Von Helga Zepp-LaRouche
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Niemand wird behaupten können, daß wir schlafwandelnd in den Dritten Weltkrieg stolpern, wie die Historiker dies vom Ersten Weltkrieg 1914 behauptet haben. Denn das Kriegsgeschrei ist so ohrenbetäubend, daß es die Toten aller bisherigen Kriege - einschließlich der beiden Weltkriege - aufzuwecken droht. Während die zivile Wirtschaft kollabiert, Infrastruktur verkommt, Schulen und Krankenhäuser verlottern, sprudeln die Steuersäckel nur so für Militärausgaben aller Art. Das Militärbudget des Pentagon für 2024 beträgt fast eine Billion Dollar, der ganze EU-Haushalt und alle nationalen Haushalte in Europa sollen militarisiert werden. Der deutsche Verteidigungsminister Pistorius verlangt, daß die Gesellschaft „kriegstüchtig“ werden müsse, wir hätten nur noch etwa fünf bis acht Jahre Zeit bis zur großen militärischen Konfrontation mit Rußland. In den amerikanischen Denkfabriken wird auf Hochtouren an „Kriegsspielen“ (war games) für den großen Krieg mit China gearbeitet, der lieber früher als später stattfinden soll.1
Wie sind wir auf diese Bahn geraten, an deren Ende nur der Dritte Weltkrieg, der globale Nuklearkrieg zwischen den USA und der NATO auf der einen Seite und Rußland und China auf der anderen Seite, und damit das nukleare Armageddon, stehen kann?
Schon US-Präsident Eisenhower warnte am Ende seiner Amtszeit vor der damaligen Explosion der Macht des Militärisch-Industriellen Komplexes (MIK) und forderte: „Wir in den Institutionen der Regierung müssen uns vor unbefugtem Einfluß - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - durch den militärisch-industriellen Komplex schützen. Das Potential für die katastrophale Zunahme fehlgeleiteter Kräfte ist vorhanden und wird weiterhin bestehen.“ Die Geschichte seitdem beweist leider, daß Eisenhowers Rat nicht befolgt wurde, sondern daß dieser „ungerechtfertigte Einfluß“ sich in der ganzen Gesellschaft ausgebreitet und die Regierungen, den US-Kongreß und andere Parlamente zu ausführenden Organen dieses MIK reduziert hat.
Die entscheidende Weichenstellung geschah, als sich die Sowjetunion auflöste. Anstatt eine neue globale Friedensordnung zu errichten - wie es Lyndon LaRouche mit seinem Vorschlag der Eurasischen Landbrücke, die den eurasischen Kontinent wirtschaftlich integriert und mit dem Westen eng verbunden hätte, vorgesehen hatte -, beschlossen die Neokonservativen die anglo-amerikanische Dominanz über eine unipolare Welt. Die Wolfowitz-Doktrin von 1992 besagte, daß kein Land und keine Gruppe von Staaten die USA jemals bezüglich ihrer politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Macht überflügeln dürfe.
Entgegen der Versprechen gegenüber Gorbatschow im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung, die NATO „keinen Zoll“ nach Osten auszudehnen, tat sie genau das Gegenteil: Insgesamt fünf NATO-Erweiterungen tausend Kilometer nach Osten näher an die Grenzen Rußlands, einschließlich der Errichtung potentiell offensiver Raketenabwehrsysteme, gingen der russischen Spezialoperation vom 24. Februar 2022 gegen die Ukraine voraus. Eine Kuba-Krise im Schneckentempo, sozusagen.
Die USA und die NATO-Staaten setzten auf politische Kontrolle, auf die Idee, daß alle Staaten der Welt das westliche neoliberale Modell übernehmen müßten - also auf Regimewechsel, Farbrevolutionen, Interventionskriege, bei denen viele Millionen zu Tode gekommen sind, Militärbasen rund um die Welt, Kriegstraining der ausländischen Bündnispartner, imperiale Ausdehnung der EU und der NATO bis hin zur Globalen NATO als Mittel der Eindämmung der tatsächlichen und potentiellen Rivalen, Sanktionen als Mittel des Regimewechsels, und schließlich die Instrumentalisierung des Dollars als Waffe. All dies natürlich unter dem Banner der „regelbasierten Ordnung“, der liberalen Demokratie und der Menschenrechte.
China dagegen setzte auf wirtschaftliche Entwicklung, die Überwindung der Armut, zunächst für 850 Millionen seiner eigenen Bürger, dann mit der Neuen Seidenstraßen-Initiative (BRI) zunehmend auf die Win-Win-Kooperation mit den Nationen des Globalen Südens, die dank dieser Zusammenarbeit zum ersten Mal die Chance erhielten, der aus der Kolonialzeit entstammenden Armut und Unterentwicklung zu entkommen. Heute arbeiten 150 Staaten des Globalen Südens mit China in tausenden Projekten der Neuen Seidenstraße zusammen, es werden Straßen und Schnellbahnen gebaut, Häfen, Flughäfen, Entwicklungskorridore, Industrieparks.
In den vergangenen zehn Jahren, seit China die BRI auf die Tagesordnung gesetzt hat, hat sich mit den Nationen des Globalen Südens, die längst zu Globalen Mehrheit geworden sind, ein grenzenloser Kulturoptimismus verbreitet, daß sie sehr bald vollentwickelte Staaten sein werden. Auf die Nutzung des Dollars als Waffe reagieren sie mit Entdollarisierung, d.h. dem Handel in ihren eigenen Währungen und schließlich dem Plan einer eigenen Reservewährung, der Vertiefung der strategischen Partnerschaft zwischen Rußland und China, der Schaffung eigener Organisationen wie den BRICS-plus - ab 1. Januar 2024 zehn und sehr bald Dutzende Staaten mehr.
Fazit: Der Versuch, auf die Auflösung der Sowjetunion mit der Utopie einer unipolaren Weltordnung zu reagieren, die durch Militärmacht zementiert wird, ist grandios gescheitert. Das hat zu einem beispiellosen strategischen Rückschlag geführt.
Die alles entscheidende Frage lautet deshalb: Können wir im Westen, in den USA, in den europäischen Nationen rechtzeitig unseren politischen Kurs korrigieren und statt auf Konfrontation auf Kooperation mit den Staaten des Globalen Südens setzen? China und Rußland haben wiederholt betont, daß die BRI und die BRICS-Staaten für die Kooperation mit dem Westen offen sind!
Die Hauptschwierigkeit liegt darin, daß inzwischen ein Großteil der wirtschaftlichen Kapazitäten Amerikas und ein wachsender Anteil in Europa vom MIK übernommen wurde und dieser zudem auf das engste mit den großen Investmentfirmen und Vermögensverwaltungen der Wall Street und der City of London verschmolzen ist, so daß man vom Militärisch-Industriellen-Finanziellen-Komplex (MIFK) reden muß.
Es wäre - technisch gesehen - relativ einfach, diese Kapazitäten für zivile Zwecke umzurüsten und statt Bombern, Kampfflugzeugen und Raketen moderne Schnellbahn-Systeme, inhärent sichere Kernkraftwerke der 4. Generation und Kernfusionsreaktoren und Weltraumstationen für die internationale Raumfahrt zu produzieren. Mit anderen Worten: Die gesamten industriellen Kapazitäten, die heute zur Zerstörung von tatsächlichen physischen Werten dienen - denn was sind Waffensysteme anderes? -, könnten für die nützliche Produktion der Güter dienen, die das Gemeinwohl befördern. Statt Panzer und Munition kann man Schulen, Krankenhäuser usw. bauen und unseren Nationen wieder zu blühenden Volkswirtschaften verhelfen!
Der russische Ökonom Sergej Glasjew hat es in seinem Glückwunschschreiben anläßlich Lyndon LaRouches 100. Geburtstag, den dieser leider nicht mehr erleben konnte, auf den Punkt gebracht: LaRouche hat nicht nur die Krise des neoliberalen Systems weitsichtig prognostiziert, sondern Lösungen zur Überwindung dieser Krise vorgeschlagen. Die Länder, die LaRouches Lösungen abgelehnt haben, befinden sich heute in der Krise, während diejenigen, die seine Ideen umgesetzt haben, prosperieren, konstatiert Glasjew. Er schreibt:
„In praktisch allen großen Ländern der Welt, die sich heute erfolgreich entwickeln - vor allem in Indien und China - gibt es Anhänger von LaRouche. Sie nutzen seine Gedanken und Ideen, um ihre Wirtschaftswunder zu realisieren. Es sind die Prinzipien der physikalischen Ökonomie, für die LaRouche eintrat, die heute dem chinesischen Wirtschaftswunder zugrunde liegen und die auch in den Grundlagen der indischen Wirtschaftsentwicklungspolitik enthalten sind. LaRouches Anhänger in diesen Ländern üben einen fruchtbaren, sehr positiven und konstruktiven Einfluß auf die Gestaltung der Wirtschaftspolitik in diesen führenden Nationen des neuen Paradigmas der Weltwirtschaft aus.“2
Es ist noch nicht zu spät. Wir müssen das Kriegsgeschrei nach immer „mehr Waffen“ ersetzen durch eine Rückkehr zur Diplomatie und die Idee, daß wir alle Konflikte durch Verhandlungen lösen können - und dies müssen, wenn wir nicht im globalen Atomkrieg und nuklearen Winter enden wollen, der alle Erinnerung an die Existenz der Menschheit auslöschen würde.
Der Gier der Spekulanten des MIFK, der Wall Street und City of London, die für ihre hohen Profitraten auf immer neue Kriege setzen, die der MIFK braucht, um die Geldquellen des Steuerzahlers sprudeln zu lassen, müssen wir das existentielle Interesse der Bevölkerung entgegensetzen, das Interesse der Landwirte, des Mittelstandes, der Lokführer, der Bäcker, etc. etc.
Schwerter zu Pflugscharen!
Wir sind viele, sie nur wenige!
Für die Kooperation mit den Nationen des Globalen Süden!