Den folgenden Aufsatz verfaßte Helga Zepp-LaRouche als Einleitung zu einer neuen Broschüre der Bürgerrechtsbewegung Solidarität.
Es gibt eine wirklich gute Nachricht: Die Politik für die Neue Seidenstraße, sozusagen das Markenzeichen der BüSo, die wir seit 1991 als Reaktion auf den Kollaps der Sowjetunion vorgeschlagen haben, ist dabei, sich weltweit immer mehr durchzusetzen. Inzwischen haben 124 Staaten und 29 internationale Organisationen Kooperationsabkommen mit der 2013 von China initiierten Seidenstraßen-Initiative unterzeichnet. Dabei handelt es sich nicht nur um das größte Infrastruktur- und Entwicklungsprogramm in der Geschichte der Menschheit, sondern um ein völlig neues Modell der internationalen Beziehungen der Staaten untereinander, die bei dieser Initiative auf der Basis des gegenseitigen Vorteils miteinander wirtschaftlich kooperieren.
In den Entwicklungsländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ist auf diese Weise ein nie dagewesener Optimismus entstanden, der in Aussicht stellt, daß sie mit Chinas Hilfe bald Armut und Unterentwicklung überwinden können. Die ost- und mitteleuropäischen Staaten, die Balkanländer, die südeuropäischen Staaten, Österreich und die Schweiz und selbst Luxemburg sind längst alle auf den Zug der Neuen Seidenstraße aufgesprungen und sehen die enormen Chancen, die in der wirtschaftlichen Integration des eurasischen Kontinents für sie selber liegen. Der für ganz Europa entscheidende Durchbruch vollzog sich im März dieses Jahres, als Italien als erstes G7-Mitglied und als das Land mit den zweitgrößten industriellen Kapazitäten der EU eine Absichtserklärung mit China nicht nur für bilaterale Kooperation, sondern auch für gemeinsame Projekte bei der Industrialisierung Afrikas unterzeichnete!
Das positive Momentum, das Italien somit im Zusammenhang mit dem Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping geschaffen hat, verfehlte sogar seine Wirkung auf Macron, Merkel und Juncker nicht, die bei dem nachfolgenden Besuch Xi Jinpings in Paris von der bisherigen Haltung der EU-Kommission, China als „systemischen Gegner“ zu bezeichnen, abwichen und statt dessen die Win-Win-Kooperation mit China und die Notwendigkeit einer „multilateralen“ Welt betonten. Deutschland und Frankreich unterzeichneten zwar (noch) keine Absichtserklärung zur Kooperation mit der Seidenstraßen-Initiative, dafür unterzeichnete Macron um so bereitwilliger einen 30-Milliarden-Vertrag zum Verkauf von 300 Airbus-Flugzeugen und sowie weitere Abkommen im Umfang von insgesamt 24 Milliarden über die Kooperation in weiteren Segmenten der Hochtechnologie. Selbstverständlich läge es auch im ureigensten Interesse des deutschen Mittelstandes und der deutschen Wirtschaft insgesamt, nicht nur die bilateralen Investitionen mit China auszubauen, sondern vor allem diejenigen in Drittländern, also z.B. bei der Industrialisierung Afrikas, als Priorität auf die Tagesordnung zu setzen.
Aber was in dieser Situation klar zutage tritt, ist der Konflikt zwischen dem alten Paradigma der geopolitischen Konfrontation und dem von China repräsentierten neuen Paradigma der internationalen Kooperation - der Idee einer Schicksalsgemeinschaft für die eine Zukunft der Menschheit, wie Xi Jinping es ausdrückt. Nachdem der Westen die enorm rasche Entwicklung der Neuen Seidenstraßen-Initiative mit Investitionen von bisher rund einer Billion Dollar ungefähr vier Jahre lang ignorierte hatte, seit Xi Jinping dieses Programm im September 2013 in Kasachstan auf die Tagesordnung gesetzt hatte, gibt es nun seit über einem Jahr eskalierende Propaganda-Attacken gegen China. ARD, ZDF, Arte, Handelsblatt und FAZ und natürlich die Bild-Zeitung, diverse Denkfabriken und Politiker unterstellten China sinistre Absichten, die von der Unterstellung reichen, China wolle die Führungsrolle der USA auf der Welt durch einen chinesischen Imperialismus ersetzen, bis zu der Behauptung, China locke die partizipierenden Staaten in eine Schuldenfalle, China sei mit seinem autokratischen System eine Bedrohung für das westliche liberale Modell, etc. etc.
Diese Medienberichte haben nichts mit den realen Absichten Chinas zu tun, dafür aber um so mehr mit einem Problem, das in der Geschichte bereits 16mal aufgetreten ist, nämlich, daß eine aufsteigende Macht die Dominanz der bisher führenden Macht in Frage gestellt hat. China hat dagegen wiederholt betont, daß es weder den zwölf Fällen, in denen es dadurch zum Krieg kam, ein weiteres Beispiel von Krieg hinzufügen möchte, noch den vier Fällen folgen möchte, in denen die zweite die bisher erste Macht einfach ohne Krieg abgelöst hat. China möchte nicht statt der USA die neue Führungsmacht in einer unipolaren Welt werden, sondern ein völlig neues Modell an die Stelle setzen, in der gleichberechtigte souveräne Nationen zum gemeinsamen Interesse der Menschheit miteinander kooperieren, aber dabei das andere soziale System der jeweiligen anderen Nationen akzeptieren.
Im Gegensatz dazu war es der Westen, der sein System weltweit exportieren wollte. Erinnern Sie sich noch, daß der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama nach dem Ende der Sowjetunion das „Ende der Geschichte“ gekommen sah? Dahinter verbarg sich die arrogante Ansicht, daß sich das westliche System der liberalen Demokratie weltweit gewissermaßen als letzte Stufe der politischen Evolution durchsetzen würde. Dieselben Kräfte, die 2001 Chinas Aufnahme in die Welthandelsorganisation WTO unterstützten, weil sie es für selbstverständlich hielten, daß China das westliche liberale Modell übernehmen würde, eskalieren nun den Propagandakrieg gegen China, weil es stattdessen seine zweieinhalbtausend Jahre alte konfuzianische Tradition wiederbelebt hat und damit erfolgreicher ist als der Westen mit seinem Modell.
Denn erinnern wir uns auch: Teil dieser arroganten Annahme, daß das westliche Modell liberaler Demokratie weltweit durchsetzbar sein würde, waren auch die sogenannten „humanitären Interventionskriege“ in Südwestasien und Afrika, die zusammen mit gesteuerten Farbrevolutionen und einer Politik des Regimewechsels gegen alle unliebsamen Regierungen zu einem ganz wesentlichen Grad zur heutigen Flüchtlingskrise beigetragen haben.
Teil dieser Politik des Westens war und ist auch die neoliberale Wirtschaftspolitik, einhergehend mit der Deregulierung des Finanzsystems und einer Priorisierung der Spekulation zuungunsten der Realwirtschaft. Die Folge davon war die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich, und eine damit verbundene Entfremdung zwischen großen Teilen der Bevölkerung und dem politischen Establishment. Die transatlantische Protestwelle gegen diese Politik - vom Brexit und der Wahlniederlage Hillary Clintons bis hin zum Wahlsieg der jetzigen italienischen Regierung und der Rebellion der Gelbwesten in Frankreich - wird weitergehen, solange diese als zutiefst ungerecht empfundene Politik nicht als Ursache beseitigt ist.
Dabei demonstriert das neoliberale Establishment der verschiedenen Länder eine geradezu olympiareife Unfähigkeit zur Selbstkritik. Das Gruppendenken und der Wunsch, den Status quo der eigenen Privilegien aufrecht zu erhalten, hat sich offenbar so in den Köpfen verfestigt, daß es den Vertretern dieser politischen Klasse unmöglich ist zu begreifen, daß sie unsere Gesellschaft mit ihrem Modell an die Wand fahren. Das tragisch-komische Brexit- Theater, mit dem die britische Regierung und die Sitzungen im britischen Unterhaus in den letzten Monaten die Welt unterhalten haben, ist dafür ebenso ein nur noch klinisch zu nennendes Beispiel, wie die Obsession, mit der die Demokratische Partei in den USA sich zwei Jahre lang weigerte, die wahren Gründe für das Scheitern Hillary Clintons bei der Präsidentschaftswahl 2016 zu akzeptieren. Und die lagen primär darin, daß die von Clinton verächtlich als „Erbärmliche“ bezeichneten Trump-Wähler sich von der Politik der Wall Street in die Armut gestoßen sahen und sie genug hatten von der Politik der permanenten Kriege von Bush und Obama.
In den USA ist der Versuch des Geheimdienstapparats der Obama-Administration und der britischen Regierung, Trump eine Kollusion mit Rußland und Justizbehinderung anzuhängen, krachend gescheitert. Dieser Putschversuch hatte von Anfang an den Zweck, zu verhindern, daß Trump sein Wahlversprechen von 2016 umsetzt, das Verhältnis zu Rußland wieder auf eine gute Basis zu stellen. Daß es ihm mit dieser Absicht ernst ist, bewies er mit dem erfolgreichen Gipfel mit Präsident Putin in Helsinki im Juli 2018. Aber jetzt wendet sich das Blatt gegen die Verschwörer: aus „Russiagate“ wird „Muellergate“, und in der Aufdeckung des größten Skandals in der Geschichte der USA werden die Intriganten, die seit mehr als zwei Jahren eine „Hexenjagd“ gegen Trump inszenierten, selbst zur Zielscheibe von Strafermittlungen. Damit sind auch alle Medien und Politiker in Europa, die diesen Putschversuch gegen Trump über zwei Jahren voll und ganz unterstützt, also die Bevölkerung systematisch in die Irre geführt haben, völlig diskreditiert.
Auch wenn die Konfrontation der Neokons auf beiden Seiten des Atlantiks gegenüber Rußland brandgefährlich ist, die größte strategische Bedrohung erwächst aus dem Versuch dieses Lagers, den Aufstieg Chinas und darüber hinaus Asiens zu verhindern. Dabei sollte es eigentlich klar sein, daß es unmöglich ist, eine Nation von 1,4 Milliarden Menschen einzudämmen, die in den letzten 40 Jahren ein beispielloses Wirtschaftswunder verwirklicht und dabei 800 Millionen Menschen aus der Armut befreit hat, die voll und ganz auf den wissenschaftlichen Fortschritt setzt und zudem über Tausende von Jahren eine führende Kulturnation war. Die Gefahr besteht darin, daß die USA und China in die berühmte Thukydides-Falle geraten, wie der Historiker des antiken Griechenland dies für den Konflikt zwischen Sparta und dem aufstrebenden Athen beschrieben hat, der zum Peloponnesischen Krieg und letztlich dem Untergang von beiden und ganz Griechenland geführt hat.
Was können wir in Europa und insbesondere in Deutschland angesichts dieser hochkomplexen strategischen Lage tun?
Wir müssen Deutschland aus dem Lager der Geopolitik herausführen, zu einem neuen Paradigma des Denkens, zu der Idee der Kooperation statt Konfrontation mit Rußland und China. Der Vorwurf, China spalte Europa mit seiner Politik der Neuen Seidenstraße, ist absurd - die EU hat das schon ganz alleine geschafft. Dank ihrer unsolidarischen und barbarischen Flüchtlingspolitik gibt es eine Spaltung zwischen Ost und West, und dank ihrer brutalen Austeritätspolitik vor allem gegen die südeuropäischen Staaten gibt es eine Spaltung zwischen Nord und Süd.
Deutschland muß sich, zusammen mit Italien, den ost-, mittel- und südeuropäischen Staaten, mit Österreich, Luxemburg und der Schweiz voll und ganz für die Kooperation mit der Neuen Seidenstraße einsetzen, dann folgen die anderen noch fehlenden Staaten von alleine nach. Die Kooperation mit der Neuen Seidenstraße ist der einzige Weg, wie Europa auf einer höheren Ebene vereint werden kann, indem es wirtschaftliche Zukunftschancen für alle bietet. Die Kooperation aller europäischen Staaten bei der Industrialisierung Afrikas und dem wirtschaftlichen Aufbau Südwestasiens ist auch die einzige humane Lösung für die Flüchtlingskrise. Die EU hat wegen ihrer ebenso barbarischen wie wirkungslosen Doktrin der „Sicherung der EU-Außengrenzen“ und der Militarisierung von Frontex, die bereits den Tod von Tausenden Migranten zur Folge hatte, ohnehin international vollkommen an Ansehen verloren und jegliche Glaubwürdigkeit in Bezug auf Menschenrechte eingebüßt.
2050 werden in Afrika 2,5 Milliarden Menschen leben, d.h. der afrikanische Kontinent wird eine sehr junge Bevölkerung haben, für die wir gemeinsam mit China, Rußland, Indien, Japan und vielen anderen Staaten viele Arbeitsplätze schaffen müssen, durch den Aufbau von Infrastruktur, Industrie und Landwirtschaft. Wenn wir so herangehen, anstatt einen Limes-Wall um Europa zu bauen, was vor 2000 Jahren schon von zweifelhaftem Erfolg gekrönt war, dann wird Afrika der Kontinent mit dem größten Entwicklungspotential sein. Für Südwestasien wird eine solche multilaterale Aufbaupolitik im Rahmen des Ausbaus der Neuen Seidenstraße der einzige Weg sein, wie wir die Gefahr des Terrorismus dauerhaft überwinden können. Es bleibt richtig, was schon Papst Paul VI. sagte: „Der neue Name für Frieden heißt Entwicklung!“
Wir müssen die Geopolitik durch eine Politik der gemeinsamen Ziele der Menschheit ersetzen. Diese Ziele leiten sich aus der Natur des Menschen ab, denn der Mensch ist das einzige bekannte Lebewesen, das mit kreativer Vernunft begabt ist, die es ihm immer wieder ermöglicht, durch wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt sein Wissen über die Gesetze des Universums, dessen Teil wir sind, zu vermehren. Dieser Fortschritt erlaubt es uns, unsere Lebensgrundlagen immer wieder neu zu definieren, die Lebensbedingungen und die Lebenserwartung für alle Menschen auf diesem Planeten zu verbessern. Damit sich das in jedem Menschen angelegte Potential voll entfalten kann, müssen sich die Staaten auf ein völlig neues Modell der Beziehungen untereinander einigen. Dazu gehört, daß das Interesse der einen Menschheit über das Interesse der Nationen gestellt wird.
Der erste große Denker, der auf diese Weise gedacht hat, war Nikolaus von Kues, der Begründer der modernen Wissenschaften und der Idee des repräsentativen Nationalstaates. Er demonstrierte mit seiner Philosophie des Zusammenfallens der Gegensätze, der coincidentia oppositorum, daß das Eine eine höhere Macht darstellt als das Viele. Übereinstimmung, Konkordanz, kann es im Makrokosmos nur geben, wenn sich alle Mikrokosmen auf die bestmögliche Weise entwickeln und es als ihr ureigenstes Interesse betrachten, daß sich alle anderen Mikrokosmen ebenfalls auf optimale Weise entfalten. Dieses Prinzip gilt auch für die Menschheit als Ganze und das Zusammenleben der Nationen.
Nikolaus von Kues hatte bereits im 15. Jahrhundert erkannt, daß sich die verschiedenen Nationen und Kulturen nur deshalb untereinander verständigen können, weil sie Wissenschaftler und Künstler hervorgebracht haben, die ungeachtet ihrer sprachlichen und traditionellen Unterschiede den Wahrheitsgehalt universeller Prinzipien erkennen und kommunizieren können. Wir sehen heute, wie die Astronauten auf der Internationalen Raumstation (ISS) über alle nationalen Schranken hinweg zusammenarbeiten und immer wieder berichten, daß der Blick von der ISS auf die Erde die Idee der einen Menschheit deutlich hervortreten läßt. Wir müssen also die Zusammenarbeit zwischen den Nationen auf die gleiche Weise organisieren wie die Wissenschaftler, die ihre Entdeckungen über universelle Prinzipien mit dem Ziel des Fortschritts der Erkenntnis austauschen, oder wie die Astronauten, die gemeinsam in die Geheimnisse des Universums eindringen, oder wie die Musiker eines internationalen klassischen Orchesters, die ein Werk gemäß der Absichten des Komponisten lebendig werden lassen. Wir müssen die Beziehungen zwischen den Nationen von der Vision her bestimmen, wie die Menschheit in hundert oder tausend Jahren zusammenleben soll.
Müssen wir uns sorgen, wie wir uns in Deutschland und Europa angesichts der Tatsache behaupten sollen, daß das Zentrum der Weltentwicklung sich längst nach Asien verschoben hat und daß in einiger Zukunft auch Afrika und Lateinamerika ihr Entwicklungspotential realisieren werden? Nur dann, wenn wir mit unserem „liberalen“ Modell so weitermachen wie bisher. Wir erleben nämlich derzeit nicht nur den Untergang der alten Weltordnung, so wie sie sich seit dem Zweiten Weltkrieg und besonders seit dem Ende der Sowjetunion entwickelt hat, sondern wir stecken im Westen in einer tiefen moralischen und kulturellen Krise.
Diese Liberalisierung hat dafür gesorgt, daß die humanistischen Werte und das Menschenbild, wie wir sie aus der deutschen Klassik, von Leibniz, Lessing, Schiller und von Humboldt kennen, ersetzt wurden durch die Ideologie des „Alles ist erlaubt“. Als Folge davon erholen sich die meisten Menschen heute nicht bei klassischer Kultur, sondern bei immer seichterer Unterhaltung, deren Inhalte eine Beleidigung für die Intelligenz der Zuschauer darstellen, wenn sie diese noch hätten. Sinnlose Gewalt, degradierende Pornographie, menschenverachtende Texte - jedes Mal, wenn man denkt, der tiefste Boden der Dekadenz sei schon erreicht, fällt irgendeinem profitgierigen Texter oder Filmemacher noch eine Steigerung zur Maximierung des Kitzels ein.
Zusammen mit der Verharmlosung des Drogenkonsums, zunehmender Abhängigkeit von digitalen Geräten aller Art schon bei Kindern bei gleichzeitiger Abwesenheit geistiger Prozesse, die die kognitiven Fähigkeiten entwickeln würden, haben wir es mit immer mehr Jugendlichen zu tun, die zu einem eigenen Urteilsvermögen und wirklicher Kreativität völlig unfähig sind. Die Industrie klagt darüber, daß ungefähr 25 Prozent der Jugendlichen überhaupt nicht anstellbar sind, weil ihnen jegliche Motivation zur Ausübung einer Berufstätigkeit fehlt. Es ist kein Wunder, daß der allgemeine Kulturpessimismus, der weite Teile des Westens erfaßt hat, katastrophale Auswirkungen auf die junge Generation hat, wenn sie immer wieder zu hören bekommt, daß es allen künftigen Generationen schlechter gehen wird als der heutigen.
In China ist das ganz anders. Besonders seit dem Amtsantritt Xi Jinpings wird die ganze chinesische Gesellschaft ermutigt, sich mit dem Studium des Konfuzianismus zu beschäftigen, der die chinesische Gesellschaft - mit einer kurzen Unterbrechung während der Kulturrevolution - seit rund 2500 Jahren geprägt hat. Die damit verbundene Idee der ästhetischen Erziehung des Menschen durch klassische Musik und Poesie ist unserer eigenen Tradition von Friedrich Schiller und dem Humboldtschen Erziehungsideal des schönen Charakters viel näher als die Häßlichkeit der bei uns dominierenden modernen Popkultur. Der Unterschied besteht darin, daß die Tradition des Konfuzianismus lebendig ist, während wir in Deutschland und den anderen europäischen Nationen unsere beste Kultur erst wiederbeleben müssen.
Dabei haben wir in Deutschland das große Glück, eine sehr reiche klassische Kultur hervorgebracht zu haben, die sich z.B. in der Bildhauerei von Riemenschneider, den Bildern von Dürer, der Dichtung von Lessing bis Schiller, Goethe und Mörike, der Musik von Bach über Beethoven, Schubert und Schumann bis Brahms zeigt, um nur einige zu nennen, und viele dieser Werke sind längst zum Weltkulturerbe geworden. Aber es ist eine traurige Tatsache, daß vielen Bevölkerungsschichten und vor allem jüngeren Menschen der Zugang zu diesen klassischen Werken verstellt ist. Die Lage in Italien ist ganz ähnlich. 85% der von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärten Kunstwerke befinden sich in Italien, aber der italienische Staat hatte unter dem Austeritätsregime der EU nicht die Mittel, sie zu erhalten. Um so wichtiger ist die Tatsache, daß der italienische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Michele Geraci, zu einer Wiederbelebung des Denkens der Renaissance als Voraussetzung für eine erfolgreiche Wirtschaft aufgerufen hat. In Frankreich sind der erhabene Geist der Johanna von Orleans, die Reformen Ludwigs XI., der umwerfende Humor des François Rabelais und die zukunftsweisenden Gedanken der École Polytechnique noch im Bewußtsein der Franzosen, aber diese sind ebenso vom Zeitgeist des Destruktivismus eines Derrida befallen wie die Deutschen vom Kulturpessimismus. Ähnlich steht es mit den anderen Hochkulturen Europas.
Wenn wir uns in Deutschland und den anderen europäischen Nationen in der Welt von morgen als gleichberechtigte Partner in einem neuen System von internationalen Beziehungen behaupten wollen, dann müssen wir unsere eigene Hochkultur lebendig machen. Ebenso müssen wir uns von dem „liberalen“ Dogma des „Alles ist erlaubt“ abwenden und die deutsche Klassik wiederbeleben, d.h. einen ähnlichen Paradigmenwandel vollziehen, wie es Deng Xiaoping mit der Abwendung von der Ideologie der Kulturrevolution in China getan hat. Deng leitete vor 40 Jahren den Prozeß der Reform und Öffnung ein, bei dem nicht nur die Wirtschaftspolitik in der Tradition von Alexander Hamilton und Friedrich List eine entscheidende Rolle gespielt hat, sondern auch die Wiederbelebung der konfuzianischen Philosophie. Deshalb besteht heute eine große Affinität zwischen dem Programm der BüSo für den Ausbau der Neuen Seidenstraße zur Weltlandbrücke und der Seidenstraßen-Initiative Chinas.
Die BüSo organisiert seit langem nicht nur Veranstaltungen zur Neuen Seidenstraße, um der Bevölkerung die damit verbundenen Möglichkeiten bekannt zu machen, wir verbinden dies auch immer mit Konzerten und Rezitationen, bei denen klassische Werke aus den verschiedenen Kulturen aufgeführt werden. Wenn die Menschen die Schönheit der ihnen oftmals bis dahin unbekannten Musik oder Poesie entdecken, geschieht immer das, was Schiller so wunderbar in seinen Ästhetischen Briefen beschrieben hat: Der Weg zum Verstand wird durch das Herz geöffnet - alle Vorurteile, die aus Unwissenheit gegenüber fremden Kulturen rühren, schwinden, und aus der Kenntnis entsteht die Liebe zur Schönheit des neu entdeckten Kunstwerks.
Wir haben allen Grund, für unsere Zukunft optimistisch zu sein. Zum Glück ist das, was Ihnen Tagesthemen, Heute-Journal, Bild und FAZ als die wichtigen Themen vorgaukeln, keineswegs die ganze Realität dessen, was in der Welt heute vor sich geht.
Was könnte eine positive Vision für die Zukunft Deutschlands sein? Daß Deutschland als souveräne, stolze Nation mit einer reichen kulturellen und wissenschaftlichen Tradition in einer gleichberechtigten Partnerschaft mit den anderen Nationen dieser Welt ein neues Paradigma für die Menschheit schafft, das es allen Menschen gestattet, ihr gesamtes kreatives Potential zu entfalten und bei dem die Menschheit wirklich menschlich wird. Wenn Sie auch überzeugt sind, daß die Welt dringend verbessert werden muß und daß es in einer Zeit der fundamentalen Veränderungen auf Ideen ankommt, mit denen eine menschlichere Zukunft gestaltet werden kann, dann gibt es für Sie nur eine einzige Partei: die Bürgerrechtsbewegung Solidarität!
Ihre Helga Zepp-LaRouche,
Bundesvorsitzende der Bürgerrechtsbewegung Solidarität