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Das Scheitern der "amerikanischen Revolution" in Frankreich

von Pierre Beaudry

Teil I: Warum Frankreich 1789 eine "republikanische Monarchie" werden sollte

Während sich die Vereinigten Staaten von Amerika 1789 mit ihrer Verfassung als erste wirkliche Republik der Geschichte konstituierten, vereitelte der "Sturm auf die Bastille" am 14. Juli desselben Jahres die Versuche des "französischen Benjamin Franklin" Jean Sylvain Bailly und seiner Mitstreiter, Frankreich im Rahmen einer konstitutionellen Monarchie in eine Republik nach amerikanischem Vorbild zu verwandeln.

Der Sturm auf die Bastille 1789 war, das zeigen wichtige Dokumente und Quellen aus jener Zeit, ein konterrevolutionärer Staatsstreich.[# Siehe auch Pierre Baudry, "Jean Silvain Bailly: The French Revolution's Benjamin Franklin", EIR, Vol. 28, Nr. 4, 26. Januar 2001 und die dt. Kurzfassung in Neue Solidarität Nr. 25, 2003.] Zuvor war durch gezielte britische Machenschaften in der Stadt Paris eine große Hungersnot herbeigeführt worden. Gesteuert wurde der Staatsstreich von Finanzminister Jacques Necker, vom Herzog von Orleans - Louis "Philippe Egalité" - sowie von Lord Shelburne und Jeremy Bentham, den Hintermännern Marats, Dantons und Robespierres beim britischen Geheimdienst.

Durch den provozierten Hungeraufstand sollten der König und die Regierung gestürzt, die Nationalversammlung entmachtet und ein neuer Jakobinerkönig, "Philippe Egalité", mit Jacques Necker als Premierminister, eingesetzt werden. Offenbar strebte man dabei eine französische Version der britischen parlamentarischen Monarchie an.

Dies belegen die Schriften von Felix Louis Montjoie[# C.F.L. Montjoie, "Histoire de la Conjuration de Louis-Philippe-Joseph D'Orléans, surnommée Egalité", (Paris, 1796), Band I, S. ij-iij.], der die Französische Revolution aus eigener Anschauung beschrieben hat, sowie die Geheimdepeschen des Botschafters des venezianischen Dogen in Paris, Antonio Capellos. Diese Dokumente zeigen, daß die britisch geprägten Darstellungen der französischen Revolution und der Umstände des Bastille-Putsches nach Strich und Faden erlogen sind. Zudem enthüllen sie den verächtlichen Charakter des Herzogs von Orléans und die verräterischen Intrigen, mit denen er und seine britischen Partner das "amerikanische" Prinzip der französischen Revolution bekämpften.

Ein offenes Geheimnis

Montjoie schreibt im Vorwort seiner 1796 veröffentlichten Histoire de la Conjuration de Louis-Philippe d'Orléans, surnommé Egalité ("Geschichte der Verschwörung des Louis-Philippe von Orléans, genannt 'Gleichheit'"):

Nie hat es eine seltsamere Verschwörung gegeben, die mehr Irrtümer, Tumulte, Plünderungen, Morde und Elend aller Art heraufbeschworen hat als die, deren Geschichte ich nun beschreiben möchte. Aus dieser Unmenge furchtbaren Irrsinns, abscheulicher Verbrechen und Unfälle muß sich jedoch eine Lehre ziehen lassen, die, wenn sie recht verstanden wird, die Zukunft der Nationen weiser und glücklicher gestalten sollte. Schon allein deshalb verdient kein anderes Werk, mit größerem Interesse von jedermann gelesen zu werden und vor allem denen Stoff zum Nachdenken zu liefern, die zu Ämtern herangezogen werden oder ein Volk regieren sollen ... Einer muß den Mut haben, künftigen Generationen den Wahnsinn und die Verbrechen der gegenwärtigen Generation zu beschreiben. Weh denen, die an diesen Untaten beteiligt waren; sollte aber die Aufdeckung solcher Mittäterschaft fehlerhaft sein, dann liegt der Fehler in der Geschichte und nicht beim Geschichtsschreiber, denn sollte ich etwas ausgelassen haben, möge ein anderer die Gelegenheit wahrnehmen, darauf hinzuweisen.  Historische Wahrheiten werden oft nicht akzeptiert, weil sie mit Überzeugungen in Konflikt geraten, die auf weit verbreiteten, aber falschen Grundannahmen der öffentlichen Meinung beruhen. Die französische Revolution ist ein Paradebeispiel für ein historisches Ereignis, das zum Zwecke der Irreführung der öffentlichen Meinung falsch und verdreht dargestellt worden ist. Der Jakobineraufstand der französischen Revolution, der letztendlich mit dem Staatsstreich am Tag der Bastille begann, war nicht nur unnötig, er enthielt auch bereits im Keim den napoleonischen Faschismus, der für die französische Nation ebenso schädlich werden sollte wie für die übrige Welt. Man hätte die Jakobiner damals mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln aufhalten müssen.

Der Mythos von der "Erstürmung der Bastille" wurde nie korrigiert, weil unterschlagen werden sollte, daß die landesweite Hungersnot, die dann mit zur Sturm auf die Bastille führten, bewußt herbeigeführt wurde - obwohl dies den an diesem Zeitgeschehen beteiligten Hauptpersonen sehr wohl bekannt war. Montjoies Enthüllungen haben seit ihrer Veröffentlichung im Jahre 1796 in der Pariser Nationalbibliothek gelegen und wurden von der französischen Bildungsschicht ignoriert.

Im folgenden soll gezeigt werden, daß der Bastillesturm vom 14. Juli 1789 ein ebenso ungesetzlicher Kleinkriegsakt wie der Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 oder die Anschläge des 11. September 2001 war. Die verheerenden Wirkungen dieser drei Ereignisse sind im Grunde sehr ähnlich. Ihr Zweck war es jeweils, der Bevölkerung durch die Bedingungen des Kleinkriegs Notmaßnahmen aufzuzwingen.

Im größeren strategischen Rahmen zielte der Sturm auf die Bastille darauf ab, die "amerikanische Revolution" in Frankreich, die Bailly und Lafayette bereits weit vorangetrieben hatten, dadurch rückgängig zu machen, daß den positiven Umwälzungen ein parlamentarisches Systems nach britischem Muster übergestülpt wurde - just in dem Moment, als die Vereinigten Staaten von Amerika die Annahme ihrer Verfassung feierten. Bailly selbst endete 1792 als Opfer der "Schreckensherrschaft" unter der Guillotine. Ein Erfolg seiner Politik hätte dem Jakobinerterror schon im Vorfeld die Grundlage entzogen - so, wie heute Lyndon LaRouches Politik eines Neuen Bretton Woods den Terroraktionen der heutigen Jakobiner gegen die Politik des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank die Grundlage entzöge. So, wie Danton, Marat und Robespierre von "Philipp Egalité" unterstützt wurden, werden ihre heutigen Imitatoren von modernen "Philippe Egalités", wie dem britischen Finanzier Teddy Goldsmith, unterstützt.[# Über Goldsmith siehe "Teddy Goldsmith: The 'Jeremy Bentham' Behind New Terrorism", EIR, Vol. 28, Nr. 28, 4. August 2001.]

Das französische Paradox

Schon drei Jahre vor der Einberufung der Generalstände, am 29. Dezember 1786, sagte Jean Sylvain Bailly während eines Banketts im Hause des Marschall de Beauvais die Bildung einer Nationalversammlung voraus und legte zugleich seine Sicht einer Lösung der sich abzeichnenden Zusammenbruchskrise der Nation dar[# Alle Zitate Baillys, soweit nicht anders vermerkt, stammen aus: "Mémoires de Bailly", MM. Berville et Barrière (ed.) (Baudouin Frères, Imprimeurs-Libraires, Paris, 1821).]. Bailly schilderte später, wie verblüfft er gewesen sei, als er dann von der Einberufung einer Versammlung der Notabeln hörte:

 Ich hatte eine große Entscheidung vorhergesagt, eine Veränderung in den Staatsangelegenheiten und sogar in der Regierungsform. Ich habe nicht den Ablauf der Revolution vorhergesagt, und ich glaube auch nicht, daß irgend jemand sie hätte vorhersagen können; aber der jämmerliche Zustand der Finanzen reichte aus, meine Hypothese zu stützen. Der Finanzbedarf verursachte die Schwäche und Abhängigkeit der Regierung. Die Regierten hatten damals einen immensen Vorteil, so daß ich annahm, wir würden weise genug sein, ihn zu nutzen. Diese Versammlung von 150 Bürgern aller Klassen, einschließlich der Vornehmsten, die nun für die bedeutendsten Aufgaben des Staates verantwortlich war, konnte sich nicht die Gelegenheit einer allumfassenden Reform entgehen lassen. Diese Versammlung war ein Spiegel der Nation; sie war eine Gruppe von Bürgern, die weniger die Staatsangelegenheiten bedachte als ihre persönlichen Interessen. Aber in den vergangenen Jahren hatten die besten Geister ihre Aufmerksamkeit der politischen Ökonomie zugewandt, und die zur Beratung über die Verwaltung des Königreichs zusammengetretene Versammlung mußte natürlich alle Köpfe in dieser Frage vereinigen und sie der Nation vorlegen. Denn wenn man nach einem langen Schlummer oder besser gesagt nach langer Abwesenheit erkennt, daß unsere Angelegenheiten ziemlich zerrüttet gewesen sind, ist es schwer, zu vergessen, daß es unser Recht ist, sie wieder in Ordnung zu bringen. Ich hatte also keine Revolution vorhergesagt, sondern, ohne den spezifischen Charakter zu bestimmen, eine Veränderung zum Wohle der Nation. Wenn jemand im Jahrhundert der Aufklärung die Vernunft zu Hilfe ruft, dann muß sich die Vernunft letztlich auch durchsetzen.  In vielen seiner Gedanken über das Wesen der Nationalversammlung wandte sich Bailly der Idee des Privilegs zu: Sie besagt, daß die Privilegien einer willkürlichen Aristokratie durch den Adel der Seele ersetzt werden mußten - also durch das Privileg, der Nation als ihr Repräsentant zu dienen. Bailly mißt diese qualitative Veränderung der Macht der Vernunft zu - genauer gesagt: der Leibnizschen Form des Prinzips der Vernunft, wie Leibniz es bei der Entdeckung der Differentialrechnung explizit formulierte. Die Entdeckung dieses Prinzips galt auch für die Wiederherstellung der Nation, wie Bailly sie anstrebte - nicht als eine Revolution, sondern als eine große Veränderung, eine Wiedergeburt der Nation:

Diese Versammlung, ein unendlich kleiner Teil der Nation, empfand nichtsdestoweniger die Macht und die Rechte des Ganzen: Sie verleugnete nicht die Tatsache, daß sie sich selbst aufgrund dieser Rechte und dieser Macht eine Autorität aneignete, wie sie durch den Willen der einzelnen, einen allgemeinen Willen zu formulieren, zustande kommen konnte.

Mehr noch, Bailly erkannte auch, daß die Bildung der Versammlung nicht endlos aufgeschoben werden konnte. Man mußte schnell handeln, und viele Schwierigkeiten mußten aus dem Weg geräumt werden - nicht zuletzt auch aus Sorge um das eigene Leben während dieser Entwicklungen. Bailly schreibt:

Die Versammlung eilte, sich zu konstituieren. Uns wurde gesagt, daß die Regierung nicht glücklich über die Entschlossenheit, welche die Bürger zur Schau gestellt hatten, und über die Befürchtung sei, daß sie weit über das hinaus gehen würden, was man von den Generalständen bis dahin gewohnt war ... Als juristische Vertreter wenigstens der Mehrheit der Bürger des Königreichs hatte eine solche Versammlung eine große Macht, da sie zu jeder Verteidigungsmaßnahme fähig war, denn sie konnte sich sicher sein, daß man ihre Befehle auch befolgen würde.

Baillys Idee der Legitimität der Nationalversammlung umfaßte auch die Idee der Legitimität der Rechte des Königs. Von Anfang an war die Versammlung darin übereingekommen, daß die "Wiedergeburt der Nation in Übereinstimmung mit Seiner Majestät erfolgen würde" - dies ist, wie Bailly sich ausdrückt, das französische Paradox:

Ich muß dieser Versammlung Gerechtigkeit widerfahren lassen: In ihren Erlassen und den Äußerungen ihrer Macht machte sie sich vom ersten Augenblick die weisen Prinzipien zu eigen, die sich in den schönsten Momenten der Nationalversammlung zeigten - stark genug, in der Zeit ihrer größten Macht als Nationalversammlung zu denken, aber auch in ihrem Mut gemäßigt genug, nicht über ihr Ziel hinauszuschießen. Die Versammlung erklärte also, sie werde die Aufgabe der nationalen Wiedergeburt in Übereinstimmung mit Seiner Majestät erfüllen; sie dachte nicht daran, dem König bei der Wiedergewinnung ihrer eigenen Rechte seine Rechte zu nehmen. Der Monarch hatte diese Macht eine lange Zeit gehabt; es war zwar eine widerrechtliche Besitznahme, aber sie war durch Umstände, Notwendigkeit und den Lauf der Zeit zustande gekommen und hatte sozusagen eine Aura der Rechtmäßigkeit erhalten. In einer Monarchie kann der Fürst seine gesetzgeberische Macht jedoch nur als Repräsentant des Volkes ausüben oder mißbrauchen - eine Qualität, die ihm niemand nehmen kann; er hatte das Recht, zum Parlament zu kandidieren, und als die Nationalversammlung ihm das aufschiebende Veto übertrug und ihn zum althergebrachten Vertreter der Nation erklärte, entwickelte es jene Ideen, deren Prinzipien in den Entscheidungen von heute verkörpert sind.[# Bailly, op. cit., Band I, S. 20. Bailly selbst macht eine interessante Bemerkung über den paradoxen Begriff der republikanischen Monarchie. Unter dem 28. Mai 1789 findet sich in seinen Mémoires der Eintrag: "Heute begannen wir, die Hauptgrundlagen der Verfassung und die Grundlage einer monarchischen Regierung zu diskutieren. Auf den Einwand, daß das Wort Monarchie unterschiedlich verstanden werde und verschiedene Dinge bezeichnen könnte, schlug M. de Wimpffen, der hierüber geschrieben hatte, den Ausdruck königliche Demokratie vor. Es ist bemerkenswert, daß die Verbindung dieser beiden Wörter als bizarr empfunden wurde; aber da wir noch nicht wußten, wohin uns die ganze Sache führen würde, schien es mir, daß das Ergebnis der Verfassung eine königliche Demokratie oder eine demokratische Monarchie wäre." Band II, S. 314.]

Dies ist ein entscheidender Wendepunkt in der französischen Geschichte: die Begründung einer paradoxen monarchischen Republik im Juni 1789. Die konstitutionelle Monarchie war die notwendige und vernünftige Regierungsform, die den nächsten Schritt zu einer wahren Republik ohne Blutvergießen ermöglicht hätte. Bis dahin war Frankreich von einer absoluten Monarchie regiert worden. Die konstitutionelle Monarchie begrenzte die Macht des Königs durch eine Vertretung der Nation im Rahmen einer Verfassung. Dies war jedoch der schwierigste Schritt in der Geschichte Frankreich, denn nur sehr wenige verstanden, daß dies eine wesentliche Änderung der Axiome bedeutete. Bailly erkannte, daß allein eine repräsentative Regierung dazu legitimiert war, im Sinne einer "Regierung des Volkes für das Volk und durch das Volk" zu herrschen.

Die Alternative war eine parlamentarische Monarchie britischen Stils, wobei der Adel seine Privilegien behält - wie es das Beispiel des Oberhauses in England zeigt. Danach strebten Necker und Orléans. Das Problem brannte so auf den Nägeln, daß jede andere Regierungsform außer einer konstitutionellen Monarchie eine widerrechtliche Usurpation der Macht gewesen wäre. Das meinte Bailly mit der "nationalen Wiedergeburt", in der die Repräsentanten dem Volk dienten, anstatt es zu beherrschen. Bailly bezeichnet in diesem Sinne die Entscheidung der Nationalversammlung am 17. Juni 1789, in der der Adel freiwillig auf seine Privilegien verzichtete, als "epochal" - mit diesem Beschluß wurde das "Privileg" des Adels, dem Königreich zu schaden, in das edle Privileg umgewandelt, dem Nationalstaat zu dienen:

 Heute wurde beschlossen, daß es die Nationalversammlung beabsichtigt und verfügt, daß sämtliche Steuererhebungen und Abgaben jeglicher Art, der die Versammlung nicht zuvor freiwillig zugestimmt hat, in allen Provinzen des Königreichs aufgehoben sind, in welcher Form sie auch erhoben werden ... Weiterhin erklärt die Versammlung, in Übereinstimmung mit Seiner Majestät, daß sie, sobald die Prinzipien der Wiederherstellung der Nation beschlossen sind, sich der Überprüfung und Konsolidierung der öffentlichen Schulden annehmen wird ...

Schließlich erkennt die Versammlung, indem sie ihre Arbeit aufnimmt, daß es ihre Pflicht ist, sogleich die Ursachen zu untersuchen, welche den Hunger in den Provinzen des Königreichs herbeigeführt haben, unter dem sie leiden, und Mittel zu ergreifen, diesen auf schnellstmögliche und wirksamste Weise zu lindern und abzustellen; und hat infolgedessen beschlossen, einen Ausschuß einzusetzen, der für diese wichtige Aufgabe zuständig ist, und Seine Majestät zu ersuchen, diesem Ausschuß alle notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen.

Die gegenwärtigen Beratungen sollten gedruckt und in alle Provinzen geschickt werden.

 Die Entscheidung, die Dekrete der Nationalversammlung zu veröffentlichen und sie sofort als Flugblätter allgemein verbreiten zu lassen, machte die Erklärungen nicht nur publik und für die ganze Nation bindend, sie spielte auch eine Rolle bei der Aufklärung der ungebildeten Volksmassen. Dies hatte eine ähnlich elektrisierende und erhebende Wirkung auf das Volk wie die öffentlichen Verordnungen Ludwig XI. im 15. Jahrhundert, durch die in Frankreich der ersten moderne souveräne Nationalstaat geschaffen wurde. Zu diesem Zweck versuchte Bailly, gleichzeitig zwei dringende Probleme zu lösen: Zum einen, um jeden Preis den Hunger und den finanziellen Ruin zu beheben, zum anderen, den Rechten der Versammlung und des Königs eine feste Form zu geben.

Aus diesem Grund zog die Versammlung zu ihren gesetzgeberischen Beratungen und Entscheidungen auch den Monarchen, Ludwig XVI., als Repräsentanten hinzu. Nach langen Debatten wurde der Plan des Verfassungsausschusses ohne Vorbehalte von den drei Ständen gebilligt. Die Nationalversammlung verfügte am 22. September 1789:

Die französische Regierung ist eine Monarchie. Es gibt keine höhere Autorität als dieses Gesetz. Der König regiert in Übereinstimmung mit ihm, und nur aufgrund dieses Gesetzes kann er Gehorsam verlangen. Kein Akt der Legislative kann als Gesetz anerkannt werden, wenn er nicht von den frei und rechtmäßig gewählten Repräsentanten der Nation verabschiedet und vom Monarchen bestätigt wurde.[# Bailly, op. cit., Band I, S. 6.]

 Indem die Monarchie in den verfassungsmäßigen Rahmen der repräsentativen Vertretung der Nation integriert wurde, garantierte die Nationalversammlung, daß der König nur innerhalb dieses neuen Gesetzes Gehorsam verlangen konnte. Seine Macht war nun nicht mehr absolut, seine Handlungsfreiheit vom Willen der Nation eingeschränkt.

Das Problem der Schulden

Zwischen 1783 und 1789 war die britische Freihandelspolitik in Frankreich eingeführt worden und hatte seine Wirtschaft ruiniert. Die Staatskasse war leer, und die Anhänger des Herzogs von Orléans verbreiteten das Gerücht, daß das Königreich bald seinen Bankrott erklären müßte. Das konnte nicht überraschen, wenn der reichste Fürst Europas - der Herzog von Orléans - weniger als 40 000 Pfund Steuern jährlich abführte. Im Juni 1789 erkannte Bailly, daß die öffentliche Verschuldung das dringendste Problem war, das gelöst werden mußte. Er schrieb:

"Auch wenn die öffentliche Verschuldung die Menschen nicht direkt interessierte, hätte ein drohender Bankrott eine allgemeine Vernichtung der Vermögen herbei geführt, die das gesamte Königreich erschüttert hätte. Es war also notwendig, alle Befürchtungen in dieser Hinsicht zu verscheuchen und den öffentlichen Kredit zu sichern."  Die Konsolidierung der Schulden war nicht nur ein formeller Akt der Gerechtigkeit zur Förderung des Gemeinwohls, sondern eine Frage der Ehre und Legitimität, die die Nationalversammlung niemand anderem überlassen konnte. Sie war ein entscheidender Test für die neue Versammlung. Bailly bereitete die Versammlung darauf vor, eine ordentliche Reorganisation der öffentlichen Schulden anzuordnen; also eine Reorganisation wie bei einem heutigen Vergleichsverfahren, bei der illegitime Schulden gestrichen, aber die notwendigen nationalen Institutionen und Funktionen erhalten bleiben. Die Schwierigkeit dabei lag jedoch darin, daß die Versammlung sich dazu selbst eine Befugnis übertragen mußte, die bis dahin dem König vorbehalten war. Dieser Souveränitätsakt durfte darüber hinaus nicht als eine als Anmaßung eines königlichen Hoheitsrechts interpretierbar sein. Im Gegenteil: Die Nation war gereift und mußte legitimerweise ihre unveräußerlichen Rechte in Besitz nehmen.

Bailly selbst notiert, daß der Gebrauch solcher Wörter wie "die Versammlung bestimmt" oder "verfügt" usw. die Autorität einer "souveränen Sprache" ausdrückt, mit der die Nationalversammlung den Willen der Nation zu erklären begann. "Sie bestimmt durch ihre Verfassung, und sie verfügt durch ihre Staatsgewalt," kommentierte er.

Unterdessen war Finanzminister Jacques Necker in seiner unheiligen Allianz mit dem Herzog von Orléans bereit, die größtmögliche Verwirrung und Chaos zu stiften. Er beabsichtigte, 1) eine Hungersnot zu erzeugen und den Bankrott Frankreichs zu erklären, 2) die Nationalversammlung aufzulösen, 3) Paris zu militarisieren, den Jakobiner Philippe Egalité (den Herzog von Orléans) zum König zu krönen und 4) sich selbst zum Premierminister im Rahmen eines offen von ihm vertretenen parlamentarischen Systems britischen Stils aufzuschwingen. Zu diesem Zweck wurde der jakobinische Kult eingeführt und der Sturm auf die Bastille organisiert.

Warum man den König zur "Wiedergeburt der Nation" brauchte

Um diese Periode der französischen Geschichte und ihre Bedeutung für die heutige Weltpolitik zu verstehen, muß man hervorheben, daß die Französische Revolution nicht notwendig war. Alle Schulkinder Frankreichs sollten darüber belehrt werden, daß Ludwig XVI. den Prinzipien der amerikanischen Revolution zustimmte und ständig Wege suchte, dem französischen Volk seine Liebe zu zeigen. Aber mehr als einmal gewann seine tragische Furchtsamkeit die Oberhand über seinen Wunsch, seine Neigung zur amerikanischen Revolution zu demonstrieren und deren Wahrheit herauszustreichen. Ludwig XVI. war ein liebenswürdiger, aber schwacher König. Bailly sagt über ihn:

Despotismus konnte man nie im Charakter des Königs feststellen; er wünschte sich nichts mehr als das Glück seines Volkes, und damit alleine konnte man ihn verführen; und wann immer er zu autoritären Handlung gebracht wurde, so geschah dies, weil er entweder davon überzeugt war, daß damit etwas Gutes bewirkt oder damit ein Übel abgewendet würde, und es geschah mit der Absicht, das Leiden der Nation zu mildern, das Wohl des Reiches zu mehren und alle zufrieden zu stellen. Ich bin überzeugt, daß er seine Autorität und die Notwendigkeit, sie zu erhalten, nur als eine Vorsichtsmaßnahme und als Grundlage für Ruhe und inneren Frieden betrachtete. Da wir über die Gründe für die Wiedergeburt sprechen, so laßt uns sagen, ihr erster Grund lag im Charakter Ludwigs des XVI. selbst begründet. Dieser König hätte nicht mehr Güte zeigen können, als er tat, und wäre er von besseren Ministern beraten worden, dann hätte es keine Revolution gegeben.  Bailly wollte, daß Ludwig XVI. in die Fußstapfen seiner berühmten Vorgänger Ludwig XI. und Heinrich IV. trat. Als Bailly Bürgermeister von Paris wurde, überreichte er dem König die Schlüssel der Stadt mit den Worten: "Ich überbringe Eurer Majestät die Schlüssel Eurer guten Stadt Paris. Es sind die gleichen Schlüssel, die einst Heinrich IV. übergeben wurden, als er sein Volk zurück gewonnen hatte. Nun hat das Volk seinen König zurück gewonnen." Ständig suchte Bailly nach Wegen, den König für die Leibnizsche Idee des Allgemeinwohls zu gewinnen.

Als am bedeutungsvollen Tag des 17. Juni 1789 über den Antrag des Abbé Sieyes für die Anerkennung der Nationalversammlung abgestimmt wurde, waren 96 Prozent der Repräsentanten der Nation anwesend, von denen 491 für die Bildung einer Nationalversammlung stimmten und nur 90 dagegen. Ferner wurde verfügt:

Da nur die Repräsentanten, deren Befugnis festgestellt wurde, dem nationalen Willen zustimmen können, und da alle bestätigten Repräsentanten hier in der Versammlung anwesend sein müssen, muß daraus notwendigerweise auch geschlossen werden, daß es ihnen und nur ihnen obliegt, den allgemeinen Willen der Nation zu vertreten und zu interpretieren.

Bailly vermerkte, daß diese Feststellung, daß es nur der Nationalversammlung zusteht, den Willen der Nation zu vertreten, nicht leichtfertig erfolgte, sondern sich auf Vernunft gründete. (Im Gegensatz hierzu sollte sich der Leser daran erinnern, wie Napoleon sich 1804 die Befugnis der Nationalversammlung anmaßte und sich selbst zum Imperator Frankreichs krönte.) Darüber hinaus wird im gleichen Artikel festgestellt:

 Es kann kein Veto oder negative Macht zwischen dem Thron und der Versammlung geben. Die Versammlung erklärt deshalb, daß die gemeinsame Arbeit an der Wiederherstellung der Nation ohne Verzögerung von den anwesenden Deputierten begonnen werden kann und muß, und daß sie sie ohne Unterbrechung oder Behinderungen ausführen müssen.

Die Bezeichnung "Nationalversammlung" ist die einzige, die der Versammlung in der gegenwärtigen Lage angemessen ist, sowohl weil ihre Mitglieder die einzigen legitim und öffentlich anerkannten und bestätigten Repräsentanten sind, als auch, weil sie von fast der gesamten Bevölkerung dorthin entsandt wurden, und schließlich auch, weil die Repräsentation einzig und unteilbar ist und keiner der Deputierten, welchem Stand oder Klasse er auch angehören mag, das Recht hat, seine Aufgaben außerhalb der Versammlung zu erfüllen.[# Bailly, op. cit., Band I, S. 160.]

 So wurden die Generalstände unter dem übergeordneten Prinzip dieser einheitlichen nationalen Repräsentation, welches alle übrigen Prinzipien, welche die Souveränität des Nationalstaats betreffen, legitimiert und bestätigt, aufgelöst. Jede andere Regierungsform wäre eine Usurpation der Macht gewesen.

Teil II: Die Verschwörung des Philippe "Egalité"

1773 trat Louis Philippe Joseph d'Orléans den Freimaurern bei und wurde in ihre höchsten Mysterien eingeführt. Er verpfändete seine Ehre, überzeugt, daß er diese einflußreiche Gemeinschaft dazu benutzen konnte, das Ziel seines Ehrgeizes und seiner Rachsucht zu erreichen. Die Freimaurer wiederum wußten, daß er ihnen ganz ergeben war, und sie unterstützten sich gegenseitig bei der Manipulation der öffentlichen Meinung, womit der Staatsstreich der Bastille vorbereitet wurde. Unter der Ägide dieses Komplotts wurde der Jakobinerclub gegründet, der in der Zeit des Terrors die Vorherrschaft gewann.

Der Herzog von Orléans - auch bekannt als "Philippe Egalité", Herzog von Chartres, Nemours, Valois, der erste Großherzog von Montpensier und von Etampes, Graf von Beaujolais, Vermandois und Soissons - wurde stiftender Großmeister der Freimaurerloge des Großen Orients in Frankreich. Er war ein Nachkomme Philippes von Orléans (1640-1701), eines Bruder Ludwigs XIV., und hatte - falls Ludwig XVI. stürbe und dessen direkter Erbe, der Dauphin, ins Exil getrieben würde - ein Anrecht auf Frankreichs Thron. Er trachtete danach, Jakobiner-König zu werden, und dazu entwarf er den teuflischen Plan, eine allgemeine Hungersnot herbeizuführen, eine Revolte gegen die Nationalversammlung zu provozieren und den König zu ermorden.

Montjoie berichtet, daß die Freimaurerei zur Zeit Jakob II. (1685-88) aus England nach Frankreich kam, das damals von Ludwig XIV. regiert wurde, und anfing, innerhalb des Militärs zu rekrutieren. Nicht lange danach waren alle französischen Institutionen - einschließlich der Kirche - infiltriert. Montjoie berichtet, daß die Freimaurer, als sie der Überwachung durch die Polizei entgehen wollten, ihre Führung an den Grafen von Clermont, den Abbé des Saint Germain des Prés, abgaben, der die Nobilität auf seine Seite zog. "Als Graf Clermont starb, wurde Louis Philippe Joseph [D'Orléans] sein Nachfolger."[# Montjoie, op.cit., Band I, S. 52.]

Es ist interessant zu sehen, welchen Stellenwert die "Gleichheit" in den ruchlosen Machenschaften dieses blaublütigen Fürsten hatte. Die Loge von Toulouse war 1779 sehr streng in der Frage der Gleichheit. Sie bestimmte, daß "niemand sich unserer Loge anschließen oder von ihr aufgenommen werden kann, solange er nicht 25 Jahre alt, Adeliger oder Militär am souveränen Hof ist". Die Loge von Savoyen erklärte: "Gleichheit bedeutet gar nichts. Sie ist nur ein Wort." Wie Gerard Gayot, ein heutiger Freimaurerexperte der Universität Lille, schreibt, bestimmte der Große Orient von Frankreich während der französischen Revolution die Grenzen der Demokratie für seinen Orden folgendermaßen: "Niemand wird aufgenommen, der ein Mann elenden oder niedrigen Berufs ist, auch Künstler werden nur selten aufgenommen, selbst wenn sie sehr berühmt sind, insbesondere an Orten, wo Korporationen und Gemeinschaften noch nicht etabliert sind ... Niemals werden wir jemanden aufnehmen, der dem Kunsthandwerk angehört." Zugang zur Freimaurerei hatten nur hoch geborene, hoch angesehene und sehr reiche Individuen.[# La franc-Maçonnerie a-t-elle inventée la Révolution Française? Entretien avec Gérard Gayot. Re. La franc-Maçonnerie française. Textes et pratiques (XVIII et XIX siècles), Gallimard, Coll. "Archives", 1980. Zwei bedeutende Dokumente zur Rolle der Freimaurer in der Französischen Revolution veröffentlichten der Abbé Augustin Barruel, Mémoires pour servir à l'histoire du jacobinisme, S. Fauché, Hamburg, 1798, und der Abbé Jacques François Lefranc, Le voile levé pour les curieux ou les secrets de la Révolution révéles à l'aide de la franc-Maçonnerie, 1791. Dazu ist festzustellen, daß sich Bailly in den Jahren vor dem Sturm auf die Bastille der Freimaurerloge der Neun Schwestern (les Neuf Soeurs) angeschlossen hatte, die von Benjamin Franklin gegründet und für ihren Einsatz für die Sache der "Philosophie" bekannt wurde. Sie war der geheime Gegenpol zur Großen Orientloge des Herzogs von Orléans. Die Liste der Mitglieder der 1779 gegründeten "Neun Schwestern" ist beeindruckend: Bailly, Michel de Cubières, Nicolas Fallet, Joseph-Jérôme de Lalande, Abbé Cordier de Saint-Firmin, Pierre-Nicolas Le Changeux, Jean François Cailhava, Charles-Georges-Thomas Garnier, Chauvet, Evariste-Désiré Desforges de Parny, Court de Gébelin, Benjamin Franklin, Voltaire, Condorcet, Roucher und Guillotin. Spätere Verbündete Baillys waren Desmoulin, Chenier, Pétion und Sieyes. Meistens trafen sie sich auf dem Notre Dame d'Auteuil, wie Franklin Mme Helvetius' Anwesen nannte, berichtet Edwin Burrows Smith in Jean Sylvain Bailly, Astronomer, Mystic, Revolutionary, in: News Series, The American Philosophical Society, Band 44, Teil 4, 1954, S.467.] Soviel zur noblen Idee der Gleichheit.

Als der Herzog von Orléans in den höchsten Orden aufgenommen und in den 30. Grad eines "Ritters Kadosh" eingeführt wurde, mußte er sich, wie Montjoie berichtet, dem folgenden Ritual unterziehen:

Zunächst wurde er in einen dunklen Raum geführt, in dessen Hintergrund eine schwach beleuchtete Grotte dargestellt war, in der Knochen zur Schau gestellt waren und eine mit königlichen Ornamenten geschmückte Puppe stand; daneben befand sich eine doppelte Leiter.

Als Louis Philippe Joseph von fünf Brüdern hineingeführt war, wurde ihm geboten, sich wie tot auf den Boden zu legen, bevor ihm befohlen wurde, alle Grade, die er erreicht habe, aufzuzählen und alle bisherigen Schwüre zu wiederholen. Nach einer detaillierten Beschreibung dessen, was sein neuer Grad beinhalte, mußte er schwören, niemals etwas hiervon einem Malteserritter zu enthüllen. Nach dieser Zeremonie mußte er aufstehen, bis zur letzten Stufe der Leiter hochklettern und sich von dort herabfallen lassen. Er gehorchte, und jedermann rief laut aus, daß er nun zum nec plus ultra der Freimaurerei aufgestiegen war.

Unmittelbar nach seinem Fall von der Leiter wurde ihm ein Dolch überreicht, und ihm wurde befohlen, damit die gekrönte Gliederpuppe zu stechen, was er tat. Blutfarbene Flüssigkeit spritzte heraus und tropfte auf den Boden. Dann wurde ihm befohlen, der Puppe den Kopf abzuschneiden, und diesen mit der rechten Hand und den blutbeschmierten Dolch mit der linken Hand hochzuhalten. Dann wurde ihm geoffenbart, daß die Knochen in der Grotte die des Großmeisters des Templerordens, Jacques de Molai, seien, und daß der Mann, dessen Blut er vergossen und dessen Kopf er in seiner Rechten halte, Frankreichs König Philipp der Schöne sei. Weiterhin wurde ihm gesagt, das Kennzeichen des Grades, zu dem er gerade aufgestiegen ist, sei es, die Hand gegen das Herz zu drücken, sie dann waagerecht nach vorne zu strecken und schließlich auf sein Knie fallen zu lassen, was bedeute, daß das Herz eines Ritters Kadosh zur Rache bereit sei. Als letztes wurde ihm der geheime Handschlag der Ritters Kadosh - eine zustechende Geste - gezeigt.

 Montjoie bemerkt dazu, daß der Herzog von Orléans auf diese Weise zur Grausamkeit initiiert wurde, und daß mit dem Köpfen der Gliederpuppe die Ermordung Ludwig des XVI. gemeint war.

Die Hungerverschwörung

Der Herzog von Orléans entwickelte einen Plan, dem drei einfache Annahmen zugrundelagen: Erstens, wenn du den Führern nicht zutraust, dich zu ernähren, dann kannst du ihnen auch nicht die Regierung anvertrauen; zweitens, der Hunger werde das Volk dazu treiben, sich gegen den König bzw. seine Minister zu bewaffnen; sowie drittens, das Volk wird sich jedem in die Arme werfen, der die Macht an sich reißt und ihm zu essen gibt. Einfach, teuflisch und tödlich!

Am 13. Juli 1788 erlebte Frankreich den verheerendsten Hagelschlag seiner Geschichte. Der größte Teil des fruchtbaren Bodens wurde verwüstet, und der Herzog von Orléans nutzte die Naturkatastrophe, um das in den Silos verbliebene Getreide aufzukaufen und nach England zu verschiffen! Der Markgraf von Ducrest, Orléans' Kanzleivorsteher, wurde nach England geschickt, um den Transport zu überwachen. Bei der Durchführung dieser diabolischen Tat hatte Orléans keinerlei juristische Probleme, da der Finanzminister de Brienne mit England ein Freihandelsabkommen unterzeichnet hatte, das den uneingeschränkten Getreideexport nach England gestattete. Die Möglichkeit des Herzogs von Orléans, die Versorgung mit diesem lebenswichtigen Lebensmittel zu kontrollieren und den Vorteil der britischen Freihandelspolitik zu nutzen, stand im Mittelpunkt seines Planes, den französischen Thron zu usurpieren.

Wie Montjoie berichtet, ersann Orléans folgendes Szenario, den französischen König zu stürzen:

Er dachte sich, er könne ganz Frankreich übernehmen, indem er die Kontrolle über die Nahrungsmittelversorgung der Nation gewinnt und so eine allgemeine Hungersnot auslöst, und seine Intrigen zu diesem Zweck so spinnt, daß er das Volk leicht überzeugen kann, die Schuld an dieser Katastrophe trage allein die Regierung. In diesem Hungerszenario sah er auch eine üble Gelegenheit, die Bevölkerung der Städte und des Landes in die Verzweiflung zu treiben und sie dann aus der Verzweiflung zum Aufruhr zu führen. Außerdem konnte er, wenn er nach einer solchen, durch den Hunger hervorgerufenen Destabilisierung die vollkommene Macht erlangt hatte, seine gewonnene Macht absichern, indem er den Überfluß wiederherstellte.

 Orléans hielt seinen Plan für narrensicher. Zuerst mußte er sich in ganz Frankreich das Monopol für Korn und Weizen sichern. Zu diesem Zweck stellte er einen skrupellosen Börsenmakler mit dem Namen Pinet an, den er beauftragte, alle Einnahmen in Empfang zu nehmen und mit ihnen Korn aufzukaufen. Pinet hatte im Juli und August 1788 ein nationales Netzwerk von Käufern organisiert, die das Getreide zu den Preisen kauften, zu denen es die Produzenten anboten. Das Startkapital stellte Orléans aus seinem enormen Vermögen zur Verfügung; dann entwickelte Pinet ein Anleihesystem, indem er Tausende von Geldgebern einlud, ihm Geld gegen 30, 40 oder gar 75% Zinsen zu leihen. Orléans war gewillt, zu Beginn einen großen Verlust zu riskieren, denn er setzte darauf, sobald der Hunger erst einmal mit voller Kraft zuschlug, würde er in wenigen Monaten ein Vermögen machen, wenn er das Korn zu Höchstpreisen wieder verkaufte.

Die meisten Investoren fragten nicht, wozu das Geld gebraucht wurde - wer indiskret genug war, zu fragen, durfte nicht teilnehmen. Das System war sofort enorm erfolgreich, und Orléans schaffte es, den größten Teil des Getreides zu kaufen, das nicht von dem verheerenden Hagelsturm betroffen war. Unterdessen war sein englischer Agent, der Marquis von Ducrest - der Bruder der Marquise von Sillery - in England und gewann dort die Flotte der britischen East India Company dafür, das französische Getreide auf die Kanalinseln Guernsey und Jersey zu verfrachten. Es war zu riskant, den französischen Weizen in England zu lagern, weil solch ein Versuch Verdacht erregt hätte. Britische Journalisten begannen in französischen Zeitungen Artikel darüber zu schreiben, wie das englische Volk, der möglichen französischen Hungersnot gewärtig, die eigenen Reserven für den Winter aufstockte.

Ducrest durfte nur die Menge an Getreide nach Frankreich zurückbringen, die Orléans ihm auftrug. Das Ganze wurde mit äußerster Geheimhaltung durchgeführt. Als der Brotpreis überall in die Höhe schoß, wurde Finanzminister de Brienne dafür verantwortlich gemacht und mußte das Land im August 1788 verlassen, während der König und die Regierung sich nicht in der Lage sahen, die Wahrheit über diese Sache ans Licht zu bringen. Überall wurden die Truppen alarmiert und nach Paris gebracht, um die Marktplätze zu schützen. Montjoie, der Augenzeuge dieser Probleme war, schrieb:

Diese beunruhigenden Vorkehrungen wurden nur unternommen, um die Plünderung des Weizens zu verhüten, während die Emissäre des Herzogs die Bevölkerung zum Plündern anspornten. Dieselben Männer verbreiteten - aus Gründen, die wir gleich enthüllen werden - in perfidester Weise die Lüge, der Hof hätte den ganzen Weizen von Frankreich nach England exportiert, und es sei der Hof gewesen, der die Hungersnot ausgelöst hätte, die nun spürbar wurde. Jedermann setzte seine Hunde auf diese falsche Fährte und machte den Hof für das Verbrechen verantwortlich, das Orléans begangen hatte. Niemals konnte man sich ein so abscheuliches Manöver vorstellen, und niemals wurde es mit größerer Fertigkeit vollbracht.

 Irgendwann vor 1789 wurde der Herzog von Orléans durch Lord Shelburne, Lord Stanhope und Doktor Price, der mit ihm die Gesellschaft der Revolution gründete, vom britischen Geheimdienst angeheuert. Dies war der von Jeremy Bentham geleitete britische Geheimdienstflügel der Jakobiner-Gesellschaft, der half, die Revolution zu organisieren, und dessen Ziel es war, ähnliche revolutionäre Gruppen in England, Irland und Schottland zu schaffen. Der politische Flügel des Orléans-Netzwerks war im Parlament durch den Führer der Oppositionspartei, Charles James Fox, vertreten, den Gegner des jüngeren Pitt. Orléans' Pläne stimmten völlig überein mit der Strategie des Hofs von St. James, Frankreich zu zerstören. Orléans größter Aktivposten in den höheren Rängen der britischen Oligarchie war 1789 der Herzog von Dorset, John Frederick Sackville, außerordentlicher Botschafter König Georgs III. in Frankreich.

Der folgende Zwischenfall zeigt, wie die von Orléans geschaffene Hungersnot mit der bewußten Beteiligung des Königs von England eingefädelt wurde: Im Mai 1789 zirkulierten in ganz Europa die Nachrichten, daß England sich enorm große Getreidevorräte gesichert hatte. Angesichts des schweren Mangels in Frankreich schrieb Ludwig XVI. persönlich an einen Minister am Hof von St. James und bat die britische Regierung, ihm einen sehr bescheidenen Vorrat von 20 000 Säcken Weizen zu verkaufen. Der Minister antwortete, daß er dies selbst nicht entscheiden könne, daß er sich aber bei den Herren Pulteney, Walson, Wilberforce und Major Scott einsetzen und ihnen sagen würde, daß diese gutnachbarliche Geste auf lange Zeit die Beziehungen zwischen den beiden Ländern verbessern würde. Sofort schlug William Pitt der Jüngere Alarm im Parlament und verlangte nach einigen Debatten, daß die Exportanfrage vor den Kronrat des Königs komme. Der Kronrat beschloß, eine Parlamentskommission einzusetzen, um den Vorschlag zu prüfen, und schließlich wurde das Ersuchen abgelehnt.

Montjoie schrieb:

Die Hilfe wurde nicht nur abgelehnt, die Ablehnung war sogar so schroff, daß ein strenges Verbot jeglichen Schmuggels oder Betrugs erlassen wurde, durch den das Edikt umgangen werden könnte. So verweigerten die Briten, vollgestopft mit unserem Getreide, dem armen Ludwig XVI. einen kleinen Teil der Nahrung, die sie vorher seinem eigenen Volk gestohlen hatten. Diese Verweigerung vergrößerte einfach die schon wütende Hungersnot, und es war diese Situation, aus der sich der Aufruhr des 14. Juli und die abscheulichen Verbrechen vom 5. und 6. Oktober entwickelten.[# Montjoie, op.cit., Band III, S. 27. Die Verbrechen vom 5. und 6. Oktober stehen in direktem Zusammenhang mit dem Mordversuch des Herzog von Orléans an Königin Marie Antoinette - eine Tat, die den König dazu zwang, Orléans ins englische Exil zu schicken.]

 Erst im Oktober entschied der Herzog von Orléans, das Getreide aus England nach und nach wieder ins Land zu holen.

Der Bastille-Coup

Einen weiteren Beweis dafür, daß der Sturm auf die Bastille ein Staatsstreich war, lieferte im Juli 1789 Antonio Capella, der Botschafter Venedigs in Paris. Seine kürzlich veröffentlichten Depeschen weisen darauf hin, daß die Venezianer sehr gut informiert waren über die britisch-jakobinischen Operationen in Frankreich, und daß Capello regelmäßig vom Herzog von Dorset, dem Botschafter Englands in Paris, informiert wurde. Capello berichtete dem Dogen, daß in der Tat der schweizerisch-britische Agent und französische Finanzminister Jacques Necker als Strategie zur Vorbereitung des Sturms auf die Bastille einen Aufmarsch von 100 000 ausländischen Soldaten gegen Paris geplant hatte. Der Sturm auf die Bastille diente wiederum dazu, von dem historischen Ballhausschwur vom 20. Juni 1789 abzulenken, durch den die Autorität der von Bailly und Lafayette - in Übereinstimmung mit Benjamin Franklins Prinzipien der Amerikanischen Revolution - geschaffenen Nationalversammlung etabliert wurde.

Capellos Geheimberichte zeigen eindeutig, daß ihm bewußt war, daß der Aufruhr nicht spontan war, und daß es einen sorgfältig angelegten Plan hinter dem Sturm auf die Bastille gab. "Niemals gab es eine Revolte gegen den Souverän, die besser durchgeführt wurde, niemals wurde so wenig Blut vergossen und niemals wurde eine Revolte so schnell beendet ", heißt es in Capellos aufschlußreicher Depesche Nr. 189 vom 20. Juli 1789.

Zuerst ist von den ausländischen Söldnern die Rede, die der Hof im Umkreis der Hauptstadt zusammenzog: "Der Grund für die Einberufung der Truppen um Paris und in Versailles war kein Geheimnis mehr: Damit sollte der Forderung nach Exilierung Neckers militärisch Nachdruck verliehen werden, die Auflösung der Generalstände sollte erzwungen und der nationale Bankrott erklärt werden."

Es folgt die Beschreibung, was die Volksmenge unter Leitung der französischen Garde unternahm: "Ohne jeden Widerstand wurde sowohl ein großer Teil der Kanonen und Munition wie auch eine große Menge an Mehl genommen, die dort [im Invalidenhospital] für die Soldaten aufbewahrt war. Von dort zogen sie [die Pariser] zum Arsenal, wo sie alles nahmen, was sie finden konnten. So bewaffnet mit Gewehren, Kanonen und Schießpulver unter der Leitung der französischen Garden, wurde der Befehl zum Sturm auf die Bastille gegeben, denn man ist nicht Herr von Paris, wenn man nicht Herr dieser Festung ist."

Auch über weitere Details weiß Capello Bescheid: "Mr. Delaunay, der Gouverneur der Bastille, hatte schon Befehl erhalten, sich mit seinen Soldaten zu verteidigen und auf die Leute zu schießen. Man hatte ihm zugesichert, er werde durch unterirdische Gänge, die bis zu fünf Meilen reichen, innerhalb von 24 Stunden eine Verstärkung von 10 000 Männern, bekommen.

Der fatale Plan des Ministeriums, der umgehend fehlgeschlug, sah so aus: Der Plan war, in der Montagnacht vom 13. auf den 14. des Monats [Juli] durch Feuer und Schwert über den Montmartre Truppen nach Paris zu bringen, in der Absicht, eine fürchterliches Blutbad anzurichten, während die Bürger vorbereitet waren, sich mit Kanonen und Gewehren zu verteidigen, weil der ganzen Stadt Waffen gegeben wurden. Barrikaden waren errichtet, um die Angriffe der Kavallerie aufzuhalten, und selbst die Frauen hatten in den Häusern eine große Menge Steine angesammelt, um sie auf die Soldaten zu werfen. In einem Bezirk wurde der Antrag gestellt - der glücklicherweise abgelehnt wurde - die Fürsten von Geblüt und die Botschafter sollten eine erste Frontlinie bilden, um die feindlichen Truppen aufzuhalten: in der Anlage finden Sie eine Kopie dieses Antrags. In Versailles fürchtete man, daß hunderttausend bewaffnete Pariser den Königsplast angreifen würden. Der Sturm auf die Bastille vereitelte den Plan. Die vielen Verteidigungsmittel, die so schnell eingesetzt worden waren, und der Abfall eines nicht unwesentlichen Teils der Truppen, die in die Stadt gesandt worden waren - all dies machte deutlich, daß der Plan des Ministeriums unmöglich durchgeführt werden konnte und es nicht genug Truppen gab, sie gegen 20 Millionen vereinte Untertanen einzusetzen.

Angesichts dieses Desasters schickte die Nationalversammlung am selben Montag eine Abordnung zum König, um die schreckliche Situation in der Hauptstadt zu erklären und ihn anzuflehen, die Truppen zurückzuziehen."[# Venise et la Révolution Française, Les 470 dépêches des Ambassadeurs de Venise au Doge, 1786-1795", Hg. von Alessandro Fontana, Francesco Furlan, George Saro, Edition Robert Lafont, Paris, 1997, S. 305. Obwohl Capello mit der Anspielung auf Baillys "Geheimen Rat" in der Nationalversammlung log, wie auch über Lafayette und die Beteiligung seiner Pariser Miliz an der Erstürmung der Bastille, und die dumme romantische Meinung äußerte, der Sturm auf die Bastille sei "eine edle Revolte" gewesen, so enthüllt er doch die Wahrheit über den wohldurchdachten Plan und die Rolle des Ministeriums.]

Wenn man hier die Aufmerksamkeit auf die Absicht richtet, ist die Wahrheit leicht entwirrt. Lüftet man nur leicht den Vorhang von Capellos Depeschen, wird offenbar, daß die Furcht auf beiden Seiten dieser irregulären Kriegsoperation das manipulierende Element war: Auf der einen Seite schufen Necker und Dorset eine Panik in Versailles, wo der König den Angriff von 100 000 wütenden Parisern erwartete, auf der anderen Seite verbreitete der Herzog von Orléans Panik in der halbverhungerten Pariser Bevölkerung über eine Invasion ausländischer Truppen, vermutlich auf Befehl des Königs. Dann das unerwartete Ablenkungsmaneuver: die Bastille.

Nachdem er 1790 Bürgermeister von Paris geworden war, berichtete Bailly dem König, daß die Hungersnot jenes Jahres vom Herzog von Orléans arrangiert worden war: "Ich verbarg ihm nicht die Tatsache, daß die Hungersnot mehr oder weniger fabriziert worden war."[# Seriyes und André, Anecdotes inédites, Nr.40, zitiert nach Smith, op.cit., S. 514.]

Orléans Attentat auf den König

Montjoie berichtet in seinem Bericht über die Verschwörung des Herzogs von Orléans, daß in den ersten Tagen nach dem Sturm auf die Bastille alles dafür vorbereitet war, daß der Herzog von Orléans die Macht übernehmen konnte und daß sogar Necker von ihm - buchstäblich - gekauft worden war:

Diese Idee, daß Necker der einzige war, der Frankreich erneuern konnte, wurde von der Orléans-Partei mit solchem Eifer und mit solchem Erfolg in die Öffentlichkeit gestreut, daß sie zur dominierenden Idee wurde. Der dritte Stand, die Geistlichkeit, und der Adel, alle Körperschaften und, was kaum glaublich ist, selbst das Parlament, das ernsthaften Anlaß hatte, mit diesem Mann unzufrieden zu sein - alle wünschten fieberhaft, Necker wieder als Leiter der Finanzen eingesetzt zu sehen. Necker, der nicht außer acht ließ, daß er diese allgemeine Bevorzugung in erster Linie Orléans zu verdanken hatte, sah sich selbst aus Dankbarkeit in die Fraktion des Prinzen geschoben, der ihn als seine Kreatur betrachtete und bei allen Gelegenheiten versicherte, er könne auf seine Ergebenheit rechnen.[# Montjoie, op.cit., Band III, S. 27.]

 Was also lief falsch? Warum kam der Herzog von Orléans am Tag nach dem Sturm nicht auf die Bastille nach Paris, um wie geplant die Krone zu verlangen? Der Tag war festgelegt, der Augenblick gewählt, die Menschenmassen auf den Straßen forderten ihn lautstark. Am 12. Juli wurden die Büsten von Necker und Orléans mit Rufen wie "Lang lebe Necker, lang lebe der Herzog von Orléans!" durch die Straßen von Paris getragen. Der Graf von Virieu berichtet, ihm habe am 17. Juli ein Pariser erzählt, daß die "Nationalversammlung in Gefahr sei und daß, wenn ein Anschlag auf das Leben eines der Abgeordneten stattfände, die Mehrheit der Bevölkerung bereit sei, den Herzog von Orléans entweder zum Protektor der Nation oder zum Generalleutnant des Reichs auszurufen."[# Montjoie, op.cit., Band II, S. 69.]

Paris war im Aufruhr, aber der Führer des Mobs war nicht da. Der Herzog von Aumont, der nichts von der Verschwörung Orléans' zu wissen schien, schlug sogar vor, selbst die Leute zu führen, aber ohne Erfolg. Die Bevölkerung applaudierte ihm, aber die von Orléans bezahlten Wahlmänner von Paris lehnten es ab, ihm die schriftliche Vollmacht als Oberbefehlshaber der Streitkräfte von Paris zu erteilen. Doch Orléans kam nicht. Wo war er?

Die Antwort ist einfach. Orléans war am Morgen des 15. Juli nach Versailles gegangen, um den König um freies Geleit für die Überfahrt nach England zu bitten. Orléans sagte zum König: "Sire, ich komme, um sie anzuflehen, mich eine Fahrt nach England machen zu lassen, falls die Situation noch schlimmer wird, als sie es schon ist." Der König zuckte nur mit den Schultern.

Montjoie vermutet, daß der Herzog von Orléans ein zu großer Feigling war, um sich selbst in Paris nach dem Sturm auf die Bastille zu zeigen. Das ist jedoch nicht wahr. Die Wahrheit ist, daß Orléans ein Attentat auf den König plante. Orléans ging zum König, um sich ein Alibi zu beschaffen. Der Tod des Königs war absolut notwendig, denn es war unmöglich, daß Orléans auch nur Generalleutnant des Reichs würde, solange der König lebte. Ludwig XVI. mußte aus dem Weg geräumt werden.

Als die Kutsche des Königs am 17. Juli den Platz Ludwigs XV. in Paris erreichte und in die Königliche Straße einbiegen wollte, begrüßte ihn eine laute Fanfare mit einem populären Lied, das Bailly selbst ausgewählt hatte. Es hatte den Titel: "Wo könnte es uns besser gehen als in unserer Familie?" Montjoie berichtet die folgende dramatische Szene, die sich in dem Augenblick ereignete:

Ein Attentäter, den Orléans hinter dem Fluß auf einem Hügel von Baumaterial für den Bau der Ludwig XVI-Brücke postiert hatte, und der mit einem Gewehr von außerordentlichem Kaliber bewaffnet war, schoß auf die Kutsche des Königs. Aus dieser Entfernung und mitten in all dem Lärm der Menge und der Musik hörte niemand den Schuß. Die Kugel Verfehlte die Kutsche des Königs, flog über zwei bewaffnete Bürger, die auf der linken Seite standen, und traf eine Frau, die hinter ihnen stand und sich erhoben hatte, um den König besser sehen zu können. Diese hochgewachsene Frau war zwischen 30 und 35 Jahre alt und hieß Anne Felicite Jacquelin Duprateau. Sie kam zu der Zeremonie mit zwei Freunden, von denen der eine ein Kleriker war. Die unglückliche Frau fiel in die Arme dieser beiden Männer. Als sie fiel, legte sie ihre Hand auf ihre Brust, und äußerte mit matter Stimme: "Ich bin getroffen worden." Vier Minuten später starb sie.[# Montjoie, op.cit., Band II, S. 83f.]

Montjoie zufolge wurde die Leiche der unglücklichen Frau später von zwei Ärzten untersucht, die dem Catelet-Tribunal zugewiesen waren - Dr. Sallin von der Universität Paris und Dr. Rufin, ein örtlicher Arzt. Die beiden führten die Autopsie durch. Der Winkel des Durchtritts der Kugel und die Größe der Wunde bestätigten die Vermutung, das der Attentäter ein Gewehr von speziellem Kaliber benutzt hatte und daß der Schuß aus einer Höhe etwas über der Menge und von der anderen Seite des Flusses kam. Sofort wurde eine Untersuchung eingeleitet, aber sobald bekannt wurde, daß Orleans hinter dem Coup stand, wurde die ganze Affäre unter den Teppich gekehrt.

Wäre der König getötet worden und wären der Dauphin, der Graf von Artois, und Königin Marie Antoinette wie geplant ins Exil gezwungen worden, hätte der Herzog von Orléans einen legitimen Anspruch auf einen Wechsel in der regierenden Dynastie gehabt, da Philippe, der Herzog von Anjou und der König von Spanien durch Verträge auf die französische Krone verzichtet hatte. Niemand hätte Orléans aufhalten können, Jakobiner-König zu werden. Erst später beschloß die Nationalversammlung ein Edikt, das die Dynastie von Heinrich IV. und Ludwig XVI. aufrechterhielt: "Der Thron ist unteilbar, und die Krone wird von Mann zu Mann vererbt ..."[# Montjoie, op.cit., Band II, S. 136.]

Der Venezianer Capello identifiziert auch das besondere Operationsgeschick des Herzogs: In seiner Depesche Nr. 203 vom 19. Oktober 1789 schreibt Capello an den Dogen:

"Wir haben bei der Untersuchung der jüngsten Unruhen, die ich Ihnen gegenüber erwähnte, eine Verschwörung entdeckt, die vom Herzog von Orléans organisiert wurde, und die zeigt, daß sein Einsatz für die Sache des Volkes nur mit der Absicht erfolgte, seine eigenen bösen Pläne zu voranzutreiben. Ich werde Ihnen einen ausführlicheren Bericht über das Komplott des perfiden Fürsten geben, sobald ich es in voller Kenntnis der Lage tun kann. Bis jetzt scheint mir, daß dieser Fürst von erstem Geblüt die Ermordung des Königs beschloß, als er von dem Plan der Königin erfuhr, wonach der König Versailles verlassen und nach Metz gefahren werden sollte, ehe man ihn dazu zwingen konnte, in Paris zu bleiben. Der König und seine Familie sollten auf dieser Fahrt ermordet werden; später wollte der Herzog von Orléans dann inmitten einer Revolte, deren Ausbruch in Paris vorbereitet wurde, zum Generalleutnant des Reichs ernannt werden. Die Plünderung eines großen Teils der Hauptstadt sollte die Verschwörer belohnen. Der Herzog von Orléans gab beträchtliche Geldsummen, um insgeheim Soldaten anzustellen und eine Partei zu gründen.

Wir haben ein Munitionsarsenal mit Doppelkugel-Patronen entdeckt und wir haben aufgedeckt, daß ein Waffenhersteller schon beauftragt war, 14 000 Gewehre herzustellen. Der kommandierende Offizier, Marquis de Lafayette, sollte das erste Opfer sein. Zahllose Häuser waren schon dazu bestimmt, verbrannt zu werden, und darunter befanden sich - in einer Verletzung des Völkerrechts, wie sie selbst bei den barbarischsten Völkern noch nie gesehen wurde - die Häuser der drei Botschafter von Sardinien, Schweden und Malta.[# Madame de Staël, Neckers Tochter, war mit dem schwedischen Botschafter verheiratet und lebte in einem dieser Häuser. Dieses Logis wurde der Familie de Staël später großzügigst vergütet, was zeigt, daß die Familie Necker ein Opfer dieser Operation gewesen ist.] Die Aussagen vieler Leute, die gefangen genommen worden waren, haben alles aufgeklärt und die Namen der Haupttäter und ihrer Komplizen enthüllt. Alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen wurden unternommen: Die nationale Miliz und die regulären Truppen waren ständig aktiviert, und bis vorgestern durfte niemand Paris verlassen. Da es gefährlich gewesen wäre, inmitten solch turbulenter Ereignisse dem Herzog von Orléans die Strafe aufzuerlegen, die er verdiente - abgesehen von der Tatsache, daß seine Person als Mitglied der Nationalversammlung unantastbar und heilig war - wurde die Entscheidung getroffen, ihn ins Exil zu schicken. Um dies zu verdecken, gründete man als Vorwand eine Sonderkommission, und der König sandte ihn auf eine Mission zum König von England."[# Venise, op.cit., S. 344. Weiterhin bestätigte Capello, daß Graf Mirabeau in der Nationalversammlung der wichtigste Aktivposten des Herzog von Orléans war. Das erklärt, warum Mirabeau fähig war, eine Reihe von Ereignissen "vorauszusehen", die später geschehen sollten. Die wichtigsten Mitarbeiter und Mitverschwörer des Herzogs von Orléans waren Graf Mirabeau, der Herzog und die Herzogin von Aiguillon, der Herzog von Biron, der Herzog von Crillon, Baron Montesquieu, Barnave, Laclos, Dubois de Crauce, Valence, General Dumouriez, die Gebrüder Lameth, die Marquise von Sillery und Neckers Tochter, die Baroness de Stael.]

 Capello bestätigte auch, daß der Königliche Palast des Herzogs von Orléans während dieser ganzen Frühzeit der Revolution "das wahre Zentrum des Aufruhrs war. Der Herzog von Orléans, dem er gehört, hat nun große Popularität gewonnen, indem er die Sache des Volkes unterstützte, aber seine Absichten waren verdächtig ..."[# Venise, op.cit., S. 301. Offensichtlich verstand Capello, was das Ministerium plante, und was die wahre Natur der Aktionen des Herzogs von Orléans war, und er hatte eine ziemlich genaue Vorstellung von der französischen Revolution, bei der er fünf verschiedene Fraktionen unterschied: 1) "die Republikaner, die eine einheitliche und unteilbare Republik wollen" 2) "die Föderalisten, die eine Föderation schweizerischen Typs wollen" 3) "die Royalisten, die eine parlamentarische Monarchie wie in Großbritannien wollen", 4) "die Aristokraten, die sich das alte Regime zurück wünschen", und 5) "die Marat-Fraktion, die die Souveränität des Volkes wollten, ohne jemals klar darzustellen, wie sie ausgeübt werden sollte". Offensichtlich sah Capello die "amerikanische Fraktion" von Bailly und Lafayette nicht, die er wohl der "föderalistischen" oder "royalistichen" Fraktion zugerechnet hat. Am 19. Nov. 1793 berichtete Capello über die Hinrichtung des Herzogs von Orléans und Baillys, die nur vier Tage nacheinander guillotiniert worden waren.]

All dies wird ausführlich von Montjoie bestätigt, der die Frage stellt: "War es akzeptabel, daß der Palast des ersten Fürsten von Geblüt in ein paar Tavernen, in einen Ort der Ausschweifungen, in Spielhallen verwandelt wurde, in einen Treffpunkt aller Vagabunden, Schurken und Prostituierten der Hauptstadt?"

Teil III: Baillys Kampf gegen das Chaos

Bailly war beauftragt worden, die Rede zu schreiben, die der König am Morgen des 27. Juli halten sollte. Aber der König benutzte nicht die von Bailly geschriebene Rede, worin er wohl offiziell erklären sollte, er sei der erbliche Vertreter der Nation und einig mit der Nationalversammlung. Bailly hatte den König gedrängt, die neue konstitutionelle Monarchie zu akzeptieren und der Idee des Absolutismus abzuschwören. Obwohl der König dies nicht tun wollte, erkannte er doch zum ersten Mal ausdrücklich die Nationalversammlung an und reagierte - wenn auch etwas spät - auf Baillys Forderung, die Truppen aus Paris und Versailles abzuziehen. Der König sagte:

Ich bin eins mit der Nation, und ich zähle auf Sie. Helfen Sie mir, unter diesen Umständen die Sicherheit des Staates zu garantieren. Ich erwarte das von der Nationalversammlung; der Eifer der versammelten Vertreter meines Volkes für die allgemeine Sicherheit ist für mich eine sichere Garantie; ich zähle auf die Liebe und Treue meiner Untertanen und habe den Befehl gegeben, die Truppen aus Paris und Versailles abzuziehen.[# Bailly, "Mémoires de Bailly", hg. von Berville und Barrière, Baudouin Frères, Imprimeurs-Libraires, Paris, 1821, Band II, S. 5. Alle Zitate von Bailly stammen, soweit nicht anders vermerkt, aus dieser Ausgabe.]

 Der deutsche Dichter Friedrich Schiller hätte vermutlich an diesem Punkt gesagt: "Der König war zu 'klein' und handelte zu spät." Der punctum saliens, der dramatische Wendepunkt war verpaßt. Wäre der König ein stärkerer und weiserer Führer gewesen, hätte er das Blutvergießen in den Tagen zuvor aufhalten und sich selbst konstitutionell mit der Nationalversammlung identifizieren können. Auf diese Weise hätte er aus der Krise eine Chance gemacht. Doch er entschied sich, dies nicht zu tun. Indem der König an seiner Absolutheit festhielt, kam von ihm das falsche Signal. Er bestätigte damit, daß er bei seinen alten, fatalen Axiomen bleiben wollte.

Der König hatte eine letzte Chance, das französische Paradox einer republikanischen Monarchie zu lösen, nämlich: Rückzug der königlichen Truppen und die Bewaffnung von Lafayettes Militär am Montag, den 13. Juli; unverzügliche Besetzung der Bastille am Dienstag, den 14. Juli; und am Freitag, den 17. Juli, die Erklärung des Königs, er selbst sei der erste Vertreter der Nationalversammlung - diese drei entscheidenden, von Bailly empfohlenen Maßnahmen hätten den Staatsstreich der Bastille noch zu dem wenden können, was Schiller einen "großen historischen Augenblick" nannte.

Bailly wird Bürgermeister von Paris

Am 17. Juli machte sich eine Abordnung der Nationalversammlung mit Bailly und Lafayette in Versailles auf den Weg nach Paris, wo die Bevölkerung auf die Nachrichten über die jüngsten Entwicklungen wartete. Sie wurden im Rathaus mit Triumph empfangen. Lafayette verkündete vor allen Wahlmännern und dem versammelten Volk, daß der König die Nationalversammlung unterstützt hatte. Weiter sagte er: "Der König ist betrogen worden, aber das ist nicht länger der Fall; er kennt unsere Schwierigkeiten und er kennt sie so, daß sie nie wieder vorkommen werden."

Bailly und Lafayette wurden als Helden gefeiert. Jemand rief, Lafayette solle Befehlshaber des Pariser Militärs werden. Als Lafayette dies annahm, war eine andere Stimme zu hören, Bailly solle Vorsteher der Kaufleute werden, aber dann fügte ein Dritter hinzu: "Nein, nicht Vorsteher der Kaufleute, sondern besser Bürgermeister von Paris!" Die Menge nahm diesen Ruf auf, und Bailly erklärte, vor Rührung weinend, er könne dieser Ehre nicht gerecht werden. Trotzdem wurde Bailly per Akklamation zum Bürgermeister ernannt.

Der Kaufmann John Bondfield, Handelsvertreter der Vereinigten Staaten in Bordeaux, schrieb nach diesem Ereignis an Benjamin Franklin: "Ihr Freund Mons. Balli (!) ist Chef des Magistrats von Paris; der Marquis de Lafayette General und Oberbefehlshaber ... Ich bin mir sicher, daß Sie sich über die freiheitliche Gesinnung, die sich durchzusetzen beginnt, freuen werden. Im Bericht unseres Erzbischofs werden Sie sehen, daß ihnen die Vorgänge in Amerika, die als Vorbilder zitiert werden, nicht unbekannt sind ..."[# Collected Papers of Bejamin Franklin, American Philosophical Society.]

Gleich nach dieser Ernennung wurde Bailly unsicher, ob er nun rechtmäßig gewählt war. Er sagte: "Meine Vorgehensweise war, mich zunächst ruhig und zurückhaltend zu verhalten. Das Amt war neu; es gab keine etablierten Formen. Es war nicht meine Sache, sie zu regeln oder festzulegen. Meine Sache war es abzuwarten." Bailly ging klugerweise zur Nationalversammlung, um seine Ernennung ratifizieren zu lassen. Seine Ernennung wurde begeistert bestätigt und sofort darüber abgestimmt. Immer noch unsicher, ging Bailly zum König, um dessen Zustimmung zu erfragen. Auch der Abgeordnete Clermont-Tonnere bat am selben Tag den König im Namen der Nationalversammlung, die Ernennungen von Bailly und Lafayette zu bestätigen. Der König stimmte beiden Ernennungen zu.

Bailly setzte das Beispiel für einen demokratischen Prozeß. Er forderte die Versammlung der Wahlmänner der Stadt Paris auf, die Vertreter der Distrikte einzuladen, um gemeinsam über seine und Lafayettes Ernennung zu beraten. Am 21. Juli wurde die Wahl Baillys von 55 der 60 Pariser Distrikte bestätigt.

Gestärkt durch dieses machtvolle Mandat, wußte Bailly nun, daß er die in dieser Zeit der Krise notwendigen Reformen durchsetzen konnte. Das Journal des Etats Genéraux schrieb: "Schauen Sie sich einmal an, wie der Mensch ein Produkt der Umstände ist. Bekannt für seine Geschichte der Astronomie, schien Herr Bailly bestimmt, seine Tage in einem friedlichen Armsessel an der Akademie zu beenden, und heute findet er sich in den Stürmen einer Revolution wieder."[# Gene A. Brucker, Jean-Sylvain Bailly, Revolutionary Mayor of Paris, The University of Illinois Press, Urbana, 1950, S. 15. Dort wird das Journal des Etats Genéraux, I, Nr. 8 zitiert.]

Als Bürgermeister mit dem Mandat der Distrikte, war sich Bailly nun sicher, daß seine Autorität rechtlich abgesichert war, und er begann, die Verwaltung der Stadt zu reformieren, öffentliche Bauvorhaben sowie spezielle Infrastrukturprojekte durchzuführen. Im Namen des Stadtrats schlug Bailly der Nationalversammlung das Projekt vor, Kanäle von Paris zur Marne und von dort weiter bis zum Atlantik (unweit von Dieppe) zu bauen. Der Kanal von Paris zur Marne sollte die Binnenschiffahrt fördern und dringend benötigte Arbeitplätze für die Pariser Bevölkerung schaffen. Über 17 000 Männer, die als Vagabunden nach Paris gekommen waren, wurden in die Provinzen zurückgeschickt, um in der Champagne und in der Region Médoc Land zu roden. Der Bau des Marne-Paris-Kanals begann jedoch erst 1799 und wurde innerhalb von drei Jahren fertiggestellt.

Bailly veranlaßte die Wahlmännerversammlung sofort, den Abbruch der Bastille-Festung zu genehmigen. Einerseits gab dies den Menschen Arbeit und Lohn, andererseits lenkte es die Bürger davon ab, in ihrem Zorn die Stadt zu plündern. Statt Gesetze brachen sie nun die Steine der verhaßten Festung. Die Arbeit begann in der Frühe des 16. Juli - nur zwei Tage nach dem Sturm auf die Festung.

Bailly und Lafayette organisieren die Nationalgarde

Inzwischen hatte Lafayette die Kommunalversammlung organisiert, der Nationalgarde einen Tageslohn von 20 Cent zu bewilligen. In einer Stadt, die sich kaum selbst ernähren konnte, die Nationalgarde zu versorgen, war eine sehr schwierige Aufgabe. Ein Militärausschuß wurde ernannt, die Verwaltung und Versorgung der Nationalgarde unter dem Oberkommando von General Lafayette zu beaufsichtigen. Die Nationalgarde wirkte als ausführendes Organ des Polizeidepartements, das dafür verantwortlich war, unter Baillys Autorität, Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten. So standen Bailly und Lafayette durch die Übermittlung der Polizeibefehle an die Garden in engem Kontakt miteinander.

Der folgende Brief Baillys an Lafayette vom 3. September 1790 ist ein Beispiel für den Geist der Zusammenarbeit, den die beiden bei der Gewährleistung der Sicherheit in der Hauptstadt zeigten:

Wie ich Ihnen gestern sagte, mein lieber Freund, glaube ich, daß es wünschenswert ist, mit eindrucksvoller Stärke aufzutreten, damit die Ordnung wiederhergestellt wird ... Ich hoffe, daß Sie, wenn es heute irgendeine Störung gibt, die Gelegenheit finden, zu mir zu kommen und mit mir zu sprechen, damit wir aufeinander abgestimmte Vorkehrungen treffen können. Ich bitte Sie, nicht nur der Form halber darum; Sie wissen, daß ich mich auf Sie verlasse ..."

 Am 25. Juli 1789 schuf Bailly eine Kommunalversammlung, deren einziger Zweck es war, eine Stadtverfassung zu entwerfen. Außerdem verstärkte Bailly die Polizeikontrollen in der Stadt, womit er auf größte Kritik stieß. Er schritt gegen die lokale Orléans-Mafia ein, die Prostitution, Spiele und Pornographie gefördert hatte. Bailly setzte strikt die Gesetze durch und unterband die Ausschweifungen, die in Paris um sich griffen. In diesen moralischen Angelegenheiten wollte er seine Befugnisse nicht delegieren, wie es oft von ihm gefordert wurde.

Bailly wurde von den Jakobinern heftig kritisiert, weil er seine Macht zentralisierte. Während der zwei Jahre, in denen er Bürgermeister war, bekämpfte Bailly die linken Tendenzen, die auf die Jakobiner zurückgingen. Er forderte, der Bürgermeister müsse die Befugnisse erhalten, die er brauchte, um seiner sehr realen Verantwortung und seinen Pflichten gerecht zu werden. Dies stelle in keiner Weise einen Verstoß gegen die Prinzipien der repräsentativen Regierung dar.

Der Kampf gegen den Hunger

Der Mangel bei der Nahrungsmittelversorgung war das Hauptproblem für Baillys Verwaltung. Über ein Jahr lang, seit dem Hagelsturm vom 13. Juli 1788, hatte die Verschwörung des Herzog von Orléans schwer auf der Stadt gelastet, und Baillys erstes Ziel war es, umgehend Weizen- und Brotlieferungen für die Stadt zu sichern, obwohl die Kassen leer waren und er mit einer aufrührerischen, größtenteils arbeitslosen und bewaffneten Bevölkerung fertigwerden mußte. Hinzu kam, daß das Militär schlecht ausgerüstet und das Rechtssystem gelähmt war, und durch die bereits überfüllten Gefängnisse alles noch schlimmer wurde. Bailly wußte, daß Orléans die Kornmärkte manipuliert hatte, und er kämpfte mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln, die Ernährung der Pariser Bevölkerung zu gewährleisten. Er arbeitete in den Jahren 1789/90 ständig daran, die Effektivität der Verwaltung zu erhöhen, um die Probleme zu lösen. Den ganzen Sommer über und auch im Herbst 1789 hing das Schreckgespenst neuer, durch Hunger ausgelöster Gewalttaten wie ein Damoklesschwert über ihm. Brucker beschreibt die Situation wie folgt:

Es war Bailly und seinem geplagten Mitarbeitern völlig klar, daß das Ende der Unruhen und die Wiederherstellung von Recht und Ordnung weitgehend davon abhingen, ob es ihnen gelingen würde, die Hungersnot von Paris abzuwenden. Infolge der geringen Weizenernte im Jahr zuvor hatte die Stadt monatelang von verminderten Rationen gelebt. Die Verpflegung für die 800 000 Einwohner der Stadt stammte hauptsächlich aus ausländischen Quellen und erfolgte vor allem aufgrund der Mahnungen Baillys an Necker und an die Königliche Regierung. Die Krise im Juli unterbrach den Mechanismus, der eingerichtet worden war, um die Stadt zu ernähren, und fast augenblicklich sah sich Paris einem bedrohlichen Nahrungsmangel gegenüber.

 Zwei Tage nach dem Sturm auf die Bastille berief die Wahlmännerversammlung einen Ausschuß für die Verpflegung ein, dem die absolute Kontrolle über den Ankauf und die Verteilung von Getreide übertragen wurde. Am nächsten Tag traf sich Bailly mit diesem Versorgungsausschuß, und in den nächsten drei Monaten war er fast immer dort anzutreffen. Die Arbeit, die Bailly und seine Mitarbeiter in dieser entscheidenden Zeit leisteten, war eine der größten Leistungen seiner Regierung. Sie arbeiteten Tag und Nacht, doch die Krise nahm kein Ende. Zwei Monate lang reichte der Getreidevorrat niemals länger als einen Tag. Jede mögliche Quelle an Vorrat mußte aufgespürt werden; in seinen Briefen an Necker unterbreitete Bailly eine Unmenge von Vorschlägen, wie man auch nur ein paar Getreidesäcke auftreiben könnte, um für einen weiteren Tag Hunger und revolutionäre Unruhen abzuwenden.[# Brucker, op.cit., S. 41 f.]

Der Bericht zeigt: Mit seinen mutigen und hartnäckigen Bemühungen, Paris vor einer Hungersnot zu bewahren, gelang es Bailly, einen weiteren Aufstand zu verhindern. Als Bürgermeister der Kommune Paris war Bailly plötzlich für die allgemeine Sicherheit der Bevölkerung verantwortlich. Delegierte und Mitglieder des Stadtrats wurden in alle Städte Frankreichs geschickt, um alles Korn zu kaufen, das sie fanden. Bailly mußte auch mit ausländischen Verkäufern verhandeln und sicherstellen, daß sie weiter liefern würden und die Konvois geschützt wurden. Er ermächtigte Mitglieder des Versorgungsausschusses, mit Kaufleuten in Hamburg, Sizilien, Neapel, Sardinien und sogar in Afrika zu verhandeln. Und er wies die Bäcker an, außerhalb der Stadt selbständig Einkäufe zu tätigen.

Mitte August 1789 erreichte der Nahrungsmangel seinen Höhepunkt, und ein Ausfall der Lieferungen auch nur für einen Tag hätte einen Aufruhr auslösen können. Bailly berichtet: "Die Sorge um die Lieferungen wurde immer als Mittel benutzt, die Bevölkerung zu ängstigen und damit andere Zwecke zu verfolgen."

Am 19. August berichtete Bailly, daß die Getreidekonvois Paris und die Stadt Versailles im Verhältnis zur jeweiligen Einwohnerzahl bedienten. Jeden Tag brauchte er nur für Paris 1 600 Säcke Weizen - allein für Brot. An jenem Tag erhielt Bailly die Aufforderung, den Anteil von Versailles zu vergrößern, weil dort nur noch eine Reserve für drei Tage übrig war. Bailly antwortete, daß Paris in den letzten zwei Monaten niemals für mehr als einen Tag Reserven hatte, und an diesem Tag überhaupt keine Reserven mehr für den nächsten Tag übrig waren.

Hier ist der vollständige Bericht von Bailly vom folgenden Tag, dem 20. August 1789:

Dies war der zweite Tag der Angst, den ich bei der Sicherung von Vorräten für Paris durchstehen mußte. Herr Virion, der kommandierende Offizier in Bazoche, der in Saint-Germains-en-Laye eingesetzt war, um für die Sicherheit der Konvois zu sorgen, kam, um mir zu sagen, daß eine Dragoner-Abteilung aus Versailles, die mit der Sicherung der Korntransporte für diese Stadt betraut war, eine große Anzahl von Kornfuhren nach Versailles gebracht hatte, die aber für den nächsten Tag in Paris absolut lebenswichtig waren. Er fügte hinzu, als er nach Versailles ging, um den Fehler zu korrigieren, sei ihm gesagt worden, daß sie das Korn gerne zurückgeben würden, nur seien die Fuhren, als sie in die Stadt kamen, sofort abgeladen worden. Es gebe keine Möglichkeit, es zurückzuholen, ohne sich einem Volksaufstand auszusetzen.

Ich zögerte keinen Augenblick; man sagte uns damit, daß am nächsten Tag eine Hungersnot kommen würde. Ich wollte nicht gern an Necker schreiben, weil mein Brief zu scharf geworden wäre; so sandte ich zwei Mitglieder des Versorgungsausschusses, Herrn Dussault und Herrn de Leutre, um Necker in Versailles zu treffen, ihm unsere Situation zu erklären und darauf zu bestehen, daß die Fuhren augenblicklich geschickt wurden, und ihn außerdem wissen zu lassen, daß ich, wenn das Korn nicht noch in dieser Nacht in der Markthalle [in Paris] wäre, am Morgen die Bataillone zusammenrufen würde, um sie über diesen Stand der Dinge zu unterrichten, und daß es allen Grund für die Annahme gebe, daß dann 30 000 bewaffnete Männer ausziehen und es holen würden. Zur gleichen Zeit gab ich Herrn Virion zur Sicherheit die Anweisung, die anderen Vorräte, die in jener Nacht für Versailles bestimmt waren, nach Paris zu lenken und dafür zu sorgen, daß sie durch die nachfolgenden ersetzt würden. Herr Virion hatte auf unendlich viel Arbeit und Nachrichten zu achten; tatsächlich schaffte er es, mir 16 Fuhren zu schicken, die um 8 Uhr morgens eintrafen, und zusätzlich wurden die Wagen, die nach Versailles umgeleitet worden waren, sofort zurückgeschickt. Herr Necker war nicht überrascht und nicht empört über meine Entschlossenheit, die in einer so gefährlichen Situation völlig normal war. Ich erreichte, daß Herr Virion für seine Dienste ausgezeichnet und zum Leutnant in der Nationalen Kavallerie befördert wurde.

 Ich gebe diesen dramatischen Bericht so ausführlich wieder, um zu zeigen, daß dies der Grund war, warum Bailly zum Bürgermeister von Paris und Lafayette zum Kommandanten des Militärs in Paris ernannt wurden. Sie waren die einzigen Führer, auf die man sich verlassen konnte, daß sie die Nahrungsmittelversorgung der Hauptstadt garantieren würden. Jeder andere hätte versagt, und ein neuer Plan des Herzog von Orléans, einen Aufruhr anzuzetteln, hätte dann Erfolg gehabt.

Lafayettes Rolle bei der Rettung von Paris war ebenso unverzichtbar. Am Sonnabend, dem 23. August, schlug Lafayette vor, die Nationalversammlung möge beschließen, die Freiwilligen der Nationalgarde auszustatten und zu bewaffnen. Das war keine Kleinigkeit, denn die Kosten betrugen etwa 50 Pfund pro Mann, es waren 24 000 Mann, und die Gesamtsumme betrug 1 200 000 Pfund. Bailly schrieb:

Man muß sich klar machen, daß die Schaffung der Nationalgarde der Bürger entscheidend war; die Sicherheit von Paris, der Schutz der Nationalversammlung und des Königs, der Verfassung und der Freiheit hing davon ab, und die Entwicklung bestätigte diesen Punkt. Da galt es, keinen Augenblick zu zögern. Die Bewaffnung der Nationalgarde hätte nicht erfolgen können, ohne die sofortige Autorisierung durch die Versammlung; sonst hätte sie lange gedauert; sie half den Bürgern, die die Uniformen zahlen mußten. Heute würden wir wahrscheinlich nicht solche Ausgaben machen, ohne zuvor die verschiedenen Bezirke der Kommune zu konsultieren; aber damals mußten wir das Richtige tun, und zwar unverzüglich; das ist ein Fall, wo Verwalter eigenständig denken und entscheiden müssen.

Pinets geheimnisvoller Tod und das Exil von Orléans

Da es mit der Hungersnot nicht so gut gelaufen war, wie er gehofft hatte, hatte der Herzog von Orléans Angst, sein Finanzgenie Pinet könnte einige geheime Arrangements mit Necker getroffen haben. Er wollte deshalb seine Bücher kontrollieren - besonders sein "rotes Buch" (siehe unten). Dazu muß man verstehen, daß Baillys Bemühungen, der Hungerverschwörung entgegenzutreten, auch den Erfolg hatten, daß es zum Streit zwischen den Verschwörern kam. Etwa in der Zeit, als Bailly und Lafayette ihre Position als Führungsgespann von Paris gefestigt hatten und in der Lage waren, die Kornlieferungen in die Hauptstadt zu garantieren, stand in der Pariser Zeitung Monitor eine erstaunliche Meldung:

 Pinet, ein Börsenmakler in Paris und der Haupthehler einer Geheimgesellschaft mit dem Namen Monopolist, deren Existenz in Frankreich lange Zeit der Allgemeinheit schwer geschadet hat, wurde unter mysteriösen Umständen in der Nähe von Saint-Germains-en-Laye tot aufgefunden. Aufgrund von Verträgen, auf die man sich während der Amtszeit verschiedener Minister geeinigt hatte, existierte diese Gesellschaft schon seit vielen Jahren, und sie hatte das niederträchtige Privileg, das Korn von Frankreich aufzukaufen und es auf die Inseln von Jersey und Guernsey zu verfrachten. Es gelang ihr, es von dort zu maßlos überhöhten Preisen zu exportieren.

Es war klar, daß solch ein perfider Mißbrauch die Revolution nicht überleben würde. Lange Zeit versuchte Herr Necker, sie [diese Gesellschaft] zu zerstören, aber seine Anstrengungen blieben bis jetzt ohne Erfolg. Die Gesellschaft endete mit dem Tod und dem Bankrott Pinets, ihres Haupthehlers, der ein beträchtliches Vermögen durch Spekulation auf den Verkauf von Getreide angesammelt hatte. Wie enthüllt wurde, hatte Pinet Beziehungen zu den Herren de Breteul, Barentin, de Villedeul und Albert, welcher der letzten Regierung angehörte und damals wegen der Förderung von Machenschaften, die die Revolution in Gefahr brachten, angeklagt war. Es wird berichtet, daß Berthier und Foulon Mitglieder dieser Gesellschaft waren.[# Bailly, op. Cit. Band II, S. 311 f.]

 Dieser außerordentliche Bericht bestätigt in vollem Umfang den Verdacht Baillys und Lafayettes gegenüber dem Herzog von Orléans. Der Herausgeber von Baillys Erinnerungen berichtet weiter, daß Pinets Bankrott die beachtliche Summe von 53 000 000 Pfund betraf und "sein Tod, dem das Verschwinden der meisten seiner Verbündeten vorausging, die verfluchte Gesellschaft der Monopolisten zerstörte, die mehr als 60 Jahre existiert hatte. Fünfzehnhundert Familien, die Pinet Geld geliehen hatten, ohne etwas von seinen Operationen zu wissen, wurden ins Elend gestürzt."

Einige Leute sagten, es war Mord, andere sagten, es sei Selbstmord gewesen. Der Monitor bestätigt, daß Pinet für den Herzog von Orléans arbeitete, und daß das Gericht, als die Generalstände ihre Arbeit aufgenommen hatten, Orléans und Pinet in Marly vorgeladen hatte. Sie sollten dort zu den Ursachen der Hungersnot aussagen. Doch mit Pinets Tod endete auch die gerichtliche Untersuchung. Die Herausgeber des Monitor berichteten weiterhin, Pinet sei ein "rotes Buch" gestohlen worden, das sämtliche Namen der an der perfiden Operation beteiligten Leute enthalten habe. Dem Vernehmen nach wurde das "rote Buch" niemals gefunden.

Nach dem Attentatsversuch auf die Königin am 5./6. Oktober zwang der König den Herzog von Orléans schließlich dazu, ins Exil nach England zu gehen. Die Herausgeber von Baillys Erinnerungen weisen darauf hin, daß während der blutigen Szenen in Versailles, als der Attentatsversuch auf die Königin stattfand, Rufe wie "Lang lebe König Orléans!" zu hören waren. Auch habe der Marquis von Lafayette wiederholt in der Kommune in Reden gehört, wie die Einsetzung von Orléans zum Generalleutnant des Königreichs unterstützt wurde. Die Herausgeber halten fest: "Es scheint, daß man die Spuren einer Verschwörung verfolgen konnte, die einem anderen Ziel diente als dem, Freiheit zu erreichen. Das Gericht klagte Orléans an wegen Verschwörung gegen den Thron."

Schließlich wurde Lafayette vom König beauftragt, Orléans mitzuteilen, daß er ins Exil nach England gehen mußte. Lafayette ging in das Haus der Frau de Coigny, um dort den Herzog von Orléans zu treffen. Er forderte ihn kühl und gebieterisch auf, das Land zu verlassen:

Fürst, Frankreich und der König brauchen Frieden, und Ihre Anwesenheit hier scheint ein Hindernis zu sein. Es wird gesagt, daß Ihr Name gebraucht wird, um die Menge irrezuleiten und Unruhen anzustiften. Sie haben Verwandte in England, Sie können dem Land dort dienen, und Sie müssen sofort den Vorwand beseitigen, den diese Störer des öffentlichen Friedens benutzen.[# Bailly, op. Cit., Band III, S. 162.]

 Orléans hatte keine andere Wahl, er mußte gehen. Nach einem politischen Scharmützel in der Nationalversammlung, das die Orléans-Fraktion gewann, wurde entschieden, die wahren Gründe für sein Exil zu verbergen. Orléans wurde im Rahmen einer "persönlichen Mission" König Ludwigs XVI. beauftragt, den Hof von St. James zu besuchen. Die Affaire wurde verheimlicht, und die Nationalversammlung erklärte offiziell, der Herzog von Orléans sei nicht in die Ereignisse vom 5./6. Oktober 1789 verwickelt.

In den folgenden Jahren wurde die Orléans-Fraktion jedoch so stark, daß es ihr gelang, die Nationalversammlung zu unterwandern und Robespierres Terrorregime durchzusetzen. Lediglich die Mißstimmigkeiten zwischen Orléans und Robespierre ließen den Plan zur widerrechtlichen Machtergreifung scheitern und führten dann am 7. November 1793 zu Orléans Enthauptung. Die Familieninteressen der Orléans gewannen jedoch nach Napoleons Absetzung wieder an Einfluß, als mit Louis-Philippe (1830-1848), dem Sohn von Philippe Egalité, der Orléans-Zweig der Bourbonen auf den Thron Frankreichs kam.

Die Gesellschaft von 1789: eine Leibnizsche Akademie

Während dieser Ereignisse gründeten Bailly und Lafayette am 12. April 1790, fünf Tage bevor Benjamin Franklin in den Vereinigten Staaten starb, in Paris die Gesellschaft von 1789. Diese Gesellschaft entstand nach einem Fraktionskampf innerhalb der Gesellschaft der Freunde der Verfassung (den Jakobinern). Dabei ging es um den Verrat des Herzogs von Orléans, um die konstitutionelle Monarchie und die Notwendigkeit, in Frankreich eine Wissenschaft der "politischen und sozialen Ökonomie" im Sinne von Leibniz zu begründen.

Die Gesellschaft von 1789 wurde ausdrücklich als Leibnizsche Akademie gegründet. Jean Sylvain Bailly, der Marquis de Lafayette, Abbé Sieyes, der Graf von Mirabeu (der Ältere), Gaspard Monge, Antoine Lavoisier, Evariste Gallois, Benjamin Franklin, Jacques Pierre Brissot, Dupont de Nemours (Vater und Sohn), der Marquis de Condorcet und der Herzog von LaRochefoucauld-Liancourt gehörten zu den berühmtesten Mitgliedern.

Das Gründungsprinzip dieser Gesellschaft von 1789 war dasselbe Prinzip, das auch der amerikanischen Bill of Rights zugrunde lag. Und ihr Ziel war es, das Streben nach Glückseligkeit über Gesellschaften der ökonomischen Wissenschaft durchzusetzen, auf der Grundlage einer "sozialen Wirtschaft", die dem sehr ähnlich ist, was Lyndon LaRouche heute weltweit aus Leibnizens Werk entwickelt hat.

Gottfried Wilhelm Leibniz schrieb in seiner Schrift "Societät und Wirtschaft" (Hannover, 1671):

"Mit Hilfe dieser Akademien (oder Gesellschaften), die Institutionen der Forschung und Entwicklung sind, mit eigenen, ihnen direkt angeschlossenen Manufakturen und Handelshäusern, werden die Monopole abgeschafft, da die Akademien stets einen gerechten und niedrigen Preis für die Güter garantieren. Und diese Güter werden dann oft noch billiger, weil neue Manufakturen gebaut werden, wo es bis dahin noch keine gab."

 In ähnlichem Sinn sollte die folgende Prinzipienerklärung der Gesellschaft von 1789 verstanden werden:

Es gibt für Individuen eine Kunst, ihre Glückseligkeit zu sichern und zu erhalten: Bis jetzt wurde sie in der Moralphilosophie entwickelt und von unseren Vorfahren zu einer gewissen Perfektion gebracht.

Daher muß es auch für Nationen eine Kunst geben, ihr Glück zu vergrößern und zu erhalten: Das ist es, was wir Staatskunst nennen.

Diese Wissenschaft, zu der alle anderen Wissenschaften hinstreben, scheint noch nicht in ihrer Ganzheit untersucht zu sein. Die Kunst der Landwirtschaft, die Kunst des Handels, die Kunst des Regierens, selbst die Kunst der Erörterung sind nur Teile dieser Wissenschaft; sie haben sich alle aus sich heraus, jede auf ihre eigene Weise, getrennt entwickelt; aber zweifelsohne werden diese isolierten Glieder nur dann ihre volle Entwicklung erreichen, wenn sie zusammengebracht werden und einen wohlgeordneten Körper bilden.

So viele inkonsistente und getrennte Teile wieder zu vereinigen, die ökonomischen Wissenschaften in ihren wechselseitigen Beziehungen zu untersuchen und vor allem die gemeinsame Beziehung zu erforschen, in der sie zur allgemeinen Wissenschaft der Zivilisation stehen - das ist der Gegenstand dieser Staatskunst."

Weder einer noch viele Menschen, noch eine einzelne Nation - es ist das Konzert der Völker, welches dieser Kunst eine erfolgreiche Entwicklung sichern kann; und dieser Fortschritt wird sich beschleunigen, sobald die Köpfe überall eine geordnete Arbeit verfolgen, die beständig und einheitlich ist.

Diese allgemeine Methode muß deshalb geschaffen werden. Aber ehe sie etabliert, vervollkommnet und allgemein akzeptiert werden kann, wäre es natürlich, daß ihre Grundlagen von einer Gesellschaft gelegt würden, die die Prinzipien und den Geist, der sie belebt, anderen, ähnlichen Gesellschaften vermittelt, und die wie [die anderen Gesellschaften auch] unter ähnlichen Systemen die verschiedenen Resultate aller aufgeklärten Menschen, wo immer sie sein mögen, sammelt und sich um das Wohl der Menschheit kümmert.

Dies ist der Plan, nach dem die Gesellschaft von 1789 gegründet wurde ...

 Und ich möchte hinzufügen: "... im Geist der amerikanischen Verfassung." Zu den weiterreichenden Zielen der Gesellschaft von 1789 gehörte es, von ihren ausländischen Korrespondenten folgendes zusammentragen zu lassen:

die wichtigsten politischen Ereignisse, die für beide Hemisphären von Interesse waren; die Abhandlungen, die jeweiligen Kräfte und die vermuteten Ansichten der jeweiligen Mächte; die gegenwärtige - innere und äußere - Lage der verschiedenen Nationen, insbesondere deren Fortschritte in der Staatskunst. Die Nützlichkeit und Gefahren ihrer besonderen Institutionen sollen dargestellt werden unter Berücksichtigung der Interessen der Regierungen insbesondere im Verhältnis zu den Interessen der Regierten, und die Beziehungen der Kabinette sowie ihr Einfluß auf die Glückseligkeit oder das Unglück des Volkes.[# Augustin Challamel, Les Clubs contre-revolutionaires (Paris: Maison Quantin, 1895), S. 392-94. Challamel berichtet, daß die Gesellschaft von 1789 an der Gründung der Allgemeinen Föderation sämtlicher Nationalgarden des Königreichs (inklusive der Marine) beteiligt war, die am 14. Juli 1790 ihre nationalen Zusammenschluß feierten. Es ist interessant festzustellen, das die Gesellschaft von 1789, anstatt den Sturm auf die Bastille zu feiern, den 14. Juli wählte, um auf der Esplanade des Marsfeldes die Vereinigung von 60 000 Nationalgardisten, die 83 Departements von Frankreich vertraten, zu feiern. Bei diesem einzigartigen Ereignis sprach Lafayette den Schwur auf die Verfassung, der dann vom König wiederholt wurde. An jenem Tag wurde Ludwig XVI. zum "Obersten Kommandeur der Nationalgarden von Frankreich" und Lafayette zum "Generalmajor der Föderation" ausgerufen - beide unter der Autorität der Verfassung. Indem Bailly und Lafayette dieses nationale Ereignis als einen militärischen Feiertag feierten, entzogen sie sowohl den Jakobinern als auch den Monarchisten den Boden unter den Füßen. Tatsächlich waren die Jakobiner sehr verärgert darüber, zu sehen, wie ihnen ihr 14. Juli von der amerikanischen Fraktion genommen wurde, und klagten, die Gesellschaft von 1789 sei eine Gruppe "moderner Machiavellis". Auch den Monarchisten wie dem Marquis de Villette gelang es nicht, an diesem Tag Ludwig XVI. zum Kaiser von Frankreich ausrufen zu lassen. Wie Augustin Challamel schreibt, schuf die Föderation vom 14. Juli 1790, "trotz aller Eide, einen dauernden Antagonismus zwischen den Verfassungstreuen (Bailly, Lafayette u. a.) und den Revolutionären (Orléans, Robespierre u.a.), die sich an ihre Prinzipien klammerten" (S. 420). Challamel berichtete, daß der Club der Föderierten von den königstreuen, Orleansfeindlichen Militärgruppen geschaffen wurde, die versuchten, eine Föderation der Staaten zu schaffen, "d.h. ein System, das aus den 83 Departements von Frankreich kleine, ebenbürtige Staaten machen wollte, die sich in Zeiten der Not von einem Ende des Landes zum anderen untereinander unterstützten, nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika." Die Föderation des 14. Juli wurde drei Jahre später vom jakobinisch kontrollierten Konvent aufgelöst (S. 384).]

Das kurzlebige Journal de la Societé de 1789 beabsichtigte auch, den "Beschreibungen und Entwürfen von Maschinen" und der internationalen Förderung bemerkenswerter Entdeckungen besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

Am 17. Juni 1790 hatte die Gesellschaft von 1789 ein großes Festessen zu Ehren des Jubiläums der Nationalversammlung mit 190 Gästen, was in ganz Paris großes Aufsehen erregte. Am Ende des Diners begannen die Mitglieder das bekannte Lied "Les Dettes" zu singen und rühmten die Föderation mit verschiedenen Toasts auf die Revolution, auf die Nation, den König und auf die patriotischen französischen Frauen. Und Abbé Sieyes sprach einen besonderen Toast aus auf "die beste aller Verfassungen: die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika".

Schlußwort

Der Bastille-Tag ist nicht nur ein bedauerliches Symbol der Heuchelei und Infamie. Die Tatsache, daß solch ein subversiver Staatsstreich auch heute den Beifall der französischen Regierung erhält, zeigt die romantischen Gefühle, die die französischen Autoritäten und die große Mehrheit des französischen Volkes auch nach über 200 Jahren für die Orléans-Aristokraten und die Kontrolle der britischen Krone empfinden. Der Mangel an Entschlossenheit, diese Lage zu verändern, beeinflußt die Staatsangelegenheiten des heutigen Frankreichs nur negativ. Es geht hier nicht um eine reine Parteiangelegenheit oder rein praktische Frage, sondern es geht um eine Frage moralischer Prinzipien und um historische Gerechtigkeit; denn wenn die verräterische Tat des Bastille-Sturms nicht als solche erkannt und ein für alle Mal abgelehnt wird, wird die Ehre Frankreichs niemals wieder hergestellt.

Der Plan der Briten und des Herzog von Orléans, die französische Bevölkerung hungern zu lassen, um sich widerrechtlich die Macht anzueigenen, muß als eine der schrecklichsten Katastrophen in der Geschichte der Menschheit dargestellt und verstanden werden.