worte vollzieht. Schöpferkraft (Kreativität), wie wir sie kennen, ist nur der unverletzlichen Souveränität des schöpferischen Willens des einzelnen eigen. Deshalb ist es unvermeidlich, daß wir in dem innewohnenden lebendigen Schöpfer dieses Universums eine Person erkennen, einen individuellen schöpferischen Willen, der dem innewohnt, was ich als lebendige Worte bezeichnet habe.

Daher ist die Autorität, die wir einem Nationalstaat mit Recht zusprechen können, von dieser Form, d.h. sie steht unter der Bedingung, daß sie der praktischen Bedeutung dieser Form entspricht. Das Ergebnis davon ist die Vorstellung eines universellen Naturrechts als dem Ort des Prinzips hinter dem praktischen Bemühen der Gesellschaft, aus der Kindheit der Menschheit weiterzugelangen zu einem erwachseneren Verständnis ihrer selbst, ihrer Ursprünge, ihrer Verpflichtungen und ihrer Absichten.

 

 

[subhead]Eine Prinzipiengemeinschaft[/subhead]  

Der amerikanische Außenminister John Quincy Adams riet seinem Präsidenten James Monroe, einen vom britischen Minister Canning angebotenen Vertrag abzulehnen, weil es keine Prinzipiengemeinschaft zwischen den USA und England gebe. Stattdessen empfahl Adams in der als Monroe-Doktrin bekannt gewordenen Denkschrift, die Vereinigten Staaten sollten eine Prinzipiengemeinschaft mit den neu entstehenden Republiken auf dem amerikanischen Kontinent anstreben und auswärtige feindliche und imperialistische Kräfte der Zeit (das britische Empire und das Habsburgerreich) mit Gewalt fernhalten, sobald es die Kräfte der USA erlaubten, die befreundeten Republiken auf dem amerikanischen Kontinent zu verteidigen. Wie Adams betonte: Es gab in Fragen der Politik keine Prinzipiengemeinschaft zwischen den USA und dem imperialen England (oder der restaurativen Ordnung um Fürst Metternich usw.).

Auch wenn heute im In- und Ausland über Adams' Doktrin und über Präsident Franklin D. Roosevelts Wiederaufnahme dieser Politik z.B. im Vertrag von Rio von Akademikern und anderen viele Lügen verbreitet werden: Dies war und ist das grundsätzliche Erbe der Vereinigten Staaten, schon aus der Zeit vor 1776.[footnote]Es wäre ein Schwindel, die Monroe-Doktrin mit den Erdichtungen des Neffen dieses Freibeuters, Theodore Roosevelt, zu erklären.[/footnote] Es ist heute immer noch das einzige Prinzip wahren Eigeninteresses der USA als Republik. Es ist ein wissenschaftlich definiertes Prinzip einer Politik im Eigeninteresse der USA, das auf eine wachsende weltweite Gemeinschaft souveräner nationalstaatlich verfaßter Republiken anwendbar ist.

Adams' ursprüngliche Ausarbeitung der Prinzipien der Monroe-Doktrin gehört in den realen geschichtlichen Zusammenhang des Zeitraums vom Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 bis zu den Folgen der Schlacht bei Gettysburg, als die weisesten Kreise in den USA ihr Interesse darin sahen, sich mit der Unmoral der großen Mächte Europas, wofür die mehr oder weniger rivalisierenden britischen und habsburgischen Interessen beispielhaft waren, nicht einzulassen.

Später, nach dem Sieg der Nordstaaten unter Präsident Abraham Lincoln über die von britischen Interessen gesteuerten konföderierten Südstaaten, und insbesondere seit Europa auf die bei der Weltausstellung in Philadelphia zur Hundertjahrfeier der USA gezeigten Errungenschaften aufmerksam wurde, waren die USA nicht nur eine Macht in der Welt, sondern trugen zunehmend die Verantwortung einer Führungsrolle in den Weltangelegenheiten, auch weit über den amerikanischen Kontinent hinaus. Seit dieser Zeit war die große Frage der Weltpolitik, ob die Ordnung der Beziehungen auf der Welt vor allem dem amerikanischen oder dem britischen Vorbild folgen sollte.

Aus verschiedenen historischen Gründen sind die anglo-holländisch-liberalen finanzoligarchischen Interessen - nicht die Macht einzelner europäischer Staaten - im Weltfinanz- und Währungssystem seit dem Tode Franklin D. Roosevelts immer mehr vorherrschend geworden. Im Gefolge der Ereignisse der Jahre 1962-64 und besonders seit 1971-72 wurden sogar die USA selbst praktisch zu einer Provinz des anglo-holländischen liberalen supranationalen Weltreichs; gemeint ist das heutige IWF-System privater finanzoligarchischer Macht. Die USA waren und sind der mächtigste Nationalstaat der Erde, aber gleichzeitig wurden sie praktisch immer mehr eine Satrapie des anglo-holländischen liberalen Imperiums, also der internationalen finanzoligarchischen Kräfte hinter dem IWF-System seit 1971. Wenn diese wesentliche Tatsache nicht anerkannt wird, ist eine Rettung aus dem heranstürmenden allgemeinen Währungs- und Finanzkollaps unwahrscheinlich. Die USA sind als Nation am besten geeignet und in der besten Ausgangslage, die Macht dieses anglo-holländischen liberalen Imperiums zu brechen.

Das ist die harte Wahrheit, und alle Einwände dagegen sind entweder kraftlos oder regelrecht böswillig. Es ist der Knackpunkt, hiervon hängt ab, ob ein Dialog der Kulturen Erfolgsaussichten hat oder scheitern muß.

Angenommen, genügend Kräfte sind so weise, so zu handeln, wie es diese Sicht der Weltgeschichte der letzten Jahrhunderte nahelegt, dann stellt sich die Frage: Welche konkrete Form der Organisation zwischen Nationen wäre der unmittelbare erste Schritt einer allgemeinen Organisation hin zu einer ständigen weltumspannenden Prinzipiengemeinschaft uneingeschränkt souveräner Nationen? Der Eckstein der ersten Phase der neuen Weltordnung ist der Rückgriff auf das Vorbild von Bretton Woods, das unter der Ägide Präsident Franklin D. Roosevelts begründet wurde.

Ein System fester Wechselkurse nach dem Vorbild der Erfahrung des ursprünglichen Bretton-Woods-Systems ist der Bezugspunkt für eine inzwischen unverzichtbare Vereinbarung für die heutige Welt, die für mindestens einige zukünftige Generationen Geltung behält. Wenn ich "mindestens einige zukünftige Generationen" sage, habe ich vor allem gewisse unverzichtbare langfristige Verträge und ähnliche Vereinbarungen zur erforderlichen Kapitalbildung im Sinn, insbesondere im Zusammenhang mit grundlegender wirtschaftlicher Infrastruktur. Da wir bereit sein müssen, diese über 50 oder mehr Jahre reichenden Vereinbarungen zu erfüllen, muß das System, das wir jetzt einrichten, die Erfüllung dieser vertraglichen Verpflichtungen vorsehen.

Später, wenn die Fälligkeit der ersten dieser Zahlungsverpflichtungen naherückt, wird man Verbesserungen im Weltsystem natürlich berücksichtigen. Bis dahin werden kluge Regierungen die kommenden beiden Generationen als Richtschnur für eine entsprechende Einigung nehmen, auf deren Grundlage das neue Weltsystem für die unmittelbare Zukunft entworfen und verwirklicht wird.

Das System fester Wechselkurse wird entsprechend grundsätzlich wie folgt festgelegt. Zunächst behandle ich die Bedeutung der Rohstoffpolitik, danach die Bevölkerungspolitik. Das sind vorläufig die verhältnismäßig neuen Entwicklungen auf der Welt, die den Gedanken eines Systems fester Wechselkurse wichtiger macht als je zuvor.

Zusammengenommen bringen die Auswirkungen der Entwicklung und Anwendung der Technik sowie der Anstieg der Bevölkerungszahl und eines akzeptablen Lebensstandards der Menschen diesen Planeten in absehbarer Zeit in die Lage, daß wir nicht länger davon ausgehen können, die Rohstoffe, auf die unsere Zivilisation angewiesen ist, seien einfach nur eine Gabe der Natur. Wir müssen jetzt die Verantwortung dafür übernehmen, die Versorgung mit diesen Rohstoffen aus der abiotischen Erde und der Biosphäre, von denen der weitere Anstieg der Weltbevölkerung und die weitere Verbesserung der Lebensumstände abhängen, aufrechtzuerhalten und auszuweiten.

Die verrückte Gier nach Rohstoffen als Beutegut, die auf das Denken der Physiokraten zurückgeht - eine verrückte und immer auch mörderische Gier, wofür Henry Kissingers These im Sicherheitsmemorandum NSSM-200 nur typisch ist - , ist heute der eigentliche Eifer der Finanzoligarchie geworden. Diese verrückte Gier muß durch gemeinsame Regulierung souveräner Nationalstaaten in Schach gehalten werden. Wernadskijs Vermächtnis verdeutlicht allgemein die Lösung: Man muß in der Entwicklung mineralischer Rohstoffe und ihrer Verwaltung einen Faktor an Kapitalkosten sehen, den alle Volkswirtschaften der Welt gemeinsam tragen müssen. Wir müssen eine ausreichende zukünftige Versorgung mit allen grundlegenden Rohstoffen zu annehmbaren Preisen sicherstellen. Mit Hilfe wissenschaftlicher Fortschritte läßt sich diese Herausforderung meistern, sogar recht bequem - aber meistern muß man sie.

Diese Veränderung im Umgang mit Rohstoffen wird durch das Bevölkerungswachstum in Asien und insbesondere in China und Indien dringend erforderlich, und sie stellt die Welt vor die Notwendigkeit, umgehend ein umfassendes System fester Wechselkurse zu errichten. Wegen dieser Notwendigkeit kommt zu den Kernvereinbarungen, auf denen das neue System gründen muß, der schöpferische, aktive Umgang mit Rohstoffen als zusätzlicher Faktor hinzu.

Die Erde ist begrenzt. Wir sind fast am Ende der Möglichkeiten einer Gesellschaftsform, die davon lebt, den Planeten zu plündern, und gleichzeitig die Auswirkungen davon auszugleichen versucht. Wir müssen ein System schaffen, das die Versorgung mit und die Verfügbarkeit als Rohstoffe kategorisierter Güter ausweitet und vor allem selbst "Rohstoffe" erzeugt, statt sie nur auszubeuten. So müssen wir mit den mineralischen Rohstoffen verfahren und gleichzeitig die Biosphäre mit großen Wasserprojekten, Begrünung von Wüsten usf. entwickeln.

Um die absehbaren sehr hohen Kapitalkosten dafür aufzubringen, müssen wir den technischen Fortschritt in der Produktion und Produktgestaltung mindestens so weit beschleunigen, daß die zusätzlichen gesellschaftlichen Kosten für die weltweite Rohstoffverwaltung und damit verwandte Umweltentwicklung aufgefangen werden, ohne den Lebensstandard irgendeines Teils der Menschheit zu senken. Das erfordert massiv gesteigerte Zuwachsraten bei der realen Pro-Kopf-Produktivität weltweit und eine Anhebung des Einkommensniveaus derzeit armer Nationen durch eine solche Förderung des technischen Fortschritts. Diese Kosten lassen sich leidlich genau abschätzen.

Dazu müssen wir besonderes Gewicht auf Technologien mit sehr hoher Energieflußdichte wie Kernspaltung und Kernfusion legen. Der Einsatz von Ressourcen mit niedriger Energieflußdichte sollte hauptsächlich weiter in der Nutzung der Sonnenstrahlung zum Anregen lebendiger Vorgänge, insbesondere des pflanzlichen Lebens, zur Wasserwirtschaft und zur Mäßigung des Erdklimas bestehen.

Nun zu dem zusätzlichen Gesichtspunkt der wirtschaftspolitischen Tagesordnung der Welt, die ich gerade zusammengefaßt habe: Bevor wir uns den Fragen der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten eines Systems fester Wechselkurse zuwenden, müssen wir mit gewissen Legenden über die sog. Bevölkerungsexplosion aufräumen.

 

 

[subhead]Das Wohlergehen der Bevölkerung[/subhead]  

Wenn das notwendige Niveau der geistigen Entwicklung einer Bevölkerung steigt, wird die Geburtenrate erwartungsgemäß sinken - nicht so stark wie beispielsweise der verheerende Rückgang, den man in jüngster Zeit in Deutschland erlebt, aber das Bevölkerungswachstum wird sich dennoch verlangsamen, weil unter den Bedingungen des praktizierten wissenschaftlich-technischen Fortschritt die Geburtenrate der Bevölkerung abnimmt.

Der Anstieg des Alters beim Abschluß der Schul- und Berufsausbildung - fast ein Vierteljahrhundert bei Abgängern mit entsprechenden beruflichen Vorkenntnissen - und die sich wandelnde Rolle der Frauen in der Wirtschaft bedeuten zusammengenommen, daß die Geburtenrate je Haushalt sinkt. Die bessere Entwicklung des einzelnen Kindes wird wichtiger als die Kinderzahl an sich. Diese Veränderung ist im Kern eine natürliche Reaktion auf solche Veränderungen in der Wirtschaft, und das wird auch die Tendenz bleiben, unabhängig davon, ob der Staat hier einzugreifen versucht oder nicht. Die gesellschaftlichen Folgen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts fördern eine Entwicklung hin zu einem Anstieg des realwirtschaftlichen Wertes des einzelnen pro Kopf und pro Quadratkilometer sowie einer wachsenden Gewichtung hoher Lebenserwartung und dauerhaft guter Gesundheit.

Dem entspricht wiederum, daß gewaltige Probleme entstünden, wenn man auf Dauer zuließe, daß größere Teile der Weltbevölkerung in der mehr oder weniger extremen Armut leben müssen, die heute mit dem niedrigen Stand der Pro-Kopf-Produktivität in weiten Teilen der Erde einhergeht. Weitverbreitete Armut verdirbt sowohl die Opfer dieses von Unwissenheit geplagten Zustands als auch den anderen Teil der Bevölkerung, der zuläßt, daß dieser Zustand anhält.

Diese Bevölkerungsfragen sollten kein Gegenstand unmittelbarer politischer Steuerung sein. Man sollte indirekt, aber darum um so wirksamer über die wirtschaftliche Steuerung der Beziehungen zwischen den Nationen an sie herangehen. So ist beispielsweise Billiglohnarbeit wegen ihrer Folgen und Nebenwirkungen für die Bevölkerung und das Verhalten der Nationen eine langfristige Gefahr für das Wohlergehen auf der Erde. Durch Kooperationsabkommen, die darauf abzielen, wissenschaftlichen und technischen Fortschritt für die Nationen und ihre Menschen zu fördern, sollten die Produktionstechnik und die Produktqualität gesteigert werden.

Eine der Hauptursachen der Vergeudung von Arbeit und Zeit der Bevölkerung in den vergangenen 60 Jahren war der Trend weg von den Innenstädten in die Vorstädte. Diese Verlagerung und ähnliche Entwicklungen haben die Errungenschaften der europäischen Zivilisation bei der Entwicklung der Idee der Stadt und städtischer Gemeinschaften zerstört. Vorangetrieben wurde dies von parasitärer Immobilienspekulation, hinter der Finanzinteressen stehen, und der Veränderung in der Wirtschaft, weg von mittelständischen Betrieben mit vielleicht 200 oder weniger Beschäftigten, hin zu gewaltigen Konzernen, die nicht technischen und ähnlichen Verbesserungen der Produktqualität und Produktionsweise, sondern spekulativen Finanzinteressen dienen.

Diese Übel sind im wesentlichen ein Ausdruck davon, daß die modernen nationalstaatlichen Volkswirtschaften von feudalistischen, finanzoligarchischen Interessen mit ihren räuberischen und spekulativen Gewohnheiten überlagert wurden. Unter einem weltweiten System fester Wechselkurse kann man durch einfache Regulierungsmaßnahmen bei Zöllen und Handel, wie es sie beim ursprünglichen Bretton-Woods-System gab, die Beschäftigung und das Leben der Menschen erfolgreich in wünschenswerter Weise verändern.

Die neuen Dimensionen der langfristigen nationalen Politik und Weltpolitik, die durch die verwandten Zwänge der Verwaltung der Materialien und nötigen Entwicklung der Lebensbedingungen der Menschen notwendig werden, lenken unseren Blick nach oben: Unter den Bedingungen, die heute schon vorhanden sind oder sich rasch entwickeln, sind forschungsintensive Raumfahrtprogramme die geeignetste Organisationsform für die Weiterentwicklung der Technik der Länder und für die internationale Zusammenarbeit.

Wir leben inzwischen in einer Zeit, in der die bewußte Gestaltung unseres Planeten und seiner Lebensbedingungen ein zwingendes Gebot ist, aber die Probleme und Chancen, die damit verbunden sind, enden nicht in den Höhen, die die stärksten Scramjet-Raketen erreichen. Alle wissenschaftlichen und verwandten Herausforderungen, vor denen die zivilisierte Menschheit heute steht, sind mit dem wachsenden Feld der Weltraumforschung untrennbar verbunden. Die Existenz des Sonnensystems ist die Folge eines Ablaufs, der schon in der Natur der Sonne als früherer Einzelstern angelegt war. Die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Lebensbedingungen auf der Erde werden von noch andauernden Entwicklungsprozessen im Rahmen der fortdauernden Entwicklung des Sonnensystems bestimmt. Dieses Sonnensystem und sein Verhältnis zu den weiteren Teilen des Universums, innerhalb dessen es besteht, enthält viel, was wir für das menschliche Leben auf der Erde berücksichtigen müssen - entweder als Probleme oder als mögliche Vorteile.

Die wissenschaftliche Forschung, die heute jede intelligente Regierung auf der Erde angesichts dieser Zukunftsaussichten beschließen wird, muß zumindest in einem bestimmten Maße zu bemannten Forschungsmissionen und dem Aufbau stationärer Systeme in verhältnismäßig näheren Teilen des Sonnensystems führen. Ein weiteres notwendiges Ziel ist, aus ähnlichen Gründen, der Aufbau neuartiger Systeme, die an Energie pro Kopf und Raumeinheit alles heute Vorhandene in den Schatten stellen werden.

Die wichtigste unmittelbar praktische Folge einer Forschungsoffensive für den Weltraum wird aber darin bestehen, daß sie uns das notwendige Wissen liefert, wie wir das Leben auf der Erde sichern und verbessern können. Unter dem, was man im Rahmen gezielter Raumfahrtforschung entwickeln kann, wird kaum etwas sein, was sich nicht auch zum großen Nutzen der Menschen hier auf der Erde anwenden ließe. Deshalb sollte der Schwerpunkt der staatlichen Förderung von Forschung und Entwicklung auf der Raumfahrt liegen, die von ihrem Wesen her sämtliche Bereiche wissenschaftlichen Interesses für die praktische Anwendung auf der Erde berührt.

Mehr oder weniger weltweite Eigentumsrechte auf einige entsprechende Vorhaben sind dabei weder unbedingt erlaubt noch unbedingt verboten. Es ist aber sehr naheliegend, der Vergabe privater Patente über den traditionellen Schutzanspruch des eigentlichen Erfinders hinaus enge Grenzen zu setzen. In einigen Fällen sollte man sogar kürzlich eingeführte Eigentumsansprüche in diesem Bereich wieder zurücknehmen. Auch müssen Technologien, die durch Zusammenarbeit mehrerer Nationen oder über supranationale Einrichtungen entwickelt werden, viel leichter für alle zugänglich werden. Der Einfall, Patente auf von der Natur schon angelegte Gene zu vergeben, ist Ausdruck reinster finanzoligarchischer Habgier - das geht viel, viel zu weit.

Die zu erwartende Folge einer solchen praktisch fast unvermeidlichen umfassenden Forschung und Entwicklung um die Raumfahrt im Rahmen eines neuen Systems fester Wechselkurse wäre eine rasche psychologische Veränderung unserer Weltsicht: Statt uns ängstlich in irgendeinem Teil der Erdoberfläche zu verkriechen, würden wir uns als Menschen sehen, die im Sonnensystem leben. Dahin muß sich das Selbstverständnis des Menschen ändern.

 

 

[subhead]Eine Bemerkung zum Schluß[/subhead]  

Die Wiederherstellung des Kerns des ursprünglichen Bretton-Woods-Systems als solchem muß hier nicht ausführlich erläutert werden. Das System lief erfolgreich und hätte das auch weiter getan, wenn der politische Wille dagewesen wäre, eine Anpassung des Goldpreises und andere Reformen vorzunehmen, um das System grundsätzlich aufrechtzuerhalten. Die Ziele bei der Neuauflage eines Systems dieser Art und Form müssen sein, den Wert der Währungen möglichst nahe an realistisch eingeschätzten relativen Preisen festzulegen, einen angemessenen Ausgangspreis für Reservegold zu wählen und einen internationalen Kreditmechanismus einzurichten, der Kreditziehungsrechten der Mitglieder entspricht.

Eine ganz wichtige Aufgabe des wiedergegründeten Systems besteht in seiner angemessenen Verbindung zu einem Netz langfristiger vertraglicher Vereinbarungen der Art, wie sie heute in Eurasien z.B. zwischen West- und Mitteleuropa, Rußland, China, Indien usw. besonders angemessen sind. Der wichtigste Motor einer allgemeinen weltweiten realwirtschaftlichen Erholung sind dann langfristige Investitionen in die grundlegende wirtschaftliche Infrastruktur und gebündelte langfristige Kreditlinien für Investitionspakete bestimmter privater Kreditnehmer. Die physische Lebensdauer grundlegender wirtschaftlicher Infrastruktur in der ersten Kategorie liegt zwischen einem Viertel- und einem halben Jahrhundert. Typisch sind Energie, Wasser, Massenverkehrsmittel und langfristige Stadt- und Landentwicklung, z.B. für neue Städte, Wiedernutzbarmachung von Trockenzonen, weitflächige Aufforstung usw. In eine zweite allgemeine Kategorie fallen Investitionen in die Realkapitalbildung im Zusammenhang mit dem Markt, der durch den Bau öffentlicher Großvorhaben entsteht.

Finanzieren lassen sich derartige Investitionen durch Kredit, der in Form von vertraglichen Vereinbarungen geschöpft wird, oder durch Kapital, das im Rahmen vertraglicher Regelungen bereitgestellt wird. Eine wesentliche Aufgabe des Systems fester Wechselkurse besteht darin, daß Kredite, die zu festgelegten Zinsen über einen langen Zeitraum vergeben werden, durch den festen Wechselkurs abgesichert sind.

Unter den derzeitigen Bedingungen, wo die meisten privaten Finanzinstitute auf der Erde praktisch bankrott sind, ist eine Kreditschöpfung in bedeutenderem Umfang nur über diese Kombination - staatlich abgesicherter Kredit unter dem Schutz eines Systems fester Wechselkurse - möglich. Ohne ein solches System bedeutete der inzwischen unvermeidliche Zusammenbruch des gegenwärtigen Weltwährungs- und -finanzsystems, daß unmittelbar ein Absturz der ganzen Welt in ein langes finsteres Zeitalter droht.

Eine solche Erholung aus der derzeitigen Krise kann es nur geben, wenn die Bedingungen einer regulierten Volkswirtschaft - wie in den Vereinigten Staaten vor den Veränderungen von 1969-82 und ähnlich in Kontinentaleuropa - prompt wiederhergestellt werden. Die Auslandsschulden Afrikas, Mittel- und Südamerikas müssen entweder gestrichen oder bis auf weiteres eingefroren werden, und alle Schulden im Zusammenhang mit Derivatgeschäften sind als illegale Wettschulden zu betrachten und damit null und nichtig.

Meine Damen und Herren, wir haben keine andere Wahl. Entweder wir greifen angesichts der Lage zu den beschriebenen Maßnahmen oder wir müssen davon ausgehen, daß wir nur zusammengekommen sind, um der menschlichen Zivilisation auf ziemlich lange Zeit Lebewohl zu sagen.