[i]Von Helga Zepp-LaRouche[/i]
Nun kann die Welt erleichtert aufatmen! Es gibt gar keine systemische Krise des Finanzsystems, sondern der weltweite Börsenkrach am Montag wurde von einem Einzeltäter ausgelöst, der die französische Bank Société Générale im Laufe eines Jahres um 4,9 Milliarden Euro betrogen und dabei alle Kontrollmechanismen, die normalerweise schon bei 100-200 Millionen in Kraft treten, ausschalten konnte! Und der arme Kerl wollte sich gar nicht bereichern, sondern verzockte 5 Milliarden, weil er vom Tod seines Vaters traumatisiert war!
Diese haarsträubend hanebüchene Erklärung wurde tatsächlich von britischen Zeitungen und in abgewandelter Form von [i]Spiegel-online[/i] angeboten, während französische Kommentatoren eher einen zeitlichen Zusammenhang mit dem anstehenden Jahresbericht der Société Générale vermuten. Daß der Börsenkrach in Asien begann und nicht in Paris, ist ein kleiner Schönheitsfehler in dieser Theorie, den man einfach unter einem dieser niedlichen kleinen Pflästerchen verstecken sollte.
Aber auch anderswo gleichen die Szenen immer mehr einem absurden Theater in Charenton. Noch am „Schwarzen Montag" überstürzten sich die Bilder von sich die Haare raufenden Börsenhändlern mit hervorquellenden Augen, und schon am Dienstag begann sich die Panik nach einer neuen Finanzspritze der EZB und einer Zinssenkung der Fed um 0,75% in Euphorie zu verwandeln. Während die US-Wirtschaft immer tiefer in die Depression abgleitet und die Weltwirtschaft mit in den Abgrund zu reißen droht, geben sich derzeit nur gierige Narren der Illusion hin, es könne nach der Ankündigung von Bushs „Stimulus-Paket, bestehend aus Zins- und Steuersenkung", noch einmal eine anhaltende Profitorgie geben.
Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Lyndon LaRouche betonte, daß ein Konjunkturprogramm innerhalb des schon zusammengebrochenen Weltfinanzsystems lediglich die Tendenz zur Hyperinflation beschleunige und daher das Falscheste sei, was man tun könne.
Wenn es nicht zu einem radikalen Umdenken komme, drohe diese Dynamik sich auf dem ganzen Planeten zu verbreiten und die Welt in ein neues dunkles Zeitalter zu stürzen, das nur mit dem dunklen Zeitalter des 14. Jahrhunderts verglichen werden könne.
Derweil verdeutlichte die für ihn so lukrative Mega-Party des Professor Schwab in Davos dann einmal mehr die erschütternde Inkompetenz der allermeisten Topmanager, Nobelpreisträger und Politiker, die inmitten von Apres-Ski und Fotogelegenheiten mit VIPs nur die allgemeine Ratlosigkeit demonstrierten, wie denn aus dieser Krise herauszukommen sei. Immerhin durften sie per Fernbedienung abstimmen, welche Risiken sie am bedrohlichsten fanden.
Wer dieser Tage beobachtet, wie die Medien über die Finanzkrise berichten, kann sich nicht des Eindrucks erwehren, daß die Journalisten und Finanzexperten alle bei Baron Münchhausen in die Lehre gegangen sind, wie z.B. die TV-Börsenexpertin Anja (Ver)- Kohl. Und die [i]Bild[/i]-Zeitung nominiert einen [i]ZDF[/i]-Reporter in ihrer Box auf der ersten Seite als „Verlierer", nur weil er ehrlich genug war, den Kleinanlegern zu empfehlen, ihre Aktien zu verkaufen. In anderen Zeitungen wird der Kollaps des US-Hypothekenmarktes mit schlechter Bonität den „verantwortungslosen" Hypothekennehmern angelastet, nicht aber Mr. Greenspan, der mit seiner Niedrigzinspolitik selber erst die Hypothekenblase schuf, die das Finanzsystem so dringend nach dem Zusammenbruch des „Neuen Marktes" brauchte.
Und natürlich waren auch die Hypothekennehmer schuld daran, Hypotheken mit variablen Zinsraten in dem Augenblick aufzunehmen, in dem die Zinsen praktisch bei Null lagen, von wo sie sich eigentlich nur nach oben bewegen konnten. Daß dies von den Opfern nicht so gesehen wird, beweist die wachsende Flut von Betrugsanzeigen gegen die Finanzinstitutionen, die ihre ahnungslosen Kunden nur sehr verschwommen über die Risiken informiert haben. Und spät kommt auch die Erkenntnis des Chefs der Federal Reserve von St. Louis, William Poole, der gegenüber [i]MarketWatch.com[/i] sagte: Weder dem Wort noch der Kompetenz der Federal Reserve zu trauen, ist eine Lektion, die man gar nicht oft genug wiederholen kann.
Es müßte eigentlich offensichtlich geworden sein, daß das Prinzip „Profit ist für die Einzelnen, Verluste werden auf die Allgemeinheit abgewälzt" ohnehin das Vertrauen in die Politik und das Finanzsystem erheblich erschüttert hat. Unglaublich aber wahr: Der Wall Street-Mogul und Möchtegern-Präsidentschaftskandidat Michael Bloomberg stellte sich zusammen mit Schwarzenegger vor die Presse und behauptet das Gegenteil: Die privaten Investoren trügen das Risiko, und der Staat habe den Vorteil!
Das Verhalten diverser „Wirtschafts-Experten" macht diese Vertrauenskrise allerdings noch schlimmer. So argumentiert der Chef des IFO-Instituts, Professor (Un-)Sinn, gegen hohe Lohnerhöhungen, die angesichts der die Weltkonjunktur bedrohenden US-Krise Gift seien. Die deutsche Wirtschaft sei dank Lohnzurückhaltung in den vergangenen Jahren wettbewerbsfähig geworden, und dieser Erfolg dürfe nicht verspielt werden.
Richtig ist an diesem Argument nur, daß die Reallöhne in Deutschland in den letzten zehn Jahren gesenkt wurden. Was Professor Unsinn verschweigt, ist die Tatsache, daß die Lohnempfänger dies der Einführung des Euro zu verdanken haben. Denn seit die deutschen Institutionen nicht mehr über Zinsregulierungen entscheiden können, bleibt nur noch das Mittel der Lohnsenkung, um wirtschaftliche Weichen zu stellen, und das ist der wesentliche Grund für die Schwäche des deutschen Binnenmarktes.
Und wenn die Arbeitnehmer und Gewerkschaften, die jeden Tag mit Millionenabfindungen für gescheiterte Manager überrascht werden und deren Arbeitsplätze abgebaut werden, weil Unternehmen wie Nokia trotz sieben Milliarden Euro Gewinn durch Auslagerung der Produktion noch mehr Profit machen wollen, nun einen Ausgleich für die wachsende Inflation und einen geringen Lohnzuwachs darüber hinaus haben wollen, dann ist das ihr gutes Recht. Aber auch der Chef des DIW, Klaus Zimmermann, meint, Lohnforderungen von bis zu acht Prozent „passen nicht in die Zeit", Hagen Lesch vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) meint, sie paßten „nicht in die Landschaft". Es wird also wieder das alte Klischee bemüht, die „übertriebenen" Forderungen der Arbeitnehmer seien für die Inflation und die Krise der Weltkonjunktur verantwortlich. Damit offenbaren sie lediglich ihr post-modernes, aber leider nicht relativistisches Raum-Zeit-Verständnis.
Was sich in Wirklichkeit hinter all diesen Verdrehungen und Münchhausen-Geschichten verbirgt, ist die brutale Realität, daß die internationale Finanzoligarchie und ihre Günstlinge nichts anderes beabsichtigen, als die internationale Finanzkrise durch eine dramatische Kürzung des Lebensstandards der Bevölkerung zu „lösen".
Und so gewiß man sein kann, daß die kurzfristige Blindheit der Gierigen sehr bald wieder der nächsten Panikattacke weichen wird, so gewiß ist es auch, daß es nur eine einzige Alternative zur Austeritätspolitik in der Tradition von Hjalmar Schacht gibt, wie sie jetzt von solchen „Experten" wie Professor Unsinn angestrebt wird. Diese Alternative liegt in der von Lyndon LaRouche vorgeschlagenen Politik in der Tradition von Franklin D. Roosevelt, einem New Deal und einer neuen Finanzarchitektur, einem neuen Bretton-Woods-System. Und wenn verhindert werden soll, daß das Vertrauen der Bevölkerung in der bevorstehenden Zuspitzung der Weltwirtschaft- und Finanzkrise, die so sicher kommen wird wie das Amen in der Kirche, nicht vollkommen zerstört wird, und sich Weimarer Verhältnisse wiederholen, dann sollten diese Ideen auf die Tagesordnung gesetzt werden.