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Portugal: Verfassungsbewegung formiert sich gegen Troika-Diktat

Am 21. November fand in Lissabon die Konferenz "Zur Verteidigung der Verfassung, der Demokratie und des Sozialstaates" statt, organisiert auf Initiative von Mario Soares, dem früheren sozialistischen portugiesischen Präsidenten und Premierminister. In seiner Rede warnte Soares vor wachsender Armut und Hunger in Portugal, was eine Welle von Gewalt auslösen könnte. Der jetzige Präsident Cavaco Silva und Premierminister Pedro Passos Coelho (beide Sozialdemokraten, PSD) sollten sofort zurücktreten.

"Wir befinden uns auf dem Weg zu einer neuen Diktatur ... Gewalt steht vor der Tür und das muß verhindert werden," sagte Soares. "Mit einer völlig paralysierten Regierung ohne Richtung, die nicht mit der Bevölkerung spricht und einem Präsidenten der Republik, der nur daran denkt, wie er seine Partei zusammenhalten kann, bringen wir Tag für Tag Verzweiflung und Gewalt hervor...Niemand akzeptiert die Sparpolitik, die all unseren Misständen zugrunde liegt. Es ist die Troika, die in Portugal regiert. Welche eine Schande für einen Staat, der die Welt entdeckte und seit über neun Jahrhunderten unveränderte Grenzen hat."

Soares, die "graue Eminenz" der Sozialistischen Partei, hatte bereits im Mai ein "Anti-Austeritäts"-Treffen der Linken organisiert und damit eine breite Bewegung gegen die Troika-Politik der Regierung in Gang gesetzt. Der frühere Präsidentschaftskandidat der Sozialisten, Manuel Alegre, bezeichnete dieses erste Treffen als eine Zusammenkunft von "Demokraten, Patrioten und allen, denen es um ein gemeinsames Anliegen geht: die Verteidigung der Verfassung" gegen eine Regierung, die die Politik der Troika sogar noch übertreffe. Dieses Mal waren noch wesentlich mehr Repräsentanten von linken Parteien und den Gewerkschaften anwesend. Auch der frühere Fraktionschef der regierenden PSD-Sozialdemokraten, Pacheco Pereira, sowie hochrangige frühere Militärs und ein katholischer Bischof, die nicht der Linken zuzurechnen sind, sprachen bei der Konferenz oder sandten Grußbotschaften. Einige Vertreter des konservativen Lagers, die ihre Teilnahme angekündigt hatten, wurden offenbar massiv unter Druck gesetzt und sagten in letzter Minute ab.

Nach mehreren Jahren unter der Diktatur der „Troika“ (Weltwährungsfonds, Europäische Zentralbank und EU-Kommission) steht Portugal vor einem demographischen Abgrund. Seit 2010 ist die Bevölkerung jedes Jahr geschrumpft, weil die Geburtenzahl sinkt, die Sterbefälle zunehmen und die Auswanderung größer als die Einwanderung ist, und all das verschlechtert sich von Jahr zu Jahr. Obwohl diese demographischen Fakten den Handlangern der Troika wohlbekannt sind, fordern sie, den Kurs noch zu verschärfen. Der in ihrem Namen erstellte jüngste Prüfungsbericht des Weltwährungsfonds (IWF) verlangt von Portugal: mehr Rationierung in der Medizin, die Zerschlagung des öffentlichen Nationalen Gesundheitsdienstes, weitere Kürzungen von Renten/Pensionen, Löhnen und mehr Abbau von Arbeitsplätzen und staatlichen Einrichtungen, die dem Gemeinwohl dienen. Der „große Umfang des öffentlichen Sektors und die relativ hohen Gehälter und Pensionen“ seien das Kernelement der „tief verwurzelten Schwäche der öffentlichen Finanzen Portugals“, das man anpacken müsse.

Der IWF drohte in seinem Bericht, wenn Portugals Verfassungsgericht weiter von der Troika verlangte Sparmaßnahmen als verfassungswidrig untersage, was es bereits mehrfach getan hat, dann „macht dies die politische Entscheidungsfindung kompliziert und erhöht die wirtschaftliche Unsicherheit“. Deshalb drängt die Regierung von Premierminister Pedro Passos Coelho auf eine „Reform des Staates“, deren Absicht von Verteidigungsminister José Pedro Aguiar-Branco (einem Wirtschaftsanwalt) am 6. November in einer Rede vor dem Nationalen Verteidigungs-Institut unverhohlen ausgesprochen wurde. Aguiar-Branco griff in der Rede den „gefräßigen Sozialstaat“ an, der zur „Versuchung eines totalitären Staates“ führe, und forderte eine Verfassungsänderung.

Diese offenen Angriffe auf die Verfassung folgen ganz dem Vorbild des berüchtigten Memorandums der US-Großbank JP Morgan vom 28. Mai 2013 „Die Anpassung an den Euro: auf halbem Wege“. Darin werden als Haupthindernis bei der Durchsetzung der EU-Bankenunion - sprich des Finanzfaschismus - die antifaschistischen Verfassungen aus den Nachkriegsjahrzehnten ausgemacht. Portugals Verfassung, die 1974 nach dem unblutigen Sturz der 50 Jahre langen Diktatur eingeführt wurde, ist offenbar eine der ersten, die beseitigt werden soll, weil sie viele Vorschriften zum Schutz des Gemeinwohls enthält, die damals zu den Zielen der „Nelken-Revolution“ gehörten.

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