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Zwei sehr verschiedene Zusammenkünfte

[i]Von Helga Zepp-LaRouche[/i]

Die Verabredung in Samara endete mit einem offenen Streit zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Rußlands Präsident Putin. Schon in den Wochen und Tagen zuvor waren die Dissonanzen in Bezug auf strategische Probleme wie die US-Raketenabwehrsysteme in Osteuropa, Kosovo, Irak und Iran so gravierend, daß Offizielle auf beiden Seiten es schon als Erfolg werteten, wenn der Gipfel überhaupt zustande käme. Er kam zustande, aber ein Erfolg war er gewiß nicht, offenbarte er doch, wie wenig Frau Merkel die deutsche EU-Präsidentschaft für eine wirkliche Friedenspolitik zu nutzen weiß. Eine Überraschung ist diese Entwicklung keineswegs; sie ist die logische Konsequenz der Politik, die die EU seit spätestens 2004 und im weiteren Sinne seit 1989 verfolgt.

Aber während Kanzler Schröder durch seine Freundschaft mit Putin der von Rußland als feindselig betrachteten Expansionspolitik der EU etwas entgegenzusetzen wußte, verspielt Kanzlerin Merkel diese wertvolle Beziehung und mäkelt an dem russischen Vorgehen gegen Demonstranten herum - etwas vorschnell, wie sich herausstellte, hätte Kasparow doch sehr wohl noch nach Samara kommen können, zog es jedoch vor, eine Pressekonferenz gegen Putin zu geben. Und Putin fragte das Offensichtliche: Was es denn mit den Razzien gegen die Demonstranten gegen den G8-Gipfel auf sich gehabt habe.

Schlecht gemacht, Frau Merkel, ganz egal ob dieses Auftreten nur das Resultat eines völlig mangelnden diplomatischen Gespürs oder schon das Resultat der neuen Konstellation Sarkozy-Brown-Merkel in der EU war. Denn sie hätte wissen müssen, daß Rußland seit geraumer Zeit die Politik der NATO und der EU gleichsetzt, als Einkreisungs- und Destabilisierungspolitik gegenüber Rußland. Und was in den westlichen Medien als Putins diktatorische Politik verleumdet wird, ist seine in Rußland als patriotisch empfundene Bemühung, den Ausverkauf Rußlands an den Raubtierkapitalismus der Jelzin-Periode und Rußlands Degradierung zu einem Rohstofflieferanten rückgängig zu machen. Man könnte froh sein, wenn Frau Merkel gegenüber dem Ausverkauf Deutschlands an die Heuschrecken ein ähnliches Rückgrat demonstrieren würde.

Dieser EU-Rußland-Gipfel bestätigte leider, daß von Europa derzeit nichts Positives zu erwarten ist, jedenfalls keinerlei Initiative, die die existentiellen Probleme der Menschheit in irgendeiner Hinsicht anpacken würde.

In völligem Kontrast dazu stand eine Serie von Veranstaltungen und Treffen, an denen mein Ehemann Lyndon LaRouche und ich in den Tagen zuvor in Moskau teilgenommen hatten. Kernstück davon waren die zweitägigen Feierlichkeiten anläßlich des 80. Geburtstags von Professor Stanislaw Menschikow, dem international bekannten Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Topexperten über die USA, Autor zahlreicher Bücher und, am wichtigsten, einem mit unbestechlichem Humor und Wahrheitsliebe ausgestatteten eigenständigen Denker. Denn Menschikow - der eines seiner Bücher zusammen mit dem Franklin Roosevelts Berater Kenneth Galbraith geschrieben und herausgegeben hat - und viele seiner Geburtstagsgäste waren repräsentativ für eine völlig andere axiomatische Basis für das Verhältnis zwischen Rußland und dem Westen.

Das Leitmotiv setzte der Jubilar selbst in seiner Eröffnungsrede beim Geburtstagsempfang: Wie die Welt an seinem 100. Geburtstag im Jahre 2027 aussehen könnte. Dann nämlich seien voraussichtlich China, die USA, Rußland, Indien und Japan die stärksten wirtschaftlichen Mächte, und es sei offensichtlich, daß sie Wege der Zusammenarbeit finden müßten. Menschikow griff damit auf, was Lyndon LaRouche in zahlreichen Reden und Gesprächen in Moskau betonte: daß das Verhältnis zwischen den USA und Rußland, aber auch mit China und Indien, auf die Grundlage der Politik Franklin D. Roosevelts gestellt werden muß, d.h. der endgültigen Beendigung des Kolonialismus und der Zusammenarbeit gleichberechtigter souveräner Staaten für die gemeinsamen Zwecke der Menschheit.

Da viele der anwesenden Mitglieder der Akademie der Wissenschaften lebende Zeitzeugen der russisch-amerikanischen Zusammenarbeit zur Zeit Roosevelts waren, war die Projektion dieser Politik in die Zukunft eine für das Vorstellungsvermögen einfache Angelegenheit. Und so drehten sich viele Gespräche um die Querung der Beringstraße - als Teil der Eurasischen Landbrücke - als bewußte Politik der Kriegsvermeidung. Die Dringlichkeit, eine Alternative zur sich verschlechternden Atmosphäre in der strategischen Diskussion zu finden, war in vielen Gesprächen sehr bewußt.

Daß die Perspektive einer optimistischen Zukunftsvision in der Tat die Ebene schaffen kann, auf der sich im kusanischen Sinne die Gegensätze überwinden lassen, zeigten die Toasts, die auf dem Bankett zu Ehren des Jubilars ausgesprochen wurden. So fand die Vorstellung, daß anläßlich des 100. Geburtstages von Professor Menschikow im Jahre 2027 die Verkehrsverbindung zwischen Alaska und Sibirien über die Beringstraße schon weitgehend ausgebaut sein wird, begeisterte Zustimmung.

Vielleicht war es Zufall, daß der Ort des EU-Rußland-Gipfels die Stadt Samara war. Jedenfalls bringt der Name die berühmte Geschichte von der „Verabredung in Samara“ in Erinnerung, die einem Sufi-Weisen aus dem 9. Jh. zugeschriebene Erzählung, worin der Diener ein Pferd von seinem Herren leiht, um dem Tod zu entkommen, der ihm auf einem Marktplatz von Bagdad begegnet sei und eine drohende Geste gemacht habe. Später begegnet der Herr dem Tod und fragt ihn, warum er seinem Diener gedroht habe. Der Tod antwortet, er habe nicht gedroht, er sei nur überrascht gewesen, dem Diener in Bagdad zu begegnen, er habe doch eine Verabredung mit ihm in Samara.

Im übertragenen Sinn sollte die verunglückte Verabredung in Samara die Menschen in den Mitgliedsländern der EU daran erinnern, daß man zwar seinem Schicksal nicht entgehen kann, daß man aber sehr wohl den Gang der Geschichte beeinflussen und ändern kann. Für die Staaten Europas heißt das, daß wir aufhören müssen, die imperiale Politik der NATO mit der EU nachzuahmen, und statt dessen eine neue Weltordnung in der Tradition Roosevelts anstreben und uns der Beziehung zwischen den USA und Rußland auf dieser Grundlage angliedern müssen. Wir brauchen keine Politik der kleinen Schritte, wir brauchen eine Vision, wie wir das 21. Jahrhundert gestalten können, und die liegt im Ausbau der Eurasischen Landbrücke.