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Omikron und kein Ende der Pandemie

Der folgende Bericht über die neue Omikron-Variante ist eine Momentaufnahme in einer sich nichtlinear entwickelnden Pandemiesituation.

Von Dr. Wolfgang Lillge

Was die Covid-Pandemie angeht, beginnt in Deutschland das neue Jahr, wie das alte aufhörte: Planlosigkeit und Unentschlossenheit bei der Bekämpfung des Virus setzen sich auch in der neuen Bundesregierung nahtlos fort. Es ist zwar noch nicht genau abzusehen, wie sich die rasante Ausbreitung der Omikron-Variante auswirken wird, aber das entschuldigt nicht die Unentschlossenheit, wirklich effektive Maßnahmen zu ergreifen, um die Menschen vor weiteren gesundheitlichen und wirtschaftlichen Schäden zu bewahren.

Tatsächlich halten die gravierenden Fehler der Regierung im Umgang mit Covid seit Beginn der Pandemie bis heute an. Erst erklärte Gesundheitsminister Spahn Anfang 2020, daß das Virus nie zu uns kommen werde, dann wurden viel zu spät Masken und Schutzkleidung bestellt, und im Herbst 2021, als die Fallzahlen noch niedrig waren, Virologen allerdings vor einer neuen Welle im Winter warnten, wurde die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ abgeschafft, wodurch eine einheitliche nationale Bekämpfung der Pandemie unmöglich wurde.

Dieses Versagen der Politik hat zu dem jetzigen massiven Vertrauensverlust in der Bevölkerung in die staatlichen Corona-Maßnahmen beigetragen, ein Zustand, der nur schwer zu beheben sein wird. Ziel der Politik sollte eigentlich ein Null-Covid-Zustand sein, doch stattdessen wird darüber diskutiert, die Quarantänezeiten für Beschäftigte in der kritischen Infrastruktur zu senken, ein Beschluß, der gerade bei Omikron große Risiken hat und letztlich nur den „Märkten“ oder dem Finanzsektor nutzt.

Was ist anders bei Omikron?

Gerade am Anfang einer noch unklaren Lage mit der hochansteckenden Omikron-Variante sollten alle Maßnahmen sich an einem möglichst vollständigen Schutz der Bevölkerung orientieren, was vor allem heißt, die rasante Ausbreitung der neuen Variante auf der ganzen Welt zu berücksichtigen. Nach ihrem ersten Auftreten in Südafrika Ende November 2021 hat sich die Omikron-Variante in Windeseile fast in allen Ländern verbreitet. Inzwischen werden täglich neue Rekordzahlen bestätigter Covidinfektionen gemeldet: Derzeit weltweit täglich über 2,4 Mio., allein in den USA über eine Million, wobei die Omikron-Variante der Haupttreiber ist. Auch in der Schweiz, den Niederlanden, Griechenland und Italien ist die Omikron-Variante dominant.

In Deutschland hat die Verbreitung von Omikron etwas verspätet und langsamer eingesetzt – selbst nach offizieller Darstellung eher ein Effekt der geringee Testungen und verzögerten Datenübermittlung während der Feiertage. Inzwischen verdreifachen sich aber die Fälle jede Woche.

Tatsächlich steht mittlerweile fest, daß Omikron deutlich ansteckender, wenn eventuell auch nicht ganz so aggressiv ist wie die bisherige Delta-Variante. Ein Blick auf jüngste Forschungsergebnisse gibt weitere Aufschlüsse.

„Omikron zeichnet sich durch eine stark gesteigerte Übertragbarkeit und ein Unterlaufen eines bestehenden Immunschutzes aus“, urteilte der Corona-Expertenrat der Bundesregierung bereits am 19. Dezember. Es müßten deshalb auch Geimpfte und Genesene damit rechnen, weniger vor Ansteckung und Erkrankung geschützt zu sein. Nach Berechnungen des Bioinformatikers Moritz Gerstung verbreitet sich Omikron drei- bis viermal schneller als die Delta-Variante. Delta habe ungefähr drei Monate gebraucht, um zur dominanten Variante zu werden, bei Omikron werde dies in einem Monat erreicht sein. Omikron könnte sich derart schnell ausbreiten, daß in Grafiken „keine Welle, sondern eine Wand“ zu sehen ist.

Aus Südafrika, wo Omikron im November erstmals auftauchte, wurden zunächst mildere Krankheitsverläufe gemeldet. Allerdings ist die Situation in Südafrika mit der in Deutschland kaum zu vergleichen, da sich dort überwiegend junge Menschen infizieren, die teilweise schon mehrfach mit Covid in Kontakt gekommen sind. Die deutsche Bevölkerung ist im Durchschnitt deutlich älter, und für Menschen ohne Immunschutz könnte es durchaus ähnliche Krankheitsverläufe wie bei Delta geben. Nach Daten des Imperial College ist es in England bei Omikron zu ähnlich häufigen Krankenhausaufenthalten gekommen wie bei Delta.

Alarmierend ist zugleich, daß die Omikron-Variante von neutralisierenden Antikörpern, die nach einer Impfung oder einer durchgemachten Infektion entstanden sind, kaum erkannt wird. Das betrifft auch Impfungen mit Vakzinen wie denen von Johnson & Johnson, dem russischen Sputnik V und auch dem chinesischen CoronaVac; Impfungen mit den mRNA-Vakzinen sind weniger betroffen. Auch Antikörper, die klinisch zur Behandlung gegeben werden, sind bei der Omikron-Variante zumeist wirkungslos. Ausnahme scheint die Antikörper-Therapie mit Sotrovimab zu sein, das einen anderen Angriffspunkt am Coronavirus hat. Der Grund für diese Schwäche der neutralisierenden Antikörper ist wohl die außergewöhnlich hohe Mutationsdichte im viralen Spike-Protein (S-Protein). Dadurch scheint das Virus in der Lage zu sein, sich der Sofortabwehr durch Antikörper effizient zu entziehen.

Ein weiterer potentiell bedenklicher Befund ist, daß Omikron anders als die bisherigen Covid-Virustypen offenbar in der Lage ist, Mäuse zu infizieren. Dies könnte dem Virus ein breites Reservoir in der Tierwelt eröffnen, wo sich die Viren weiter verändern und wieder auf den Menschen zurückspringen könnten.

Wir sind dennoch nicht ganz ohne Schutz, denn offensichtlich ist die T-Zell-Antwort des Körpers gegen Omikron noch weitgehend intakt. Nach einer Studie der Cape Town University bleibt bei Omikron rund 70 % der Schutzwirkung durch T- und B-Zellen (die zelluläre Immunantwort – so etwas wie der zweite Schutzwall) verglichen mit der Delta-Variante erhalten. Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek beschrieb kürzlich im Deutschlandfunk die Immunreaktion mit dem Bild einer belagerten Stadt im Mittelalter: Die Antikörper sind demnach die Stadtmauer, B- und T-Zellen sind die Fußsoldaten, die alle Eindringlinge ausschalten, die über die Stadtmauer gelangen. Während die Stadtmauer von Omikron leichter überschritten wird als von Delta, sind die T-Zellen weiter relativ wirksam.

Der Umstand, daß die Omikron-Variante leichtere Krankheitsverläufe auslöst, liegt nach letzten Erkentnissen daran, daß sie die Lunge weniger in Mitleidenschaft zieht als die Delta-Variante, aber eine Entwarnung ist dennoch keinesfalls angebracht, denn erste Berichte über den Krankheitsverlauf bei Omikron müssen nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation WHO „mit Vorsicht betrachtet werden.“ Es werde zu „einer großen Zahl von Klinikeinweisungen“ kommen, was einfach die Folge der zu erwartenden Masse an Infektionen sei, sagte Catherine Smallwood von der WHO-Europadirektion am 28. Dezember. Vor allem Ungeimpfte werden betroffen sein. Bei den bisher in Europa beobachteten Fällen handele es sich vor allem „um junge Leute mit guter Gesundheit in Ländern mit einer hohen Impfquote... und wir kennen noch nicht die Auswirkungen von Omikron bei den besonders gefährdeten Gruppen: ältere Menschen, die noch nicht vollständig geimpft sind.“

Ein weiteres praktisches Problem der Omikron-Variante ist zudem, daß die gängigen Antigentests (Schnelltests) eine Infektion nicht so gut erkennen wie bei früheren Varianten. Erste Daten deuten darauf hin, daß Antigentests die Omikron-Variante zwar erkennen, aber wohl eine geringere Empfindlichkeit aufweisen. Ein Schnelltest ist deswegen zwar nicht sinnlos, ist aber eventuell weniger zuverlässig und sollte deutlich häufiger erfolgen und mit einem PCR-Test abgesichert werden.

Mangel überall

Ein kritischer Engpaß bei der Bekämpfung der Covid-Pandemie in Deutschland ist der nach wie vor beklagenswerte Zustand des öffentlichen Gesundheitswesens. Die Ärzte in den Krankenhäusern können sich noch so sehr abmühen und mit intensivmedizinischen Maßnahmen viele schwerkranke Covid-Patienten retten, aber das wird eine Sisyphos-Arbeit bleiben, solange einer der Hauptpfeiler der Seuchenbekämpfung, die Kontaktnachverfolgung, versagt. Selbst nach zwei Jahren Covid ist es in Deutschland nicht gelungen, die lange kaputtgesparten Gesundheitsämter wieder so aufzustellen, daß sie ihrer Aufgabe gerecht werden können. Eine flächendeckende Kontaktnachverfolgung, wie sie in China seit Ausbruch von Covid praktiziert wird, scheitert bei uns an Personalmangel, schlechter Bezahlung der Mitarbeiter und einer digitalen Ausrüstung, die noch im analogen Zeitalter stecken geblieben ist.

Im Gegensatz dazu hat China nach dem Auftauchen von Omikron seine Null-Covid-Politik noch einmal bekräftigt: Jeder positiv Getestete wird sofort isoliert und eine systematische Nachverfolgung in Gang gesetzt, wobei keine Rücksicht genommen wird auf wirtschaftliche Nachteile, Unterbrechung von Lieferketten, Handelseinbußen o.ä.  Anders als bei uns, wo wir lernen sollen, „mit dem Virus zu leben“, verfolgt China das Ziel, das Virus insgesamt auszurotten.

Ein ähnliches Problem wie bei den Gesundheitsämtern herrscht bei uns auch in vielen Kliniken, die seit Jahrzehnten finanziell am Limit arbeiten. Aktuell sind in den Krankenhäuser in Deutschland etwa 6300 betreibbare Intensivbetten weniger verfügbar als noch vor einem Jahr. Sollten in kurzer Zeit wieder viele Covid-Patienten behandelt werden müssen, würde schnell ein kritischer Engpaß entstehen. Unmittelbar müssen deshalb bereits dringend erforderliche Operationen verschoben, und nur jedes dritte deutsche Krankenhaus kann derzeit weitere Krebspatienten aufnehmen, die nach einer Operation oft intensivmedizinische Nachsorge benötigen. So wird eine „Welle von zu spät Operierten“ vor sich hergeschoben, deren Folgen sich noch gar nicht abschätzen lassen.

Fast zwangsläufig ist in diesem Zusammenhang auch die Diskussion um Triage wieder aufgekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat nach einer Klage von Behinderten den Gesetzgeber aufgefordert, gesetzlich zu regeln, daß Behinderte im Fall einer Triage gleichberechtigt behandelt werden. Nach eindeutigen Stellungnahmen von Ärzteverbänden, eine solche Gleichbehandlung sei in den ärztlichen Empfehlungen für Intensivstationen bereits seit langem verankert, hätte das Verfassungsgericht besser einen anderen Schwerpunkt setzen sollen, daß nämlich das Gesundheitswesen insgesamt finanziell und personell saniert und so ausgebaut wird, daß es überhaupt nicht zu dramatischen Triage-Entscheidungen kommt.

Das gleiche ist für die gesamte Welt erforderlich. Nur wenn in allen Ländern ein modernes Gesundheitssystem eingerichtet wird, können wir vor Omikron und auch zukünftigen Pandemien sicher sein.

Wolfgang Lillge ist Landesvorsitzender des BüSo-Landesverbands Berlin

Mehr zum Thema u.a. hier:

https://www.bueso.de/wettlauf-zeit-vakzine-fuer-alle-nationen

https://www.bueso.de/offener-brief-covid-19-global-bekaempfen