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Offener Brief an die GDL

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Die Forderungen der Lokführer sind absolut berechtigt - aber wir brauchen die große Lösung für das Gemeinwohl![/i]

[i]Von Helga Zepp-LaRouche[/i]

[i]Sehr geehrte Lokführer und Zugbegleiter,[/i]

In der Sache hat die GDL recht, und das ist auch der Grund für die
anfängliche Sympathie seitens der großen Mehrheit der Bahnreisenden für
die Lokführer. Wieso sollen sie, denen bei jeder Zugfahrt Hunderte von
Menschenleben anvertraut sind, und deren Beruf viele Arten von Streß
kennt, die man nur erahnen kann, wenn der Zug wieder einmal auf offener
Strecke anhält, mit einem Nettolohn von 1500 abgespeist werden, wenn
jeder kleine Börsenspekulant ein Vielfaches in die Tasche steckt? Und
warum sollen sich die Zugbegleiter sich für 1400 Euro die fast
täglichen Schimpfkanonaden der Bahnreisenden anhören - Bahnreisende,
die eine viel schlechtere Meinung über die Bahn haben als früher, weil
sie den Anschluß wegen Verspätung wieder einmal verpassen, nur weil das
Bahn- Management aus Gründen der Profitmaximierung das System der
Zugverbindungen so eng austariert hat, daß Verspätungen nicht
aufgefangen werden können?

Aber trotz der uneingeschränkten Sympathie für die Lokführer und
Zugbegleiter gibt es ein Problem. Auch wenn ihre Forderung angesichts
gemachter Erfahrungen nach einem separaten Tarifvertrag und einer
merklichen Lohnerhöhung verständlich sind, bleiben sie doch eine
Einzelforderung. Das Problem besteht darin, daß das gesamte
internationale Finanzsystem dabei ist, auseinanderzufliegen. Nicht
verursacht, aber ausgelöst durch den Kollaps des US-Hypotheken- und
Immobilienmarktes, befindet sich die ganze weltweite Casino-Wirtschaft
in einem systemischen Kollaps.

Viele der Hedgefonds und Beteiligungsgesellschaften, die sogenannten
Heuschrecken, sind gerade dabei bankrott zu gehen. Die
Investmentbanken, und leider auch einige der öffentlichen Banken, die
sich auf diese Hochrisiko-Geschäfte eingelassen haben, geben zögerlich
ihre Verluste zu und fangen an Milliardenbeträge abzuschreiben. In
Wirklichkeit sitzen diese Banken auf Billionen (Tausendenden von
Milliarden) von wertlosen und inzwischen unverkäuflichen
„Wertpapieren", sogenannten SIVs (Structered Investment Vehicles). Die
ausstehenden Zahlungsverpflichtungen übersteigen dabei das
Bruttosozialprodukt der weltweiten Realwirtschaft um ein Vielfaches.

Die Fed, die amerikanische Zentralbank, hat den Geldhahn aufgedreht, um
den Kollaps des Hypotheken- und Immobilienmarktes abzumildern - was zu
einem historischen Tiefstand des Dollars und Inflation geführt hat. Das
wiederum bedroht die Exporte Europas und Asiens. Um die Folgen des
Dollarkollapses abzumildern, verzichtet die EZB darauf, die Zinsen
anzuheben, was sie eigentlich gern tun würde, um die Inflation zu
bekämpfen, und die Asiaten senken die Zinsraten (weil sie der Verfall
des Dollars bedroht) und das treibt ebenfalls die Inflation hoch.
Realität ist: Aus der Zwickmühle zwischen dem drohenden Kollaps der
Casino-Blase und der Hyperinflation gibt es innerhalb des gegenwärtigen
Systems keinen Ausweg.

Anfang August, als die IKB-Bank in Bedrängnis geriet, sagte Jochen
Sanio, der Chef der deutschen Bankaufsichtsbehörde BaFin, daß wir uns
in der schwersten Bankenkrise seit 1931 befänden. In Wahrheit ist die
Lage viel schlimmer, weil es heute aufgrund der Globalisierung ein
weltweites Problem ist. Der Vergleich ist aber trotzdem nützlich, weil
es auch heute nur die Alternativen von damals gibt. Entweder die
Regierungen reagieren wie damals, also von der Mueller-Regierung bis zu
Bruening und Hjalmar Schacht und Hitler mit Sparpolitik - oder wir tun
das, was Franklin D. Roosevelt in den USA getan hat, nämlich, die
Depression durch einen New Deal zu überwinden.

Und hier liegt der Schlüssel für die GDL. Die älteste Gewerkschaft in
Deutschland - und das ist die GDL, die 1867 gegründet wurde - muß sich
zum Anwalt des Gemeinwohls für alle machen! Wer sonst, als die
Gewerkschaften, soll sich in Deutschland für das Gemeinwohl einsetzen?
Die im Bundestag vertretenen Parteien halten sich da eher bedeckt.
Müntefering hat es einmal gewagt, das Wort von den Heuschrecken in den
Mund zu nehmen - und danach nie wieder.

Der erste Schritt ist es, die leidige Debatte um die Privatisierung der
Bundesbahn zu beenden. Es ist einfach nicht akzeptabel, daß z.B. in
Sachsen-Anhalt 54 Prozent (!) der Bahnstrecken stillgelegt werden. In
einigen der neuen Bundesländer sollen jetzt bereits ganze Gemeinden
„stillgelegt" werden, weil es sich angeblich nicht mehr lohnt,
Elektrizitäts-, Wasser-, Abwasserleitungen etc. aufrecht zu erhalten.
Wenn wir so weitermachen, wird der Kölner Dom bald in der Mongolei als
Fossil einer untergegangen Zivilisation ausgestellt.

Rußland dagegen plant, 22.000 km neue Eisenbahnlinien zu bauen, davon
1500 Kilometer für Hochgeschwindigkeitszüge. China wird in den nächsten
fünf Jahren 19.800 km neue Eisenbahnstrecken bauen, 15.000 km Strecke
modernisieren und durch Schnellbahnen mit mehr als 300 km/h
Geschwindigkeit ersetzen. Erinnern wir uns daran, daß „Commander Wu"
nur 22 Monate brauchte, um den Transrapid von Pudong nach Schanghai zu
bauen!

Wir haben in Deutschland den Transrapid entwickelt, aber wir sind
offensichtlich nicht in der Lage, ihn hier zu bauen. Das muß sich
ändern! China, die Golfstaaten, Lateinamerika, selbst das kleine
Dänemark, alle wollen den Transrapid. Und wir?

Wir brauchen in Deutschland keine Hedgefonds und keine Privatisierung
der Bahn, um den Transrapid zu bauen. Der Staat hat gemäß den
Grundgesetz-Artikeln 1, 20, 56 und 115 und nach dem Stabilitäts- und
Wachstumsgesetz von 1967 das Recht und die Pflicht, dem gegenwärtigen
wirtschaftlichen Ungleichgewicht entgegenzusteuern und selbst durch
produktive Kreditschöpfung in Projekte wie den Transrapid zu
investieren!

In Wirklichkeit ist die Krise des Weltfinanzsystems viel schlimmer als
1931, aber wenn schon von 1931 die Rede ist, dann sollten wir uns daran
erinnern, daß es damals auch in Deutschland eine Diskussion um eine Art
von „New Deal" gab. Im September 1931 gab es in Berlin im Haus der
Reichsbank eine Geheimkonferenz der Friedrich-List-Gesellschaft, auf
der der Ökonom Dr. Wilhelm Lautenbach den nach ihm benannten Plan
vorlegte, durch produktive Kreditschöpfung wieder zur Vollbeschäftigung
zu kommen ([u][url:"http://www.solidaritaet.com/neuesol/2003/1/zepp-lar2.htm]http://www.soli...).

Im Dezember 1931 wurde von Gewerkschaftsseite ein ähnlicher Plan
vorgelegt, der nach seinen Urhebern Woytinsky, Tarnow und Baade
benannte „WTB-Plan", der dann vom Allgmeinen Deutschen
Gewerkschaftsbund unterstützt, von der SPD aber abgelehnt wurde. In
Amerika hingegen setzte Roosevelt nach 1933 erfolgreich die gleiche
Politik mit dem New Deal durch und führte sein Land aus der Depression
heraus. Wäre der Lautenbach/WTB-Plan 1931 in Deutschland umgesetzt
worden, wären die sozialen Bedingungen überwunden worden, die zwei
Jahre später Hitlers Machtergreifung ermöglichten.

Noch einmal: Die Forderungen der GDL sind absolut berechtigt. Aber in
der gegenwärtigen Weltfinanz- und -wirtschaftskrise können die Probleme
nur gelöst werden, wenn wir die Wirtschaftspolitik radikal ändern: Weg
von der Spekulation, hin zur Produktion. Wir brauchen eine neue
Finanzarchitektur, ein Neues Bretton Woods und einen New Deal.

Wenn die GDL sich jetzt zum Anwalt des Gemeinwohls macht, kann sie eine historische Aufgabe für ganz Deutschland übernehmen!

[i]Ihre Helga Zepp-LaRouche, Bundesvorsitzende der BüSo[/i]