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NATO-Agenda 2030: Angriff auf die Souveränität, für Globalisierung und Kriege

Christine Bierre (Paris),  Vorstandsmitglied der Partei Solidarité et Progrès

Eine der „Errungenschaften“ auf dem kurzen NATO-Treffen am 14. Juni war die Genehmigung der NATO-Agenda 2030, ein ziemlich radikaler Vorschlag für eine umfassende Reform der Strategie der NATO, der das vorherige Dokument von vor über zehn Jahren – als noch nicht von der angeblichen doppelten Bedrohung der Allianz durch China und Rußland die Rede war – ersetzen soll.

Der Kontext für die 2030-Agenda ist, daß man mehr Einheit unter den Verbündeten anstrebt, um das angeblich „stark verschlechterte strategische Umfeld“, insbesondere wegen der „doppelten Bedrohung“ durch Rußland und China, zu bewältigen. Unter dem Titel NATO 2030 – A Political Role Suited to a New Era („Die NATO 2030 – Eine politische Rolle für eine neue Ära“) ist es eigentlich ein Vorschlag für eine Art politischen Putsch in der NATO! Die Autoren prahlen, seit Rußland 2014 die Krim „annektierte“, habe die NATO „die wichtigste Verstärkung einer kollektiven Verteidigung seit einer Generation“ organisieren können. Und die Herausforderung bestehe nun darin, „eine
politische Anpassung vorzunehmen, um den Fortschritt im militärischen Bereich zu begleiten“. (Hervorhebung hinzugefügt.)

Imperiale Herrschaft

Den Kern dieses Vorschlags bildet ein Vorstoß, die nationale Souveränität zu beseitigen und eine direkte internationale Herrschaft der NATO-Führung im imperialen Stil zu etablieren.

Den meisten Bürgern ist nicht bewußt, daß die NATO keine Organisation ist, in der die Staaten ihre nationalen Anstrengungen reduzieren, indem sie sich einem zentralen Kommando unterstellen; sie ist vielmehr ein Bündnis souveräner Staaten, in dem jeder einzelne spezifische Elemente zur Gesamtanstrengung beiträgt.

In völliger Mißachtung dieser nationalen Souveränität heißt es in dem Bericht gleich zu Beginn, die NATO sei dazu aufgerufen, „das einzigartige und unverzichtbare Forum zu werden, an das sich die Bündnispartner bei allen wichtigen Herausforderungen an die nationale Sicherheit wenden, indem sie proaktiv versuchen, einen Konsens zu schmieden und gemeinsame Strategien für den Umgang mit gemeinsamen Bedrohungen zu entwickeln... Die Bündnispartner sollten sich bemühen, in der nationalen Politik der in der NATO entwickelten Linie zu folgen.“

Die Mitgliedsstaaten werden sogar aufgefordert, „im Vorfeld von Treffen anderer internationaler Organisationen, z.B. der Vereinten Nationen, der G-20 und anderer Foren“ die NATO-Linie zu konsultieren, damit sie auf Herausforderungen in Übereinstimmung mit der NATO-Politik reagieren.

Um völlige Einheit zu erreichen, wird in dem Bericht vorgeschlagen, daß sich die Außen- und Verteidigungsminister der Allianz öfter treffen und daß die NATO sich direkt mit der EU koordiniert, über die Regierungen der souveränen Nationalstaaten hinweg. Dazu soll ein institutioneller Kanal für den politischen Austausch zwischen dem internationalen Stab der NATO und dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) – dem diplomatischen Dienst der EU – geschaffen werden.

In der Ära des französischen Präsidenten Charles de Gaulle und unmittelbar danach wurde jeder Versuch einer dieser beiden Organisationen, über Brüssel personelle oder organisatorische Verbindungen herzustellen, rigoros blockiert, weil man befürchtete, daß sie ihre Kräfte bündeln und in die Souveränität der EU-Mitgliedstaaten eingreifen würden.

Unter dem Vorwand, schneller auf akute Bedrohungen reagieren zu können, schlägt NATO 2030 vor, die geltende Einstimmigkeitsregel für Entscheidungen im Nordatlantikrat (dem einzigen politischen Entscheidungsgremium der NATO, das aus allen Ständigen Vertretern besteht) abzuschaffen. Bestimmte Zuständigkeiten sollen an den Generalsekretär delegiert werden, damit er „Entscheidungen über Routineangelegenheiten treffen und schwierige Themen frühzeitig an die Öffentlichkeit bringen kann“. Es wird sogar vorgeschlagen, daß die NATO „die Bildung von Koalitionen innerhalb der bestehenden Bündnisstrukturen unterstützt“, damit der Generalsekretär auch neue
Operationen beginnen kann, denen nicht alle Bündnispartner zustimmen.

Globale Vorherrschaft

Schließlich kündigt der Bericht die weltweite Expansion der NATO an, obwohl ihre eigenen Statuten sie auf den Nordatlantik beschränken. Die NATO müsse ihre „Politik der offenen Tür“ beibehalten, heißt es in dem Bericht, und es werden die Länder aufgelistet, bei denen die NATO sich um Partnerschaften oder Mitgliedschaften bemüht: Schweden und Finnland im Norden; Georgien, die Ukraine und Bosnien-Herzegowina im Osten; Tunesien und Jordanien im Mittelmeerraum. In Afrika fordert NATO 2030 Zusammenarbeit mit der EU, der Afrikanischen Union, der G5 der Sahelzone (Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad) und anderen regionalen Organisationen, um den „wachsenden asymmetrischen Bedrohungen“ durch Rußland und China zu begegnen. Ein weiteres Ziel ist die indopazifische Region, wo engere Partnerschaften mit Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea in bestehenden Organisationen geplant sind: NATO+4, NATO-Pazifik-Partnerschaft und NATO-Quad-Dialog. Mit Indien wird die
NATO bald „interne Diskussionen über eine mögliche zukünftige Partnerschaft beginnen“.

Diese Partnerschaften werden jedoch nicht wie die der Vergangenheit sein, betonen die Autoren: „Partnerschaft kann kein Ersatz für die Mitgliedschaft sein, die allein den Vorteil von Artikel 5 mit sich bringt" (der Beistandsartikel, dem zufolge ein Angriff auf einen NATO-Staat ein Angriff auf alle ist). Ohne die Unterscheidung zwischen Partnerschaften und Mitgliedschaften aufzuheben, kündigt NATO 2030 dennoch an, man werde „Partnerschaften in einer bewußteren und proaktiveren Weise entwickeln, um das Sicherheitsumfeld aktiv zu gestalten und die Ziele der NATO zur Unterstützung ihrer Kernaufgaben und -missionen zu fördern“.

Widerstand in Frankreich

Die Auswirkungen dieser Reform sind so gravierend, daß in Frankreich der Cercle de Réflexion Interarmées (CRI), eine unabhängige Gruppe hochrangiger pensionierter Offiziere der drei Waffengattungen, im März in der großen Zeitschrift Capital einen vernichtenden Bericht veröffentlichte. Darin wird die vorgeschlagene Reform verworfen, weil sie die nationale Souveränität verletzt, die NATO-Struktur globalisiert, und vor allem versucht, Europa in einen möglichen Krieg der USA gegen Rußland und China hineinzutreiben.

Am 28. Mai griff das französische Verteidigungsministerium NATO 2030 ebenfalls wegen der Verletzung der Souveränität an. Es teilte den Medien mit, Frankreichs Antwort auf einen von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Umlauf gebrachten Vorschlag zur Erhöhung der NATO-Ausgaben um 20 Mrd. Euro auf der Grundlage des NATO 2030-Berichts laute: „Nein, danke.“ Im Verteidigungsministerium war man erbost, weil man nur aus den Medien von dem Vorschlag erfuhr, und fragte, ob die NATO nun die Auflösung der nationalen Souveränität aller Mitgliedsstaaten fordere? Zudem könne Frankreich nicht seine eigene Verteidigung modernisieren und gleichzeitig solche Kosten für die NATO aufbringen. Präsident Emmanuel Macron sagte, er werde mehr Erklärungen von der NATO verlangen.

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