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Das Monstrum von Maastricht

Die weit verbreitete und gerechtfertigte Wut um die Einführung des
Euro-Bargeldes seit 2002 läßt leicht in Vergessenheit
geraten, welche Probleme sich die EU-Partner mit dem im Februar 1992
unterschriebenen Vertrag von Maastricht aufgehalst haben, der die
Politik hinter dem Euro bestimmt. Die folgende Analyse des Maastrichter
Vertragstextes von Gabriele Liebig erschien ursprünglich in [i]Neue Solidarität[/i] Nr. 50/1995 und danach in der [url:"http://www.eirna.com/html/reports/sonder.htm]EIRNA-Studie[/url] "Maastricht ruiniert Europa" (Mai 1996).

Statt Depressionsbekämpfung Austerität[/url]

Auflagen und Sanktionen wie beim IWF

[/url]

Bei gründlicher Lektüre des verklausulierten Textes, der
einschließlich 17 Protokollen und 33 Deklarationen 253 Seiten umfaßt,
stehen auch dem glühendsten Verfechter der europäischen Idee die Haare
zu Berge. Der Vertrag ist ein Monstrum: Die nationalen Regierungen und
Parlamente geben nicht nur "einzelne Zuständigkeiten ab", wie es häufig
heißt; nein, sie verlieren den Einfluß auf alles, was die Weichen der
wirtschaftlichen Zukunft ihres Landes stellt: die Wirtschafts-,
Währungs-, Kredit-, Handels- und Haushaltspolitik. Auch die Stadt- und
Landschaftsplanung, die Verwaltung der Wasserressourcen und die
Energiepolitik sollen künftig in den Kompetenzbereich der EG-Bürokratie
fallen (Art. 130s). In der Praxis bleibt kein Bereich des
wirtschaftlichen und sozialen Lebens der europäischen Staaten von den
Bestimmungen des Vertrages ausgespart. Die Kontrolle der
richtungsweisenden wirtschaftlichen Parameter durch eine supranationale
Machtstruktur ist total, denn es ist ja bekannt, wie weitgehend das
Schicksal der Nationen wirtschaftlich bedingt ist.

Der Ausdruck "Souveränitätsverzicht" scheint dafür noch zu
milde. Ebenso untertrieben ist es, der bereits unterschriebenen
EG-Machtstruktur lediglich ein "Demokratiedefizit" anzukreiden.

Die Exekutive der Europäischen Union besteht aus der Kommission
und dem Rat. Die 17 Mitglieder der EG-Kommission werden von den
Regierungen der jeweiligen Ländern ernannt - also von niemandem gewählt
- und sind anschließend in keiner Weise weisungsgebunden. Im Gegenteil:
"Sie dürfen solche Anweisungen von ihrer Regierung oder irgendeinem
anderen Gremium weder suchen noch empfangen." Der andere Teil der
Exekutive besteht aus je einem Minister der Mitgliedsstaaten, die
bekanntlich ebenfalls ernannt werden. Auch die Mitglieder des
Europäischen Gerichtshofes und des Europäischen Finanzgerichts (Court
of Auditors) werden ernannt.

Das einzige vom Volk gewählte Gremium ist das Europäische
Parlament. Laut Vertrag von Maastricht hat es nicht gerade viel zu
sagen. Die Möglichkeit eines Mißtrauensvotums gegen die EG-Kommission
besteht z.B. nicht. Seine Rolle beschränkt sich darauf, bisweilen
konsultiert zu werden, Meinungen zu äußern und Beschwerden aus der
Bevölkerung entgegenzunehmen. Dies erinnert etwa an die Funktion der
Abgeordnetenkammer eines Feudalregimes.

Man kann den Vergleich zu einem Feudalregime noch weiterführen:
Während dort der Monarch souverän über allem thronte, usurpiert diese
"absolute" Position im Maastrichter Vertrag das unabhängige Europäische
Zentralbanksystem (EZBS). Es wird von den ebenfalls ernannten
Vorstandsmitgliedern der Europäischen Zentralbank (EZB) und den
Gouverneuren der Zentralbanken der einzelnen Staaten geleitet. Art. 107
des Vertrags und Art. 7 des Statuts des EZBS verbieten den Versuch
jeglicher politischen Einflußnahme auf diese Instanz und proklamieren
feierlich deren völlige "Unabhängigkeit".

Das Europäische Zentralbanksystem herrscht zwar nicht "von
Gottes Gnaden", wohl aber von Gnaden des europäischen
Finanzestablishments, jener Oligarchie des Familien- und Geldadels, von
der Walther Rathenau 1909 schon sagte: 300 Männer, die sich
untereinander alle kennen, steuern das wirtschaftliche Schicksal
Europas und wählen ihre Nachfolger aus den eigenen Reihen."

[/url] Statt Depressionsbekämpfung Austerität

Der Vertrag für eine Europäische Wirtschafts- und Währungsunion
enthält nicht einmal ansatzweise ein Programm zur Abwendung oder
Bekämpfung der auf uns zurollenden Wirtschaftsdepression. Er ist
vielmehr der - leider bisher sehr erfolgreiche - Versuch, die
europäischen Regierungen unter dem Deckmantel der europäischen Einigung
in die Falle eines gigantischen Austeritätsmechanismus zu locken.

Das beste Mittel gegen die Depression wäre, durch ein
europäisches Infrastrukturprogramm entschlossen den Wiederaufbau
Osteuropas in Angriff zunehmen. An dieser gemeinsamen Aufgabe könnte
Europa - und zwar West- und Osteuropa - wirtschaftlich und politisch
zusammenwachsen. Die Finanzierung eines solchen Infrastrukturprogramms
erforderte allerdings den Übergang zu einer produktiven
Kreditschöpfung, wobei die jeweiligen Zentralbanken wie echte
Nationalbanken im Hamiltonischen Sinne niedrigverzinste Staatskredite
mit langer Laufzeit vergeben, womit ausschließlich produktions- und
produktivitätssteigernde Unternehmungen finanziert werden.

Ein wesentlicher Grundzug des Vertrags von Maastricht besteht
darin, daß eben diese Möglichkeit doppelt und dreifach verboten ist.

1. Die "Unäbhängigkeit" der Europäischen Zentralbank macht die
Möglichkeit unabhängigen Handelns irgendeiner nationalen Zentralbank,
z.B. in die Richtung der produktiven Kreditschöpfung, schon prinzipiell
zunichte.

2. Art. 104 verbietet ausdrücklich "jede Art des Kredits von
seiten der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der
Mitgliedsstaaten zugunsten von EG-Institutionen oder -Gremien,
zentraler, regionaler, lokaler Regierungen oder anderen öffentlichen
Autoritäten, anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder für
öffentliche Unternehmungen der Mitgliedsstaaten".

3. Nach Art. 104a dürfen auch private Banken keine
vergünstigten Kredite an Regierungen und oben genannte Institutionen
vergeben.

4. Da produktive Staatskredite z.B. die Form von Staatspapieren
oder Banknoten, die als projektgebundene Kredite vergeben werden,
annehmen können, ist hier auch Art. 105a von Bedeutung, welcher der
Europäischen Zentralbank das "ausschließliche Recht" zuschreibt, "die
Ausgabe von Banknoten innerhalb der Gemeinchaft zu genehmigen".

[/url] Auflagen und Sanktionen wie beim IWFKernstück
des Vertrags von Maastricht sind die Art. 103 und 104 zur Wirtschafts-
und Währungspolitik. Alle Mitgliedsstaaten unterwerfen sich der
Überwachung ihrer Volkswirtschaften. Wenn sie den
wirtschaftspolitischen Richtlinien des Europäischen Rates
zuwiderhandeln und dessen Anweisungen verweigern, müssen sie mit
Sanktionen rechnen.

So dürfen z.B. das Haushaltsdefizit der europäischen Staaten 3% und
die Staatsverschuldung 60% des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen.

In Stufe 3, wenn erst einmal das Europäische Zentralbanksystem
installiert ist, drohen schlimmere Repressalien: Wenn der betreffende
Staat auf die Empfehlungen des Rates nicht reagiert, folgt ein
Ultimatum des Rates, bis zu einem bestimmten Termin bestimmte Maßnahmen
zu ergreifen.

Nach dem Ultimatum kommen dann Sanktionen: Die Erschwerung der
Auflage von Schatzanleihen und anderen Staatspapieren oder eine
Kreditsperre ("Der Rat kann... die Europäische Investitionsbank
auffordern, ihre Kreditpolitik gegenüber dem Mitgliedsstaat zu
überdenken"); außerdem kann der Rat das Land zwingen, "einen
nichtverzinsten Geldbetrag von angemessener Größe bei der Gemeinschaft
zu hinterlegen" oder "beträchtliche Geldstrafen" verhängen.

Dies wird den Schuldenberg des bedrängten Landes nur noch
vergrößern. Ein solcher Austeritätsmechanismus unter
Depressionsbedingungen kann nur mörderische Folgen haben.