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Wie wäre es mit mehr Souveränität? Anmerkungen zur Nationalen Sicherheitsstrategie

von Rainer Apel

Mit ihrem Festhalten an einem Weltbild, das immer noch von NATO, EU und „wertebasierter Ordnung“ geprägt ist, ist diese Bundesregierung schlichtweg überfordert, so etwas wie eine „nationale“ Sicherheitsstrategie zu definieren.

Möglich wäre es schon, immerhin stellt die neue Nationale Sicherheitsstrategie, die von Bundeskanzler Olaf Scholz und mehreren seiner Kabinettsminister am 15. Juni der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, fest, daß wir in „einer Welt im Umbruch“ leben, daß unser „internationales und sicherheitspolitisches Umfeld multipolarer“ wird. Noch im gleichen Atemzug wird aber hinzugefügt, daß die Welt „instabiler und zunehmend geprägt von der existentiellen Bedrohung der Klimakrise“ werde.

Hier wäre eigentlich eine gute Gelegenheit, auf die Tatsache einzugehen, daß immer mehr Staaten und Volkswirtschaften sich vom bisherigen, anglo-amerikanisch geprägten System abkoppeln und zu den neu entstehenden Kraftzentren Neue Seidenstraße, BRICS und Eurasische Wirtschaftsunion hin orientieren. Dies übrigens, weil sie dort ihre eigenen Interessen besser vertreten sehen – Scholz hat dies kürzlich ja selbst in einer Rede in Straßburg festgestellt und sogar ein verstärktes Engagement des Westens eingefordert, um wieder attraktiv für diese Länder zu werden.

Politisch und wirtschaftlicher souveräner zu werden, ist nebenbei auch ein Interesse Deutschlands, dazu erfährt man in der neuen Sicherheitsstrategie jedoch nichts.

Allein schon die Obsession, das Klima „retten“ zu wollen, trägt wesentlich zur Strangulierung der deutschen Wirtschaft und zur Deindustrialisierung bei. Das Strategiedokument erwähnt zwar den Terrorismus als eine der wesentlichen Bedrohungen Deutschlands, schweigt aber völlig zum Angriff auf die Ostseepipelines, durch den im September 2022 eine Versorgung mit russischem Erdgas endgültig abgeschnitten wurde. Eine öffentliche Diskussion hierüber, das belegen einige Debatten im Bundestag, ist von den drei Parteien dieser Bundesregierung aber auch von den Oppositionsparteien CDU-CSU und Linke nicht erwünscht.

Wenn ein solcher Pipeline-Sabotageakt einfach so hingenommen wird, bleibt der in dem Strategiedokument erhobene Anspruch, die nationale Sicherheit zu schützen, ganz und gar unglaubwürdig.

Die Anmerkungen im Strategiedokument vor allem zu Rußland, aber auch zu China passen in dieses Bild, weil sie die Wirklichkeit verzerren: „Das heutige Rußland ist auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euroatlantischen Raum“, heißt es da. „Rußlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ist ein eklatanter Bruch mit der Charta der Vereinten Nationen und der kooperativen europäischen Sicherheitsordnung. Er zielt darauf ab, die staatliche Souveränität, territoriale Integrität, kulturelle Identität und politische Existenz eines friedlichen Nachbarn zu zerstören und eine imperiale Politik der Einflußsphären durchzusetzen. Mit diesem epochalen Bruch der europäischen Friedensordnung bedroht Rußland unsere Sicherheit und die unserer Verbündeten in NATO und EU direkt.“ Dann aber – die stetig wachsenden Lieferungen an Waffen an die Ukraine und die Sanktionen gegen Rußland bleiben hier völlig unerwähnt – wird behauptet: „Weder Deutschland noch die NATO suchen Gegnerschaft oder Konfrontation mit Rußland.“

Weiter heißt es dort: „Rußland rüstet seine konventionellen und nuklearen Streitkräfte auf und gefährdet damit die strategische Stabilität; im Angriffskrieg gegen die Ukraine setzt es immer wieder nukleare Drohungen ein, auch gegen Europa. Es versucht gezielt, die demokratischen Gesellschaften Europas zu destabilisieren, EU und NATO zu schwächen und verfolgt international eine gegen Völker- und Menschenrechte gerichtete Interessenpolitik. Energie- und Rohstoffpolitik sind Teil dieses Vorgehens.“

Daß es Druck von Seiten des anglo-amerikanischen Teils der NATO war, der Deutschland zwang, seine wirtschaftlichen Beziehungen zu Rußland ersatzlos zu kappen und die Energieversorgung der Industrie wie der Privathaushalte zu gefährden – hierzu erfährt man in dem Strategiedokument gar nichts. Für die grünlastige Bundesregierung offenbar kein Thema.

Die Positionierung des Strategiedokuments gegen Rußland gilt in etwas abgeschwächter Form auch gegen China: „Wir leben in einem Zeitalter wachsender Multipolarität und zunehmender systemischer Rivalität“ heißt es einleitend, „einige Staaten“ strebten an, die westlich geprägte Ordnung zu untergraben. Genannt wird aber der chinesische Staat: „China ist Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. Dabei sehen wir, daß die Elemente der Rivalität und des Wettbewerbs in den vergangenen Jahren zugenommen haben. China versucht auf verschiedenen Wegen, die bestehende regelbasierte internationale Ordnung umzugestalten, beansprucht immer offensiver eine regionale Vormachtstellung und handelt dabei immer wieder im Widerspruch zu unseren Interessen und Werten. Regionale Stabilität und internationale Sicherheit werden zunehmend unter Druck gesetzt, Menschenrechte werden mißachtet. Seine Wirtschaftskraft setzt China gezielt ein, um politische Ziele zu erreichen.“ Gleich danach heißt es aber: „China bleibt zugleich ein Partner, ohne den sich viele globale Herausforderungen und Krisen nicht lösen lassen. Gerade auf diesen Feldern müssen wir daher die Möglichkeiten und Chancen für eine Zusammenarbeit nutzen.“

Dies gilt nebenbei auch für Rußland, dessen Bedeutung hier jedoch unterschlagen wird.

Immerhin gibt es für Deutschland etwas Flexibilität in Bezug auf China, die in Bezug auf Rußland geopfert wurde. Das zeigt sich am Ablauf der deutsch-chinesischen Konsultationen in der vergangenen Woche, bei dem Möglichkeiten der wirtschaftlichen Kooperation im Vordergrund standen. Die Unterzeichnung des von China-Gegnern lange blockierten Vertrags zwischen dem staatlichen chinesischen Schiffahrtsunternehmen COSCO und der Hamburger Hafenbehörde zeitgleich zur Ankunft des chinesischen Premierministers Li Qiang in Berlin am 19. Juni ist ein Signal in Richtung erweiterter Kooperation mit China.

Allerdings schwebt als Bedrohung noch die neue China-Strategie, die derzeit von China-Gegnern im Außenministerium erarbeitet wird, über den deutsch-chinesischen Beziehungen. Konfrontative Töne, wie sie ja schon von Außenministerin Annalena Baerbock wiederholt gegen China zu hören waren, sind in diesem Strategiezusatzpapier zu erwarten.

Die Frage, welcher Kurs sich letztendlich innerhalb dieser Regierung durchsetzen wird, ist noch nicht beantwortet. Im günstigsten Fall wird sich wohl zur Vermeidung größerer Belastungen des deutsch-chinesischen Verhältnisses wiederholen, daß Scholz sein Kanzlerprivileg einsetzen muß wie in der Frage des COSCO-Einstiegs im Hamburger Hafen.

Zur Sicherung deutscher Interessen ist das zuwenig, die neue Strategie führt zwar das „national“ in ihrem Titel, ist aber eher als Appendix der NATO und deren derzeitiger Geopolitik gegen Rußland und China einzustufen.

Weiterführende links:

https://www.bueso.de/jennifer-morgan-klimapolitik-geopolitik

https://www.bueso.de/krieg-frieden-neue-bueso-broschuere-erschienen

https://www.bueso.de/helga-zepp-larouche-cgtn-dialog-synergie-zwischen-deutschland-china-staerken